Zartbitterschokolade – Tatort 518 #Crimetime 1243 #Tatort #Berlin #Ritter #Stark #RBB #zart #bitter #Schokolade

Crimetime 1243 – Titelfoto © RBB

Kokosnüsse mit Schokoladensoße

Zartbitterschokolade ist ein Fernsehfilm aus der Fernseh-Kriminalreihe Tatort der ARD und des ORF. Es ist der sechste gemeinsame Fall des Berliner Ermittlerduos Ritter und Stark. Der vom SFB produzierte Film unter der Regie von Erhard Riedlsperger wurde am 15. Dezember 2002 in Das Erste zum ersten Mal gesendet.

„Zartbitterschokolade“ ist also 6. Tatort, in dem das Berliner Ermittlerduo Ritter und Stark im Jahr 2002 ermittelte. Damals waren die Rollen noch ziemlich klar verteilt und man kann den Film beinahe in Klischee-Blocks und deren Brechungen aufgliedern.

Sicher ist eine Schokoladenfabrik ein hübsches Milieu, aber verständlich wird deren Auswahl als Setting für einen Tatort vor allem dadurch, dass zwei Jahre vor dem Tatort 518 der französischen Film „Chocolat“ mit Juliette Binoche in der Hauptrolle ein Erfolg war. Hat der Tatort auch so gut geschmeckt wie der Film? Das klären wir in der -> Rezension.

Handlung

Der bekannte Psychologe und Gerichtsgutachter Prof. Probst wird von einem Aussichtsturm gestoßen. War es Selbstmord? Hat ein ehemaliger Klient Rache genommen? Oder hat der Mord mit den Gutachten zu tun, die der Psychologe auf Bestellung abliefert?
Ein verdächtiger Volvo, der am Tatort gesehen wurde, führt Till Ritter und Felix Stark schon bald zu der zerstrittenen Familie eines Berliner Schokoladenfabrikanten.

Die beiden Töchter Ruth und Alice haben ihren Stiefvater Thomas Hofman-Brixel wegen Missbrauchs angezeigt, ihre Anschuldigungen aber kurz vor dem Mord wieder zurückgezogen. Thomas Hofman-Brixel hat die Anschuldigungen stets bestritten, wurde aber aufgrund des Gutachtens von Prof. Probst angeklagt. Margot Hofman tut alles, um die Familie so kurz vor Weihnachten wieder zusammenzubringen. Till Ritter und Felix Stark tauchen ein in eine Welt der süßen Versuchungen und entschlüsseln die zartbitteren Hintergründe eines verhängnisvollen Familiendramas. Ob zartschmelzend oder bittersandig – die Rezepte großer Chocolatiers sind streng gehütetete Geheimnisse und dabei gilt die Regel, dass wahrer Hochgenuss erst durch Betrug zur Vollendung findet. Wie süß muss eine Versuchung sein, die zum Mord führt?

Rezension

Mavie Hörbigers prononcierter Darstellung als damals noch sehr junger Schokoladenfabrikantin verdankt der Film einiges, und natürlich auch Till Ritter, der hier ganz schön auf seinen Kokosnüssen reitet und einen Weihnachtsbaum umhackt. Wie gut, dass in Berlin die Äxte immer anbei liegen. Das ist in einer Stadt, in der allerorten grobe Klötze gespalten werden müssen, geradezu eine Notwendigkeit. Wir kennen eben unsere Polizei.

Da haben wir mal einen Krimi aus der Frühphase von Stark und Ritter, der nicht versucht, Berlin als Glamour-Model zu installieren, sondern die Tradition der kleinen und mittleren Familienunternehmen hochleben lässt und gleichzeitig hinterfragt. Ob diese Leute so alte Autos fahren müssen wie den damals schon hochbetagten Volvo mit gummierter Stoßstange, ist eine andere Frage. Aber dieses Detail ist nicht ganz untypisch für einen Tatort, der seine Stärken hat, wie eben die Rolle Ruth Hofmann, die von Hörbiger gespielt wird, aber auch Schwächen, die sich dieses Mal nicht vorwiegend in der Logik des eigentlichen Krimis äußern, sondern an den Figuren festgemacht werden können.

Schon klar, dass man auf Kontra gehen wollte, als man Stark zeigte, wie er mit „Emil“ nicht zu zielführenden Ergebnissen kam, als er den Jungen befragte, obwohl er selbst Vater ist, schon klar, dass er dafür aus Frauen Dinge herauslocken kann, die der Weiberheld Ritter versemmelt. Diese Art Umkehrung von Klischees wirkt allerdings sehr bemüht und nimmt auf die grundsätzliche Anlage der Figuren kaum Rücksicht. Stark wechselt dadurch zwischen seinem bekanntermaßen größeren Einfühlungsvermögen und einer viel zu formalen Art, an die Dinge heranzugehen, und Ritter verliert sogar seine eigene Existenzberechtigung. Dies ist eindeutig ein Stark-Fall, zu dessen Lösung Ritter wenig beiträgt. Vielleicht hat dessen Darsteller Dominic Raacke nicht nur so ausgesehen, als wenn er ständig auf dem Kriegspfad wäre, sondern war’s wirklich, weil ihm die extreme Ausformung seiner Rolle nicht zusagte.

