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Die Taz hat gerade ein Interview mit Georg Kurz veröffentlicht. Der Name wird den meisten Menschen nichts sagen, deshalb lesen Sie bitte erst einmal hier: Erfolgsrezept für linke Parteien: „Teil der Gesellschaft sein“ – taz.de.
Der Kommunist Georg Kurz, der bei der KPÖ sozusagen eine Lehre gemacht hat, will die Erfahrungen aus Österreich mitnehmen, um beim Reorganisieren der Linken zu helfen. Kann das funktionieren?
Österreich ist nicht Deutschland. Aus meiner eigenen Zeit dort habe ich das Gefühl, dass die Österreicher:innen am Ende pragmatischer sind, höflicher, konsensbereiter, auch wenn die Rechten dort ebenfalls derzeit große Erfolge erzielen. Bzw. das in Form der FPÖ schon länger tun. Aber natürlich hat Kurz, der witzigerweise den gleichen Nachnamen trägt wie ein gewisser gescheiterter Kanzler von Österreich, in ganz vielem recht, was er sagt. Mich hat natürlich besonders die Darstellung zur Mietenbewegung in Berlin angesprochen. Erik Peter von der Taz, der das Interview gemacht hat, ist bei diesem Thema der Beste, den die Zeitung hat und hat immer auf unserer Seite – pardon, wenn ich das „wir“ verwende – gestanden.
Welche Gedanken sind spontan beim Lesen des Artikels entstanden?
Die KPÖ ist mir als ehemaliges Mitglied der Linken in Berlin natürlich ein Begriff. Aus meinem Bezirk sind – sic! – Funktionär:innen nach Graz gefahren, wo auch Kurz tätig war, um sich anzuschauen, wie linker Erfolg geht. Das war schon vor Jahren, als der Erfolg noch nicht so groß war wie aktuell. Und dann ist es passiert. Viele von denen, die das KPÖ-Modell so richtig gut fanden, sind aus der Linken ausgetreten und haben sich Sahra Wagenknecht angeschlossen. Der Rest ist marginalisiert, tut aber teilweise so, als habe die Spaltung gar nicht stattgefunden. Vielmehr aktiviert man die verbliebenen Gemeinsamkeiten, die geopolitisch, nicht sozial ausgefasst sind. Diese Kumpanei mit Menschen, die dem Autoritarismus positiv gegenüberstehen, halt ich für ganz fatal für linke Politik in einer Demokratie.
Kurz ist aber in der Linken, nicht im BSW.
Sonst würde es diesen Artikel nicht geben. Über das BSW schreibe ich anders. Leider gibt es zu Kurz‘ außenpolitischen Positionen keinen Satz in dem Interview. Sicher war das Absicht, denn das Merkmal sollte sein, die soziale Kümmererpartei hervorzuheben, die ja auch die Linke sein will.
Was sie aber nicht schafft, wie mindestens indirekt aus Kurz‘ Einlassungen hervorgeht.
Die Linke wird von den BSW-Populisten als elitär markiert, was sie in der Form nicht ist. Fast alle Kampagnen der Linken, die ich kenne, waren sozial ausgerichtet, nicht gesellschaftspolitisch. Bezüglich der Migration gibt es aber in der Tat eine Quasi-Open-Border-Haltung, die Wagenknecht angreift, aber die den meisten im Land gar nicht bekannt ist, im Allgemeinen werden immer noch die Grünen für die in der Migrationsfrage progressivste Partei gehalten. Da hat man nach meiner Ansicht einen Fehler gemacht, das hätte alles ein bisschen mittiger und mehr austariert sein müssen. Gut, dass auch die politischen Gegner dieses Papier, ich glaube es ist aus dem Jahr 2018 oder 2019, nicht kennt. Nun ja, die Linke noch kleinzureden ist, ja auch nicht mehr notwendig.
Jede nicht maximal progressive Haltung ist doch Wasser auf die Mühlen des Populismus, weil man sich ihm anpasst.
