Filmfest 1152 Cinema / zu Hause (Dokumentation)
Sinatra: All or Nothing at All ist ein US-amerikanischer Dokumentarfilm, der am 5. und 6. April 2015 in zwei Teilen auf HBO Premiere feierte. [1][2][3]
Am 8. Januar 2015 kündigte HBO auf der jährlichen Winter-Pressetour der Television Critics Association an, dass sie einen neuen Dokumentarfilm von Regisseur Alex Gibney über das Leben des Sängers und Schauspielers Frank Sinatra mit dem Titel Sinatra: All or Nothing at All ausstrahlen würden. [4]
Den Titel für die Dokumentation hat ein Song geliefert, den Sinatra in der Frühphase seiner Karriere als Bandsänger aufgenommen hat (1939).
Es wird immer wieder Künstler geben, die in ihrer Sparte Besonderes leisten und ein großes Publikum anziehen können, aber die Ära der Entertainer, die im Showgeschäft alles konnten, ist wohl vorbei. Sinatra konnte singen, wechselte dabei Ende der 1940er radikal den Stil, konnte Pop und auch Jazz, war ein Bühnen- und Plattenstar, konnte schauspielern und erhielt einen Oscar. Sogar tanzen konnte er ein wenig, wenn es in der Muscial-Ära, in der er groß wurde, gefordert war. Und sein Leben war überlebensgroß; der Musik und der amerikanischen Popkultur hat er im Ganzen wohl mehr Impulse gegeben als irgendein anderer Künstler, eingeschlossen Bing Crosby, Elvis Presley und Michael Jackson. Dass er in einer Zeit seine Erfolge begründete, in der es noch keine Singer / Songwriter gab, ändert daran nichts, vermehrt aber seinen Beitrag zu Interpretationen des American Songbooks – seine letzten Superhits „Strangers in the Night“ (1966) und „New York, New York“ (1979) waren schon speziell für ihn geschrieben worden.
Inhaltsangabe
Mit „My Way“ (1968), „Strangers in the Night“ (1966), „New York, New York“ (1979) hat er Millionen von Fans in aller Welt begeistert: Die Dokumentation lässt Frank Sinatra in Ausschnitten aus Stunden von archivierten Interviews persönlich zu Wort kommen und befragt diejenigen, die ihm am nächsten standen. Die Musik und Bilder aus dem Leben des Künstlers werden verbunden mit selten gezeigten Aufnahmen von seinem berühmten „Abschiedskonzert“ im Jahr 1971 in Los Angeles. Der Aufbau der zweiteiligen Dokumentation ist von Sinatras Songauswahl für dieses Konzert geprägt, die Alex Gibney zu einer persönlichen Reise durch das Leben des Sängers gemacht hat.
Der Fokus liegt auf Sinatras ersten 60 Lebensjahren, beginnend mit seiner Geburt am 12. Dezember 1915 in Hoboken, New Jersey, und seinem beginnenden Erfolg mit Mitte 20. Als Sohn italienischer Einwanderer in ärmsten Verhältnissen an der US-Ostküste geboren, wollte Sinatra ursprünglich Journalist werden. Nachdem er jedoch bei einem Gesangswettbewerb einen ersten Preis gewann, entschied er sich, einen anderen Weg einzuschlagen. In den 40er Jahren wurde er mit seinen zahllosen Hits zum Star der US-Unterhaltungsindustrie.
Angereichert mit Kommentaren von Freunden und Angehörigen sowie bisher unveröffentlichtem Material aus Privatvideos und Konzertmitschnitten, folgt diese beispiellose Hommage an den beliebten Unterhaltungskünstler Sinatras Werdegang vom Barsänger zur weltweiten Berühmtheit. Insgesamt verkaufte er rund 800 Millionen Platten und spielte in fast 60 Filmen mit. Für seine Rolle als Soldat Maggio in dem Antikriegsfilm „Verdammt in alle Ewigkeit“ (1953) wurde er mit einem Oscar ausgezeichnet.
Auf der Bühne war er stets Charmeur, im echten Leben aber auch für Ausfälle und Turbulenzen bekannt. Unter Mitwirkung des Frank Sinatra Estate, von Familienmitgliedern und Archivaren gibt „Frank Sinatra ‚All or Nothing at All‘“ einen unverstellten Einblick in das Leben des Sängers, Schauspielers, Vaters und Ehemanns Frank Sinatra.
