Die Feuerzangenbowle (DE 1944) #Filmfest 1155

Filmfest 1155 Cinema

Es war einmal: Die Schule

Die Feuerzangenbowle ist eine deutsche Filmkomödie aus dem Jahr 1944 mit Heinz Rühmann in der Hauptrolle. Sie basiert auf dem gleichnamigen Roman von Heinrich Spoerl. Regie führte Helmut Weiss.

Wir haben schon einmal über diesen Film geschrieben. Anlässlich der Rezension des Vorgängers, er Erstverfilmung des Romans von Heinrich Spoerl, der denselben Namen trägt wie die zweite Version. 1934 hieß die Umsetzung in bewegte Bilder noch „So ein Flegel“ und 1944 hat man den Titel des Buches übernommen.

Das ist auch richtig so, denn die 1944er Version orientiert sich weitaus stärker an der Vorlage, während 1934 die Feuerzangenbowle, die Rahmenhandlung, die der späteren Verfilmung einen nostalgisch-melancholischen Touch gibt, gar nicht vorkommt. Dass wir eine Vergleichsrezension geschrieben haben, obwohl die 1944er Bowle nur als Erinnerung zur Verfügung stand, Jahre her, zeigt, wie groß der Wunsch, die Sehnsucht nach genau jener Erinnerung war. Ist die Feuerzangenbowle der wahre Film der Nation bzw. der autochthonen Deutschen?

Möglicherweise. Sicher ist „Die Feuerzangenbowle“ künstlerisch nicht der beste deutsche Film, wir stellen uns zum Beispiel vor, Helmut Käutner hätte ihn inszeniert. Aber wo wäre dann unsere Punktebewertung hingegangen? Für einen Film aus der besonders schrecklichen späten Phase der Nazi-Zeit, kurz vor dem Ende des Krieges? Mehr zum Film steht in der Rezension.

Handlung (1)

Die Rahmenhandlung des Films beginnt mit einer Runde zumeist älterer Herren, die sich bei einer Feuerzangenbowle Geschichten aus ihrer Schulzeit erzählt. Der erfolgreiche junge Schriftsteller Dr. Johannes Pfeiffer beneidet seine Freunde um den Spaß, den sie in der Schule hatten. Ihm selbst blieb solcher versagt, da er von einem Hauslehrer erzogen wurde. Seine Freunde animieren ihn daraufhin, sich als Schüler zu verkleiden und für ein paar Wochen eine „richtige“ Schule zu besuchen. Die Wahl fällt auf ein Gymnasium in der kleinen Stadt Babenberg.

In der Binnenerzählung besucht er die Schule als Oberprimaner Hans Pfeiffer. Er ist bald in der Klasse beliebt und spielt zusammen mit seinen Klassenkameraden den Lehrern Crey (genannt Schnauz) und Bömmel sowie dem Direktor Knauer (genannt Zeus) übliche Schüler-Streiche. Seine extravagante Freundin Marion reist ihm nach und versucht, ihn – wie sie es nennt – zur Vernunft zu bringen und ihn zur Rückkehr zu bewegen. Er lässt sich zunächst von ihr überreden, nach Berlin zurückzukehren, beschließt aber im letzten Moment, an der Schule zu bleiben und Marion allein zurückreisen zu lassen. Er hat sich in die 17-jährige Eva, die Tochter des Direktors, verliebt und offenbart ihr seine wahre Identität. Eva nimmt ihn diesbezüglich jedoch nicht ernst. (…)

 Rezension

Es ist nicht alles analysierbar, was einen echten Kultfilm ausmacht, aber kryptisch ist „Die Feuerzangenbowle“ auch nicht. Er spielt in einer Zeit, die 1944 schon längst vergangen war und für uns heute kündet er von einer Idee von Schule und Bildung, von der wir nur noch sagen können: Schön wär’s. Und so schön war es nie, nicht auf unserer Penne und nicht dort, wo wir seitdem immer mal wieder unterrichtet wurden. Aber da ist trotzdem etwas, das wir wiedererkennen, das uns durchaus an Lehrer und Mitschüler erinnert, fern aller Verdichtung hin zur Liebenswürdigkeit, die eines der Geheimnisse dieses Films ist. Es sind nicht, wie in amerikanischen Initiationsfilmen, die Schüler, die im Mittelpunkt stehen, es sind die Lehrer – abgesehen von Pfeiffer mit drei „f“ natürlich.

