Filmfest 1156 – Die große Rezension
Unter den Brücken ist ein deutscher Schwarzweiß–Spielfilm aus dem Jahr 1944/45 nach dem Vorbild europäischer Filmbewegungen dieser Zeit. Er wurde vom 8. Mai bis Oktober 1944, während die Fronten des Zweiten Weltkrieges bereits Deutschland erreichten, in Berlin, Potsdam sowie im westlich der deutschen Hauptstadt gelegenen Havelland gedreht und spielt im Berufsleben der Binnenschifffahrt. Als ein sogenannter Überläufer-Film[2] erlebte er seine Uraufführung erst im Juli 1946 in Locarno.
Handlung (1)
Im Film sind die Protagonisten Hendrik und Willy mit einem Lastkahn (anfangs die „Liese-Lotte”) im Verband mehrerer Kähne ständig auf den Kanälen und Flüssen zwischen Berlin und Rotterdam unterwegs. Die beiden befreundeten jungen Partikuliere, beide gemeinsam Eigner, leben Tag und Nacht auf ihrem Kahn, der ihnen seit elf Jahren (in der Filmzeit seit 1933) gehört.
Sie haben hin und wieder Liebesaffären an Land, stellvertretend dargestellt durch eine Kellnerin im Café Meseritz und eine weitere Frau (im Film in Havelberg). Wegen Verwechselungen der Frauen von Vornamen oder der aufgegebenen Bestellung erkennen die Schiffer, dass oberflächliche Affären für ihr vom Weg des Schleppkahns abhängiges Leben an Bord nicht gut für sie sind. Sie beschließen das zu ändern. Fortan träumen beide von festen Bindungen und einem eigenen Motor für ihren Kahn.
In einer Sommernacht hat ihr Kahnverband an einer Brücke auf ihrer Fahrt in Richtung Berlin (im Film an der Glienicker Brücke zwischen Potsdam und Berlin) festgemacht. Willy fällt vom Kahn aus eine weinende junge Frau auf, die sich anscheinend in die Havel stürzen will und macht Hendrik aufmerksam. Sie springt jedoch nicht, wirft aber einen Zehn-Mark-Schein von der Brücke, den die beiden aus dem Wasser fischen. Weil der letzte Bus schon weg ist, bietet Hendrik der Frau, die sich als Anna Altmann vorstellt, an – nachdem sie von ihm ihr Geld für ein Hotelzimmer in Potsdam zurückfordert -, auf den Kahn zu kommen und wie auf einem Sterndampfer für die zehn Mark nach Berlin zurückzufahren, wo sie eine kleine Wohnung hat. Sie nimmt an und übernachtet in der Kajüte, während die zwei Schiffer am Bug schlafen. Während der Nacht kommt es zu einer romantischen Szene, in der Hendrik Anna über die ihr unbekannten besonderen Geräusche an Bord eines Kahnes, die er „eine feine Musik zum Einschlafen” nennt, aufklärt.
Schon bald verlieben sich beide in sie, und da sie sehr unterschiedlich sind – der eine eher versonnen, der andere jovial-listig – jeder auf seine Weise. Während des Anlegemanövers (im Film am Berliner Schiffbauerdamm) beschließen Hendrik und Willy Anna den Vorschlag zu machen, auf der nächsten Fahrt nach Rotterdam mit einem der beiden an Bord zu bleiben, um herauszufinden, für wen von ihnen sich Anna entscheidet. Nachdem Willy, der beschlossenermaßen Anna die Vereinbarung offerieren soll, etwas taktlos versucht sie zur Rede zu stellen, wo die zehn Mark denn herstammten, Anna aber die Herkunft des Geldes nicht kundtun will, kommt es zum Konflikt. Gekränkt verlässt Anna den festgemachten Kahn. Im Weggehen verrät Anna von einer Fußgängerbrücke (im Film die ehemalige Schlütersteg-Brücke) den beiden, die unten auf ihrem Kahn stehen, dass sie sich das Geld durch Modellstehen verdient habe. Es folgt eine fast heitere Szene, in der Hendrik und Willy zunächst unwissend voneinander im gleichen Museum nach Bildern mit Anna suchen und sich dabei in einem Ausstellungssaal gegenseitig ertappen. (…)
Rezension
Wir schicken anlässlich der Veröffentlichung des Textes im Jahr 2024 vorweg, dass wir mittlerweile wieder mehr von Helmut Käutner gesehen haben, u. a. „Die letzte Brücke“ aus dem Jahr 1954.
