Filmfest 1169 Cinema
Liebe 47 ist ein deutscher Spielfilm aus dem Jahr 1949, der auf Wolfgang Borcherts Bühnenstück Draußen vor der Tür (1947) basiert. Regie führte Wolfgang Liebeneiner.
Im Rahmen meiner Rezensionen von Filmen der „Real“ aus Hamburg kam ich kürzlich zu Wolfgang Liebeneiners „Des Lebens Überfluss“ (1950), einem der letzten Trümmerfilme, der aber schon in die Zukunft weist, mit jungen Menschen, die man durchaus als hoffnungsvoll, als die künftige Elite des Landes ansehen kann. Sie werden aber sehr als sehr unkompliziert und ohne Rückgriff auf ihre Vergangenheit geschildert, auf ihre Elternhäuser vor allem und wie sie als Heranwachsende die letzten Kriegsjahre zugebracht hatten. Genau umgekehrt bei „Liebe 47“, den ich mir angeschaut habe, um mehr über Wolfgang Liebeneiners Schaffen zu erfahren. Wie sich „umgekehrt“ ausnimmt und mehr zu „Liebe 47“ steht in der -> Rezension.
Handlung
Der Film handelt von einem Kriegsheimkehrer namens Beckmann, der feststellen muss, dass sich seine Frau in den Jahren seiner sibirischen Gefangenschaft einem anderen Mann zugewandt hat und sein Sohn tot ist. Verzweifelt sieht er für sich nur noch einen Ausweg, denn er „kann nicht mehr“ – doch da trifft er am Ufer der Elbe Anna Gehrke, eine junge Witwe, die nicht mehr „will“, und beide erzählen einander ihr Leben.
Rezension
„Ein bewegendes Drama nach Motiven von Borcherts Draußen vor der Tür, das für die Verfilmung um eine Frauengestalt erweitert wurde. Die surreale, religiös-mystische Dimension der Vorlage erreicht der realistisch gestaltete Film nicht, doch Liebeneiner gelang einer der ernsthaftesten deutschen ‚Nachkriegs‘-Filme.“ – Lexikon des internationalen Films[2]
Zu vergleichsweise kleinen und unwichtigen Filmen gibt es in der Wikipedia riesig lange Handlungsangaben, hier ist es umgekehrt. Das meinte ich oben aber mit „umgekehrt“ nicht, sondern, dass hier Figuren zu sehen sind, die ganz aus ihrer Vergangenheit heraus sprechen und handeln. Ganz sicher kann man eines sagen: Liebeneiner hat versucht, eine Art Sammler zu machen, der mehr oder weniger alles beinhaltet, was bis zur Entstehung von „Liebe 47“ gefilmt wurde. Und seine Sichtweise ist eine andere als die von Filmemachern wie Wolfgang Staudte oder Helmut Käutner, die als nicht belastet galten und es auch nicht waren, wenn man insbesondere von Käutners wirklich schönen Filmen aus der NS-Zeit absieht. Es war kein Propagandafilm darunter und sie waren vergleichsweise ernsthaft. Liebeneiner hingegen hatte einige besonders kritische Filme zu verantworten.
Deshalb kommt es zu einer Sichtweise, die heute nicht mehr so leicht erträglich ist: Diejenigen, die an das System geglaubt haben, kommen zu Wort. Besonders die Figur Anna Gehrke ist Liebeneiners Medium. Und das passt perfekt, denn seine Ehefrau Hilde Krahl spielt diese Rolle und jeder, der „Liebe 47“ sah, wusste, dass sie während der NS-Zeit im Film tätig war, der bekannteste davon ist „Der Postmeister“, der als eine wirklich gute Puschkin-Verfilmung und als einer der besten deutschen Filme aus jenen Jahren gilt (1940). Krahl war Österreicherin und befürwortete öffentlich den „Anschluss“ von 1938. Ich nehme ihr ab, dass sie als junger, unerfahrener Mensch wirklich an die Nazis geglaubt hat, wie so viele andere, auch in Österreich, wo das ja heute niemand mehr wahrhaben will.
