Crimetime 1238 – Titelfoto © BR
Monaco Franze und das Verschwinden des Ur-Schwabingers
Schicki-Micki ist ein Fernsehfilm aus der Krimireihe Tatort. Der vom Bayerischen Rundfunk produzierte Beitrag wurde am 29. Dezember 1985 im Ersten Programm der ARD erstgesendet. Er ist der fünfte Einsatz von Kommissar Lenz, gespielt von Helmut Fischer und die 176. Tatort-Folge insgesamt. Lenz hat es mit dem Mord an einem engagierten Journalisten zu tun.
Die Handlung in einem Satz, ohne Auflösung: Ein Journalist, der gegen einen Immobilien- und Restaurantkönig recherchiert, wird ermordet und Kommissar Lenz alias Helmut Fischer setzt sich gemächlich in Bewegung, behindert durch seine maroden Bandscheiben, trifft auf Hannelore Elsner und allererste Computer in Zeitungs-Redaktionsräuen, auf Stadtindianer und eine Variante von diesem Filz, der Bayern so unvergleichlich macht.
Die Politik ist hier noch nicht involviert. Der Bayerische Rundfunk im Jahr 1985, das war schließlich selbst ein Teil vom Ganzen. Ein Tatort, in dem der damalige Ministerpräsident Franz Josef Strauß am Stammtisch erwähnt wird, das passt aber sehr gut, obwohl im Jahr der Ausstrahlung dieses 176. Tatorts (1985) in Bayern nicht gewählt wurde – so dass die typische Politdiskussion auf Stammtischniveau nur eine anstehende Wahl suggeriert, um typische Stammtisch-Themen im Tatort unterzubringen.
Es ist die Presse, die sich kaufen lässt, es sind Lokalgrößen Schwabinger Prägung, die man hier sieht und „Schicki-Micki“ sind, Mitglieder der Münchener Schickeria. Heute würde man diese Menschen, die mit einem Vorspanntitel im Digitalradiowecker-Design eingeführt werden, Gentrifizierer nennen, daneben gibt es die Heuschrecken. Ein jüngerer Bayern-Tatort („Aus der Tiefe der Zeit“) beschäftigt sich mit dem Sterben von alten Wohnquartieren, beinahe 30 Jahre früher hat man sich dem Sterben von traditionellen Kneipen gewidmet, denen wohl etwas später als den Tante Emma-Läden die Luft ausging.
In dieser Atmosphäre ermittelt Kommissar Ludwig Lenz, gespielt von Helmut Fischer, den Tod eines Journalisten, der einer fetten Story auf der Spur war, und dabei gibt es ein Wiedersehen mit viel Schauspielprominenz, die allerdings, ganz wie die Schicki-Mickis, teilweise nur in Bayern bekannt ist. Mehr dazu lesen Sie in der Rezension.
Handlung
Ein Journalist, der für eine Münchner Boulevardzeitung über alteingesessene Lokale, die verschwinden oder auf schick saniert werden, recherchiert, wird ermordet. Zuerst deutet alles darauf hin, daß er das Opfer einer brutalen Rockergruppe wurde. Doch bei den Ermittlungen im privaten und beruflichen Umfeld des Ermordeten laufen die Fäden immer wieder in der gastronomischen Szene zusammen.
Kriminalkommissar Lenz bekommt Ärger mit seinen Vorgesetzten, da er zu Unrecht den „Gastronomie-Fürsten“ verdächtigt. Erst mit Hilfe einer Kollegin des Ermordeten, mit der ihn mehr als nur die Aufklärung des Falles verbindet, kann Lenz den Mörder überführen.
Rezension
Wir sind nachgerade froh, dass die heutigen Münchener Tatorte nicht mehr so viel Lokalkolorit haben wie vor 30 Jahren. Insbesondere die Sprache betreffend. Wir hatten Mühe, alles zu verstehen, was einige der Nebenrollen-Charaktere sagen. Das hat unseren Eindruck von einer eh mühsamen Geschichte verstärkt, und wir mussten diesen Tatort zweimal schauen, weil wir beim ersten Mal eingeschlafen waren. Beim zweiten Versuch gab’s zwar auch noch einmal kürzere Aussetzer, trotz bewusst gewählter, viel früherer Tageszeit. Da die Handlung aber nicht so kompliziert ist und alles, was man nicht verstehen könnte, durch Rückblenden erklärt wird, trauen wir uns jetzt eine Rezension zu.
Schade, dass die Inszenierung so dröge ist, denn Helmut Fischer hätte es verdient, dass man ihm erhebliche Aufmerksamkeit zukommen lässt. Er ist schauspielerisch ein gutes Stück besser als die teilweise hölzern wirkenden übrigen Schauspieler, zu gefallen weiß allerdings auch die sehr durable Hannelore Elsner als Journalistin Vera Jansen.
Ein weiterer negativer Aspekt dieses Tatorts ist, dass man den Täter sehr schnell erahnt.Anhaltspunkte für ein Motiv gibt es zwar erst nach einer Recherche an Redaktionscomputern, die himmlisch vorsintflutlich anmuten, also sehr spät, aber es wirkt logisch. Mangelnde Logik ist dieses Mal kein Thema, dafür aber mangelnde Wahrscheinlichkeit – obwohl es prinzipiell vorkommen kann das Journalisten geschmiert werden (wie auch Politiker, siehe Eingangsbemerkung) und dass verschiedene Ereignisse so aufeinander folgen, dass der Reihe nach alle möglichen Leute der Tat verdächtig sein können und derjenige, der das Opfer als letzter lebend sah, ohne Zeugen, der war’s dann.
