Briefing 616 Klima / Umwelt, Verkehrswende, PPP, Politik, Personen, Parteien, FDP, Politik von vorgestern, Zukunftsfeindlichkeit, Anschein von Freiheit, Massenarmut, Kaufkraft, Innenstädte
Heute haben wir eine Umfrage für Sie gefunden, die man nur im Zusammenhang mit den anstehenden Wahlen im Osten Deutschlands, in Sachsen, in Thüringen in 9 Tagen und in Brandenburg in vier Wochen verstehen kann. Oder doch nicht? Die Frage lautet:
Die FDP hat Anfang vergangener Woche ein autofreundliches Parteiprogramm auf den Weg gebracht. Grundsätzliche Ziele des Programms sind mehr Raum für Autos in den deutschen Innenstädten und weniger Platz für Fahrradfahrende und Fußgängerinnen und Fußgänger. So wollen sie das Autofahren wieder einfacher machen und außerdem die deutschen Innenstädte wirtschaftlich stärken.
Das Pro-Auto-Programm stellt einen gezielten Gegenentwurf zur Verkehrspolitik der Grünen dar. Das Parken in Innenstädten soll möglichst kostenlos werden. Alternativ könne ein deutschlandweites Flatrate-Parken eingeführt werden – nach dem Vorbild des 49-Euro-Tickets für die Bahn, berichtet die tagesschau. Außerdem sollen weniger Fußgängerzonen und Fahrradstraßen eingerichtet werden, um Autos mehr Raum zu geben. FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai wählt im Interview mit der Bild am Sonntag deutliche Worte in Richtung der Koalitionspartner: Seine Partei stelle sich „aktiv gegen eine grüne Politik der Bevormundung”.
Klare Kritik gibt es von der Seite der Grünen. Autos gegen Fußgängerinnen und Fußgänger zu stellen, sei nicht sinnvoll, sagte Grünen-Fraktionsvize Andreas Audretsch der ARD. Man müsse alle zusammendenken, um weniger Staus in den Städten zu haben und mehr Freiraum für alle. Das gehe nur mit Investitionen in Infrastruktur, in Busse und Bahnen oder in die Sanierung von Brücken. Auch Hannovers Oberbürgermeister Belit Onay (Grüne) warnt gegenüber Funke: „Es ist ein gefährlicher Irrglaube, dass man mit mehr Autoverkehr mehr wirtschaftliche Stärke in den Innenstädten schafft.” Ein entscheidender Hebel für eine Belebung der Innenstädte sei nicht mehr Autoverkehr.
Kommentar Teil 1
Mit dem letzten Satz gemeint ist wohl: weniger Autoverkehr. Angesichts der Tatsache, dass dieses Land politisch immer mehr den Bach runter geht, hätten wir uns nicht gewundert, wenn es eine Mehrheit für die FDP-Forderungen gegeben hätte. Immerhin ist Deutschland das einzige Land auf der Welt, in dem auf vielen Autobahnen noch ungebremst gerast werden darf. So viel zur „Bevormundungspolitik“. Auch die Ampel hat es nicht geschafft, diesen Irrsinn zu beenden – weil nämlich die FDP ein Teil dieser Ampelregierung ist und ihr und der Mehrheit der Menschen im Land fortgesetzt schadet.
Mal ehrlich: Gehen Sie wieder vermehrt in den Innenstädten einkaufen, weil andere Sie dort mit ihren Stadtpanzern wieder im wörtlichen Sinn überfahren dürfen, wo sie nur wollen? Oder kaufen Sie noch mehr online, weil die Innenstädte immer rückständiger werden, zum Beispiel durch einen Rückbau ihres Erholungswertes? Diejenigen, die selbst dort mit solchen Teilen herumfahren und sie als Krücke für ihr mangelndes Selbstbewusstsein benutzen, werden wohl den ganzen Tag im Kreis fahren, damit sie von möglichst vielen genervten Passanten gesehen werden, und dafür braucht es Raum. Die FDP-Klientel eben.