Rezension
Selbst eine Dokumentation von zwei mal zwei Stunden wirkt kurz, wenn sie dieses Musikerleben einfangen will, und natürlich müssen Schwerpunkte gesetzt werden. Sinatras erste Jahre werden in der Tat ausführlich behandelt, und das ist richtig so. Dass sein Superhit „Stranges in the Night“ aus 1966 nicht einmal erwähnt wird, ist hingegen seltsam. Und es hat nichts damit zu tun, dass er aus seiner späteren Karrierephase stammt, denn die gleichzeitig sich anbahnende Liaison mit Mia Farrow wird mit der ihr gemäßen Ausführlichkeit dargestellt. Wir haben ohnehin den Eindruck, da fehlt etwas. Dass sein Sohn Francis Jr. ebenfalls im Showgeschäft tätig wurde und seinen Vater vielfach auf Tourneen begleitete, daraus macht der Film kein Geheimnis, aber alles, was Nancy Sinatra, seine ältere Tochter betrifft, wird mehr als dezent behandelt. Unter anderem, dass er mit ihr „Strangers in the Night“ gesungen hat. Vielleicht wollte sie ihrem Vater nicht ein Jota Ruhm abnehmen, sie war maßgeblich an der Entstehung des Films beteiligt.
Den Glamour der 1940er und 1950er Jahre kann man erahnen, wirklich abbilden lässt er sich nicht, und die politischen Verhältnisse, die in Sinatras Leben als politischer Mensch eine große Rolle spielten, werden schlaglichtartig und ziemlich pointiert dargestellt. Wichtig war es den Filmemachern dabei, Sinatras Engagement für Rassengleichheit zu erwähnen, die ihm heute hoch angerechnet wird, die aus seiner Biografie als Angehöriger einer ethnischen Minderheit und aus kleinen Verhältnissen stammend auch gut hergeleitet wird. Kritisch wird erwähnt, dass es ab etwa 1962-63 auch im berühmten Rat Pack, das ausführlich behandelt wird, rassistische Tendenzen gegenüber Sammy Davis Jr. gab, dem Sinatra einige Jahre zuvor erheblich dabei geholfen hatte, in einer Welt des weißen Entertainments und jenseits der klassischen, überwiegend afro-amerikanischen Jazzmusik, einen Platz zu finden. Der Konnex wird im Film nicht direkt hergestellt, aber Sinatras Enttäuschung darüber, dass John F. Kennedy und besonders dessen Bruder, der Justizminister Robert Kennedy, Sinatra aus bestimmten Gründen ab etwa 1962 gemieden haben, obwohl er der prominenteste Unterstützer der Kampagne 1960 war und sogar Stimmen für Kennedy hat kaufen lassen, könnte dabei eine Rolle gespielt haben. Verletzter Stolz ist ein Motiv, das man nicht unterschätzen darf.
Hingegen findet sich keine wirkliche Erklärung dafür, warum Sinatra einen Mann wie Richard Nixon politisch befürwortet hat, der ihm komplett wesensfremd gewesen sein müsste. Hatten ihn die Kennedys so sehr gekränkt? Katholiken wie er, auf höherer politischer Ebene hervorgegangen aus irischen Underdogs, Kneipenbesitzhern, Lokalpolitikern, ursprünglich nicht der WASP-Oberschicht angehörend, die die Politik und die Geschicke der USA 150 Jahre lang dominiert hatte, von einigen Ausnahmen abgesehen?
Ronald Reagan hingegen, den er bei seiner Kampagne für die Präsidentschaftswahlen 1980 unterstützte, kannte er schon seit den 1940er Jahren, als Reagan Jungdarsteller und dann Vorsitzender der Schauspieler-Gewerkschaft in Hollywood war.
Sinatra blieb während all dieser Jahre Mitglied der Demokratischen Partei.