In „Liebe 47“ referiert sie als Frau von etwas mehr als 30 Jahren, die viel erlebt hat, über diese Gläubigkeit. Wozu es nicht kommt, ist eine wirkliche Analyse, und das ist vielleicht besser so. Denn wer konnte 1949 schon wirklich analysieren, was er da mit angerichtet hatte? Nur der Kern der Täter, die Manipulatoren, hätten das gekonnt, und die waren tot oder hatten sich noch stärker gewandelt als Liebeneiner, der sich immerhin Gedanken über das Gestern macht. Auf eine Weise, dir mir manchmal zu umständlich und theaterhaft war, auch die Traumsequenzen und das alles fand ich etwas überdehnt. Es ist ein typischer Mit-der-Faust-aufs-Auge-Film geworden, wie sie in Deutschland häufiger vorkommen, wenn ein Thema etwas mehr als nur ganz oberflächlich beleuchtet werden soll.
Die Figur des Beckmann ist undurchsichtiger, aber auch exemplarischer. Karl John wirkt so harmlos in seiner Rolle als früherer Soldat, dass er viel mehr als Anna nicht frustriert, sondern traumatisiert wirkt. Er hatte, ähnlich wie sie einen Mann, der im Krieg geblieben ist, eine Frau, die sich von ihm abwandte, ein Kind und ähnlich wie sie alles verloren, aber er kann dem Vorwurf, dass die Frauen so viel aushalten mussten, weil die Männer weg im Krieg waren, nur schwer etwas entgegensetzen. Außer, dass man doch für dieselbe Sache gekämpft habe, an der Ostfront und an der Heimatfront. Dementsprechend quälend sind die Dialoge des Films, die vermutlich eng am Stück „Draußen vor der Tür“ geführt wurden, das als Vorlage diente und in der Tat 1947 erschien, in dem Jahr, in dem der Film, von den Rückblenden abgesehen, spielt.
Das Motiv, dass das Ehebett besetzt ist, wenn der Kriegsheimkehrer es geschafft hat, seine Familie ausfindig zu machen, ist damals fast so präsent gewesen wie der Verlust des Ehepartners in den Kämpfen. Liebeneiner wollte unbedingt beide Formen von Verlust zeigen, daher auch die Erfindung einer zusätzlichen Figur, die ganz auf seine Sicht und das, was er sicher mit seiner Frau privat unzählige Male besprochen hat, zugeschnitten war. Insofern sind die Dialoge wohl doch auch aus Monologen herausgearbeitet worden. Diese Ansicht bestätigt sich, ich habe mich gerade ein wenig zur ausführlichen Wikipedia-Beschreibung von „Draußen vor der Tür“ weitergelesen. Interessanterweise wird schon das Stück von der einen oder anderen kritischen Stimme als zu sehr auf die Deutschen als Opfer, auch ihrer eigenen Gesinnung vielleicht, bezogen kritisiert. Inwieweit in Fragen ohne Antworten, wie Beckmann am Ende des Stücks dasteht schon als eine Art der Selbstentnazifizierung bezeichnet werden kann, darüber werden die Meinungen sicher weiterhin auseinandergehen. Der expressionistische Stil wurde in den Film teilweise übernommen, es gibt auch Momente, die im Stück nicht vorkommen können, weil sie als Realdarstellung zu aufwendig gewesen wären, wie eben die Rückblenden.
