Filmfest 1168 Cinema
Film ohne Titel ist ein 1947 entstandener Trümmerfilm des Regisseurs Rudolf Jugert. Kinostart des Nachkriegsfilms war am 24. Januar 1948.[Anm. 1] Der Film kann als romantische Nachkriegs-Satire eingestuft werden.
Von Rudolf Jugerts Filmen habe ich noch nicht viele gesehen, aber hier hat der Regisseur mit Helmut Käutner zusammengearbeitet, dessen Regieassistent Jugert bis dahin gewesen war. Von Käutner stammt das Drehbuch, und dieses prägt den Film sehr stark. Wie sich diese Prägung auswirkt und mehr erklären wir in der -> Rezension.
Handlung (1)
In der ersten Nachkriegszeit soll ein Film entstehen. Regisseur, Autor und der Schauspieler Willy Fritsch diskutieren über Form und Thema. Das Filmteam möchte eigentlich eine Komödie drehen, aber kann oder darf man das, so kurz nach dem Krieg? Ein Buch existiert noch nicht. Man streitet sich um die Inhalte des Films. Zwei Bekannte des Autors, die Bauerntochter Christine Fleming und der Berliner Kunsthändler Martin Delius, besuchen das Filmteam. Nach ihrem Besuch erzählt der Autor seinen beiden Kollegen, wie sich die beiden kennengelernt haben [dies wird als Rückblende gezeigt].
Martin, der Kunsthändler, gewährt nach einem Bombenangriff einer Geschäftspartnerin und deren Hausmädchen Christine Unterschlupf. Vom ersten Moment an empfindet er Zuneigung für die Frau aus einfachen Verhältnissen und während eines weiteren nächtlichen Bombenangriffs kommen die zwei sich näher. Standesvorurteile in Martins Umgebung geben ihrer Liebe jedoch keine Chance, und so verlässt Christine das Haus.
Das Filmteam diskutiert, ob sich die Geschichte der beiden als Stoff für ihren Film eignen würde. Der Autor erzählt weiter.
Nach dem Krieg ist die Situation umgekehrt: Martin kommt als Besitzloser von der Front und sucht Unterkunft auf dem Hof von Christines Vater. Nun ist es bäuerlicher Stolz, der den verwahrlosten Veteranen abweist. Diesmal ist es Martin, der das Dorf seiner alten Liebe verlässt.
Ab diesem Punkt sind sich die Filmemacher uneinig, wie es weitergehen soll: Der Regisseur möchte ein anklagendes, tragisches Ende, der Schauspieler ein Happy End. Der Autor schließlich fragt Martin und Christine selbst, wie es weiterging …
[… und auch das wird als Rückblende dargestellt.]
Als endlich die ganze Geschichte erzählt und die Eignung für den Film besprochen ist, ist der Film vom Film zu Ende, vom
„Film ohne Titel“
Rezension
Helmut Käutner ist ein Fan des französischen Poetischen Realismus gewesen, das machte seine Filme schon im Dritten Reich so anders und lässt sie heute noch berührend wirken. „Große Freiheit Nr. 7“ lässt die melancholische Seite des Poetischen Realismus strahlen, sogar in Farbe. „Romanze in Moll“ ist zwar ein „Period Piece“, aber psychologisch und darstellerisch herausragend und spiegelt die dunkle Seite des Poetischen Realismus der späten 1930er, besonders die Filme von Marcel Carné, dann folgten der Übergangsfilm „Unter den Brücken“ der ganz deutlich an Werke wie „L’Atalante“ angelegt ist, sogar vom Milieu her und „In jenen Jahren“, in dem ein Auto die Geschichte des NS-Regimes anhand seiner (auch jüdischen) Besitzer nachzeichnet. Bemerkenswert in seiner Klarheit, die so versonnen, nachdenklich und melancholisch wirkt, ist der Tenor. Der Film ist auch einer der ersten, der einen Narrator erzählen lässt, was sich Ende der 1940er nicht nur im deutschen Kino verbreitete.
„In jenen Tagen“ von Helmut Käutner sprach er selbst den Narrator. „Film ohne Titel“ zeigt mehrere Kommentatoren. Es ist faszinierend, wie Käutner und Jugert es hinbekommen, sie das Geschehen ironisch brechen zu lassen – und doch wirkt es berührend. Die Darsteller sind mindestens gut, die Dialoge auf jeden Fall erstklassig.