Nein. So, wie Macht langfristig und strukturgebunden erkämpft werden muss, müssen auch Positionen immer weiterentwickelt werden. Wir können heute nicht Positionen vertreten, die erkennbar nur dem Kapital nützen, wenn man sie wirklich so umsetzt, solange das Kapital noch dermaßen dominiert wie jetzt. Deswegen habe ich immer gesagt, die Linke braucht eine Programmatik, die sich als Roadmap darstellen lässt. Das ist recht anspruchsvoll, aber man kann es auch geschickt vereinfachen, es beinhaltet immer aber „wenn, dann“. Wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind, wenn wir uns dies und jenes mit euch zusammen erkämpft haben, dann können wir den nächsten Schritt gehen. Diese Strategische hat die Linke in Deutschland gar nicht drauf, sondern macht, genau wie alle anderen Parteien, nur in noch längerer Form, ein Forderungs-Programmheft auf, das gerade wegen seiner Länglichkeit auch noch die Widersprüche darin gut zutage fördert. Eine Partei, die etwas erreichen und nicht nur das Bestehende bewahren will, muss sich aber auch als Baumeisterpartei begreifen, nicht nur als Forderungspartei. Außerdem ist das Fordernde auch bei der Linken nicht visionär genug und viel zu umständlich.
Man verzettelt sich im Wortsinn. Ich habe mich jetzt am ca. 140-seitigen Bundestagswahlprogramm 2017 orientiert, das außerdem noch etwas anderes zeigt. Die Linke ist in sich zu divergent. Damals mussten vom Wagenknecht-Flügel über die Kommunistische Plattform bis zu den „Antideutschen“ alle integriert werden, das kann nur zu Ausfransungen führen.
Und das ist mit dem Abgang der Wagenknecht-Fraktion besser geworden?
Kaum. Ich sehe keine Möglichkeit, wie sich die Kommunistische Plattform und bestimmte weit von ihr entfernt liegende Gruppierungen so aufstellen sollen, dass sie nicht immer wieder aneinandergeraten und immer wieder Funktionäre allein daran scheitern, dass sie einer der Gruppierungen angehören und bei anderen Gruppen nicht wohlgelitten sind. Ausgerechnet die Kommunisten mit ihrem extrem anti-äquidistanten Verhältnis zum Imperialismus sind ein erheblicher Störfaktor dabei, die Linke zu einer Kümmererpartei zu machen, die sich nicht in fragwürdiger, überholter Ideologie verzettelt. Bezeichnenderweise ist es auch nicht diese Gruppe, die das gemacht hat, was Kurz, also ein Kommunist, beschreibt: die mühevolle, aber langfristig ertragreiche Arbeit vor Ort. Das haben in meinem Bezirk zum Beispiel die Leute gut verstanden, die jetzt beim BSW sind, sodass das BSW wohl überwiegend die Früchte dieser linken Arbeit ernten wird, ohne selbst links zu sein. In Österreich gab es keine solche Abspaltung, die viel Substanz kostet, nebenbei bemerkt.
Grundsätzlich ist das Kümmern-Prinzip aber richtig?
Das ist ein mühevoller Weg zum Erfolg, dem sich Sahra Wagenknecht zum Beispiel nie gestellt hat. Sie stellt sich jetzt auf gutwillige Ex-Mitglieder aus der zweiten und dritten Reihe, die das für sie erledigen. Wenn das mal gutgeht. Populismus und sich wirklich bis ins Detail mit den Problemen der Menschen befassen, das verträgt sich schlecht. Da haben wohl auch einige die Nerven verloren, war ihnen alles zu aufwendig, und der BSW-Erfolg gibt ihnen im Moment recht. Warum diese Kleinarbeit, wenn man mit ein paar markigen Sprüchen den halben Osten abholen kann? Zusammen mit der AfD und mit einer noch total unterbesetzten Partei, die sich gar nicht kümmern kann, weil sie dafür die Strukturen nicht hat. Und, wenn Wagenknecht wirklich alle Mitglieder persönlich abnicken muss, auf absehbare Zeit auch nicht haben wird. Nicht die paar Leute für die Parlamente, die fehlen würden, die werden sie schon zusammenkriegen, sondern die nicht vorhandene Basis macht das BSW zu einer kopflastigen Personenkultpartei.
