Crimetime 1242 – Titelfoto WDR
Kressin und die zwei Damen aus Jade ist der 31. Fernsehfilm der Krimireihe Tatort. Er wurde vom WDR produziert und zeigt Sieghardt Rupp zum siebenten und letzten Mal in der Rolle des Zolloberinspektors Kressin. Die deutsche Erstausstrahlung fand am 8. Juli 1973 statt.
Der 31. Tatort war bereits der Abschied des Ermittlers Kressin. Er war eigentlich Zollfahnder, aber in jedem seiner Filme stolperte ihm ein Mordfall über den Weg; nicht einmal als harmloser Flugpassagier war er davor sicher, Tote direkt aufs Gepäck-Förderband geliefert zu bekommen. Was soll man da als alte Spürnase machen, auch wenn man nie wirklich zuständig ist? Ermitteln natürlich, sonst gäbe es ja keinen Film. Mehr zum letzten Kressin steht in der Rezension.
Handlung
Kressin ist gerade mit einer Maschine aus Istanbul eingetroffen. Im Flugzeug saß neben ihm die reizende Asiatin Lyn, für die er nur Augen hat, während er am Gepäcktransport auf seinen Koffer wartet. Aber statt des Koffers rollt eine Leiche heran. Und Lyn ist plötzlich verschwunden.
Bei dem Toten vom Transportband werden 350.000 Mark gefunden. Kressin vermutet, dass der Mörder in einer Schmugglerbande zu suchen ist.
Seine Ermittlungen führen ihn in ein Kölner Lokal, in dem ein paar Typen mehr wissen, als sie zugeben: Ein Antiquitätenhändler, ein unangenehmer Geldverleiher und die geheimnisvolle Christina. Überall jedoch registriert Kressin, dass man auf zwei Schachfiguren, die Damen aus Jade, auffällig nervös reagiert.
Rezension
Von jenen Filmen, in denen es Kressin alias Sieghardt Rupp zu den Toten hinzieht, noch mehr allerdings zu den Lebenden, wenn sie weiblichen Geschlecht sind, gibt es sechs. Das heißt, rechnerisch war jeder fünfte Tatort der ersten drei Jahre ein „Kressin“. Solch eine Frequenz hat heute kaum noch ein Team, mithin kann keines mehr die Reihe so prägen wie dieser einprägsame Typ, der sich zudem deutlich von den „echten“ Kommissaren seiner Zeit unterschied. Diese waren zwar ruhiger, sichtbar weniger schneidig angelegt, aber vom Grundtyp des deutschen Beamten doch in etwa so, wie man sie schon aus Vorgänger-Reihen wie „Stahlnetz“ kannte. Sein Darsteller Sieghardt Rupp hat es als Österreicher nicht nur verstanden, einen von Film zu Film unterschiedlich stark ausgeprägten kölschen Akzent zu imitieren, sondern bringt auch eine Lässigkeit mit, die oberhalb dessen lag, was deutsche Ermittler damals zeigten oder zeigen durften.
In Richtung modern, weil er lockerer und frecher ist als die anderen und viel weniger korrekt, insofern apostrophieren nicht nur wir ihn gerne als Vorgänger von Schimanski, aber auch in die andere: Sein Verhalten gegenüber Frauen würde man heute schlicht als übergriffig empfinden. Dabei waren es nicht Typen wie er, die dafür gesorgt haben, dass die Political Correctness so notwendig war, sondern diejenigen, die eben ohne Einverständnis seitens der Frauen zur Anmache übergingen. Bei Kressin wirkt es ja immer so, als sei die Bereitschaft der weiblichen Personen selbstverständlich, sich ihm zur Verfügung zu stellen. Auch im sechsten Fall, der die Damen sogar im Titel trägt, wird das wieder sichtbar. Allerdings ist Kressin auch ein wenig erwachsener geworden. Möglicherweise hatte man weitere Filme mit ihm vor und irgendetwas kam dazwischen. Vielleicht ein zurückgehender Zuspruch des Publikums.
Ob es diesen Ermittlertyp 1973 schon leid war? Er ist klar aus den späten 60ern geboren, als das Flockige so richtig aufkam, aber war die Welt 1973 schon anders? Nach unserer Meinung nicht wesentlich. Vielleicht war das Schema aber auch schnell aufgebraucht. Ein weiterer Hinweis darauf, dass Kressin mehr abrupt gestoppt als geplant abgewickelt wurde, ist die Tatsache, dass er seinen alten Widersacher Sievers nicht dingfest machen kann, der in fünf von sechs Kessin-Filmen eine Rolle spielt. Nicht im zuletzt hier vorgestellten „Tote Taube in der Beethovenstraße“, in „Kressin und die Frau des Malers“ so sehr herbeizitiert, dass es geradezu ironisch wirkt. Sievers hat dieses Mal einfach nichts Illegales getan. Dabei hätte man das gut arrangieren können, wenn das Drehbuch gut arrangiert wäre.
Uns war’s nicht zu langsam gefilmt, wenn auch fast von Beginn an sehr dialoglastig und in der Schachkneipe sehr gedehnt wirkend. Aber die zwei Damen aus Jade haben keinen Bezug zum eigentlichen Fall, sondern dienen nur dazu, eine hübsche Asiatin namens Lin ins Bild zu setzen – vor allem in der Szene, in der sie das tief ausgeschnittene schwarze Kleid trägt. Angesichts dieser Verführungsmode bleibt Kressin verblüffend sachlich. Und die Sache mit den Schachspielen, deren Figuren aus kostbarer Jade mit eingelegten Edelsteinen bestehen, verläuft ziellos im Nichts.
