Spiel mit Karten – Tatort 114 #Crimetime 1245 #Tatort #München #Veigl #Lenz #Brettschneider #BR #Karten

Crimetime 1245 – Titelfoto © BR

Kein As im Spiel?

Spiel mit Karten ist ein Fernsehfilm aus der Krimireihe Tatort. Der vom Bayerischen Rundfunk produzierte Beitrag wurde am 27. Juli 1980 im Ersten Programm der ARD erstgesendet. Es ist die 114. Folge der Tatort-Reihe. Für Kriminalhauptkommissar Melchior Veigl ist es sein 14. Fall.

Der Tatort hat glanzvolle Momente und spiegelt alles Elend dieser Welt wider. Er ist wohl einmalig auf der Welt in seiner nunmehr 45 Jahre andauernden Rezeption und Reflexion der deutschen Lebenswelt anhand von – überwiegend – Mordfällen. Was davon zeigt der Tatort Nr. 114? Wir klären es in der Rezension.

Handlung

Der Inhaber und Redakteur eines Werbeblattes verunglückt tödlich auf einer Nachtfahrt. Arbeiter der städtischen Verwahrstelle stellen beim Abtransport des Autowracks fest, dass seine Bremsleitungen durchtrennt waren. Ein Fall für die Mordkommission also.

Bei seinen Nachforschungen erfährt Kriminalhauptkommissar Veigl, dass der Tote regelmäßiger Besucher von Pferderennen war und, um seine hohen Wettverluste zu decken, ein einträgliches „Spiel mit Karten“ betrieb. Das heißt, der Werbefachmann hielt sich heimlich eine Kartei, in die er Verfehlungen und Laster wohlhabender Mitbürger eintrug, die er dann je nach Bedarf erpresste.

Seltsam ist allerdings das Betragen der Ehefrau des Ermordeten, die offen zugibt, ihren Mann gehasst zu haben, noch seltsamer, dass die Erpressungen mit dem Tod des Erpressers nicht aufhören.

Einem reichen Textilfabrikanten wird die Aufdeckung seiner Affäre mit einem ihm anvertrauten Au-Pair-Mädchen angedroht, wenn er nicht bereit ist, die geforderte Summe zu bezahlen. In der Redaktion des Werbeblattes wird eingebrochen. Drei Dezernate – Mord, Erpressung und Einbruch – arbeiten an ein und demselben Fall. Wird die Fährtensuche des Kriminalhauptmeisters Lenz auf dem regennassen Boden eines Parkplatzes, die Veigl schlichtweg als „Indianerspielerei“ bezeichnet, vielleicht den entscheidenden Hinweis bringen?

Rezension

Und dann gibt es Filme wie „Spiel mit Karten“. Selten war ein Tatort unpolitischer und mehr das, was man auch in Vorabendserien als reinen Krimi durchgehen lassen würde. Ein gutes, eingespieltes Münchener Team zeigt hier schon Verfallserscheinungen, die Handlung plätschert dahin und wird von viel Geplapper  dominiert, der Fall nimmt immer neue Wendungen, ohne dass eine davon besonders zwingend oder überraschend wäre.

Allerdings ist „Spiel mit Karten“ auch der zweitletzte Tatort der ersten Bayern-Staffel, in welcher der Volksschauspieler Gustl Bayrhammer den Kommissar Veigl gegeben hat. Begleitet wird er von Hauptmeister Lenz, der später übernehmen wird, und von Obermeister Brettschneider, der auch Lenz in dessen Anfangszeit begleiten wird. Mit dieser Dreierkonstellation nimmt München bereits etwas vorweg, was heute üblich ist: Das Hand in Hand arbeitende, nie ganz konfliktfreie, aber im Ganzen additional funktionierende Team, das auch die aktuellen Münchener  Batic / Leitmayr bis in die 2000er hinein darstellten, als dritter Mann mit dem humorvoll-schlunzigen Einschlag gab es Carlo Menzinger, dessen Rolle der von Lenz am nächsten steht.

Auffällig an „Spiel mit Karten“ ist die teilweise wurschtig, nicht nur weißwurschtig wirkende Spielweise von Gustl Bayrhammer. Vielleicht ärgerte er sich, dass Veigl nicht mit Dackel auftreten durfte, doch auch die anderen Mitwirkenden sind allenfalls durchschnittlich gut eingesetzt. Viele Tatorte werden gerne vorschnell als Routineprodukte eingestuft, wenn sie nicht ganz besondere Merkmale aufweisen, sondern einfach nur solide gemacht sind, aber hier kann man wirklich von „Routine“ sprechen. Verstärkt wird der Effekt durch die etwas billig wirkenden Beamtenwitze, die von der Stange kommen, nicht aus der Maßkonfektion, gemindert kaum durch die Zusammenarbeit mit anderen Dezernaten, die nicht spannungsreich ausgespielt wird, sondern anmuten wie die Parade von Diensthabenden klassischer deutscher Art. Dazu passt die Jubiläumsparty mit dem Jubiläums-Partywitz, der hier nicht verraten wird.

Ein weiterer Umstand, der diesen Film sehr konservativ wirken lässt, ist die Verortung vieler Szenen in Kneipen, die so sind, wie man sich Kneipen jener Zeit, besonders in Bayern, nun einmal vorstellt. Der Bierdunst und der Tabakqualm wirken hier nicht wie ein fernes Echo aus einer Zeit, in welcher der Lebensstil am neuwohlständigen Genuss und nicht an der zur Gerade-so-Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit notwendigen Selbstoptimierung ausgerichtet war, sondern neben den Zeitströmungen, an den Zeitströmungen vorbei, hinter einer Welt zurück, die es immer schon gab, nämlich derjenigen interessanter und besonderer Menschen. Bieder ist ein anderes, heute noch gebräuchliches Wort dafür.