Mittlerweile habe ich einigermaßen ein Bild, obwohl ich nicht seine [Helmut Käutners] ganz frühen und die späten Filme kenne, er hat am Schluss ja beinahe nur noch fürs Fernsehen gearbeitet. Der älteste Film von ihm, den ich gesehen habe, ist „Wir machen Musik“ (1942), der jüngste „Das Haus in Montevideo“ (1964), dazwischen lag aber eine so ertragreiche Zeit wie bei kaum einem anderen deutschen Regisseur – was auch daran lag, dass er nach dem Krieg ohne Probleme weiterarbeiten konnte.
Dank seiner weisen Entscheidung, im Dritten Reich unpolitisch zu bleiben und sich nicht zu korrumpieren, indem er etwa an propaganda-lastigen Filmen mitwirkt. Im Gegenteil, sein Epos auf die Einsamkeit des Seemanns, „Große Freiheit Nr. 7“ wurde wegen seiner Stimmung in Moll nicht freigegeben, weil man negative Auswirkungen auf die Volksmoral befürchtete. Für den brillanten „Romanze in Moll“, der ein Jahr zuvor entstand, galt das interessanterweise nicht, obwohl er noch düsterer ist. Unsere letzte Käutner-Rezension vor der heutigen galt „Des Teufels General“ von 1954.
Wie erscheint das Werk von Käutner im Zusammenschnitt?
Einen einheitlichen Stil kann man den Filmen, die er gemacht hat, nicht nachsagen, aber er hat immer einen Anspruch gehabt. Sein Anspruch bei „Unter den Brücken“ war es, einen Film zu machen, der weder so düster ist wie die Vorgänger und schon gar nicht in den Untergangsrausch der NS-Diktatur hineingezogen wird, aber so intim sein sollte wie keiner von ihm zuvor – und auch keiner danach je war. Bedingt ist das schon durch das Setting in der kleinen Welt des Kahns „Liese-Lotte“, welches der großen Welt draußen gegenübergestellt wird. Fantastisch, wie lebendig hier Berlin noch in einem Film aus dem Jahr 1944-45 wirkt, als sei kaum etwas zerstört und als sei der Seefracht- und Industriebetrieb auf vollen Touren. Das ist ein anderes Gefühl als bei den Unterhaltungsfilmen, die bis beinahe zum Schluss noch gemacht wurden und oft schon auswärts gedreht werden mussten, weil auch das maßgebliche Filmgelände Potsdam-Babelsberg nicht mehr verwendbar war. Natürlich ist Käutners „Unter den Brücken“ dadurch auch ein Muss für Berlinfilm-Sammler, denn dies dürfte der letzte Spielfilm oder der letzte Film überhaupt sein, in dem man noch viel Erhaltenes sieht – inklusive der Brücken, unter denen die „Liese-Lotte“ durchfährt oder –gezogen wird.
Viele Werke Käutners, sicher kann man das für seine besten sagen, haben einen poetischen Einschlag, der aber wohl in „Große Freiheit Nr. 7“ und „Unter den Brücken“ am stärksten ausgeprägt ist. In ersterem Film wird die eher dunkle Alltagspoesie ein wenig von den Superstars Hans Albers und Ilse Werner und dem Agfacolor aufgesaugt, auch wenn dieses in einzelnen Einstellungen ein zusätzliches Benefit darstellt – aber da „Unter den Brücken“ noch viel einfacher und dichter an Darstellern ist, die einfache Menschen spielen, entfällt alles, was beim Vorgänger vielleicht noch etwas überdehnt und sehr auf die Star-Hauptdarsteller zugeschnitten wirkte.
Hat „Unter den Brücken“ künstlerische Vorbilder und Nachfahren?