Schnauz, Bömmel,  Zeus, die Urgesteine der Pädagogik in Zeiten, in denen es noch kein Pädagogikstudium gab – nur Dr. Brett, der einen neueren Typ verkörpert, wird nicht mit einem Spitznamen versehen. Bei uns hatten die Lehrer bis auf eine Ausnahme keine Spitznamen mehr. Wie schade. Gleichzeitig waren die Schüler viel aggressiver und die Angriffe richteten sich dezidiert gegen Schwächere – Lehrer wie Mitschüler gleichermaßen. Kein Wunder, dass man ins Träumen kommt, wenn ein Erwachsener sich in die Schule hineinträumt, wie der Schriftsteller Dr. Pfeiffer, der zum Pennäler wird. Es ist, wie es hätte sein können, wenn man in jenen versonnenen Jahren vor dem Ersten Weltkrieg in einer gemütlichen Kleinstadt auf ein Gymnasium gegangen wäre, in einer Epoche, in der das Gymnasium tatsächlich noch eine höhere Lehranstalt war.

Im Film wird allerdings gerade dies nicht deutlich. Die Art des Unterrichts ist überwiegend kurios, wir alle kennen Bömmels Erzählung über die Dampfmaschine, die eine der größten didaktischen Leistungen der Schulgeschichte darstellt, oder wie Dr. Crey, genannt Schnauz, eine ganze Stunde damit verplempert, Schulhefte durchzusehen, die als Beweisstücke für eine auf ihn abgeschossene Papierkugel dienen könnten. Selbst Dr. Brett, der als moderner Lehrer, strenger als die anderen und ideologisch geschult zu einer Zeit, als es den Nationalsozialismus noch gar nicht gab, macht einen phantasielosen Frontalunterricht. Da ist Schnauz mit seiner interaktiven Erklärung der alkoholischen Gärung unter Zuhilfenahme von Heidelbeerwein im Grunde ein Stück weiter. Pädagogisch gesehen schade, dass die Sache so aus dem Ruder läuft. Himmlisch, dass dies der Höhepunkt des Films sein durfte. Schön, dass der Schulrat so aufgeschlossen gegenüber geschlechtsübergreifendem Gemeinschaftsunterricht und anschaulicher Experimentalchemie ist.

Es versteht sich von selbst, dass die eigenen Erinnerungen mit den Filmszenen verschmelzen, wenn man an den Chemiesaal der eigenen Schule denkt, der jenem im Film sehr ähnelte. Nicht nur, dass er in einem Bauwerk aus der wilhelminischen Zeit angesiedelt war, sondern die große Tafel, die ansteigenden Sitzreihen, die große Arbeitsplatte für den Aufbau der Experimente – alles wie im Film und bereits eine Vorahnung der Universitäts-Hörsäle, die wir etwas später betreten sollten. Schleichend bewegt sich „Die Feuerzangenbowle“ nämlich von der einen zur anderen Welt und wir stellen erstaunt fest, dass er auch deshalb so grandios funktioniert, weil er nicht so sehr die heutige Schule als vielmehr die Universität beschreibt, die wir noch vor der Konfektionierungsphase mit Masters und Bachelors kennenlernen durften. Da war noch dieser Hauch von Spaß und Abenteuer drin, den Pfeiffer so genießt. Für ihn ist es ein billiger Spaß, er kann jederzeit zurück in seine echte Rolle schlüpfen, was er ja auch tut, als es brenzlig wird. Aber wer sich in der wunderbaren Welt von Audimax und Campus wohlgefühlt hat, der braucht die Möglichkeit gar nicht, aus ihr verschwinden zu können.