Anbiedern tut sich „Spiel mit Karten“ hingegen nicht. Es gibt keine sympathische Figur darin, der man irgendetwas wünscht; zum Beispiel, dass sie nicht der Mörder sein möge, und es gibt keinen Applaus für die seltsamen Vorgänge, die sich hier breitmachen oder dafür, dass ein damals schon nicht mehr neuer Ford Granada geschrottet werden darf, dessen Bremsleitungen angeschnitten worden sind.

Die Doppelbedeutung des Titels im Sinn der Karteikarten des Mordopfers, auf denen dieses penibel notiert hatte, wie sich verschiedene Personen erpressen lassen, andererseits als Bremsleitungsleitungs-Zerstörungsanleitung erläutert durchaus die sehr gewollte Konstruktion des Films. Mag es die Karteikarten-Sache noch geben, heute wäre es eine Worddatei, oder vielleicht eine Excel-Datei, in der die zu erpressenden Personen nach Kriterien wie einem elaboriert erstellten Erpressbarkeit-Ranking zu sortieren wären, also, könnte es noch sein, dass ein Erpresser sich auf diese Weise bürokratisch, wie ein Beamter, mit seinen künftigen und gegenwärtigen Opfern auseinandersetzt, um nichts zu vergessen, dann ist die Karte mit der Anleitung, wie das Auto anzugehen ist, in Form einer Karte gezeichnet, wirklich ein Gag. Dass daraus ein Beweismittel werden kann, ist sehr offensichtlich.

Natürlich geht es darum, dass der Verdächtige selbst ein Alibi haben muss und daher einen Angestellten hinschickt, um das Wagenheber-Bolzenschneider-Werk auszuführen, und da dieser nicht so Auto-versiert ist, kriegt er eine Skizze mit, aber man stelle sich vor, er liegt da auf einem Parkplatz unter dem Wagen, der ständig von Gästen besucht wird, muss erst einmal mit der Taschenlampe nach der auf dem Plan bezeichneten Stelle suchen, die er dann auch noch ordnungsgemäß findet und tatsächlich fertig wird, bevor irgendwer vorbeikommt und sich über die Schatzsuche eines rücklings daliegenden und den Wagenboden betrachtenden Menschen wundert. Skripte, die rein konstruktiv angelegt sind, neigen zur Verzettelung, denkt sich der Beobachter 36 Jahre nach Entstehung des Tatorts.

Fazit

In eine zünftige Bayern-Kollektion gehört natürlich auch „Spiel mit Karten“, da beißt die Maus keinen Faden ab. Und da eine zünftige Bayern-Kollektion Teil einer umfassenden Gesamtkollektion ist, wie sie hier für den Wahlberliner erstellt wird, war die Freude darüber beachtlich, dass der BR hin und wieder einen Uralt-Tatort auf den Bildschirm bringt, und zwar ohne modischen Schnickschnack wie die Umsetzung ins 16:9-Format, die man zuletzt einigen norddeutschen Tatorte aus jenem Jahrzehnt angedeihen ließ, bei gleichzeitig kaum verkennbarer Digitalbearbeitung. Nein, wenn schon alt, dann richtig.

Das ändert aber nichts daran, dass es nicht möglich ist, bei diesem Film die vorgegebene Mindestwörterzahl für eine große Rezension im Rahmen der Wahlberliner-TatortAnthologie zu erreichen, ohne komplett ins Schwafeln zu kommen. Daher sei an dieser Stelle abschließend erwähnt:  Wer das Besondere sucht, seine Lebenszeit mit dem Besten oder nichts verbringen will, der muss diesen Film meiden. Wer die Reihe als Kollektion auffasst, der wird auch diesen Tatort schätzen. Ich meine, das Durchschnittliche ist wichtig, damit das Außergewöhnliche kenntlich wird.

Anmerkung anlässlich der Veröffentlichung des Textes im Jahr 2024: Wir haben nichts Wesentliches geändert, aber ein wenig geschmunzelt. Diese Rezension zeugt davon, dass es bald zu einem Break kommen würde, er wirkt in etwa so verknotet, wie wir wohl den Tatort empfunden haben, der darin rezensiert wird. Ende 2016 stellten wir den „ersten Wahlberliner“ ein und öffneten die Pforten der heutigen Version des Blogs wieder im Juni 2018. Nach knapp 500 Beiträgen endete am 31.12.2016 auch die Tatort-Anthologie. Heute heißt sie Crimetime, beinhaltet auch Texte zur Reihe Polizeiruf und zum einen oder anderen Krimi, der nicht sonntags um 20.15 Uhr Premiere feiert wird.  Mittlerweile besteht „Crimetime“ aus einem großen Fundus von 1245 Rezensionen, überwiegend Tatorte, die Wiederveröffentlichung der Texte aus dem ersten Wahlberliner eingeschlossen, aber auch solchen, die damals nicht mehr publiziert wurden, obwohl sie noch während der aktiven Phase des Vorgängerblogs geschrieben wurden. Zu letzterer Kategorie zählt die vorliegende Kritik zu „Spiel mit Karten“.

5,5/10

© 2024 Der Wahlberliner, Thomas Hocke (Entwurf 2016)

Kursiv, tabellarisch: Wikipedia

Regie Wolf Dietrich
Drehbuch Theo Regnier
Produktion Peter Hoheisel
Musik Ernst Brandner
Kamera Werner Kurz
Schnitt Karin Fischer
Premiere 27. Juli 1980 auf Deutsches Fernsehen
Besetzung

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