Filmfest 1162 Cinema – Die große Rezension
1933 bis 1945 als Leben eines Automobils
In jenen Tagen ist ein deutscher Episodenfilm von Regisseur Helmut Käutner. Er gehört zu den sogenannten Trümmerfilmen, die kurz nach dem Zweiten Weltkrieg in den vier Besatzungszonen entstanden.
Langsam nähern wir uns dem Ende der Sichtung von „Trümmerfilmen“ und überlegen, ob wir sie tatsächlich nach der neuen Chronologie-Ordnung immer mit einem Exemplar pro Jahr vorstellen sollen oder eine kleine Werkschau darüber machen. Viele wichtige Regisseure, die nicht allzu korrumpiert waren, fanden es offenbar wichtig, ihre Sicht auf das Ende des Zweiten Weltkriegs zu zeigen und dabei kamen einige wirklich bemerkenswerte Filme heraus. Wie Helmut Käutner mit der jüngsten Vergangenheit umgegangen ist, darüber schreiben wir in der folgenden Rezension. Zur Auswahl im Rahmen von „Ein Jahr, ein (deutschsprachiger) Film standen übrigens noch „… und über uns der Himmel“ und „Zwischen Gestern und Morgen“, die im selben Jahr entstanden sind.
Handlung
Karl und Willi schlachten 1946 in den Trümmern von Hamburg ein altes Auto aus und sprechen darüber, ob es in diesen Zeiten überhaupt noch Menschen gebe. Verschiedene Spuren und Gegenstände am und im Auto deuten auf seine bisherigen Besitzer und deren Schicksale hin. Da diese von den Männern nicht immer richtig gedeutet werden, beginnt das Auto selber, seine Geschichte in sieben durch die Rahmenhandlung verknüpften Episoden zu erzählen.
- Geschichte
Sybille bekommt ein neues Auto ausgeliefert. Es stammt von Peter, der sie in einem Brief bittet, mit dem Wagen zu ihm nach Berlin zu kommen. Als sie am nächsten Tag, dem 30. Januar 1933, losfährt, begegnet sie ihrem Geliebten Steffen. Er erzählt ihr, dass er am nächsten Morgen nach Tampicoin Mexiko fahren und Sybille mitnehmen möchte. Sie entscheidet sich jedoch dagegen und setzt ihre Reise nach Berlin fort. Erst im Gespräch mit Peter versteht Sybille, dass Steffen wegen der Machtergreifung der Nationalsozialisten ins Ausland flüchten muss, und entscheidet sich, nun doch mit ihm zu fahren. - Geschichte
Das Auto gehört danach Wolfgang Grunelius, einem Komponisten der Moderne. Er ist ein guter Freund der Familie Buschenhagen und häufig zu Besuch. Die Tochter Angela bittet Wolfgang, ihn auf seiner Tournee begleiten zu dürfen, doch dieser lehnt ab und reist alleine. Angelas Mutter Elisabeth fährt in der gleichen Zeit zu ihrer Schwester nach Bremen. Als beide wiederkommen, findet Angela den Kamm ihrer Mutter in Wolfgangs Wagen. Angela ahnt, dass ihre Mutter eine Affäre mit dem Komponisten hat. Sie will die Sache bei einem gemeinsamen Ausflug auffliegen lassen, entscheidet sich jedoch dagegen, als Wolfgang erzählt, dass seine Musik als entartetverboten wurde. - Geschichte
Das Ehepaar Wilhelm und Sally Bienert besitzt ein Geschäft für Rahmenkunst in Berlin. Sally ist Jüdin und das Gewerbe ist auf ihren Namen angemeldet. Die beiden fahren mit dem voll beladenen Auto zu ihrem Schrebergarten außerhalb der Stadt. Dort sagt Sally, dass sie sich von Wilhelm scheiden und ihm das Geschäft überlassen will. Sie bringen die Trennung jedoch nicht übers Herz und fahren wieder zurück in die Stadt, in der inzwischen die Pogrome der „Kristallnacht“ von 1938 begonnen haben. Alle jüdischen Geschäfte werden zerstört und geplündert. Da die Schaufenster der Rahmenkunsthandlung nicht mit weißen Buchstaben gekennzeichnet sind, bleibt diese verschont. Wilhelm schmeißt daraufhin selbst die Scheibe ein. Einige Tage später wird das Ehepaar tot in der Schrebergartensiedlung aufgefunden, sie haben gemeinsam den Freitod gewählt. - Geschichte
