Sonderbriefing Wahltag Sachsen Thüringen, Update 3a
Erste Hochrechnung 18:30 ZDF / Gepostet 18:45
Bei den Hochrechnungen geben wir nun dem ZDF den Vorrang, so in
SACHSEN.
Die Werte haben sich nur geringfügig gegenüber der Prognose verändert. Tatsächlich könnte die bisherige „Kenia-Koalition“ knapp weiterregieren (sie würde mit 61 Sitzen genau die erforderliche Mehrheit erreichen, der sächsische Landtag hat 120 Sitze). Das BSW würde davon erlöst, zu beweisen, dass die Brandmauer gilt, es käme mit der AfD zusammen nur auf 59 Sitze, kann aber natürlich jede andere Regierungsbildung blockieren, sofern es nicht für Schwarz-Rot-Grün reichen würde.
THÜRINGEN
Eine Koalition aus CDU, BSW und SPD käme exakt auf die notwendige Mehrheit von 45 Sitzen (88 Sitze hat der Thüringer Landtag), ebenso wie eine AfD-BSW-Koalition. Das ist mehr als pikant, aber auch CDU, BSW und Linke könnten koalieren. Wenn die Linke sich darauf einlässt, mit Wagenknecht in eine Koalition zu gehen, hat sie nach unserer Ansicht nichts mehr in der deutschen Politik zu suchen, denn die Gesellschaftslinke, als die sie sich selbst sieht, wird sich zu Recht mit Grausen von ihr abwenden und heimatlos werden, wenn sie sich von den BSW-Populisten an die Wand drücken lässt. Regeneration für die Linke wird es nur aus einer starken Opposition heraus geben.
Im Grunde sagen wir das Gleiche immer auch für die SPD, die sich als ein Verlierer-Koalitionspartner mit einstelligen Ergebnissen überflüssig machen könnte, so, wie es schon der FDP in den beiden Bundesländern ergangen ist, die in Thüringen nicht einmal mehr eigens ausgewiesen, sondern unter die Sonstigen subsumiert wird.
Ergänzung 18:30
Das Ergebnis der ersten ZDF-Hochrechnung sieht die AfD in Thüringen noch stärker (33 Prozent), das BSW nur bei 14,5 Prozent, die Grünen würden (wie beim ARD-Pendant) rausfliegen, die SPD liegt etwas schwächer. Das könnte bedeuten, dass nicht einmal eine CDU-BSW-SPD-Koalition eine absolute Mehrheit der Sitze im Parlament erreichen wird – und dass es möglich ist, dass die AfD eine Sperrminorität erreichen könnte, die ihr viele Machtoptionen ohne direkte Regierungsbeteiligung in die Hände spielten würde. Wir haben im ersten Teil der heutigen Berichterstattung darauf hingewiesen, wie gefährlich das für die Demokratie werden kann.
In Sachsen ist gemäß ZDF noch nicht sicher, ob die CDU vor der AfD bleiben wird (31,5 gegenüber 31 Prozent), trotzdem ist hier wohl eine Regierung ohne AfD ohne Weiteres möglich. Wie schon 2020 wäre also nicht das lange als rechtes Kernland geltende Sachsen das Bundesland, das eine Staatskrise auslösen könnte, sondern zum zweiten Mal Thüringen. Wer, wie wir, das Thüringen-Projekt des Verfassungsblogs ein wenig mitverfolgt hat, konnte das kommen sehen, aber das macht es nicht weniger alarmierend.
18:00 Erste Prognose ARD
Wir haben zur Live-Berichterstattung von ARD und ZDF gewechselt, um so aktuell wie möglich sein zu können.
Die erste ARD-Prognose ist da:
THÜRINGEN
Linke 12,5 (-18,5)
AfD 30,5 (+7,1)
CDU 24,5 (+2,8)
SPD 7,0 (-1,2)
Grüne 4,0 (-1,2)
FDP 1,3 (-3,7)
BSW 16,0 (erstmalig dabei).
Am überraschendsten für uns: Dass das BSW unterhalb der letzten Umfragen liegt, und zwar relativ deutlich mit ca. 3 Prozent. Alles andere in etwa wie erwartet.