Man weiß gar nicht, wo man mit dem Kopfschütteln anfangen soll. Einerseits sind wir froh, dass doch eine Mehrheit vernünftig ist, insgesamt etwa 60 Prozent, und diese Politik für Arschlöcher (die typische FDP-Klientel) ablehnt, andererseits gibt es immerhin fast 25 Prozent, die diese Politik von vorgestern tatsächlich für richtig halten. So der aktuelle Stand der Umfrage.
Alle Untersuchungen aus Ländern, in denen man den Autoverkehr eingegrenzt hat, zeigen, dass es besser läuft als früher, auch für die Autofahrer. Aber in diesen anderen Ländern ist das Auto ja auch ein Gebrauchsgegenstand, kein Fetisch für Menschen ohne Geist und ohne Gott.
Deutschland ist bei der Verkehrswende ohnehin weit zurück. In Berlin hat die Große Koalition unter Führung der CDU, die die Stadt seit 2023 regiert, anfangs alles getan, um den Ausbau des Radwegenetzes zu verhindern, jetzt ist man vom Verhindern ins Bremsen und Verlangsamen übergegangen. Einige Projekte sind wirklich ein Politikum gewesen, wie die Befriedung der Friedrichstraße, die wieder aufgehoben wurde, aber der Autoverkehr fordert immer noch ca. 40 Todesopfer pro Jahr und daran sind überproportional diese Auto-Fetischisten beteiligt, die im Grunde so behandelt werden müssten, als würden eine Schusswaffe besitzen und mindestens damit drohen, ohne einen Waffenschein zu haben.
Damit Sie aber auch sachlich informiert werden und ganz klar wird, welchen Quark die FDP wieder einmal von sich gibt, haben wir noch ein wenig für Sie recherchiert:
Der Ausbau von Radwegen und Fußgängerzonen bietet zahlreiche Vorteile, die sich in verschiedenen Ländern als erfolgreich erwiesen haben. Hier sind einige der wichtigsten Vorteile zusammen mit Beispielen aus anderen Ländern:
## Vorteile des Ausbaus von Radwegen
– **Erhöhte Verkehrssicherheit**: Separat geführte Radwege bieten ein hohes Maß an Sicherheit für Radfahrer, insbesondere in Ländern wie den Niederlanden und Dänemark, wo ein erheblicher Anteil der täglichen Wege mit dem Fahrrad zurückgelegt wird[2][3]. Diese Länder haben gezeigt, dass eine gut ausgebaute Radinfrastruktur das Unfallrisiko zwischen Radfahrern und motorisierten Verkehrsteilnehmern verringern kann[6].
– **Verkehrsentlastung und Platzersparnis**: Der Ausbau von Radwegen kann den Autoverkehr reduzieren, insbesondere auf Kurzstrecken, was zu weniger Staus und einem effizienteren Verkehrsfluss führt[6]. Da Radwege weniger Platz benötigen als Autostraßen, ermöglichen sie eine effizientere Nutzung des städtischen Raums[6].
– **Umweltschutz und Gesundheitsförderung**: Der verstärkte Einsatz von Fahrrädern trägt zur Reduzierung von verkehrsbedingten Emissionen bei und fördert gleichzeitig die Gesundheit der Bevölkerung durch körperliche Aktivität[2][6]. In Städten wie Kopenhagen wird das Radfahren aktiv gefördert, um den CO2-Ausstoß zu senken.
– **Wirtschaftliche Vorteile**: Der Ausbau von Radwegen kann lokale Wirtschaftszweige stärken, indem er den Zugang zu Geschäften und Dienstleistungen erleichtert. Radfahrer neigen dazu, örtliche Geschäfte häufiger zu besuchen als Autofahrer[6]. Städte wie Amsterdam profitieren wirtschaftlich von einer hohen Fahrradnutzung.
## Vorteile des Ausbaus von Fußgängerzonen
– **Förderung des Einzelhandels und der lokalen Wirtschaft**: Fußgängerzonen ziehen mehr Fußgänger an, was zu einer höheren Kundenfrequenz für lokale Geschäfte führt. Städte wie Zürich und Wien haben gezeigt, dass autofreie Zonen den Einzelhandel beleben können.
– **Verbesserung der Lebensqualität**: Fußgängerzonen bieten einen ruhigen und sicheren Raum für Menschen, was die Lebensqualität in urbanen Gebieten erhöht. In Städten wie Barcelona tragen solche Zonen zu einem angenehmeren Stadtbild und einer höheren Aufenthaltsqualität bei.