Dorothea Wielands Mann Jochen ist verschwunden. Ihre Schwester Ruth gesteht ihr, dass sie und Jochen ineinander verliebt und im Widerstand aktiv seien. Sie hätten geplant, zusammen nach Zürich zu flüchten. Vermutlich sei der Plan aufgeflogen. Von ihrem Bekannten Dr. Ansbach erfährt Dorothea, dass Jochen „auf der Flucht erschossen“, also von den Nazis ermordet worden sei. Er rät ihr, eilends selber zu flüchten, da die Nazis annähmen, sie sei die Frau, die mit Jochen zusammen hatte entkommen wollen. Stattdessen ruft sie jedoch Ruth an und sagt ihr, dass sie auf dem geplanten Weg das Land verlassen müsse. Da Ruth sonst vermutlich bei ihrer Schwester bleiben würde, lügt Dorothea, Jochen lebe und ihm sei die Flucht geglückt. Dorothea wird kurze Zeit später verhaftet und lässt das Auto zurück. Es wird von der Wehrmachtrequiriert. - Geschichte
Der Soldat der Wehrmacht August Hintze holt in Russland mit dem Auto einen neuen Leutnant vom Bahnhof ab. Er schlägt vor, erst am nächsten Tag zurückzufahren, da nachts die Gefahr groß sei, bei Mondlicht von Partisanen angegriffen zu werden. Doch der Leutnant nimmt seine Warnung nicht ernst und besteht darauf, sofort zu fahren. Auch als es auf der Fahrt Hinweise für Partisanen in der Nähe gibt, drängt er auf eine Weiterfahrt. Hintze erzählt von den Schrecken des Russlandfeldzugsund spricht davon, dass auch die Russen Menschen seien und für sie die Deutschen „der Feind“. Der Leutnant hat kein Verständnis für solche Äußerungen. Als von Partisanen Leuchtkugeln abgeschossen werden, versuchen die beiden Soldaten, mit ausgeschalteten Scheinwerfern zu entkommen. Das Mondlicht bricht durch die Wolkendecke, und das Auto gerät unter Beschuss. Hintze wird getroffen und stirbt. - Geschichte
In Berlin versucht Erna, ihre frühere Arbeitgeberin, die Baronin von Thorn, aus der Stadt zu bringen, deren Sohn am Attentat vom 20. Juli 1944beteiligt war. Gegenüber der Baronin stellt sie sich jedoch unwissend und gibt vor, sie nur vor den Bomben in Sicherheit bringen zu wollen. Auf der Fahrt haben die Frauen eine Panne – das Kühlwasser ist alle. Ein Polizist erkennt den Namen der Baronin wieder und nimmt beide fest. Erst jetzt erfährt Frau von Thorn, dass Erna von der Beteiligung ihres Sohnes wusste und trotzdem die Gefahr auf sich genommen hat, ihr bei der Flucht zu helfen. - Geschichte
1945, in den letzten Kriegsmonaten, findet der Soldat Josef das Auto in einer Scheune. Dort trifft er die junge Witwe Marie, die mit ihrem neugeborenen Kind zu Fuß aus Schlesiengeflüchtet ist und in das fiktive Dorf Illingenworth nördlich von Hamburgwill. Obwohl er nach Süden muss und die Gefahr besteht, von einer Streife aufgegriffen und als Deserteur sofort erschossen zu werden, fährt Josef die beiden am nächsten Morgen nach Hamburg. Dort versichert er Marie, sie eines Tages zu besuchen. Auf dem Rückweg wird er von einer Streife angehalten. Obwohl er nicht erklären kann, warum er sich in der Nähe von Hamburg befindet, ermöglicht ihm einer der Feldjäger, zu Fuß zu flüchten.
Die Rahmenhandlung schließt mit einem Monolog des Autos, auch in unmenschlichen Zeiten gebe es Menschen.
Rezension
Weil sie in Episoden aufgeteilt ist, haben wir dieses Mal die Handlung vollständig in den Haupttext gestellt, nicht einen Teil in einer Fußnote untergebracht.
In jenen Tagen hebt sich insofern von anderen Trümmerfilmen wie Die Mörder sind unter uns ab, als er nicht die Täter zum Thema nimmt, sondern die Opfer des Nationalsozialismus, und durch die Aussage, dass es auch gute Menschen in diesen Zeiten gab, und so eine optimistischere Grundstimmung als andere Filme dieses Genres hat.