SACHSEN
CDU 31,5 (-1,0)
AfD 30,0 (+1,6)
Linke 4,0 (-8,3)
Grüne 5,5 (-3,4)
SPD 8,5 (+0,8)
BSW 12,0 (erstmalig dabei)
FDP nicht mehr eigens ausgewiesen.
Kurzzusammenfassung: Die CDU hat es noch einmal knapp geschafft, das BSW liegt etwa auf der Höhe der vorherigen Umfragen, die SPD hat es in beiden Ländern etwas besser gemacht als zu befürchten war, in Sachsen sogar ein leichtes Plus erzielt und wird sicher in den beiden Landtagen vertreten sein. Die Anti-AfD-Kampagne hat wohl bei SPD und CDU doch etwas eingezahlt und die starke Mobilisierung, die hohe Wahlbeteiligung dürfte zu dieser Stabilisierung beigetragen haben.
Splitter vor 18 Uhr:
- Viele wollen CDU wählen, um die AfD zu verhindern, 52 Prozent von deren potenziellen Wählern in Sachsen, 55 Prozent in Thüringen. Was wir vorhin (s. u.) geschrieben haben,
- Wenn die AfD weiterhin auch immer mehr als Kompetenz-Partei wahrgenommen wird, wie gerade in der ARD dargestellt, dann wird diese Idee nicht mehr greifen und die CDU wird erodieren,
- Wie falsch diese Zuschreibungen teilweise sind, sieht man daran, dass der AfD sogar im sozialen Bereich mehr zugetraut wird als jeder anderen Partei. Hier sind dringend mehr politische Bildung und mehr Programme lesen erforderlich, nicht nur in Sachsen und Thüringen, wo
- nicht weniger als 81 Prozent der Befragten eine andere Asyl- und Migrationspolitik wollen. Wäre dieses Thema noch stärker Nr. 1, wäre der AfD glatt eine absolute Mehrheit zuzutrauen, so unsere Einschätzung dazu,
- die Landesregierungen ohne AfD-Beteiligungen wurden vor allem im Verlauf der letzten Monate immer schlechter beurteilt, obwohl sich an ihrer Politik faktisch nicht viel verändert hat, in Sachsen sind nur noch etwas mehr als 40 Prozent positiv, obwohl MP Kretschmer persönlich noch recht gute 58 Prozent als Zustimmungswert erhält, in Thüringen sogar nur 39 Prozent. Nur die Landesregierung unserer Wahlheimat Berlin liegt bundesweit noch schlechter, Bodo Ramelow bei 51 Prozent, auch wegen der Auflösungserscheinungen seiner Partei vermutlich, seine Karriere gilt weitgehend als beendet,
- überraschend ist die folgende Grafik: Nur ein Viertel der AfD-Wähler:innen hat demnach rechtsextreme Einstellungen, ein weiteres Viertel ausgeprägt rechte, die anderen hingegen – wenig bis gar nicht. Das halten wir für eine äußerst fragwürdige Umfrage, die sich auch nicht mit der Episodik deckt, die aus Medieninterviews mit Menschen vor Ort immer wieder generiert wird. Wer bitte wählt die AfD, ohne rechte Einstellungen zu vertreten? Die Werte sind dabei für Sachsen und Thüringen ähnlich.
- Auch wenn das BSW nicht überwiegend von der AfD rekrutieren dürfte, ist sein Antreten für die Abflachung der Erfolgskurve der AfD in den letzten Monaten maßgeblich mitverantwortlich.
17:00 Presseschau
Basierend auf der Presseschau des Deutschlandfunks lassen sich folgende Hauptpunkte zusammenfassen:
## Innenpolitische Stimmen
**Zur Migrationspolitik und den Landtagswahlen**
Die BILD AM SONNTAG sieht die hohen Umfragewerte für AfD und BSW (zusammen 28%) als beunruhigend für das etablierte Parteiensystem an, nicht aber für die Demokratie. Sie fordert eine schnelle Eindämmung der illegalen Migration, auch durch Zurückweisungen an den Grenzen[1].
Die FRANKFURTER ALLGEMEINE SONNTAGSZEITUNG warnt vor einer möglichen Regierungsbeteiligung des thüringischen AfD-Spitzenkandidaten Björn Höcke und zieht historische Parallelen zur Weimarer Republik[1].