– **Umweltvorteile**: Weniger motorisierter Verkehr in Fußgängerzonen führt zu einer besseren Luftqualität und weniger Lärm, was in Städten wie Oslo, die auf autofreie Stadtzentren setzen, deutlich wird.
Insgesamt zeigen diese Beispiele, dass der Ausbau von Radwegen und Fußgängerzonen nicht nur zur Verbesserung der Verkehrssicherheit und des Umweltschutzes beiträgt, sondern auch wirtschaftliche und soziale Vorteile bietet.
Kommentar Teil 2
Sie werden bemerkt haben, dass es sich hier vor allem um wohlhabende, wirtschaftlich starke und von der Denkweise und auch im wörtlichen Sinne weitgehend gesunde Länder mit einer Bevölkerung handelt, in der es nicht einen so großen Anteil von Dumpfbacken gibt wie in Deutschland und in denen keine einzige Partei mit einem Programm wie demjenigen der FDP auftreten dürfte und dabei auch noch ernstgenommen würde (von einem Viertel der Bevölkerung, in diesem Fall, falls die Abstimmung repräsentativ ist). Selbst das wirtschaftliche Argument ist längst klar widerlegt. Aber eine Partei, die die Schuldenbremse als Waffe gegen die Zukunft des Landes richtet, so, wie einige ihre Autos als Waffe benutzen – was soll man von ihr anderes erwarten?
Es wird die FDP nicht über die 5-Prozent-Hürde hieven, bei den nächsten Ostwahlen, was sie da wieder verzapft hat. Vielmehr wird es Zeit, diesen Verein auf den Müllhaufen einer neoliberalen, egozentrischen Geisteshaltung zu befördern, deren Scheitern sich jeden Tag offenbart und deren Philosophie eine der größten Lügen dieser Zeit ist, zumindest für 90 Prozent aller Menschen. Die FDP versucht, Menschen mit automobiler „Freiheit“ zu locken, wo doch die Freiheit der meisten Menschen durch Politik à la FDP immer mehr eingeschränkt wird.
Um es konkret auszudrücken: Die FDP versucht, zugunsten einer kleinen Minderheit die Mehrheit immer mehr gegen die Wand zu drücken, aber diese Mehrheit war es immer, die zum Beispiel dafür gesorgt hat, dass die Innenstädte blühen, und nicht ein minimaler Bevölkerungsanteil von Superluxuskäufern, die mit Superluxusautos bis ins Schaufenster fahren kann. Es war die Kaufkraft der Mehrheit, die Innenstädte blühen ließ.
Ein Rezept gegen die Verödung ist sicher, Einkaufen erlebnisreicher zu gestalten, es für Fußgänger und Radfahrer sicher und sauber zu machen, den Geschäften innovative Konzept auch bei der Außenraumgestaltung zu ermöglichen. Vor allem aber muss die neoliberale Politik der gewollten Massenverarmung endlich aufhören, damit Menschen sich beim Bummeln gehen auch wieder wohlfühlen in ihrer Haut und mit Gegenständen in den Auslagen, die sie sich leisten können. Es muss wieder schick werden, die Innenstädte zu besuchen.
Als im historischen Kern unserer Heimatstadt nach der Sanierung in den 1970ern und der Gestaltung als Fußgängerzone, die im Wesentlichen nur noch Lieferverkehr zulässt, dieser Kern es bis in die Spitzengruppe der beliebtesten In-Zonen schaffte, war im Grunde schon klar: Das Parkhaus am Eingang zu dieser Zone, das zu einem Kaufhaus gehörte und zwei, drei weitere Parkhäuser, die dann hinzugebaut wurden, reichten vollkommen aus, um denen gerecht zu werden, die mit dem Auto in diese Gegend wollten. Die Lebensqualität eines einst miserablen Viertels schoss geradezu kometenhaft in die Höhe, weil das Gesamtkonzept aus Ausgehzone, Erholungsraum und sicherer Flaniermeile mit historischem Ambiente passte. Damals stieg aber auch die Kaufkraft der Menschen, die sich dort aufhielten und bescherte den vielen hübschen Geschäften und Restaurants gute Umsätze. Auch, wenn diese Mehrung des allgemeinen Wohlstands längst Geschichte ist, dank jahrzehntelangen FDP-Einflusses auf die Politik: Kein normaler Mensch kommt auf die Idee, den Autoverkehr auf dem Hauptplatz zurückhaben zu wollen. Der „Markt“ ist immer noch ein Erlebnis- und Begegnungsraum für alle, inklusive des Wochenmarkts in seinem Zentrum, der nur möglich ist, weil dort kein Autoverkehr herrscht.