Dieser kursiv gedruckte Text stammt von einem Autor der Wikipedia selbst. Ich möchte dem widersprechen. Gerade, weil der Film die Opfer in den Mittelpunkt stellt und nur deren Schicksale zeigt, ohne dass die Täter auch nur einmal ins Bild gerückt werden, weil jedes dieser Schicksale im Ungewissen endet, in der Emigration vielleicht, im KZ, häufiger, weil gerade die letzte Episode, deren gutes Ende für ein Aufatmen wichtig gewesen wäre, ebenso im Nichts verläuft, ist dies für mich einer der traurigsten aller Trümmerfilme. Kein Paar, das sich findet in den Trümmern, wie doch in den meisten dieser Filme, wie auch in „Die Mörder sind unter uns“, in dem sich Täter und – nun ja, Opfer oder Mitläufer, die dann widerstanden? – gegenüberstehen, wie in „Liebe 47“ oder in „… und über uns der Himmel“, ebenso in „Zwischen Gestern und Morgen“, den ich kürzlich gesichtet habe, sondern die ganz große Ungewissheit. Man sieht auch noch keine Trümmerfrauen bei der Arbeit, noch kein Gewusel auf dem Schwarzmarkt, obwohl man da sicher gut hätte filmen können:
Das Konzept zu In jenen Tagen wurde von Helmut Käutner und Ernst Schnabel bereits während des Krieges entworfen.[2] Er war der erste Film der Camera-Filmproduktion GmbH, die von Helmut Käutner und Helmut Beck im März 1946 gegründet worden war und die als erste Filmproduktionsfirma der britischen Besatzungszone eine Spielfilmlizenz bekommen hatte.[3] Im August 1946 begannen die Dreharbeiten, mit einer geliehenen Kamera. Auch die restlichen Ausrüstungsgegenstände mussten auf dem Schwarzmarkt gekauft, geliehen oder anderweitig beschafft werden. Da es in Hamburg zu der Zeit keine Ateliers gab, wurde ausschließlich unter freiem Himmel gefilmt.[4] Dies machte die Dreharbeiten vor allem in dem harten Winter 1946/47 zu einer Tortur, die Temperaturen fielen bis auf minus 26 Grad Celsius. Mangels Studios konnte auch für die Autofahrten keine Rückprojektion eingesetzt werden, weshalb für manche Szenen Kameramann Igor Oberberg auf die Motorhaube geschnallt werden musste und ein mit Kabeln verbundener Tonwagen neben dem Fahrzeug herfuhr.[5] Beim Casting mussten Einschränkungen in Kauf genommen werden, da es vielen Schauspielern nicht möglich war, nach Hamburg zu reisen. Dies führte dazu, dass sowohl der in Propagandafilmen aufgetretene Hermann Speelmans als auch der im KZ Buchenwald eingesessene Erwin Geschonneck an den Dreharbeiten beteiligt waren.[5]
Wir haben zuletzt häufig mit Menschen sprechen können, die sich noch an jene Tage erinnern, auch an den Hungerwinter 1946/47, in dem noch einmal Menschen ums Leben kamen, die den Krieg gerade so überstanden hatten. Dadurch, dass keine Rückprojektion verwendet wird, wirkt der Film freilich authentischer, mittlerweile ist es längst üblich, dass die Kamera eine echte Autofahrt mitmacht. Der obige Absatz erklärt auch, warum es in dem Film so wenige Innenraumszenen gibt, zumindest kaum welche, die in intakten Häusern gefilmt wurden und er dadurch eine Art Roadmovie-Charakter hat, dass häufig die Menschen aus den Episoden mit dem kleinen Auto unterwegs sind.