Die LÜBECKER NACHRICHTEN kritisieren die Rhetorik von AfD und BSW zum Ukraine-Krieg als Polarisierung und betonen, dass diesen Parteien die Politik in den ostdeutschen Ländern egal sei[1].
Die WELT AM SONNTAG kommentiert kritisch die plötzliche migrationspolitische Betriebsamkeit der Regierung kurz vor den Landtagswahlen[1].
## Internationale Stimmen
**Zur deutschen Asyl- und Migrationspolitik**
Die österreichische PRESSE sieht eine Wende in der deutschen Asylpolitik nach dem Anschlag in Solingen und erwähnt die ersten Abschiebungen nach Afghanistan seit der Taliban-Machtübernahme[1].
Der britische SUNDAY TELEGRAPH bezeichnet die angekündigten Maßnahmen als „ziemlich rechte Politik von einer linken Regierung“ und zweifelt an deren Rechtzeitigkeit vor den Landtagswahlen[1].
Die schweizerische NZZ AM SONNTAG fordert ein Überdenken des Asylsystems und diskutiert die Idee, das Asylrecht an sichere Drittstaaten auszulagern[1].
Was immer man von der „hektischen Betriebsamkeit“ hält, für die Wahlen kommt sie zu spät. Deshalb muss man sich fragen, welche Haltung man dazu einnimmt. Wenn man das schlechte Abschneiden der Ampelparteien in Betracht zieht, das so sicher zu sein scheint wie das Amen in der Kirche, wie stellt man sich dazu? Bedauert man, dass der nächste Asyl-Einschnitt nicht schon früher kam oder dass er überhaupt kam? Hätte die Bundesregierung früher agiert, wäre das Debakel vielleicht nicht so groß gewesen? Wir haben eine andere Vermutung. AfD- und BSW-Wähler:innen geht es nicht nur um die Begrenzung „illegaler“ Migration ab hier und jetzt, sondern um einen anderen Umgang auch mit Millionen von Menschen mit Migrationshintergrund, die schon teilweise sehr lange hier leben und unabhängig von den Leistungen, die sie bereits erbracht haben.
Nur eine Partei, die diese Menschen angreift, kann auch die AfD angreifen. Da ist ein Geist aus der Flasche geraten, die auch von den sogenannten Mitte-Parteien geöffnet wurde, die dem rechten Zeitgeist nachgeben oder ihn gar beflügeln, wie das unheilige, unchristliche Trio Merz-Söder-Linnemann in der CDU. Alle Gemeinheiten dieser Welt kann man über Schwächeren auskübeln und dabei auch locker Fakten ignorieren. So schafft man eine Stimmung, der man letztlich selbst zum Opfer fallen könnte. So wie einst die vielen Rechtsparteien in der Weimarer Republik, die den Nazis allzu wohlgefällig beim Aufstieg behilflich waren. Was da in den letzten Monaten alles an Spins in die Welt gesetzt wurde, gilt nicht einmal als verfassungsfeindlich. Dank der seit Jahrzehnten rigoros rechts-neoliberalen Auslegung der Verfassung. Die oben vom Deutschlandfunk zusammengefassten Pressestimmen belegen, wo der Zug hindüst, und es gibt viele, viele Artikel aus diesem Medienraum, die viel subtiler und um die Ecke herum jedweden echten Fortschritt bei der Lebensqualität mehr oder weniger als grüne Spinnerei markieren. Heute haben wir einen Artikel der „Welt“ gelesen, in dem allen Ernstes das klaustrophobische Erfolgsmodell Südkoreas als positives Gegenstück zur deutschen Lebensart mit ihrem Hang zur individuellen Großzügigkeit dargestellt wird. Besuch in Busan: Warum einem in Südkorea die ganze deutsche Trostlosigkeit bewusst wird – WELT.
Nicht etwa die Wirtschaftsdaten an sich spielen dabei eine Rolle, sondern das entindividualisierte Wohnen in Hochhaustürmen, die Kernkraft und was noch alles wird gehypt. Nicht erwähnt: Südkorea zahlt, wie viele asiatische Länder, mit einer erheblichen Einschränkung individueller Lebensqualität für den raschen Erfolg und – mit der höchsten Selbstmordrate aller entwickelten Volkswirtschaften.