Ja, 1985 gab es schon Computer und jugendliche Hacker (ganz reizend gemacht, vermutlich der erste Tatort überhaupt mit einem Halbwüchsigen als Knacker eines Passwortes, hier noch „Code“ genannt), aber noch keine DNA-Analye, die Ermittlungen so stark vereinfacht, dass man sich überwiegend der Stimmung, den privaten Problemen von Ermittlern und der sozialen Komponenten annehmen kann, die gerne mit dem Tatort-Vehikel transportiert weren. Hier hat man die unmissverständliche, ganz deutliche Variante gewählt.
Für damalige Verhältnisse war es allerdings schon bemerkenswert, dass Kommissar Lenz mit einem körperlichen Leiden daherkommt, das überdies der Realität entsprach, denn Helmut Fischer hatte Bandscheibenprobleme – und es gibt ein paar Bemerkungen, aus denen man schließen kann, dass er wohl gerade eine Beziehung unglücklich hinter sich gelassen hat. Das war’s aber auch, andere Teammitglieder ebenfalls mit ausuferndem Privatleben auszustatten, war in den 1980ern noch nicht üblich.
Da der Film sich auf die Handlung konzentriert, diese aber nicht sehr schwungvoll und reichhaltig daherkommt, wirkt er gedehnt, so schade das ist. Die zuweilen sehr statisch gesprochenen Dialoge machen die Sache nicht besser. Einschränkend sei gesagt, dass dies der erste bayerische Tatort aus der Pre-Batic-Leitmayr-Ära ist, den wir rezensieren, vielleicht war das Gemütliche dort ein besonderes Markenzeichen und abseits von München war man schon anders drauf – ganz gewiss im Ruhrpott, wo zeitglich Kommissar Horst Schimanski in Person von Götz George ermittelte (1).
Viele witzige Details gibt es aber, wie den Stadtindianer, ein neuzeitliches Symbol für Nomaden, die nicht in die durchökonomisierte Zeit passen. Seine Lebensweise, seine Aktionen wirken abstrakt, aber er ist der einzige Unangepasste, nicht etwa die Stammtischbrüder, die ebenfalls vors Haus des Immobilien- und Restaurantgrossisten ziehen, wo gerade eine Party stattfindet, um dort lauthals zu demonstrieren. Das tun sie erst, als ihre eigene Kneipe in Gefahr ist, während der Großstadtindianer im permanenten Zustand der Unbehaustheit lebt. Wir in Berlin haben immer noch viele dieser Großstadtindianer, auch wenn sie weniger werden und es dafür immer mehr Obdachlose ohne romantischen Einschlag gibt.
Finale
Die Botschaft ist immer noch aktuell, das halten wir einem Film zugute, der ansonsten ziemlich betagt wirkt. Alles weicht dem Kommerz. Was München schon durch hat, erlebt Berlin in den letzten Jahren ganz massiv, nämlich die Kapitalisierung und Banalisierung der Lebensräume und das Ende vieler Lebensträume.
Es ist gleich, ob es kleine Kneipen mit Stammpublikum sind, das seine Heimat verliert, ob es weniger betuchte Bevölkerungsschichten sind, die ihre Mietwohnungen verlieren, ob kleine Geschäfte oder große Quartiere, die nur durch Bestandsschutz vor der kompletten Vernichtung bewahrt werden können – es geht immer um den Wandel und dessen Sinn und um die Frage, ob unreflektierter Konsum und die Gier, immer mehr besitzen zu wollen in einer endlichen Welt, wirklich die Lebensqualität steigern. Die Indianer, die haben einstmals und vor der Kolonisierung ihrer weiten Länder im Einklang mit der Natur und den Ressourcen gelebt und wirken in der Schicki-Micki-Stadt deplatziert.
Kneipen zu Denkmälern! Vermutlich ist es in München nie so weit gekommen, wie der Film es andeutet, da waren die Spezis mit ihren Verbindungen in die Politik vor, aber wir sehen in Berlin, dass es möglich ist, den Wildwuchs wenigstens zu dämpfen und das ist doch auch schön. Gegen ein paar gute Restaurants mehr anstatt verkommener Spelunken ist aber in Berlin noch immer nichts einzuwenden, wir sind ja nicht in Schwabing.
Obwohl wir viel über die Aussage des Films nachgedacht haben und sie komplett unterstützen, bleibt es doch dabei, dass er als Tatort nicht so viel hergibt.
5,5/10
(1) Die ursprüngliche Fassung der Rezension, die wir für die Veröffentlichung nur in Details verändert haben, stammt aus dem November 2013 – mittlerweile wissen wir, dass die Lenz-Tatorte zwar nicht durch ihre Rasanz hervorstechen, aber manche von ihnen haben, mit einem guten Schuss Ironie und Witz versehen, ihre eigenen Qualitäten, neben der immerwährenden Qualität des Spiels von Helmut Fischer.
Anmerkung anlässlich der Republizierung 2024: Wir haben den Text bis auf die Anpassung an die aktuelle Optik der Rubrik „Crimetime“ im neuen Wahlberliner und den daraus folgenden Ergänzungen z. B. der Wikipedia-Einleitung, weitgehend unverändert aus der „TatortAnthologie Nr. 400“ aus dem ersten Wahlberliner übernommen.
© 2024, 2016, 2015, 2013 Der Wahlberliner, Thomas Hocke
Kursiv, tabellarisch: Wikipedia
| Regie | Hans-Reinhard Müller |
|---|---|
| Drehbuch | |
| Produktion | Peter Hoheisel |
| Musik | Rudolf Gregor Knabl |
| Kamera | Horst Lermer |
| Schnitt | Hank Paull |
| Premiere | 29. Dez. 1985 auf ARD |
| Besetzung | |
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