Harris und Walz sichern ihren Vorsprung (Statista + Infos + Kommentar)

Briefing | Geopolitik, USA, Präsidentschaftswahl 2024, #Election2024, Harris & Walz vs. Trump & Vance, Battleground States, Wahlsystem, Wahlmänner

Die Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen sind gelaufen, wir haben sie begleitet und kommentiert. Da wird noch das eine oder andere kommen, natürlich auch zur bereits am 22. September anstehenden Wahl in Brandenburg. Doch eine Wahl überstrahlt dieses Jahr alles: Die Präsidentschaftswahl in den USA. Wir nehmen den Faden wieder auf und fragen: Wie ist der Stand der Dinge?

Diese Statista-Grafik wurde unter einer Lizenz CC BY-ND 4.0 Deed | Namensnennung-Keine Bearbeitung 4.0 International | Creative Commons erstellt und wir geben sie unter gleichen Bedingungen wieder. Folgend der Statista-Begleittext dazu, dann weiter mit unserem Kommentar.

Als Kamala Harris im Juli die Kandidatur für die US-Präsidentschaft von Amtsinhaber Joe Biden übernahm, lag Donald Trump in Führung. Noch Ende Juni lag die Demokratin laut RealCearPolitics im Durchschnitt einer Reihe landesweiter Umfragen zwei Prozentpunkte hinter dem republikanischen Herausforderer. Aber dann kam Harris‘ Kampagne in Fahrt. Am 6. August, dem Tag, an dem sie Tim Walz als ihren Vize benannte, übernahm die Präsidentschaftskandidatin die Führung. Seitdem ist es ihr gelungen, ihren Vorsprung sukzessive auszubauen. Derzeit (Stand: 5. September) liegt sie 1,8 Prozentpunkte vor Trump. Und auch in den sogenannten Battlegroundstaaten wendet sich das Blatt nun zu Harris Gunsten (…).

Die Grafik zu den Battleground- oder Swing-States werden wir im nächsten Update veröffentlichen. Seit das Team Harris-Walz geformt wurde, scheint Donald Trump keinen Fuß mehr auf den Boden zu bekommen.

Lassen Sie sich nicht von der hiesigen Berichterstattung täuschen, die voll auf Harris abfährt. 1,8 Prozent können innerhalb einer Woche kippen, wenn Harris oder ihr Running Mate nur einen einzigen wahrnehmbaren Fehler machen. Persönliche Angriffe, bei denen Harris‘ ethnische Zugehörigkeit und Schläge unter die Gürtellinie genauso dazugehörten wie ein penibles Durchleuchten von Walz‘ Vergangenheit in den Streitkräften, bei dem sich eine kleine Abweichung herausstellte, haben die beiden gut überstanden. Selbst den Amerikanern wird auffallen, dass das eine Petitesse ist gegenüber dem Leben des Lügners und Straftäters Donald Trump, der auch nie gedient hat.

Ein Land wie die USA braucht nicht nur Gurus, sondern auch Auguren, einer davon ist sich gewiss, dass Harris das Rennen machen wird:  Harris oder Trump? US-Wahlorakel legt sich fest | WEB.DE. Auch dieses Orakel hat sich einmal geirrt, aber offenbar ging es dabei nicht darum, wer die Wahl gewinnen wird, sondern ob der gerade gewählte Präsident „seine erste Amtszeit überstehen wird“. Vermutlich war damit gemeint, dass ihn die Machtelite vorzeitig aus dem Verkehr ziehen wird, wenn er ihr nicht zu Diensten ist. Offenbar hat es aber gerade noch so hingehauen mit der Abstimmung, auch wenn es immer wieder quietschte im gut geölten Mechanismus amerikanischer Machtpolitik. Gemeint sind Donald Trump und seine erste Präsidentschaft.