Wir sind also fast 50 Jahre weiter und die FDP will wieder Verödungspolitik der 1960er machen, als Straße über Straße gebaut wurde, Autos wirklich jede Stadtansicht aufs Hässlichste zustellten und trotzdem die Staus immer länger wurden.
Die Idee hinter einer solchen FDP-Politik kann man nur verstehen, wenn man sich anschaut, wie dieses Land immer mehr den Anschluss verliert, auch ideentechnisch. Jetzt ist es nicht mehr die Politik von gestern, sondern die von vorgestern, die von der FDP propagiert wird. Sachwidrig, auf niedere Instinkte zielend. Die Sorge ist berechtigt, dass wieder die Politik von vorvorgestern salonfähig wird, wenn solche Spinnereien mehrheitsfähig werden. Sie wissen schon, vorvorgestern, als Menschenleben nicht viel zählten. Nach dem Krieg und besonders nach dem Verbot einer direkten NSDAP-Nachfolgepartei (1951) war die FDP nicht umsonst das Sammelbecken für Altnazis in Westdeutschland.
Wenigstens gibt es aktuell für diese Politik keine Mehrheit, aber, selbst wenn es sie gäbe: Demokratie darf nicht Terror der Mehrheit gegen Schwächere sein, das zeigt sich an solchen Betisen wie dem „autofreundlichen Parteiprogramm“ auch wieder einmal. Gäbe es dafür eine Mehrheit, müsste eine vernünftige Minderheit diesem Mob Einhalt gebieten, im Sinne einer wehrhaften Demokratie, die immer nur von einer Minderheit wirklich geschützt wird. Das Thema, das wir hier besprechen, steht symbolisch für etwas Größeres: nämlich dafür, wie eine Kleinpartei versucht, dieses Land zu beherrschen, fortschrittsfeindliche und auch wirtschaftlich schädliche Politik zu machen. Zum Glück geht gemäß aktuellem Abstimmungsergebnis auch die Mehrheit der Autofahrer:innen der FDP nicht auf den Leim. Es ist ärgerlich genug, dass der Anteil der Zustimmenden viel höher ist als der FDP-Wähleranteil. Wir glauben trotzdem nicht, dass die Rechnung aufgehen wird, die FDP damit bei den nächsten Wahlen wirklich zu boosten. Denn der FDP fehlt im Osten ein paar andere Eigenschaften, die sie für die Wähler:innen attraktiv machen könnten, zum Beispiel ein tatsächlicher oder vorgegaukelter Gerechtigkeitssinn, der gerade neuere politische Angebote derzeit so hebt.
Rechte Politik ist derzeit in vielen Ländern en Vogue, aber nur in Deutschland ist es möglich, sie auch noch als Freiheit zu verkaufen. Das ist sehr beunruhigend, auch bezüglich der politischen Bildung. Darüber wird noch zu sprechen oder zu schreiben sein.
TH
Quellen
[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Radverkehrsanlage
[2] https://www.europarl.europa.eu/RegData/etudes/IDAN/2016/582033/EPRS_IDA%282016%29582033_DE.pdf
[3] https://abes-online.com/publikationen/ratgeber/herausforderung-radverkehr-welche-baulichen-loesungen-braucht-die-staedtische-infrastruktur/
[4] https://www.mobilikon.de/en/node/1291
[5] https://www.stadtmarketing.eu/radwegenetze-6-wesentliche-aspekte-einer-guten-rad-infrastruktur/
[6] https://muenchen.adfc.de/artikel/warum-die-kosten-fuer-radwege-sinnvolle-ausgaben-sind
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