Basierend auf den verfügbaren Daten haben folgende Länder weltweit die höchsten Selbstmordraten:
## Top-Länder mit den höchsten Suizidraten
- Lesotho: Mit 72,4 Fällen je 100.000 Einwohner hat Lesotho die höchste Suizidrate weltweit[1].
2. Guyana: An zweiter Stelle folgt Guyana mit 40,3 Suiziden pro 100.000 Einwohner[1].
3. Eswatini (ehemals Swasiland): Das afrikanische Land verzeichnet 29,4 Selbstmorde je 100.000 Einwohner[1].
4. Südkorea: Mit 28,6 Fällen pro 100.000 Einwohner hat Südkorea die vierthöchste Suizidrate[1].
5. Kiribati: Der Inselstaat im Pazifik weist eine Rate von 28,3 Suiziden je 100.000 Einwohner auf[1].
## Weitere Länder mit hohen Suizidraten
– Litauen: 26,1 Fälle je 100.000 Einwohner[1]
– Russland: 25,1 Fälle je 100.000 Einwohner[1]
Quelle
[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Suizidrate_nach_L%C3%A4ndern
Und natürlich der Auto-Fetisch, der darf als Zivilisationsbeweis auch nicht fehlen. Angesichts solcher Darstellungen wird der deutsche Pessimismus und dieses ewige Herumnörgeln ohne echten Fortschritt hierzulande geradezu attraktiv. Die Rezepte, die von der rechten Presse als Ausweg verkauft werden, sind dermaßen überholt und dem globalen Fortschritt und Frieden abträglich, dass man weiß: Man lebt in einem Land, in dem der Rückschritt sich wunderbar als das Gegenteil darstellen lässt und in dem Organe wie diese Zeitung froh sein können, dass die politische Bildung vieler Menschen nahe dem Nullpunkt angesiedelt ist. Das ist in der Tat trostlos.
Fast überflüssig, wir halten trotzdem noch ein paar Sätze bereit. Es gibt zum Beispiel in Deutschland überhaupt keinen Grund, endlos in die Höhe zu bauen, außer in einigen City-Kernen vielleicht, aber klar, die Aussicht aus dem 97. Stock eines Wohnturms, wo man gewiss nicht einmal die Fenster öffnen darf, reicht eindeutig weiter aufs Meer hinaus als aus einem friesischen Reetdachhaus, von dem aus man direkt zum Strand laufen kann. Mehr in die Höhe gedrehter Mumpitz mit kaum verdecktem Drang, Menschen nur noch als geschachtelt lebende Kapitalverwertungsobjekte in total künstlichen Lebenswelten zu sehen, geht kaum noch. Vielleicht sollte man das Experiment wagen, in einigen AfD-Hochburgen Hochhäuser zu bauen, dann wird sicher alles besser. Nicht. Und das wissen diese Schreiberlinge. Es ist ja auch nicht gewünscht.
Das ist am Wahltag nur ein Pressesplitter, aber immer derselbe Unsinn, der gerade das verunglimpft, was hierzulande tatsächlich ein Ansatz für zukunftsorientiertes Denken ist. Und natürlich verbraucht ein Kernkraftwerk weniger Fläche als ein gleich viel Strom liefernder Windpark. Diesem Teil der Presse wird es gehen wie rechten Parteien, die noch rechteren Parteien nachlaufen: Sie werden von den noch rechteren „Alternativmedien“ marginalisiert werden. Sie werden als Kopien, nicht als Originale wahrgenommen, obwohl es sie viel länger gibt als die Neurechten.
TH
16:00
Der Rechtstrend seit der Wende
Hier hat die Taz anhand von Grafiken, von Wahl zu Wahl, die Entwicklung des Potenzials an rechten Wählerstimmen seit 1994 nachvollzogen. Sehr instruktiv anhand von Ereignissen dargestellt, die den Rechtstrend beschleunigten oder abschwächten. Deutlich erkennbar ist zum Beispiel die geradezu explosionsartige Zunahme des Wählens rechter Parteien (im Wesentlich damals schon der AfD) zwischen 2013 und 2017 – von vor bis nach der Geflüchtetenkrise im Herbst 2015.