Derjenige wird auch die stark eskapistische Note von „Die Feuerzangenbowle“ nur am Rande wahrnehmen. Nicht nur, dass in dem Film eine Schule dargestellt wird, die wie das Schloss eines Schülermärchens wirkt, die Rahmenhandlung lässt die Fiktion einer Fiktion entstehen, und das, müssen wir leider feststellen, ist eine der Schwächen des Films. Warum darf Hans die Eva nicht behalten? Weil im Deutschland des Jahres 1944 sowieso alles nur noch ein Traum von einer schöneren Welt war? Weil die tiefe Melancholie über die verlorene Unschuld bleischwer auf der Seele der Nation lag? Nach unserer Erinnerung steht die Schlussszene so nicht im Buch und am liebsten würden wir empfehlen, sie wegzulassen.

Woran man sieht, wie weit die Identifikation mit Hans Pfeiffer und seinem Schatz von einer Penne gediehen ist. Im Einzelnen fanden wir manches etwas hölzern, den Regiestil trotz einiger hübscher Schnitte und Szenenübergänge vor allem bei der Führung von Menschen in Szenen mit vielen Menschen nicht flüssig genug, aber alles dies erhöht möglicherweise den verstaubten Charme des Films.

Wem der Regisseur Helmut Weiss kein Begriff ist, der tröste sich, uns war er bis zu diesem Film auch keiner, deshalb ist auch der Hinweis auf die künstlerische Gesamtleitung Heinz Rühmanns so wichtig: Er mit seiner großen Erfahrung als Komiker und mit der ersten Verfilmung des Stoffes hat mit Sicherheit so gespielt, wie er es für richtig hielt, und nicht, wie ein mächtiger Spielleiter-Wille es hätte vorgeben können, wenn er vorhanden gewesen wäre. Das ganze Ensemble, besonders die Lehrer, wirken so natürlich, obwohl sie solche übertrieben komische Figuren sind. Wir haben in der Rezension zu „So ein Flegel“ darauf hingewiesen, dass in der ersten Verfilmung die Lehrer nicht ganz so harmlos sind. Dafür ist der Film auch nicht so charmant.

Alles in diesem Film will uns umgarnen. Der lustige Pfeiffer, die idyllische Kleinstadt, in der immer schönes Wetter ist, die Natur, in der Mädchen singend umherlaufen und in der man mit einem Mädchen sitzen und erste zarte Bande knüpfen kann. Als Dr. Brett den Pfeiffer nach dem Auffliegen des Spiegel-Tricks fragt, was er denn bei schlechtem Wetter mache, hätte Pfeiffer antworten sollen: Schlechtes Wetter? Hier? Niemals. Es ist eben nicht so, dass die Erinnerung nur die schönen Dinge behält, deshalb ist diese Sonnigkeit, die auch mit dem abendlichen Feuerzangenbowlen-Szenario der Rahmenhandlung kontrastiert, so subjektiv und steuernd. Interessanterweise sind die Bilder nämlich nicht in der „wirklichen“ Rahmenhandlung klar und gut konturiert, wirken die Menschen nicht in ihr am echtesten. Vielleicht ist die Erinnerung damals auch klarer gewesen als das Hier und Jetzt, das im Ton bereits etwas wie Ende und ersehnten friedlichen Neuanfang zeigt, und da ist der Film doch irgendwie käutnerisch. Der junge Kurt Hoffmann, der 1941 Rühmann in „Quax, der Bruchpilot“ inszenierte,  wäre ebenfalls ein geeigneter Regisseur gewesen und hätte dem Film sicher noch ein paar kleine Spitzen mehr mitgegeben. Hoffmann inszenierte 1970 das Remake oder eine Neuverfilmung, die sich wohl im Rahmen der Paukerfilm-Welle anbot. Schweigen wir darüber, auch wenn wir Walter Giller als Schauspieler gerne sehen. 

Finale

Ganz ideologiefrei ist er nicht, aber er zieht uns so an, dass wir dem nicht im Detail nachspüren wollen, ihn deshalb auch nicht abwerten, denn warum einen Film sezieren, der uns doch zum Träumen einlädt? Wir können bereits voraussagen, dass „Die Feuerzangenbowle“ weiterhin gemocht werden wird, dass er vielleicht heute besser funktioniert als zum Beispiel während der Wirtschaftswunderzeit, in der ja alles so vorwärtsstrebend war. Die heutige Lern- und Arbeitswelt zu kennen, heißt nämlich auch, zu spüren, was „Die Feuerzangenbowle“ für die Seele tut.