Als die Kritik nach dem Oberhausener Manifest links wurde, anders als das Filmlexikon, das wir für seine im Grunde sehr konservative Haltung auch immer wieder kritisieren, sah es etwas anders aus als dort beschrieben. Von Bandmann / Hembus wird Liebeneiner als ewiger Opportunist bezeichnet, der – sic! – einen Selbst-Entnazifizierungsfilm gemacht habe. Nach meiner Ansicht hätte er den aber nicht machen müssen, um in der BRD wieder gut ins Filmgeschäft zu finden. Insofern ist da durchaus eine Tür aufgegangen, die sich etwa ab 1950, auch in Bezug auf Liebeneiners eigene Werke, wieder geschlossen hatte. Es war ein ziemlich kalter Wind, der durch diese Tür wehte. Auch wenn Liebeneiners Film das Theaterhafte zu genau übernommen hat und an anderen Stellen zu viel beigefügt wurde, ist der Film, wie das Stück, das heute noch zum Kanon der deutschen Nachkriegsliteratur zählt, ein beredtes Zeitzeugnis. Dass es ihm an Vollständigkeit mangelt, dass es gar zu plakativ ist, wie versucht wird, die Verantwortung weiterzugeben und dass man sich nur auf die deutschen Opfer konzentriert, ist zweifellos ein Mangel und im Vergleich zu anderen Trümmerfilmen ist „Liebe 47“ auch recht lang und dialoglastig. Zum Film findet man im Wikipedia-Text zum Stück mehr als in dem zum Film:
Nach Borcherts Drama entstand 1949 der Kinofilm Liebe 47. Regie führte Wolfgang Liebeneiner, der auch die Uraufführung in den Hamburger Kammerspielen geleitet hatte. Stellvertretend für das Schicksal der Frauen im Nachkriegsdeutschland stellte er Beckmann – dargestellt von Karl John – die neu geschaffene Figur der Anna Gehrke – gespielt von Hilde Krahl – an die Seite. Der Film wurde so für Erika Müller in der Zeit „ein Film, der besonders zu den Frauen spricht“,[109] allerdings kein Kassenerfolg, wofür Burgess sowohl Liebeneiners Bearbeitung als auch die veränderte wirtschaftliche und politische Situation in Deutschland verantwortlich machte.[110] Gehörte der Film 1959 für Rudolf Oertel noch „[z]u den wenigen Filmen, die die Nachkriegssituation Deutschlands überzeugend zu gestalten wussten,“[111] urteilte Adolf Heinzlmeier 1988: „Der Regisseur verzerrt und entstellt das Original, macht eine scheinproblematisch-seichte Heimkehrerschnulze daraus mit Optimismus und Happy End“.[112][113]
Finale
Schon das Stück kam einigen späteren Rezensenten, die nicht mehr aus der Unmittelbarkeit der Nachkriegssituation schrieben, problematisch vor, im Inland mehr als im Ausland, was sich relativ gut erklären lässt, weil hierzulande die Frage nach der deutschen Schuld bis heute bearbeitet wird, während man abroad eher das Universelle an der Figur Beckmann wahrnimmt. Irgendwie kommt mir gerade in den Sinn, dass Beckmann tatsächlich beides ist. Seine Mischung aus vordergründiger Tiefgründigkeit, dem Fragen ohne Ende und dem Stellen der Fragen an Instanzen, die typischerweise keine Antwort geben, eine Larmoyanz und das Pathos sind schon sehr deutsch im Sinne der Tradition, aus der das Stück entstanden ist, aber auch den Zeitumständen geschuldet, die in Deutschland nun einmal andere waren als in irgendeinem anderen Land. Das Stück und eigentlich noch mehr der Film versuchen, diese Wirklichkeit und das Sein der Generation junger Kriegsheimkehrer auf breiterer Ebene zu erfassen, als andere Trümmerfilme es tun, die bewusst nicht „intersubjektiv“, sondern sehr subjektiv angelegt sind, ähnlich wie vieles, was die Literatur der „47er“ noch hervorbringen sollte. Borchert hingegen, und das merkt man auch dem Film an, sah sich selbst als im Expressionismus verwurzelt, den wir im Wahlberliner gerade in seiner filmischen Erscheinungsform der 1920er behandeln.