Aber das BSW ist ja auch nicht links, siehe oben.
Linke Politik ist, was die im Interview erwähnte Berliner Bausenatorin gemacht hat, hier sind Bewegung und Partei eine Symbiose eingegangen und jetzt verstehen einige in der Bewegung nicht, dass Sahra Wagenknecht nicht ihre Freundin ist, sondern dass sie sich wohl oder übel mit den „Gesellschaftslinken“ ins Boot setzen müssen, um das Kapital wirklich mal ein wenig schütteln zu können, mehr wird ja vorerst nicht drin sein.
Gemeint ist die Mietenbewegung als Fallbeispiel dafür, dass ganz unterschiedliche Menschen ihre Interessen bündeln können, wie der erfolgreiche Volksentscheid „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ im Jahr 2021 gezeigt hat.
Das war eine Sternstunde des Willens der Mehrheitsbevölkerung. Keine Abschottung, kein Rassismus, sogar FFF hat sich für den Entscheid ausgesprochen, ein großer sozialer Move, so könnte es gehen, gegenseitige Solidarität inklusive, wenn Menschen ihre Interessen wirklich verfolgen und sich nicht von den Rechten gegeneinander aufhetzen lassen.
Man kann jemanden, dem es mies geht, nicht zuerst schulmeistern, sagt Kurz. Auch wenn derjenige gerade rechts hyperventiliert.
Das ist hohe Schule. Nicht rechtes Gedankengut abzunicken, sondern ernsthaft zu diskutieren mit den Menschen, ohne sich über sie zu stellen und dadurch als Teil der Herrschaft und als Bedrohung, wie Kurz sagt, empfunden zu werden. Das ist Jeden-Tag-Arbeit, echte politische Arbeit, die so wertvoll ist wie jede andere systemrelevante Arbeit. In diesem Fall, um das System endlich wieder vom Kopf auf die Füße zu stellen, damit es den Menschen dient und nicht der erwähnten Mehrheit von einem Prozent, die im Moment davon profitiert, dass die anderen sich die Köpfe einschlagen, wie es im Interview auch heißt.
Alle Parteien gehen aber derzeit mit schlechtem Beispiel voran und beeilen sich, die AfD möglichst hochzujazzen, indem sie deren Positionen übernehmen.
Das wird krachend in die Hose gehen. Ich bin gespannt, ob es in einer Woche in Brandenburg gerade noch funktionieren wird, dass ein Ministerpräsident mit Rechtsrhetorik die Rechten in Schach halten kann. Wenn, dann nur, weil er sich über lange Zeit eine Beliebtheit aufgebaut hat, die die Menschen über vieles hinwegsehen lässt oder diese Beliebtheit sogar verstärkt. Weil sie eben nicht politisch mitgenommen, sondern immer mit Manipulationen gefüttert wurden und werden, die ihre schlechten Eigenschaften verstärken und die guten unterdrücken. Langfristig wird sich das nicht auszahlen, der AfD nach dem Mund zu reden.
Dann ist Solidarität im System also auch nicht erwünscht?
Natürlich nicht. Der ungehinderte Kapitaldurchgriff ist ja nur möglich, weil sich die davon negativ Betroffenen nicht solidarisieren. Alle relevanten Parteien außer in Maßen der Linken sind so gestrickt, dass sie die Menschen auseinandertreiben möchten.
Auch die SPD?