Wir sind wir gerade jetzt an diesen Film geraten? Weil wir auf einem Youtube-Kanal, der nur die Filme dieser Firma darbietet, Werke aus jener Zeit von der Real-Film anschauen und rezensieren. Auch darunter gibt es ein paar bemerkenswerte, aber „Film ohne Titel“, der nicht von dieser Firma stammt, ist eine andere Kategorie.
Alles darin spiegelt etwas, was es wirklich gab. Sogar Dinge, die erst später kamen. Ein so hellsichtiges Kinostück mit so guten Typen und einer Art von Romantik, die nicht in Sentimentalität abgleitet, sondern stellenweise auch etwas dezent Freches hat, da denkt man: So hätte das deutsche Kino nach den verlorenen Jahren werden können. Stattdessen wurde es so, wie es von dem Team ironisch kommentiert wird. Die elliptische Anlage des Drehbuchs ist für damalige wie für heutige Verhältnisse sehr kunstvoll, sehr versiert, der Film ist sozusagen klein und groß zugleich. Er ist noch ein Trümmerfilm, aber er ist auch schon ein Wiederaufbau-Film, und das noch vor der Währungsreform, die diesen Aufbau erst richtig angeschoben und den Schwarzmarkt beseitigt hatte. Der in diesem Film eine geradezu locker eingestreute Rolle spielt.
Anmerkung anlässlich der Veröffentlichung des Textes im Jahr 2024: Mittlerweile kenne ich fast alle wesentlichen „Trümmerfilm“ und schon in jenen des Jahres 1947 wird eine erstaunliche Hoffnungs- und Wiederaufbaumentalität sichtbar.
Menschen, die alles verloren haben und welche, die daraus Gewinn ziehen, wie die Bauern, die Trauer, der böse Pragmatismus, das „Hurra, wir leben noch“ und die Suche nach einem neuen Sinn, Entwurzelung und Neufindung, Flucht, Vertreibung, Fremdeln mit der Fremde und doch mit anpacken, das wird hier miteinander auf eine Weise verknüpft, die wohl einmalig im Kino jener Zeit und notabene im Kino anderer Zeiten sein dürfte, denn heute lässt sich so etwas nicht mehr reproduzieren. Man musste mitten in dieser Zeit gestanden haben, um sie so ernsthaft und leichthändig zugleich zu beschreiben. So, wie die Macher dieses Films, die schon
Das Filmmagazin Cinema beurteilt den Film als einen der „klügsten deutschen Nachkriegsfilme: Amüsant und visionär nimmt er Kinoklischees aufs Korn, die wenig später Deutschlands Leinwände beherrschen sollten“.[2] Das Lexikon des internationalen Films lobt die elegante und pointenreiche Konzeption Helmut Käutners und die intelligente Inszenierung Jugerts.[3]
Man kann die Assoziationen gar nicht alle aufzählen, die der Film entstehen lässt, aber da ist zum Beispiel dieses verschieden ausgeformte Durchexerzieren der Hochzeitsszene mit Versatzstücken des kommenden Heimat- und Revuefilms oder, ebenfalls auf dem Bauernhof in Niedersachsen, das geflüchtete Paar aus Thüringen. Der vom Schicksal stets beleidigte Ossi wird hier lebendig, das ist auf eine weise satirisch und atemberaubend, weil es noch nicht einmal die DDR gab, die heute als Ursache der Defizite unter anderem beim Demokratieverständnis vieler Ostdeutscher gab. Vielleicht muss man das alles neu denken und sie waren immer schon etwas … sagen wir mal, anders. Diese Landstriche waren seinerzeit auch für die Nazi-Ideologie schon besonders empfänglich, und das zumindest hat das Filmteam gewusst – und auch den dortigen Dialekt als einzigen von allen deutschen Mundarten auf die Schippe genommen. Aber auch für diese Menschen bringt der Film eine eigenartige Form von Verständnis auf und enthebt sie so der vollkommenen Lächerlichkeit. Außerdem ist der robuste Bauer aus dem norddeutschen Platten auch keine gerade sympathische Figur, sondern ein unkultivierter Krisengewinnler.