Seine soziale Entwurzelung hingegen, die ihn zu einem Außenseiter unter Außenseitern macht, kann man auf alle möglichen Gruppen übertragen, die sich nicht in der wohligen Mitte der Gesellschaft wiederfinden.
Unter den „Trümmerfilmen“, die wir nun mehrheitlich auf dem Filmfest vorgestellt haben, nimmt nach 75 Jahren „Liebe 47“ keine herausragende Position ein, sondern wirkt ziemlich aufgeblasen, im Vergleich zu den schlichten, manchmal auch sehr schlicht-kräftigen Darstellungen in anderen Werken des zeitgebundenen Genres. Ich weiß natürlich auch, dass Wolfgang Liebeneiner der am meisten belastete unter den Trümmerfilme-Filmern war, er ist unter anderem für den unmenschliche Propagandafilm „Ich klage an“ (1941) verantwortlich gewesen – und einer der erfolgreichsten Regisseure in der BRD wurde, die schon während des NS-Regimes erfolgreich waren. Einige seiner Filme aus den 1950ern zählten zu den großen Hits ihrer Zeit. Wenn Filme ethisch problematisch oder abzulehnen sind, selbst gut gemachte, gibt es bei uns Sonderabzüge, die den Punktestand verringern, der nach rein handwerklichen Gesichtspunkten zu vergeben wäre. Wie aber sieht es aus, wenn ein Film selbst gar keine solchen Mäkel hat, aber wichtige Mitwirkende Mitläufer oder sogar aktive Befürworter des NS-Systems waren? Die Frage stellt sich bei Filmen ab 1947/48 in Deutschland, nachdem Berufsverbote der frühen Nachkriegszeit aufgehoben wurden. Auf der Besetzungsliste eigentlich aller, auch der von uns sehr geschätzten Trümmerfilme, finden sich Namen, die kritisch zu betrachten sind. Bei den Darsteller:innen machen wir deswegen keine Abzüge. Die ebenfalls als Befwüroterin des NS-Systems geltende Hilde Krahl spielt darin genauso mit wie derWiderständler und KZ-Inhaftierte, der bald in der DDR einer der gefragtesten Schauspieler werden sollte.
Doch wie sieht es mit den Regisseuren und Drehbuchautoren aus? Wir haben uns entschlossen, beim Film selbst zu bleiben und auch ehrliche Aufarbeitungsversuche nicht zu unterschätzen. Ob „Liebe 47“ ein solcher Versuch ist? Man merkt, dass er aus einer anderen Position heraus gefilmt wurde wie die Werke, deren Erschaffer sich haben nichts oder wenig zuschulden kommen lassen. Widerständler gibt es unter ihnen sowieso nicht, sie hätten ja emigrieren müssen oder wären ermordet worden. Später gab es einige Rückkehrer, wie Fritz Lang. Was wir auch nicht tun: Einen Film niederschreiben wegen vorgeblich schlechter Machart, weil er von einem der „Belasteten“ des vergangenen Systems stammt. Wir versuchen, da ehrlich zu bleiben. Wir erwähnen Verstrickungen aller Art sehr wohl, wir schauen auch genau hin, welche Spuren der Vergangenheit Filme zeigen, aber wenn wir nichts finden, aber wir treten davon zurück, wenn es um unsere Meinung zum Werk geht.
72/100
© 2024 Der Wahlberliner, Thomas Hocke (Entwurf 2023)
(1), kursiv, tabellarisch: Wikipedia
| Regie | Wolfgang Liebeneiner |
|---|---|
| Drehbuch | Wolfgang Liebeneiner |
| Produktion | Hans Abich Rolf Thiele (beide ungenannt) |
| Musik | Hans-Martin Majewski |
| Kamera | Franz Weihmayr |
| Schnitt | Walter v. Bonhorst |
| Besetzung | |
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