Von dieser Partei kann man gar nicht genug enttäuscht sein. Wo bleibt der bessere Mieterschutz, den sie in den Koalitionsvertrag geschrieben hat? Was ist mit dem Wohnungsbau? Wo bleibt das Klimageld, das zwar von den Grünen stammt, aber nur mithilfe der SPD umgesetzt werden kann? Der kleinste Koalitionspartner, die Kapitalvertretungsstelle FDP, dominiert das Regierungsgeschehen und trägt bewusst dazu bei, die Demokratie gegen die Wand zu fahren. Diese Leute sind übrigens der AfD näher als die in jeder anderen Partei, aber dieses Häuflein braucht natürlich keinen Unvereinbarkeitsbeschluss, mangels Relevanz. Wir werden sehen, wie es weitergeht, dort, wo die Relevanz vorhanden ist oder neu entsteht. Man kann über die gegenwärtige Politik aus linker Sicht im Grunde gar nicht mehr diskutieren. Man kann sich nur an den Kopf fassen oder dagen, das ist eh alles Absicht, diese Leute wollen die Demokratie gar nicht mehr.
Aber sie sind in den Augen der Mehrheit Bestandteil der Demokratie, auch die AfD. Sind Kommunisten wie Kurz auch Demokraten? Das ist uns doch wichtig.
Aus dem Interview habe ich nichts Gegenteiliges herausgelesen. Auf jeden Fall ist seine Haltung an einer Stelle antipopulistisch insofern, als er die gemeinsamen Interessen der Mehrheit, gleich ob migrantisch oder nicht geprägt, hervorhebt, wo das BSW spaltende Rhetorik der AfD aufgreift. Es gibt die blinde Stelle der Außenpolitik und wie Frieden aufgefasst wird, aber ich kann nur beurteilen, was im Interview steht. Falls Kurz sich einmal geopolitisch einlässt, kann man eine Ergänzung vornehmen. Das, was er hier sagt, teile ich jedenfalls in weiten Teilen, auch wenn ich es für eine Herkulesaufgabe halte, die deutsche Linke wieder neu aufzustellen. Aber er muss das wissen, er ist mit den aktuellen Strömungen, Problemen und Chancen besser vertraut als ich. Vielleicht wird es weitere Abspaltungen geben.
Vielleicht ausgerechnet die Kommunisten, also seine Fraktion?
Da fehlt es eben an der geopolitischen Komponente. Ich weiß nicht, ob die KPF-Leute so ticken wie er, die stehen häufig der DKP nah, wissen aber, dass sie in dieser marginalisierten Partei keinen Einfluss auf die Politik nehmen könnten, das Gleiche gilt für diejenigen, die der MLPD ideologisch verwandt sind. Aber wenn die Linke weiter niedergeht, wird sich das Haltemoment der besseren Einflussnahme vielleicht so weit abschwächen, dass es wirklich zu einer weiteren Abspaltung kommen wird, wenn auch nur in Teilen. Für mich schwer einzuschätzen, die KPF (die Kommunistische Plattform in der Linken) hat jedenfalls ständig etwas am Kurs des „Mainstreams“ der Partei auszusetzen.
Wäre es nicht besser, angesichts der linken Verknotungen, neu anzufangen und eine moderne, antikapitalistisch-äquidistant-antiimperialistische Partei aufzubauen?
Ich denke manchmal so. Es wäre übrigens für mich eine im Wesentlichen trotzkistische Partei, um es zu konkretisieren. Aber woher die Strukturen nehmen, die Leute einsammeln, noch eine neue Partei usw., ist es nicht mal irgendwann genug? Notwendig ist eine starke Linke, aber ich halte es nicht für ausgeschlossen, dass aus diesem Aschehaufen, in den das BSW die aktuelle Partei verwandelt hat, sie wieder als Phönix emporsteigen wird, wenn sie eisern so arbeitet, wie Kurz es vorschlägt, stabil an den Menschen bleibt, sich nicht an ideologischen Komponenten abarbeitet, die diesen Menschen so fern sind wie der Mond. Es gibt eben nicht den neuen Menschen, den der Kommunismus mal erschaffen wollte, es sind immer noch dieselben Typen wie vor 100 Jahren, mit denen man umgehen muss, das müssen auch Kommunisten als Arbeitsgrundlage akzeptieren.
Aber die Kommunisten können doch auch Arbeit am Menschen, trotz ihrer Ideologie.