Das Gigantische seiner Karriere kommt in dem Film blendend zum Vorschein, das Einmalige verbindet sich damit. Hingegen hätten wir gerne mehr über seine Art Musik zu machen erfahren. Worauf sich sein Stil gründete, welche Vorbilder ihn beeinflusst haben und auch seinem späteren Einfluss auf andere Musiker hätte man in vier Stunden mehr Raum widmen können. Sein Wandel hin vom Crooner zu einer Vortragsweise, die man mehr als „sophisticated“ bezeichnen darf, wird vor allem deswegen herausgestellt, weil damit auch ein Karriereschnitt verbunden war. Den Neustart 1953 hätte man aber mit etwas mehr Filmausschnitten begleiten dürfen, vor allem aus „Verdammt in alle Ewigkeit“, um aufzuzeigen, warum er den Oscar für die beste Nebenrolle erhalten hatte, und natürlich aus „Der Mann mit dem goldenen Arm“ (1955), dem ersten echten Drogendrama der Filmgeschichte, der ihm beinahe die zweite Statue eingebracht hätte, dieses Mal sogar als Hauptdarsteller.
Finale
Sinatra: All or Nothing at All wurde von den Kritikern positiv aufgenommen. Auf der Review-Aggregation-Website Rotten Tomatoes hat der Film eine Zustimmungsrate von 93 % mit einer durchschnittlichen Bewertung von 6,93/10, basierend auf 15 Kritiken. [9] Metacritic, das einen gewichteten Durchschnitt verwendet, vergab die Bewertung von 74 von 100 Punkten, basierend auf 11 Kritiken, was auf „allgemein positive Kritiken“ hinweist. [10]
Letztlich ist das Problem, dass man von einem Mann wie Sinatra nie genug sehen kann, hier waren es ja immerhin vier Stunden, ein für Arte, das ihn 2016 in Deutschland erstmals gezeigt hat, ungewöhnlich reifes Format im Genre Künstlerbiografie. Und doch findet man immer das eine oder andere findet, was zu kurz gekommen ist. Die einzige Abhilfe wäre eine echte Serie von sechs oder mehr einstündigen Filmen, aber nicht als eines dieser fragwürdigen, vierteldokumentarischen Biopics, sondern als echte, fundierte und analytisch angelegte Dokumentation. Auf einer anderen Ebene hat „Sinatra – All or Nothing at All“ aber hervorragend funktioniert, weil da etwas ist, das auch im Film Erwähnung findet: Diese einmalige Stimme, die in ihren jungen Jahren zum ersten Mal in der Geschichte des Entertainments Teenager zum Kreischen und zu Ohnmachtsanfällen gebracht hat und in der später erwachsene Männer alles hineininterpretieren konnten, was zum Mann sein gehört. Der Touch von Melancholie und Einsamkeit, der vor allem bei den Balladen mitschwingt, die er besser vortragen konnte als alles andere, offenbart das Geheimnis einer Seele, das diese Seele mit sehr vielen anderen Seelen teilt, und dafür braucht es gar nicht die Texte der Songs, die oft Seelenzustände reflektieren. In allen, die ein wenig Sinn fürs Große und sogar für das Große im Scheitern haben, wird Sinatra unvergessen bleiben. Die grundsätzliche Einteilung des Films in – nicht benannte – Kapitel gemäß den Songs, die er 1971 auf seiner ersten Abschiedstournee als Stationen seines Lebens interpretierte, ist daher sehr sinnvoll, denn dieses Konzert war ein emotionales Event der Sonderklasse, selbst im Hollywood-Maßstab, und viele Spitzenstars waren dabei anwesend und sehr gerührt.
Natürlich hat Frankie, hat Ol‘ blue Eyes oder The Voice sie und sich selbst genarrt und ist zwei Jahre später schon wieder aufgetreten. Er hat es dann bis in die 1990er nicht lassen können und wäre dem nicht so gewesen, hätte er seinen letzten großen Signature-Song, das Thema zum Film New York, New York, nie zum Welterfolg machen können. Seine letzte Auslandsreise führte ihn übrigens nach Deutschland, wo er 1993 mehrere Konzerte gab.
8/10
© 2024 Der Wahlberliner, Thomas Hocke (Entwurf 2016)
| Regie: | Alex Gibney |
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| Produziert von |
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| Kinematographie |
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| Bearbeitet von |
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Produktionsfirmen
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| Vertrieben von | HBO |
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Erscheinungsdatum
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5.–6. April 2015 |
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Laufzeit
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240 Minuten |
| Land | USA |
| Sprache | Englisch |
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