Erstaunlicherweise war sein [Helmut Käutners) erster Nachkriegsfilm In jenen Tagen kein Film der Erleichterung oder Befreiung, sondern ein Film der (defensiven) Passivität. Helmut Käutner erwies sich in seinen nachfolgenden Arbeiten als kein Freund des gradlinig erzählten Kinos. Wolfgang Staudtes mörderischer Hass war ihm fremd – bis auf die Ausnahme seiner Arbeit Der Rest ist Schweigen von 1957, wie wir sehen werden. Eine Konstante in seinem Werk war seine Vorliebe für die Rückblende als seine Form, seine Narrative zu verfremden und das Publikum früh zu ernüchtern und vorzubereiten auf die unhappy endings.[1]
In derselben Quelle, an derselben Stelle werden auch die vorherigen Filme Käutners besprochen, Romanze in Moll, Große Freiheit Nummer 7, Unter den Brücken. Alle in Moll, das kann man so sagen, wie das böse Ende vorausgeahnt. Was 1944, 1945 auch nicht mehr so schwierig war. Nur ließ Käutner sich nicht gegen den Strich bürsten und machte nicht sozusagen mit Gewalt Frohsinn. Der letzte Film von ihm, nachdem er 1939 mit der Komödie „Kitty und die Weltkonferenz“ ins Regiehandwerk eingestiegen war, der letzte Film, der noch ganz anders tendierte, war das Musical „Wir machen Musik“, den wir hier bereits besprochen haben.
Es ist nicht optimistisch, dass Käutner feststellt, es gab Menschen, auch während der Nazizeit, denn diese Menschen, die er uns zeigt, waren in arger Bedrängnis durch das System, die meisten dürften es nicht überlebt haben. Sie werden hingegen nicht dargestellt, wie sie aus den Trümmern die Zukunft aufbauen, anders als fast exemplarisch in „… und über uns der Himmel“, wo die Produktion schon wieder anfängt, die Fabriken wieder zu arbeiten beginnen, und das noch vor der Währungsreform, die später gerne als eine Art Explosion des Optimismus dargestellt wurde. Ganz sicher hatte sie einen großen psychologischen und wirtschaftlichen Effekt. Helmut Käutner, so heißt es in der oben zitierten Quelle weiter, verlor die Lust am guten Ende und ging auf Distanz, unter anderem mit Rückblenden, wie wir sie in „In jenen Tagen“ sehen, hier allerdings so melchanolisch und beinahe herzerweichend, dass der Film trotzdem berührt. Der letzte Film von ihm, den ich gesehen habe, war „Die letzte Brücke“ (1954), der ebenfalls tragisch endet. Auch das Schicksal des Autos selbst spielt dabei eine Rolle, wie ich den Film aufgenommen habe.
Die Wikipedia ist oft sehr schlau, auch in unwichtigen Punkten, sie referiert aber nicht über einen ganz wichtigen Anachronismus in diesem Film. Das Auto, das alle Episoden klammert, ist ein Opel Olympia aus dem Jahr 1935-36, den Typ gab es noch gar nicht, als der Film einsetzt, also kann er 1933 auch kein Geschenk für eine hübsche Reitersfrau gewesen sein. Dass der Typ so benannte wurde, verdankt er natürlich den bevorstehenden Olympischen Spielen von 1936 und lieh sich das sportliche Gepräge für seine in der Tat moderne Technik. Es handelt sich dabei um eine Cabrio-Limousine (das Dach konnte man in einer etwas umständlichen Prozedur zurückklappen, aber die Seitenstege und Seitenfenster blieben erhalten, sodass man nicht, wie bei einem Vollcabrio, schwere Versteifungen anbringen musste, damit der Wagen einigermaßen verwindungsfest war. Beim Opel Olympia war das deswegen wichtig, weil er als eines der ersten deutschen Autos keinen Rahmen mehr, sondern eine selbsttragende Karosserie hatte. Ob Käutner den Luxus hatte, bewusst auf diese Modell zurückgreifen zu können, das damals Fortschritt symbolisierte, weiß ich nicht.
Ich verstehe, dass es schwierig war, direkt nach dem Krieg ein korrektes Auto aufzutreiben, das ja zwischenzeitlich auch noch aussehen musste wie neu. Außerdem war dieses Opel-Modell extrem beliebt gewesen und mit ihm assoziierte das Publikum sicher auch eine Hoffnung auf ein besseres Leben jenseits des KdF-Wagens, die – nun ja, eben in Trümmer ging und ausgeschlachtet wird von zwei jungen Männern, die sich beim Ausschlachten, das man symbolisch dafür sehen kann, wie das Land auseinandergenommen und seines Herzens, seines Geistes beraubt wird, darüber unterhalten, dass es keine guten Menschen und kein Herz gibt. Zumindest denkt der Rückkehrer so, der im Osten gewiss viel Schreckliches gesehen hat.
Aber kehren wir zurück zum Film und fangen uns am besten mit weiteren Stimmen ein.