In Wirklichkeit ist die Lage noch schlimmer als dargestellt. Würde man nicht nur die „rechten Parteien“ mit ihrer rasanten Entwicklung grafisch darstellen, sondern zusätzlich, wie sich die SPD, die CDU, die Grünen und auch die Linken im Laufe der Jahre verändert haben, gäbe es quasi eine 100-Prozent-Rechtsverschiebung. Dass die „Traditionsparteien“ trotz ihrer immer weiter in Richtung Neoliberalismus und Entsolidarisierung tendierenden Positionen die Wähler:innen nicht mehr halten können, sagt eigentlich alles über dieses veraltete Konzept. Die nächste Stufe ist, es mit völkischem Nationalismus zu verbinden und es ist die Stunde derer, die nun sagen, was sie immer schon sagen wollten, wie etwa der Bundespräsident, der seiner eigenen Partei im Grunde vorschlägt, sich von der CDU die Migrationspolitik vorschreiben zu lassen und sich damit selbst überflüssig zu machen.
Die sogenannten Volksparteien und jene, die es um die Preisgabe ihrer sozialen Identität werden wollten, haben den Rechten fleißig den Weg geebnet. Vielleicht kann die CDU sich gerade noch einmal halten, weil sie auf dem allgemeinen Weg ins Rechts noch nicht abgedrängt wurde, weil sie vielen noch rechts genug erscheint. Aber das Original und immer einen Schritt voraus ist die AfD, auch wenn die Medien sie eher markieren als ihre inhaltlichen Positionen besprechen, und dieses Problem wird der CDU noch auf den Kopf fallen, da sind wir uns ziemlich sicher. Gut möglich, dass sie bereits den Zenit ihrer Nach-Merkel-Zeit erreicht hat, falls die AfD heute noch besser abschneiden sollte, als ohnehin erwartet. Von der Mitte aus wird diese Partei mit ihrem beispiellosen Niedermachen Schwächerer, die sich immer noch christlich nennen darf, ohne dass Christen dagegen ernsthaft protestieren (so viel zu den Christen) ihr Wählerreservoir nicht mehr auffüllen können, also wird sie sich mit der AfD um die Rechtswähler balgen müssen. Die SPD vertritt ohnehin Positionen, die rechter sind als frühere CDU-Standpunkte und die Grünen verlieren den Anschluss, weil sie keine sozialpolitische Basis mehr haben, anders als im ersten Jahrzehnt ihres Bestehens.
Der Trend zur Briefwahl
Bei der Bundestagswahl 2021 gaben in Thüringen nicht weniger als 47,3 Prozent derer, die überhaupt gewählt haben, ihre Stimme per Brief ab. Für uns gibt es zwei gute Gründe für die Briefwahl: Man weiß, dass man am Wahltag nicht vor Ort sein wird, zum Beispiel durch Urlaubsabwesenheit oder man ist so schlecht zu Fuß, dass man lieber von zu Hause aus wählt. Alles andere können wir nicht recht nachvollziehen, denn die Wahllokale sind meist in der Nähe und es erfordert kaum mehr Zeit, dorthin zu gehen und in die Wahlkabine, als die Unterlagen anzufordern, den Wahlzettel in einen Umschlag zu tun und wieder abzuschicken. Oder kommt uns das nur so vor, weil der Weg zum demokratischen Hochamt in Berlin wirklich immer sehr kurz ist, nie mehr als 7 bis 8 Minuten Fußweg? Für uns ist der Wahltag trotz aller Vertrauensverluste in Sachen Handhabung der Demokratie durch politische Parteien in Deutschland immer noch etwas Besonderes. Gelernt ist gelernt, könnte man sagen. Dazu gehört auch die Atmosphäre, gemeinsam mit anderen die den Wahlzettel entgegen zu nehmen und hinter einem kleinen Stand zu verschwinden. Letztes Mal, bei der Europawahl, haben wir die Kabine geradezu blockiert, weil die Entscheidung tatsächlich erst dort gefallen ist. Aber auch das gehört dazu, ebenso wie die Schlangen, die es bei anderen Wahlen schon gab (sofern nicht gerade eine Pandemie herrscht … ein Thema, das uns ausgerechnet jetzt, wo sie ein Minderheitenthema geworden ist, stark beschäftigt).