Ich greife mal zu einer Formulierung, die das etwas abwandelt, was schon oft über den Film gesagt wurde und stelle fest: Er scheint einen Gruß aus einem Deutschland mitzubringen, das es zu seiner Entstehungszeit lange nicht mehr gab und ein Hallo an die Welt mitzunehmen, das ein Deutschland zeigt, wie es einmal sein könnte, nach dem Neuanfang. Leider gab es dieses Deutschland dann nie, sowohl das System im Westen wie im Osten waren eben nicht auf den einfachen Werten von Freundschaft und Liebe aufgebaut, die den Film dominieren – die Intimität und das Verständnis für nicht perfekte, aber sehr menschlich gezeichnete Charaktere, das ist leider Originale geblieben sind. Kopien hätte es nicht gebraucht, aber Vorbilder. Es gibt viel zu wenige deutsche Filme, die eine wirkliche Identifikation auch mit Typen ermöglichen, die dem eigenen Milieu ziemlich fremd sind. Sie werden nicht in einen größeren Kontext gestellt, müssen sich nicht politisch oder gesellschaftlich stellen, sondern sind nur ihrem Schiff verpflichtet, also ihrem Job, den sie sehr gerne machen, ohne ihn zu dramatisieren, und der gefühlten Notwendigkeit, doch irgendwann einen Dieselmotor einzubauen und zwei Frauen zu finden.
Das klingt sehr banal, ist es aber nicht, denn schließlich fährt die „Liese-Lotte“, die am Ende des Films passenderweise in „Anna“ umbenannt worden ist, auf dem Strom des Lebens. Gegenüber dem Beginn ist etwas hinzugekommen, Anna, das träumerische Mädchen mit den großen, braunen Augen, aber auch etwas verloren gegangen: Die Männerfreundschaft hat eine Belastungsprobe ausgehalten, sich bewährt, ist aber aufgebrochen worden und wurde aus der Balance gebracht, die anfangs symbolisch auch dadurch dargestellt wurde, dass Willi und Hendrik am selben Mädchen, einer Serviererin, interessiert sind, aber sie entweder nicht bekommen oder nicht wollen. Da schwimmen die beiden eigens für den Landgang gekauften, gleichen Hüte noch synchron den Strom hinab, nachdem die Jungs sie weggeworfen haben. Da deutet sich auch schon an, dass Hendrik eher der Ladies Man ist, denn er zögert, die Serviererin zu heiraten, während Willi das gerne täte und sie ihn auf Distanz hält. Die beiden Schiffer sind dann auch bis zum Ende sehr konsequent gezeichnet, und alles andere als dieses Ende wäre etwas seltsam gewesen – abgesehen von der Variante, dass die beiden am Ende wieder allein miteinander gewesen wären. Diese Möglichkeit kann man in einem Film wie diesem immer mitdenken.
Das Zweierverhältnis ist also aufgehoben, und nur einer der Flussschiffer hat eine Frau gefunden, der andere bleibt aber entgegen vorheriger Abmachung doch an Bord und wird künftig einen Mangel spüren. Ob es nicht doch wieder zu Spannungen kommen wird, im unausgeglichenen nunmehr Dreiecksverhältnis? Man weiß es nicht, aber das ist das Leben. Menschen hängen aneinander, wenn sie so viel miteinander erlebt haben, über Jahre. Und obwohl man Willy nach der Art, wie wir heute meistens mit persönlichen Konflikten umgehen oder umgehen sollen, anraten möchte, sich unabhängig zu machen, alles, „was ihm nicht guttun könnte“, das eine absehbar belastende Wirkung entfalten wird, aus seinem Leben zu verbannen, versteht man auch, warum er’s nicht tut.
Ist diese überragende Freundschaft das Mitbringsel aus der alten Zeit?
Die Ähnlichkeiten mit den Kumpelfilmen der frühen 1930er sind unübersehbar, allerdings waren diese mehr auf flott gemacht und hatten den Ufa-Auftrag, in den Zeiten der Wirtschaftskrise die persönlichen Bande als wichtig herauszustellen und außerdem für gute Unterhaltung zu sorgen. „Die drei von der Tankstelle“ werden wir für den Wahlberliner rezensieren, mit „Ein blonder Traum“, in dem ebenfalls eine Frau zwischen zwei Männern wählen muss, haben wir das schon getan. Die Stimmung ist schon anders und die akkordeonbegleiteten Lieder an Bord der „Liese-Lotte“ nicht mit den bekannten Musicalnummern aus den genannten Filmen zu vergleichen, dafür ist die Alltagspoesie aber noch viel stärker ausgeprägt als in „Ein blonder Traum“, wo sie ebenfalls eine wichtige Rolle unter einfachen Menschen spielt.