Der Film wurde von der Presse eher positiv aufgenommen.
Der Spiegel schrieb in der Ausgabe 24/1947: „Es ist ein schwerer Film. Käutner gibt mit ihm ein Beispiel, daß mit einem dichterisch geschriebenen Drehbuch, einem guten Ensemble mit sehr viel eigenen Ideen und viel Temperament aus dem Erlebnis der Gegenwart Filme geschaffen werden können, die alle angehen.“ Außerdem lobt er Kameramann Igor Oberberg und dass der Film nicht „den politischen Zeigefinger“ hebe.[7]
„Schwerlich ist in der ganzen deutschen Nachkriegsliteratur so tonlos, so im ‚Nebenbeigesprochenen‘ und so haargenau die kennzeichnende Sprache der Tyrannei festgehalten.“ schreibt Die Gegenwart 1948, „Was hier gezeigt wird, sehr still, mit der Selbstverständlichkeit des guten Herzens, darauf gibt es kein Gegenargument. Es ist, als riefe die helle Stimme des Knaben David, der den Unmenschen Goliath erschlug, den Bangenden Mut zu.“[8]
Wolfdietrich Schnurre schrieb in Der Neue Film: „Käutner hat die in Fachkreisen auf ihn gesetzten Hoffnungen weiß Gott nicht enttäuscht. Im Gegenteil: technisch, in seiner ‚Notkunst‘ des Andeutens und Abstrahierens, hat er sie wahrscheinlich sogar übertroffen. […] Seit dem 13. Juni 1947 gibt es wieder einen ernst zu nehmenden deutschen Film.“[4]
Das Lexikon des internationalen Films bezeichnet In jenen Tagen als „(film-)historisch wichtige[n] Film, der in knapp-präziser Charakterisierung und geschickter Aufbereitung der Zeitatmosphäre die Frage stellt, was es heißt, ‚Mensch‘ zu sein.“. Käutners Neigung zu oberflächlicher Symbolik schwäche jedoch gelegentlich den Gesamteindruck.[9]
In jenen Tagen wurde als erster deutscher Film auf dem Internationalen Filmfestival von Locarno prämiiert und erhielt 1960 von der Filmbewertungsstelle Wiesbaden das Prädikat „besonders wertvoll“.[5]
Filmhistoriker und -journalisten im Verbund Deutscher Kinematheken wählten den Film 1995 zu einem der 100 wichtigsten deutschen Filme aller Zeiten.[10]
Mittlerweile besteht die Liste aus 147 Filmen und reicht bis zum Jahr 2013 – nach meiner Ansicht, nebenbei bemerkt, sollte man bei den jüngeren Filmen nach 1995 nochmal etwas aussieben. Nur zwei „Trümmerfilme“ hatten die Ehre, in die Liste aufgenommen zu werden, der andere ist Wolfgang Staudtes „Die Mörder sind unter uns“, der ein Jahr zuvor entstand und als der erste Spielfilm deutscher Herkunft nach dem Krieg galt (der nach Kriegsende erst begonnen wurde, es gibt auch „Überläufer“, die schon vor Kriegsende entstanden oder begonnen wurden, aber erst später aufgeführt wurden, darunter Helmut Käutners „Unter den Brücken„). Staudtes Film „Die Mörder sind unter uns“, der als einer der wichtigsten deutschen Kinostücke gilt, ist vollkommen anders im Ton und in der Herangehensweise an die NS-Verbrechen.
Käutner trägt zur Sanftheit eines Films, der von so viel Grausamkeit erzählt, selbst bei, indem er „das Auto spricht“, so lernt man seine Stimme kennen und erfährt, welch ein sensibler, feingeistiger Mann er gewesen sein muss.
