Von vorne – US-Filme von Beginn an und weitere Neuigkeiten vom Filmfest

Filmfest Special in eigener Sache

Wir müssen wieder häufiger Specials schreiben, wenn sich auf dem Filmfest besondere Dinge tun, damit regelmäßige Leser:innen mitverfolgen können, wie ebenjene Dinge sich entwickeln und warum das so ist.

Unser allererster Ansatz nach der Wiedereröffnung des Wahlberliners im Juni 2018 war, einen Filmreigen zu starten, der so organisiert sein sollte, dass jeder Film, den wir besprechen, einen Bezug zu vorherigen aufweist. Das erwies sich als zu aufwendig, weil wir jedes Mal zu den archivierten Rezensionen noch Übergänge neu schreiben mussten und nach relativ kurzer Zeit kamen wir in einer Sackgasse, wir hätten Neusichtungen eigens vornehmen müssen, um sinnvolle Anschlüsse herzustellen.

Wir sind danach eine Zeitlang eher unkoordiniert vorgegangen, dann aber kamen die Länderchronologien.

Die erste Runde hatte sich an unserem alten Filmverzeichnis Nr. 8 eingehakt, das noch auf Maschine getippt war. Frankreich ist gerade in dieser ersten Runde, als drittes Filmland nach den USA und Deutschland. Bezüglich deutscher Filme haben wir nach Abschluss der ersten Chronologie, die bis ins Jahr 1987 reichte, in der folgenden Runde zwei einen starken Akzent auf die Stummfilme der Weimarer Zeit gelegt. Aber der Tonfilmära sind wir auf das Muster „ein Jahr, ein Film“ innerhalb einer Chronologie-Runde eingeschwenkt.. Damit sind wir dem bereits für die USA bestehenden Muster gefolgt. 

Bei Werkschauen, die parallel zur normalen Chronologie eines Landes laufen, optieren wir anders, weil wir schneller sein wollen und doch einigermaßen vollständig. Charles Chaplin hat 1914 Dutzende von Filmen gemacht, da können wir nicht bloß einen pro Chronologie-Runde besprechen, sondern zeigen Kritiken zu diesen Frühwerken im Wechsel mit der „normalen“ Chronologie, in dem Fall mit jener der USA, wenn wir mit der Werkschau „Chaplin“ beginnen werden. Möglicherweise wird das noch nicht bei der im Folgenden dargestellten dritten US-Chronologie der Fall sein. 

Die zweite Chronologie werden wir in den nächsten Tagen mit dem Jahr 2022 abschließen und dazu einen der schönsten Filme dieses Jahres vorstellen werden.

Wir werden in der dritten Chronologie versuchen, einen Film aus jedem Jahr vorzustellen. Und wir werden ganz zum Anfang zurückgehen, dorthin, wo der Film begann. Das tat er nämlich in den USA, und zwar in der Ideenküche von Thomas A. Edison. Er hat die ersten Apparaturen nicht selbst gebaut, sondern es waren Mitarbeiter von ihm, die den Film voranbrachten, während er sich mit anderen Erfindungen befasste, aber es geschah im Jahr 1889. Sieben Jahre, bevor nach allgemeiner Ansicht das Kino im Dezember 1896 startete, als die Brüder Lumière in Frankreich ihre ersten öffentlichen Vorführungen abhielten. Abgesehen davon, dass die Brüder Skladanovsky in Berlin einen Monat früher dran waren: Es gibt einige Aspekte, die dafür sprechen, den Start der Kinematografie in die USA zu verlegen und das eine oder andere Jahr rückwärtszugehen, von 1896 aus betrachtet. Wir tendieren dazu, die ersten öffentlichen Vorführungen als Maßstab zu nehmen, nicht die ersten laufenden Bilder, denn zum Kino gehört ja auch das Gemeinschaftserlebnis, dass sich viele Menschen gleichzeitig einen Film anschauen. Nur so konnte der Film ein Massenmedium werden.

In Frankreich hatte sich der Film dann mit Georges Méliès besonders schnell künstlerisch entwickelt, aber in den USA lässt sich eine kontinuierliche und breit angelegte Experimentierzeit feststellen, bei der man es anfangs nicht sehr eilig zu haben schien. Doch die technischen Hürden verhinderten einen noch früheren Start des Films als Massenmedium offensichtlich – sonst wären die USA sowieso wieder die ersten gewesen, denn alles, was sich zu Geld machen lässt, nimmt in der Regel dort seinen Anfang.

Gerade, weil man davon in Deutschland kaum etwas weiß, sind die ersten Filmjahre der Welt so spannend und wir werden anhand einzelner wichtiger Filme die Entwicklung nachvollziehen. Beginnend mit „Monkeyshines“, die bis heute als erste echte Bewegtbilder gelten, auch wenn sie noch mit einer anderen Technik aufgenommen wurden, die man nur bedingt als Film bezeichnen kann. Schon wenige Jahre später sah das anders aus, und der Rest ist Geschichte. Die ersten Spielfilme entstanden schon um die Wende zum 20. Jahrhundert und von dort aus werden wir zu den bekannteren Meilensteinen der Kinematografie kommen.

Anfangs wird es einige Leerstellen geben, denn bei diesen Pionierjahren haben wir noch Lücken. Diese werden wir nachträglich füllen müssen, weil wir sonst die parallellaufende zweite deutsche und die erste französische Chronologie stoppen müssten, die nach einem bestimmten Muster im Wechsel mit US-Filmen gezeigt werden (das Verhältnis ist im Moment 4:2:1). Außerdem zeigen sich noch einige Platzhalter im Bereich deutscher Stummfilm, die wir beseitigen müssen. Wir hatten das Weimarer Kino mit mehr als einem Film pro Jahr bedacht  und dabei ging uns etwas die Puste aus. Der Grund war, dass wir nicht damit gerechnet hatten, dass im Verlauf der Entwicklung der Bestand an frei verfügbaren Filmen eher ab- als zunehmen würde. Anders ausgedrückt: Aus den ganz frühen Jahren gibt es mehr zu sehen als aus der Zeit zum Ende der Weimarer Republik hin. 

Lassen Sie sich nach dieser etwas technokratischen Beschreibung verzaubern vom Beginn der laufenden Bilder. Die Filme sind alle frei erhältlich und haben den gigantischen Vorteil, dass das Anschauen allenfalls wenige Minuten dauert. Die Rezensionen haben wir vom Ton her der Faszination und dem Spaß mit diesen frühen Objekten filmischen Schaffens angepasst. Sie zu lesen, dauert viel länger, als einen solchen Kurzfilm anzuschauen, aber hier finden Sie Hintergründe zur Entwicklung des Kinos, die bei der Erstellung von Texten zu neueren Filmen höchstens noch gedanklich mitlaufen.

Da wir im Moment keine Zeit haben, filmhistorische Bücher zu lesen, ist diese Arbeit an konkreten Werken auch wichtig, um unsere Filmgeschichte-Kenntnisse zu erweitern und Ihnen dadurch noch bessere Infos zur Einordnung neuerer Filme in den historischen Kontext geben zu können. Plötzlich wirken auch die ersten Monumentalfilme aus den 1910er Jahren nicht mehr so exzeptionell, nicht wie vom Himmel gefallen, inklusive ihrer deutschen Variante, die zuweilen sogar als Mehrteiler angelegt war.  Und als Charles Chaplin 1914 ins Filmgeschäft einstieg, war es schon ein richtiges Geschäft, war der US-Film schon in Hollywood zu Hause und – das Kino im Grunde schon 25 Jahre alt. 

TH


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