Auch die Goldschmuggel-Geschichte ist nicht des Pudels Kern, obwohl sinnvoll an das eigentliche Motiv für den Mord an sie angeschlossen ist. Nein, es ist ein klassisches Eifersuchtsdrama, das uns erwartet und das sich recht früh abzeichnet. Jedenfalls waren wir von der Auflösung nicht überrascht und kamen früher als Kressin darauf, dass sich die schöne Mona mit ihren Reaktionen auf Kressins Fragen und ihren widersprüchlichen Aussagen verrät. Viel in diesem Tatort ist eine Fragestunde, doch was sonst, in einer Zeit, in der es keine DNA-Analyse gab, die es zudem erschwert hätte, dass ein nicht mit dem Fall betrauter Polizist sich einschaltet. Das Ganze läuft ein wenig wie bei Thiel und Boerne, aber der entscheidende Unterschied ist, dass Letzterer ins System integriert ist und daher auch Zugang zu den Ergebnissen der KT hat oder sie sich verschaffen kann.
Zu Zeiten von Kressin mussten sich Täter, die keine ersichtlichen Spuren am Tatort zurückgelassen hatten, aber irgendwie emotional oder aussagemäßig so verstricken, dass sie unter der Bürde ihrer Schuld zusammenbrachen oder, wenn das zu unglaubwürdig wirkte, dann musste man sie eben belauschen. So läuft es auch in „Kressin und die zwei Damen aus Jade“. Schade.
Wirkönnen es dem Kressin nachfühlen, dass er Monas Täterschaft bedauert, und dass er das tut, ist ein Indiz dafür, dass man offenbar vorhatte, ihn etwas tiefgründiger zu machen, auch die Erklärung seines Egotrips „aus Eitelkeit“, die er selbst abgibt, deutet darauf hin, dass man ihn mehr zu einem dieser einsamen Wölfe mit romantischen Sehnsüchten ausformen wollte, die heute das Tatortland – nein, nicht im Rudel, sie sind ja Einzelgänger – aber doch in relativer Dichte bevölkern.
Finale
Ein Fazit zur gesamten Kressin-Reihe? Ausgerechnet der erste davon, der mit dem toten Mann im Fleet, fehlt uns noch, aber nach dem Anschauen des letzten kann man durchaus eine Zusammenfassung wagen.
Anmerkung anlässlich der Veröffentlichung der vorliegenden Rezension im Jahr 2024: Auch den „ersten Kressin“ haben wir mittlerweile gesichtet, deswegen konnten wir oben den Titel zur betreffenden Kritik hin verlinken.
Doch zunächst haben wir ein wenig in der Internet-Goldgrube geschürft und dabei unter anderem die Rezension von DIE ZEIT zum letzten Kressin gefunden, die kurioserweise mit einem Autor über dem Text gekennzeichnet ist und von einem bekannten Filmkritiker unterzeichnet wurde. Bei einem Ereignis wie dem Kressin-Abgang bedurfte es möglicherweise des Vieraugen-Prinzips, damit ein fundierter Beitrag zustande kam.
Dort wird etwas von „Querelen beim WDR“ gemunkelt, ohne dass man erfährt, worum es ging, aber auch vom Ausstieg von Wolfgang Menge, der so viel für den Rundfunk getan hat. Unter anderem hat er Kressin erfunden. Deshalb ist das letzte Kressin-Drehbuch, anders als die vorherigen, auch nicht von ihm entworfen worden. Und dass er Sieghardt Rupp mangels besserer Vorschläge mehr notgedrungen akzeptiert, denn als Optimalbesetzung für seine Zolloberinspektor-Figur angesehen hat, das steht wiederum in der Wikipedia. DIE ZEIT hält „Kressin und die zwei Damen aus Jade“ für einen sehr lieblosen Abschiedsfilm. Man hat eben dem Zollinspektor die Zeit nicht gegeben, seriöser und mehr deutsch, also gründelnder zu werden, sondern ihn gleich durch Haferkamp ersetzt, der dann auch mehr ins Schema passte, als ortsfester Kommissar in Essen, und der auf jeden Fall eine der Legenden der Tatortgeschichte geworden ist.
Im Wikipedia-Artikel kann man auch nachlesen, dass Kressin ursprünglich für eine eigene Krimireihe vorgesehen war und ins Tatortformat integriert wurde, weil man anfänglich eine liebe Not damit hatte, genug Filme für dieses neue Topformat des deutschen Fernsehens zusammenzubekommen. So erklärt sich also auch die Sonderstellung dieses Typs, erklärt sich überhaupt vieles von der großen Varianz, welche die Tatortfilme in den ersten Jahren aufwiesen. Die allerersten waren ohnehin meist eigenständige Produktionen, die für das Format sozusagen umgelabelt wurden. Interessant ist, dass die Zeit die frühen Tatort-Ermittler schon als die „Kommissare mit Macken“ mit Macken beschreibt. Kressin mit seiner Anmach-Macke ausgenommen, nimmt man das heute gar nicht mehr wahr, dass die kleinen privaten Einsprengsel oder selbstreflexiven Aussagen oder Einlassungen, die sich Ermittler wie Lutz oder Konrad erlaubten, schon als Macken gelten könnten. Was würden die Rezensenten schreiben, wenn sie aus dem Jahr 1973 unversehens in die heutige Zeit geworfen würden, in der die Persönlichkeitsstörung bei Polizisten der Normalfall geworden ist?
6,5/10
© 2024 Der Wahlberliner, Thomas Hocke (Entwurf 2015)
| Regie | Rolf von Sydow |
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| Drehbuch | Karl Heinz Willschrei |
| Musik | Klaus Doldinger |
| Kamera | Hans-Danklev Hansen |
| Schnitt | Eva David |
| Premiere | 8. Juli 1973 auf Deutsches Fernsehen |
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