15:00 Uhr, Trend zu hoher Wahlbeteiligung
In Sachsen und Thüringen zeichnet sich bei den aktuellen Landtagswahlen eine hohe Wahlbeteiligung ab:
## Sachsen
– Bis zum Mittag hatten 25,8% der Wahlberechtigten ihre Stimme abgegeben[1][3].
– Bei der letzten Landtagswahl 2019 lag der Wert zum gleichen Zeitpunkt bei 26,2%[1].
– Die Briefwähler sind in diesen Zahlen noch nicht berücksichtigt. Es wird erwartet, dass 24,6% der Wahlberechtigten per Brief wählen, im Vergleich zu 16,9% im Jahr 2019[1][4].
**Regionale Unterschiede:**
– In Dresden lag die Wahlbeteiligung bis 12 Uhr bei 57,5% (2019: 53,3%)[5].
– In Leipzig betrug sie 52,5% (2019: 40,8%)[5].
– In Chemnitz lag sie bei etwa 33% (2019: 32%)[5].
## Thüringen
– Bis 12 Uhr hatten rund 32% der Wahlberechtigten in den Wahllokalen abgestimmt[5].
– 2019 lag die Wahlbeteiligung zu dieser Uhrzeit bei 31,2%[5].
– Auch hier sind Briefwähler in diesen Zahlen nicht enthalten[5].
Insgesamt deutet sich in beiden Bundesländern eine leicht höhere Wahlbeteiligung als bei den vorherigen Landtagswahlen an, wobei der Anstieg der Briefwähler besonders in Sachsen bemerkenswert ist.
Wir hoffen, dass die hohe Wahlbeteiligung in den größeren sächsischen Städten eher ein Zeichen dafür ist, dass die Demokrat:innen noch einmal alles in die Waagschale werfen, und dass es nicht auf eine besonders hohe Mobilisierung von AfD-Wähler:innen schließen lässt. Eine Wahlbeteiligung von 57,5 Prozent um 12 Uhr ist gigantisch, offenbar sind besonders die Dresdner:innen auch Früh-Wähler:innen. Die Prozentzahlen, wie bereits angemerkt, ohne Briefwähler:innen, und deren Anteil ist ja gerade ins Sachsen offenbar stark gestiegen.
Quellen
[1] https://www.n-tv.de/politik/Hohe-Wahlbeteiligung-in-Sachsen-und-Thueringen-article25196435.html
[2] https://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/-landtagswahlen-in-sachsen-zeichnet-sich-eine-hohe-wahlbeteiligung-ab/29969938.html
[3] https://www.zeit.de/politik/deutschland/2024-08/landtagswahl-sachsen-2024-live
[4] https://www.focus.de/politik/deutschland/landtagswahl-in-sachsen/sachsen-landtagswahl-bei-landtagswahl-zeichnet-sich-hohe-wahlbeteiligung-ab_id_260229482.html
[5] https://www.juedische-allgemeine.de/politik/in-sachsen-und-thueringen-zeichnet-sich-hohe-wahlbeteiligung-ab/
[6] https://www.faz.net/agenturmeldungen/dpa/in-sachsen-zeichnet-sich-hohe-wahlbeteiligung-ab-19955932.html
14:15 Uhr, Startbeitrag
Liebe Leser:innen, gerade wegen eines eher negativen Ereignisses werden wir es heute wohl doch schaffen, die Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen etwas ausführlicher zu kommentieren. Mit einem Mix aus Ticker und Updates. Erstmals setzen wir bei einer Wahlberichterstattung auch auf die KI, um schneller und präziser Informationen aufzubereiten.
Gemäß X-Trendhashtags ist die Thüringenwahl gegenwärtig die interessantere von beiden, obwohl hier wesentlich weniger Menschen zur Wahl aufgerufen sind als in Sachsen (1,7 gegenüber 3,2 Millionen). Vermutlich liegt es daran, dass hier der Wind der Veränderung noch schärfer zu wehen scheint, die Ergebnisse noch spannender zu sein scheinen als im Nachbar-Bundesland.