Welche Episoden waren diejenigen, die mich besonders berührt haben? Die letzte natürlich, weil noch ganz am Ende des Krieges auseinandergerissen wird, was sich bald im Frieden hätte finden können. Der Selbstmord der beiden jüdischen Kleingewerbetreibenden. Sie war auch die unangenehmste Episode, weil sie die einzige war, die den einsetzenden Holocaust direkt thematisiert oder wie er vorbereitet wurde, in der Reichspogromnacht. Auch die Episode mit dem Komponisten und dem Kamm war sehr berührend, weil das trotzige junge Mädchen schon erkennt, was auf dem Spiel steht und dass die Tage der unschuldigen Eifersucht vorbei sind. Bei der ersten Episode hatte ich etwas Schwierigkeiten, mich einzufinden, weil sie zunächst wirkte, als spiele das Politische gar keine Rolle. Aber dramaturgisch war es keine schlechte Idee, das Unheil einige Minuten warten zu lassen, bis es erstmals in das Privatleben von Menschen eindringt und sie 1933 zur Emigration zwingt. Ob man den Rahmen als perfekt gelungen ansieht, diese Diskussionsbasis zwischen Nihilismus und der Suche nach dem Guten akzeptiert, war für mich nicht so leicht zu entscheiden, aber sie hat für die Distanz gesorgt, die man vielleicht 1947 haben musste, um von dem Geschehen, das den Terror in vielen Facetten andeutet, aber nie vollkommen ausspielt und durch das Bruchstückhafte, die Anlage als Momentaufnahme des Lebens, auch Momente der Trauer geschenkt zu bekommen, aber nicht total mitgerissen zu werden.
Staudte nahm mit seinem Film auf die Allgemeinbefindlichkeit in der Stunde null weniger Rücksicht, die anderen Trümmerfilme, die ich gesehen habe, liegen irgendwo dazwischen. Einen von ihnen habe ich schon vor recht langer Zeit gesehen, „Irgendwo in Berlin“, und ihn sehr gut bewertet, mit 8/10 nach dem damaligen Schema.
Finale
Wenn ich alle Trümmerfilme vergleiche (bei „Irgendwo in Berlin“ musste ich erst wieder in die eigene Rezension schauen, weil die Sichtung schon zehn Jahre her ist), mag ich diesen traurigschönen „In jenen Tagen“, dessen Titel schon nach verloren in der Vergangenheit klingt, besonders gerne. Das überrascht mich nicht, ich bin ein Befürworter von Helmut Käutners Werk, und das Faszinierndste daran sind die unterschiedlichen Tonlagen, die alleine bei den Filmen der Vergangenheitsaufbereitung vorherrschen. Von dem aus dem Untergang heraus beinahe geträumten „In jenen Tagen“ bis zu dem dramatisch-realistischen „Die letzte Brücke“ hin zu dem schnodderigen und durchaus etwas dubiosen „Des Teufels General“ spannt sich ein erstaunlich weiter Bogen von Tönen und Herangehensweisen sowie von dramaturgischen Konzepten.
Filmemacher, die auf diese Weise immer versuchten, sich am Thema zu orientieren, hatten es im Zeitalter der Autorenfilmer meist schwer mit der Anerkennung ihres Werkes, weil die Autorenfilmer andersherum vorgingen: Sie stellten jedes Thema nach ihrem Konzept und mit ihrem Stilwillen dar. Zu Recht werden diese „alten Meister“ des Kinos heute wieder gewürdigt, ohne dass die andere, künstlerisch eigenständiger wirkende Art des Filmens dadurch an Wert verlieren würde.
Auch das IMDb-Publikum ist von „In jenen Tagen“ recht angetan, wenn man bedenkt, um welch ein schwieriges Thema es sich handelt und wie doch eher ungewöhnlich es erzählt wird, und vergibt 7,3/10. Das ist für einen deutschen Film dieser Zeit sehr anständig. Wenn ich meine Vorlieben bezüglich der Trümmerfilme in Punkten ausdrücken will, muss ich hier über die 8/10 hinausgehen, die ich seinerzeit für „Irgendwo in Berlin“ vergeben habe, zumindest ein bisschen. Auch „Die Mörder sind unter uns“ , die Kritik dazu haben wir zuletzt vorgestellt, hatte etwa zum selben Zeitpunkt diese Bewertung bekommen, das 10-Punkte-Schema mit 0,5-Abstufungen erlaubte keine ganz so feine Austarierung wie die heutige 100er-Teilung.
83/100
© 2024 Der Wahlberliner, Thomas Hocke
[1] Nachkriegskino: Eine Psychohistorie des westdeutschen Nachkriegsfilms 1946-1963 3837923347, 9783837923346 – DOKUMEN.PUB
| Regie | Helmut Käutner |
|---|---|
| Drehbuch | Helmut Käutner Ernst Schnabel |
| Produktion | Camera-Film GmbH, Hamburg (Helmut Käutner) |
| Musik | Bernhard Eichhorn |
| Kamera | Igor Oberberg |
| Schnitt | Wolfgang Wehrum |
| Besetzung | |
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