Die demnach seine einzige bleiben wird. In der Tat wirkt es im Moment so, als ob Trump nicht in die Offensive gehen kann und warten muss, bis die anderen über etwas stolpern, das acht Wochen vor den Wahlen noch nicht abzusehen ist. Eher unwahrscheinlich dürfte die Variante sein, dass sie schon gestolpert sind, man es bisher aber noch nicht gemerkt hat. Sprich, dass etwas aus ihrer Vergangenheit ausgegraben wird, das die Trump-Kampagne sich nutzbar machen könnte. Ganz sicher haben Legionen von republikanischen Spezialisten für solche Schlammschlachten schon gegraben, so tief sie konnten und sehr wenig gefunden. Außerdem ist jeder Angriff auf diesem Niveau schon die Einladung zu einem Gegenangriff, und da hat besonders Tim Walz schon bewiesen, dass er auf Augenhöhe ist und Punkte machen kann, die viral gehen. Beispiele: Seine Abstempelung des Gegnerteams als „weird“ und seine Pointe über die Verbrechen im Land, die unter Trump zunahmen, wobei er Trumps eigene nicht berücksichtigt habe. So etwas kann man nicht auslassen in einem Wahlkampf made in den USA, wenn man selbst eine einigermaßen saubere Weste hat.

Die Landtagswahlen haben gezeigt, dass es so weit in Deutschland noch nicht ist, aber gerade die Politiker der AfD sind mit Aussagen konfrontiert worden, auf die sie vergleichsweise gelassen reagiert haben. Warum? Weil sie sich besser als Trump selbst als Opfer des Mainstreams markieren können. Aber wir wollen nicht zu sehr auf die vielen Fehler der „demokratischen Parteien“ in Deutschland eingehen; der US-Wahlkampf tickt anders, aus ihm kann man, um doch  mit einer bekannten deutschen Parteivorsitzenden zu sprechen, nicht allzu viel lernen. Nicht für das, was bei uns gerade läuft und wie es läuft. Es sei denn, man meint, bessere Politik anzubieten, aber dieser Lernprozess scheint bei uns unmöglich zu sein.

Harris und Walz verlassen sich offensichtlich nicht auf das Anti-Trump-Kampagnenmodul, sondern legen Schritt für Schritt auch ihre eigenen Absichten offen, wohl wissend, dass sie dadurch auf Sachebene auch angreifbarer werden. Wenn man bedenkt, was in den USA alles als sozialistisch markiert wird, fasst man sich selbst im sozial ausgewrungenen und mit rechten Spins durchtränkten Deutschland des Jahres 2024 noch an den Kopf. Wer also eine einigermaßen mittige, arbeitnehmerfreundliche Politik macht, der müsste einen überwältigenden Wahlsieg gegen Trump & Co. einfahren. Dummerweise waren die Biden-Jahre von hoher Inflation geprägt, und dagegen konnte die Administration relativ wenig machen bzw. hatte die Hebel dazu nicht in die Hand genommen. Vielmehr entschied sie sich für Investitionen und Reindustrialisieren anstatt Preisdeckelung. Letztere hat es in den USA wohl noch nie gegeben, nicht einmal während des New Deal in den 1930ern.

Was sich ebenfalls nicht negativ auf den Vorsprung von Harris und Trump ausgewirkt hat, ist der Ausstieg des dritten Präsidentschaftsbewerbers Robert F. Kennedy und dessen Wahlempfehlung für Donald Trump. Man sieht lediglich am rechten Ende der Grafik, dass beide verbliebenen Bewerberteams ein wenig zugelegt haben. Vermutlich verbinden viele, die Kennedy vielleicht gewählt hätten, seinen Namen immer noch mit einer der großen Familien der Demokraten und sind enttäuscht von seiner Parteinahme. Ironischerweise trägt er den Namen seines Vaters Robert F., Justiziminister unter John F. Kennedy, 1968 im Rennen der Demokraten um die Präsidentschaftsbewerbung, erschossen während des Wahlkampfs. Robert F.  senior gilt vielen als das größte politische Talent der Familie bis heute und als der Kopf hinter vielen progressiven  Entscheidungen seines Bruders in den Jahren 1961 bis 1963.