Anmerkung 2/2024: Es gibt tatsächlich Historiker, die Unterschiede zwischen der Mentalität der Deutschen westlich und jenen östlicher der Elbe bis ins Mittelalter zurück historisch begründen, um die Mentalität des sich erobert Fühlens, interessanterweise kombiniert mit einem Hang zum Autoritarismus, zu belegen.
Die männliche Hauptfigur darf hingegen eine Wandlung durchmachen. Antiquitätenhandel ist eklektisch geworden und der Mann besinnt sich darauf, dass er mal als Möbelschreiner angefangen, also etwas Richtiges gelernt hat. Bei allem, was an diesen Zeiten schwierig war: Wer sollte, konnte seinerzeit seinen Platz wieder finden, sofern Verlusttrauma nicht zu dominant waren – auch deswegen, weil so viele Männer an der Front gefallen waren. Auch das wird beinahe nebenbei und auf eine doch sehr gut integrierte Weise erwähnt.
Finale
Wie viele Milieus in dem Film treffend geschildert werden, ist nach all dem nicht mehr überraschend. Das Essenzielle fehlt nie. Die Liebesgeschichte ist in all das eingebettet, wendungsreich, aber ausgerechnet Hildegard Knef muss die etwas herbeizitiert wirkenden Wendungen durch ihr Verhalten glaubwürdig wirken lassen. Das schafft sie ganz gut, aber Jugert und Käutner wussten natürlich auch, dass sie damit eine weitere Ebene in den Film einzogen, weil die Realität so versöhnlich ist wie die kitschigere Variante, die sich die Filmschaffenden zurechtbasteln. Willy Fritsch würde demnach in diesem Film-Film die Figur spielen, die auf der Ebene der eigentlichen Handlung Hans Söhnker ausfüllt. Erstaunlich, in wie vielen Streifen der Liebling des Publikums aus den 1930ern kurz nach dem Krieg mitgewirkt hatte und so half, den Übergang zu gestalten.
Hans Söhnker hatte währen der NS-Zeit noch eher den flotten Burschen gegeben und ging, wie einige andere auch, durch die Schicksalszeiten hindurch und ihm wurden entsprechend gestaltete Figuren angeboten. Allen Beteiligten an „Film ohne Titel“ ist gemein, dass sie nicht zu den besonders Belasteten zählten und daher einigermaßen den Kopf frei hatten für den Neuanfang. Das Team aus bekannten Kräften und der jungen Hildegard Knef hatte sicher viel Freude an dieser Arbeit und dieser so beziehungsreiche Film macht heute noch Spaß. Die IMDb-Nutzer:innen würdigen ihn mit 7,4/10, einer hohen Bewertung für das damalige deutsche Kino und eine Stufe mit „Romanze in Moll“, etwas besser als „Große Freiheit Nr. 7“. Die Filme sind sehr unterschiedlich, aber sie tragen eine künstlerische Handschrift, die sie erheblich über die damalige Durchschnittsproduktion heraushebt. Auch ab den mittleren 1950ern sollte Käutner wieder vorne dabei sein, u. a. mit „Der Hauptmann von Köpenick“ (1956), dem ersten deutschen Film, der für den „Auslandsoscar“ nominiert war.
Wir gehen in der Bewertung noch etwas höher, weil in diesem Film etwas drin ist, was wohl mit kollektiven Schicksal zu tun hat, das die Nachfahren der „Originaldeutschen“ mit ihm verbindet, wenn sie sich fortwährend mit der Zeit und mit ihren eigenen Familiengeschichten auseinandersetzen.
80/100
© 2024 Der Wahlberliner, Thomas Hocke (Entwurf 2024)
(1), kursiv und tabellarisch: Wikipedia
| Regie | Rudolf Jugert |
|---|---|
| Drehbuch | Rudolf Jugert Helmut Käutner Ellen Fechner |
| Produktion | Helmut Käutner |
| Musik | Bernhard Eichhorn |
| Kamera | Igor Oberberg |
| Schnitt | Wolfgang Wehrum Luise Dreyer-Sachsenberg |
| Besetzung | |
|
|
Entdecke mehr von DER WAHLBERLINER
Melde dich für ein Abonnement an, um die neuesten Beiträge per E-Mail zu erhalten.