Ritter kommt in diesem Film so schlecht weg sie selten. Frauen legen ihn rein, anstatt dass er sie aus Kreuz legt, ein wertvolles altes Auto lässt er mitten in Berlin ungesichert stehen (Witz komm raus!), seinen Mitstreiter versucht er zu dominieren und wirkt doch lächerlich neben ihm; und dies, obwohl man grundsätzlich geneigt ist, ihm seinen Status als Kriminaler, der sich auch in schwierigen Situationen durchsetzen muss, eher abzukaufen als dem kleinen Stark.

Manche Szenen zwischen den beiden sind aber auch ganz witzig und liegen über dem Durchschnitt des oft zwanghaft wirkenden Humors, den man den beiden andichten wollte, die erkennbar keine Komödianten sind. Aber die Sache mit dem Aston Martin war trotzdem falsch eingenordet. Realistisch wäre folgendes Szenario gewesen, und Ritter könnte man es auch zurechnen: Er parkt das Auto, natürlich verschlossen, an einer verbotenen Stelle, von dort wird es weggeschleppt auf eine jener Stellflächen, wo die versetzten Autos in großer Zahl geparkt werden und dort sieht Ritter es zufällig, die Wiederentdeckungs-Szene ist okay. Einen Haken gibt es allerdings bei dieser Variante: Man kann es durch Nachfrage schnell in Erfahrung bringen, wohin die Polizei den fahrbaren Untersatz verbracht hat.

Vielleicht haben wir über diese „Nebenhandlung“ mehr nachgedacht, weil sie so prominent platziert ist, in diesem Film. Vielleicht wär’s besser gewesen, das mit „Emil“ zu machen, dem kleinen Detektiv, der zu Beginn des Films den Eindruck erweckt, man wolle den berühmten Kästner-Roman, den der Junge mit sich herumträgt und der in Berlin spielt, ein wenig in die Handlung einbinden. Doch die Idee ist nur ein Aufhänger und wird schnell fallengelassen.

Ein anderer Aspekt des Tatorts sollte allerdings der Dreh- und Angelpunkt des Nachdenkens über sein: Sexueller Missbrauch und wie er instrumentalisiert wird. So zeigt es nämlich „Zartbitterschokolade“. Frauen zeigen Männer wegen eines Missbrauchs an, denn es nicht gegeben hat, Gutachter erstellen Tendenzberichte, anstatt sachlich zu prüfen und klare medizinische Fakten wie die jungfräuliche „Unversehrtheit“ werden ignoriert, wenn die Staatsanwaltschaft sich auf einer Mission sieht. Natürlich werden nebenbei echte Opfer gezeigt, ganz kurz, die erläutern, warum eine Justizperson sich auch politisch versteht.

Wenn man bedenkt, dass in den frühen 2000ern das Thema Vergewaltigung und sexueller Missbrauch im häuslichen Umfeld erst richtig hochkam, ist das schon eine erstaunliche Gegenposition, die Männer als Opfer erscheinen lässt. Nicht, dass wir es dem Ritter nicht gönnen, wie er es hier beinahe drauf anlegt, dass ihn mal jemand linkt, aber politisch korrekt ist es im Grunde nicht. Selbst heute, nach Jahren einer offenen Diskussion über das einstige Tabu-Thema, überwiegt vermutlich noch die Zahl der Delikte, die aus Schamgefühl seitens der Opfer nicht angezeigt werden. Die Zahl der Fälle, in denen mit erpresserischer Absicht unschuldige Menschen zu Tätern gemacht werden. Beides weist natürlich auf dieselbe Grundtatsache hin: Dass es in Familien nicht immer so friedlich zugeht, wie es sollte.

Finale

Und das selbst vor Weihnachten nicht, denn – Aktion Weihnachtsbaum! – dies ist auch ein Weihnachtsfilm und Stark und Ritter philosophieren über Lebensmodelle und wie diese sich an Weihnachten besonders stark voneinander unterscheiden. Wenn wir den Stress sehen, den Familien in Tatorten immer haben, tendieren wir dieses Mal zu Ritters Meinung, würden uns aber trotzdem zu Starks Entenbraten einladen lassen, der sicher kulinarisch alles übersteigt, was wir selbst allein oder zu zweit zuwege bringen könnten.

Im Ritter-Stark-Portfolio fehlt uns immer noch etwa die Hälfte aller 31 Tatorte, welche die beiden gemeinsam begangen haben, und die Fehlstücke stammen vor allem aus den ersten Jahren des Teamings. Insofern schön, dass wir da nun wieder etwas vorangekommen sind. Und gelangweilt haben wir uns dabei nicht.

Andererseits wirkt dieser Tatort recht neuzeitlich und doch – mittlerweile gibt es fast doppelt so viele Filme der Reihe und es sind fast 15 Jahre vergangen. 

7/10

© 2024 Der Wahlberliner, Thomas Hocke (Entwurf 2015)

Kursiv und tabellarisch: Wikipedia

Regie Erhard Riedlsperger
Drehbuch Gerhard J. Rekel
Produktion Jürgen Haase
Musik
Kamera Frank Brühne
Schnitt Christine Boock
Premiere 15. Dez. 2002 auf Das Erste
Besetzung

Entdecke mehr von DER WAHLBERLINER

Melde dich für ein Abonnement an, um die neuesten Beiträge per E-Mail zu erhalten.

Hinterlasse einen Kommentar