1,8 Prozent Vorsprung sind nicht viel. Und vor allem könnten sie zu wenig sein, um die Wahl zu gewinnen. Wir haben das amerikanische Wahlsystem mit seinen Verschiebungen schon mehrfach thematisiert. Es kam seit der Jahrtausendwende schon zweimal vor, dass nicht der Kandidat oder die Kandidatin mit den meisten Stimmen die Wahl gewann, sondern verlor, weil sie nicht genug Wahlleute auf sich vereinigen konnte. So Hillary Clinton gegen Donald Trump im Jahr 2016.

Das liegt an einer Übergewichtung von republikanisch wählenden Staaten bezüglich der Wahlmännerverteilung in Relation zu ihrer Bevölkerung. Sprich, die großen Staaten im Osten und Westen, die Demokraten-affin sind, bekommen weniger Wahlleute zugeteilt, als es ihrer heutigen Bevölkerung entsprechen würde. Auf der einen Seite kann man sagen, dadurch wird das „Herzland“ Amerikas weniger abgehängt, auf der anderen ist dieses System schlicht eine Verfälschung des Wählerwillens. Würden die Stimmen sich korrekt im Endergebnis spiegeln, hätte es die stressige (erste) Präsidentschaft Donald Trumps nie gegeben. Deswegen sind die „Battleground-States“ so wichtig, in denen relativ viele Wahlleutestimmen vergeben werden, auch wenn sie von der Bevölkerung eher eine mittlere Stellung unter den 50 US-Bundesstaaten einnehmen. Das bedeutet auch, dass die Demokraten nicht nur ihre Stammwähler mitnehmen müssen, sondern auch jedes Mal darum zu kämpfen haben, in erzkonservativen Gegenden Staaten zu gewinnen.

Das gegenwärtige System der Zuteilung von Wahlleuten nach Bundesstaaten anstatt einer direkten Stimmauswertung, bei der alle Stimmen gleich zählen, ist klar republikanerfreundlich. Offenbar kam es im Laufe der Zeit zu Bevölkerungsverschiebungen, sodass die Wahlleute-Verteilung nicht mehr den aktuellen Verhältnissen entspricht. Dieser Effekt dürfte sich noch verschärfen, wenn weiterhin demokratische, große Staaten wie Kalifornien an Bevölkerung zulegen und der Mittelwesten stagniert. Es zu ändern, würde vermutlich große Mehrheiten an allen Orten der politischen Repräsentation erfordern, die gegenwärtig nicht zu erwarten sind, eine automatische Anpassung scheint es hingegen nicht zu geben. Wir werden auf dieses System aber an anderer Stelle noch etwas tiefer einsteigen.

Wenn man so will, hat jedes demokratische Team, das antritt, einen Startnachteil und die besondere Aufgabe, das Land viel mehr einen zu müssen, als die spalterische Trump-Kampagne das tun muss, wenn es gewinnen will, als die Republikaner es tun müssen, um sich gerade so ins Ziel zu retten und dabei mehr oder weniger auf ihre Stammwählerschaft zu bauen.

Der letzte Fall vor Clinton vs. Trump war der von Al Gore gegen George W. Bush im Jahr 2000, auch damals wurde ein Republikaner Präsident, der weniger Stimmen erhielt als sein demokratischer Gegenpart. Anders ausgedrückt: Ohne die Unwucht im amerikanischen Wahlsystem hätte es seit 1992 vermutlich keine republikanische Präsidentschaft mehr gegeben.

Das ist natürlich eine schematische Überlegung, denn man weiß nicht, ob nicht zum Beispiel am Ende einer langen, 12- oder 16-jährigen demokratischen Ära Bill Clinton – Al Gore eine natürliche Gegenbewegung entstanden wäre, die wiederum verhindert hätte, dass Barack Obama erster nichtweißer Präsident der USA werden konnte.

Wir können am Ende nur die Fakten betrachten, und die besagen, dass Demokraten mehr investieren müssen als Republikaner, um einen Präsidenten oder eine Präsidentin der USA stellen zu können. Seit Donald Trump sind sie dabei auch noch mit unhaltbaren Wahlbetrugsvorwürfen konfrontiert. Das macht es noch einmal pikanter, wenn Republikaner nicht in der Lage sind, ihren natürlichen, dem Wahlsystem geschuldeten Vorteil auszunutzen.

TH


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