Selbstverständlich hat der Film noch eine andere Genese, und die liegt im französischen Poetischen Realismus. Spontan ist mir, wegen der thematischen Nähe, Jean Vigos „L’Atalante“ (1934) als mögliches Vorbild eingefallen, aber leider habe ich den Film vor vielen Jahren zuletzt gesehen, und da war es wohl noch nicht die mittlerweile voll restaurierte Fassung. Und leider habe ich im Moment nicht genug Zeit, ihn mal schnell auszuleihen und nur des Vergleichs mit „Unter den Brücken“ wegen anzuschauen. Aber in letzter Zeit haben wir hier einige Hauptwerke des französischen Vorkriegskinos rezensiert, und die Ähnlichkeiten sind unverkennbar. Die intime Atmosphäre, die Verknüpfung von Schicksalen, die einander zufällig begegnen, die allerdings im französischen Film der 1930er, vor allem zum Ende hin, oft hoch dramatisch-tödlich enden, eine Spielart, die wiederum den Film noir beeinflusst hat, ist hier gemildert. Da war „Romanze in Moll“ und auch „Große Freiheit Nr. 7“ viel näher am Grundtenor, „Unter den Brücken“ mit seinem halboffenen Ende ist sicher ähnlich existenzialistisch, aber ausgerechnet im Moment des Untergangs weniger apokalyptisch als Werke wie „Hafen im Nebel“, dem „Unter den Brücken“ vielleicht von diesen Filmen am nächsten kommt, bei Käutner darf das Menschliche siegen.
Außerdem hat er sich auf den Expressionismus besonnen, der ja selbst während der Nazizeit nie ganz aus dem deutschen Film verschwunden war, zumindest nicht, wenn es etwas ernsthafter und anspruchsvoller sein durfte. Die Licht- und Schattendramatik von „Unter den Brücken“ hat einige surrealistische Momente wie Annas zu Beginn nur silhouettenhaften Erscheinung, denn nur die untere oder die obere Gesichtspartie angeleuchtet, obwohl es keine Lichtquelle auf der Brücke, auf der wir sie kennenlernen gibt, die eine solche Anleuchtung ermöglichen würde. Die Einbindung der Industrie- und Naturlandschaften, die schrägen Kameraperspektiven bei der Durchfahrt unter den Brücken, die schöne Szene, in der Anna sich mit Willy unterhält, ihre Story erzählt und sagt, das könne sie ja Hendrik wohl so nicht beibiegen. Sie hält es für zu gewagt. Und Willi merkt während dieses vom Unterbrücken-Echo begleiteten Dialogs, dass er verloren hat. Klar, dass er nach diesem ernüchternden Moment lieber eine Stulle mit Leberwurst als eine mit Sülze haben mag. Dem Film mangelt es durchaus nicht an Komik, die auch gewollt ist. Und sie wirkt so natürlich, locker und richtig wie nur selten in deutschen Filmen und trägt zur Natürlichkeit der Charaktere bei. Ganz wunderbar auch sie Szene, in der Hendrik sich seine eigene Anna-Geschichte zurechtgelegt hat, sich entschlossen hat, sie trotzdem zu lieben und als er ihr quasi ihr Leben erzählen will, sie nach einem kurzen Versuch davon ablässt, ihn korrigieren zu wollen, weil es nicht schlimm ist, was er sich denkt, im Gegenteil, es belegt das, was er selbst sicher für hochherzig hält. So weise wie Anna sind wir heute lange nicht, in unserem alles zerredenden Zeitalter. Freilich ist der Grund, dass wir’s nicht sind, dass die Poesie dieses Films leider den Alltag der meisten von uns nicht so schön umfängt wie den von Hendrik und Willi und dass ständige Positionierungs- und Koordinierungszwänge uns anders denen und handeln lassen als die beiden Schiffer, die doch in ihrer eigenen Welt leben und nur bei Landgängen Außenkontakt haben – oder wenn sie vom Motorschlepper angehängt werden.