14:15 Uhr
Zuletzt hatten wir uns zum Thema gestern anhand eines Kommentars geäußert, den wir zu einem Artikel des Verfassungsblogs geschrieben haben, er heißt „Vor dem Sturm“. Gerade ist der Sturm also im Gange und erste Meldungen deuten darauf hin, dass er heftig werden wird. Vor dem Sturm (Verfassungsblog + Kommentar zu den Landtagswahlen im Osten) – DER WAHLBERLINER
Zur Einstimmung empfehlen wir einen Artikel der Berliner Zeitung, in der das große Auslandsinteresse an den Landtagswahlen des 1. September beschrieben wird und wie die Korrespondenten internationaler Medien auf diese Wahlen schauen. Landtagswahlen 2024: „Der Osten erhebt sich“ – internationale Medien zur Wahl in Sachsen und Thüringen (berliner-zeitung.de). For-Free-Version hier: „Der Osten erhebt sich“: Internationale Medien zu den Landtagswahlen 2024 (msn.com)
Den Titel hat die Berliner Zeitung mit Bedacht gewählt, denn sie ist erkennbar eine Stimme des Ostens und bedient das Narrativ, dieser werde unterdrückt. Schaut man in den Artikel selbst, wird es differenzierter, dank der Einlassungen der Journalisten von abroad.
Wir werden natürlich auch die Prognosen, Hochrechnungen und für Sie aufbereiten, aber wir wollen auch immer wieder auf interessante, nicht so geläufige Perspektiven achten, wie zum Beispiel die folgende. Hatten Sie im Kopf, dass heute vor 85 Jahren der Zweite Weltkrieg von Nazideutschland ausgelöst worden war? Wir kennen das Datum, wie sicherlich auch viele von Ihnen, aber wir hatten es nicht in Bezug zu den Wahlen gesetzt.
Der Artikel berichtet über die Kritik des Historikers Peter Oliver Loew am Wahltermin für die Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen, die am 1. September 2024 stattfinden sollen. Dieser Tag markiert den 85. Jahrestag des deutschen Überfalls auf Polen und damit den Beginn des Zweiten Weltkriegs[1].
## Hauptpunkte
**Kritik am Wahltermin:**
Loew, Direktor des Deutschen Polen-Instituts, äußert, dass die Wahl dieses Datums von mangelndem historischem Bewusstsein zeuge[1].
**Bedenken bezüglich der AfD:**
Der Historiker warnt vor „unguten Assoziationen“, sollte die AfD, die vom Verfassungsschutz als „gesichert rechtsextremistisch“ eingestuft wird, in Dresden oder Erfurt gewinnen[1].
**Historischer Kontext:**
Der Artikel erinnert an den Beginn des Zweiten Weltkriegs, insbesondere an die Bombardierung der Stadt Wielun durch die deutsche Luftwaffe, bei der schätzungsweise bis zu 1200 Zivilisten ums Leben kamen[1].
## Aktuelle politische Situation
**Umfragen:**
In Thüringen liegt die AfD in Umfragen deutlich vorn, während sich in Sachsen CDU und AfD ein enges Rennen liefern[1].
**Mögliche Koalitionen:**
In Thüringen wird eine Koalition aus CDU, dem Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) und der SPD als Option diskutiert. In Sachsen ist unklar, ob die bisherige Koalition aus CDU, SPD und Grünen weiterhin eine Mehrheit haben wird[1].
Der Artikel unterstreicht die [mangehlhafte, Anm. TH] Sensibilität des gewählten Wahltermins vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte und der aktuellen politischen Entwicklungen in den betroffenen Bundesländern.
Quelle:
[1] https://www.n-tv.de/politik/Historiker-empoert-ueber-Wahltermin-article25196212.html
Es ist jetzt obsolet, den Wahltermin als schlechtes Omen anzusehen, während die Wahllokale geöffnet sind, aber wenn man es so sieht, steht er in einer schrägen Kontinuität nationalistischer deutscher Politik. Die AfD wird nicht so leicht den Dritten Weltkrieg auslösen können wie die Nazis den Zweiten, aber es hätte niemand gedacht, dass die politischen Verhältnisse in Deutschland sie so schnell verschieben könnten, wie es heute wohl der Fall sein wird. Es gibt eine Parallele nicht hinsichtlich konkreter Vorgänge, sondern des Abwärtstrends in Sachen Demokratie.
TH
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