Das Gefühl der freien Entscheidung, die Pfeiffer trifft, als er nicht mit seiner Freundin nach Berlin zurückfährt, sondern bei Eva und in der Schule bleibt, gepaart mit dieser Schutzfunktion, welche so eine Schule, welche so eine Oberprima von unterschiedlichen, aber im Ganzen netten Schölern hat, nebst Lehrern, die nie ernsthaft böse werden oder gar einen Schulverweis aussprechen, so sehr sich der rührende Ruf nach der Beherrschbarkeit der Dinge, und sei sie – sic! – Fiktion, der darin gipfelt, dass ein Lehrerkollegium beschließt, Bauarbeiten zu fingieren, um nach dem Bauschild-Streich der Oberprima nicht dumm dazustehen, die ist so sehr dem Inferno von 1944 entgegengesetzt, aber auf andere Weise auch dem, was wir heute erleben, dass man sich zurücklehnen darf und tatsächlich in diese Welt eintauchen sollte. Wer Entschleunigung erleben will, dem sei eine Stunde Dampfmaschine bei Bömmel empfohlen, da nimmt man noch jeden Takt der Arbeit und des Lebens einzeln wahr.

Nicht umsonst wird Berlin als Großstadt nicht gerade positiv dargestellt, sondern gilt als Quelle aller modernistischen Übel und einer gewissen, forschen Verdorbenheit, die sich in Pfeiffers Freundin Marion manifestiert. Wenn man heute hier lebt, könnte man ab und zu auf die Idee kommen, einmal Pfeiffer sein zu wollen und noch einmal so unschuldig und in aller Ruhe Ferien vom durchökonomisierten Ich machen zu dürfen. Altmodische Menschen und Umstände haben den Vorteil, dass sie nicht so viel Stress machen.

„Die Feuerzangenbowle“ ist keine realistische Schuldarstellung, auch nicht im Rahmen der Zeit um 1900, in welcher er angesiedelt ist, aber er ist Balsam für die Seele aller Geplagten und vom Tag Gejagten unserer  Zeit . Und er rührt an unseren Grundfesten: eine davon ist, wenn wir ethnische Deutsche sind, das humanistische Bildungsideal, das in diesem Film so freundlich fragmentiert und parodiert wird. Von dem Genuss der Gemütlichkeit und der Charaktere führt ein Weg in unser kollektives Unterbewusstsein und von dort hallt ein Echo zurück, das uns wohl sagen will: Wären Lehranstalten wie jene in der fiktiven Stadt Babenberg die Schulen der Nation gewesen, dann wäre nicht so viel Unheil von ihnenausgegangen und wäre uns viel Not erspart geblieben, würde es viele negative Einflüsse nicht geben, die bis heute im kollektiven Unterbewusstsein fortwirken und den Wunsch verstärken, in eine Welt einzutauchen, die vor dem liegt, was das 20. Jahrhundert an Verwüstungen und Deformationen aller Art mit sich gebracht hat.

Anmerkung anlässlich der Veröffentlichung des Textes im Jahr 2024: Bis auf ein paar kleine Korrekturen haben wir den Originalentwurf übernommen, die Wertung noch einmal um einen Punkt angehoben. Die Sicht aus dem Jahr 2024 ist im Prinzip eine Fortführung und Verschärfung dessen, was wir 2014 geschrieben haben. Die Krisen und Entwicklungen der letzten Jahre geben keinen Anlass, den Tenor des Zeitrahmenbezugs zu ändern. 

86/100

© 2024 Der Wahlberliner, Thomas Hocke (Entwurf 2014)

Regie Helmut Weiss
Drehbuch Heinrich Spoerl
Produktion Heinz Rühmann
Musik Werner Bochmann
Kamera Ewald Daub
Schnitt Helmuth Schönnenbeck
Besetzung

 

 

 

 

 


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