Während der Treppenszene, als Anna hinaufstürmt zu Hendrik, fühlte ich mich übrigens an die Anfänge der bewegten Kamera im deutschen Stummfilm erinnert. Ich hatte sogar den Eindruck, es handelt sich um ein Zitat, aber leider fällt mir der Vorbildfilm, wenn es ihn gibt, nicht ein.
Obwohl der Film im Arbeitermilieu spielt, ist er allerdings nicht der Tradition des Arbeiterfilms verpflichtet. Sicher kann man alles, was überhaupt in ein Filmbild kommt, als sozialen Kommentar werten: Die Art des einfachen Unternehmertums, das die beiden Schiffer-Freunde pflegen, Annas Leben, das noch keine eigenen Konturen hat und zwischen ihrer ländlichen Herkunft, den Hinterhöfen, auf die sie von ihrer Wohnung aus blickt und dem lichtdurchfluteten Atelier des Nacktmalers und der Kartoffelpufferbäckerei an der Jannowitzbrücke (die Jannowitzbrücke gibt es noch, aber es werden im zugehörigen U-Bahnhof keine frischen Kartoffelpuffer mehr verkauft) pendelt – und dann natürlich dem Kahn. Man kann das alles einer einer sozialen Betrachtun unterziehen, aber wobei kommt man letztlich heraus? Gottseidank bei nichts, was muss, vielmehr darf man bei den Menschen bleiben. Auch über „Werte“ muss man nicht groß nachdenken, denn der Wunsch nach Zugehörigkeit stellt für sich keinen Wert dar, ebenso nicht die Anhänglichkeit von Willi.
Warum hat dieser Film keine Nachfolger gefunden?
Es gab im Westen viele Versuche, sehr gefühlvolle Filme zu machen, aber die waren meist sehr kitschig, übertrieben, fast immer war ein falscher, unnatürlich wirkender Ton drin, der von den Wunden, die die Geschichte dieses Landes den Deutschen geschlagen hatte, weit mehr erzählte, als er wollte. Die radikale Hinwendung zum Einfachen und die traumwandlerische psychologische Sicherheit von „Unter den Brücken“ blieb eine Ausnahme. Im Osten hingegen wollte man keine träumenden Schiffer, eskapistisch angehauchte Kleinunternehmer, sondern ganz neue Menschen, die sich bitteschön einzubringen haben ins Gesamtwerk des entstehenden Sozialismus, im Grunde, abzüglich des Rassismus und zuzüglich des vorgeblichen Antifaschismus und Pazifismus eine ähnliche Assimilierung des Individuums in der Gemeinschaft wie die Nazis, deswegen sind auch die dortigen Filme, welche die Entstehung dieser neuen Gesellschaft fördern sollten, ganz anders gestrickt.
Weitere Anmerkung anlässlich der Veröffentlichung des Textes im Jahr 2024: In den ersten Nachkriegsjahren sind sehr wohl Bemühungen erkennbar, aus der Tradition des Weimarer Kinos und des französischen Poetischen Realismus, zuweilen auch des Film noir, ein neues Kino zu schaffen, das die guten Traditionen mit der Situation nach dem verlorenen Krieg verbindet. Die Trümmerfilme sind recht unterschiedlich und zeigen verschiedene Ansätze der künstlerischen Weiterführung. Aber einen, der an „Unter den Brücken herankommt“, haben wir bisher nicht gesehen; nicht umsonst steht der Käutner-Film auf Platz 18 der Liste der wichtigsten deutschen Filme, die 1995 erstellt wurde. Aus der Epoche liegt nur „Die Mörder sind unter uns“ mit Platz 6 besser; diese Platzierung halten wir allerdings auch für eine Reminiszenz, eine Würdigung der Tatsache, dass gleich der erste deutsche Nachkriegsfilm sich aktiv mit den NS-Verbrechen auseinandersetzt.
Was nicht heißt, dass es nicht in beiden Teilen Deutschlands gute und auch ehrliche, echt wirkende Filme gegeben hätten – nur waren sie nicht von diesem abgekapselten und intensiven poetischen Realismus geprägt wie „Unter den Brücken“. In Frankreich gab und gibt es hingegen immer Strebungen und Tendenzen, in denen man „Unter den Brücken“ ganz gut unterbringen kann. Sie sanftere Variante der Nouvelle Vague mit Francois Truffauts „Jules et Jim“ mit einem Dreiecksverhältnis ähnlicher Art ist ebenso ein Nachbar von „Unter den Brücken“, wenn auch intellektuell verbrämt, wie viele Beziehungsfilme der 1970er und 1980er Jahre. Der poetische Realismus ist, wenn man so will, dort nie ganz ausgestorben, existiert fort im Wandel der filmischen Ausdrucksweisen.
Kritiken
„Eine kleine alltägliche Geschichte mit Poesie, Realismus, viel Atmosphäre und einem Schuß Humor, unprätentiös und präzise inszeniert.“ – Lexikons des Internationalen Films[3]
„Makellos ist die Kameraarbeit, die den Film zu einer einzigen Etüde in Licht und Schatten macht, von den Bildern des Vorspanns, die in gewagten Schrägen himmelwärts die Fahrt unter Brücken zeigen, bis zur Szene einer großen Aussprache im Ruderboot. Nur in Teilen sichtbar ist zu Beginn Annas Gesicht, in den Schatten der Nacht gehüllt, aus dem in fast natürlich wirkender Künstlichkeit die beleuchteten Partien stechen. Man kann das auch ‚poetischen Realismus‘ nennen. Und Helmut Käutner damit – darf ich es aussprechen? – durchaus auch neben Jean Renoir oder Marcel Carné stellen.“ – filmzentrale[6]
„‚Wir lebten verträumt neben der Zeit und lenkten uns durch die Arbeit von all dem Schrecken ab‘, erzählte Käutner später und schuf 1944 diese unglaublich dichte, atmosphärische Romanze voller filmischer Einfälle und vor allem voller Leichtigkeit, Zartheit und Poesie.“ – kino-zeit.de[7]
„Obwohl der Film noch vor dem Kriegsende eine Freigabe erhielt, zeigt sich in der verträumten Schilderung einer ganz privaten Idylle abseits der damaligen innerdeutschen Realität eine gewisse Verweigerung von Seiten Käutners, der es in seiner Karriere wiederholt verstand, sein Werk nicht in den Dienst der Nazi-Ideologie zu stellen.“ – critic.de – die Filmseite[8]
Finale
„Unter den Brücken“ steigt ein bei den besten deutschen Filmen, die wir bisher rezensiert haben, weil er formal und inhaltlich so überzeugend ist und sich wohltuend von fast allem abhebt, was hierzulande seit dem Beginn der NS-Zeit den Film immer wieder eingrenzt und unter schwierige Bedingungen stellt. Der nächste wichtige deutsche Film nach „Unter den Brücken“ war dann bereits „Die Mörder sind unter uns“, und daran kann man schon erkennen, dass es kaum möglich sein würde, aus dem Käutner-Film eine Art Genre erwachsen zu lassen. Hildegard Knef, die in „Die Mörder sind unter uns“ schon die Hauptrolle spielte, ist in „Unter den Brücken“ zu Beginn kurz zu sehen, als der erste Fehlschlag der Jungs mit den Schiffermützen bei dem Versuch, sich zu binden.
89/100
© 2024 Der Wahlberliner, Thomas Hocke (Entwurf 2016)
(1), kursiv außer eigene Einfügungen und tabellarisch: Wikipedia
| Regie | Helmut Käutner |
|---|---|
| Drehbuch | Helmut Käutner, Walter Ulbrich nach Skriptvorlage |
| Produktion | Kurt-Fritz Quassowski |
| Musik | Bernhard Eichhorn |
| Kamera | Igor Oberberg |
| Schnitt | Wolfgang Wehrum |
| Besetzung | |
|
|
Entdecke mehr von DER WAHLBERLINER
Melde dich für ein Abonnement an, um die neuesten Beiträge per E-Mail zu erhalten.