Ja, diejenigen, die ich aus meinem Bezirk kenne, können das. Sie haben eigentlich damit angefangen und sind dabei auch sehr projektorientiert gewesen, etwa mit dem Schutz von Jugendeinrichtungen, die natürlich jetzt auch alle weggentrifiziert sind. Ich hoffe, Kurz unterschätzt nicht die Auswirkungen der vielen verlorenen Kämpfe der Zivilgesellschaft in den letzten Jahren, die Zahl derjenigen, die sich in einer wiederstarkten Linken einbringen oder sie zum Wiedererstarken bringen können. Viele von uns sind müde, das muss man einfach mal festhalten. Mich ermüdet es auch, immer wieder das Gleiche schreiben zu müssen, während das Land unaufhaltsam nach rechts driftet.
Warum nicht Marx als starke Rückendeckung, die nie versagt?
Klar braucht es das marxistische Fundament, aber eben nicht wie eine Monstranz vor sich hergetragen, sondern als praktische Lebenshilfe umgesetzt und vor allem zeitgemäß interpretiert, denn nur der neue Mensch, den es nicht gibt, wäre ja theoriefest und sogar in der Lage, die Theorie 1:1 in die Praxis zu übertragen, beim Kümmern und auch bei der Auseinandersetzung mit politischen Gegnern, die auf niedrigstem Niveau versuchen, marxistische Ansätze zu diskreditieren.
Mein Ding sind außerdem die kleinen ökonomischen Strukturen, die man auch im Kapitalismus aufbauen kann, in Berlin gibt es ein paar solcher Projekte. Keines davon ist ideal, weil es in einem nicht idealen Umfeld irgendwie funktionieren muss, aber die Ansätze sind schon richtig. Marx ist da drin, aber gleichzeitig auch höchst unvollständig, weil eben nicht die gesamte Gesellschaftsordnung sich wandelt. Sein Ansatz war insofern viel einfacher, die heutige fragmentierte Gesellschaft muss sich sozialistische Momente und Elemente auf wirklich sehr vorsichtiger und kleinformatiger Basis neu erarbeiten, und das neben dem oder koordiniert mit dem Machtstrukturaufbau, der dann eine Ebene höher wirksam werden soll. Das ist um Lichtjahre elaborierter als das, was die Rechten machen. Dazu braucht es auch ein gewisses Maß an Weltverständnis und zusammenhängendem Denken.
Gerade im Wohnungsbereich lässt sich aber doch beides verbinden.
Dieser Bereich ist hervorragend geeignet, um kleine Experimente zu wagen und auch, um das System zu reformieren. Weil es hier keine Vorteile für alle durch Kapitalakkumulation bei wenigen gibt, kein Für und Wider, wie bei der Industrie, das ausdiskutiert werden muss, wo viele, auch supranationale Interdependenzen berücksichtigt werden müssen. Am Ende würde ich auch beim selben Ergebnis landen, aber die Transformation ist alles andere als einfach. Wo wir doch keine revolutionäre Situation haben, wie Kurz vollkommen richtig und wortgleich mit dem, was ich mehrfach geschrieben habe, festhält.
Wohnungen als konservative und strukturell relativ schlicht funktionierende Renditeobjekte mit Ortsbindung sind anders als hochkomplexe Industriekonzerne. Beim Daseinsvorsorgemodul Wohnen, dem wichtigsten von allen, zeigt sich Kapitalismus in seiner für die Mehrheit sinnlosesten Form. Rendite mit der Miete ist schlicht eine Sauerei, ein Paradebeispiel für leistungsloses Einkommen, und die Bewirtschaftung auf diese Weise kann für die Wohnenden nicht besser sein als eine kollektive Bewirtschaftung, deren Erträge ganz an die Wohnenden zurückfließen. Die Genossenschaften belegen das eindeutig. Deswegen sind sie natürlich komplett überlaufen und dadurch auch wieder nicht chancengleich; der Zugang ist nicht sehr teilhabeorientiert, in den Zeiten des Wohnungsmangels, der natürlich auch ein Ergebnis des „freien“ Bauens ist und einer dem Kapital in den Hintern kriechenden Politik ist.
Kann man sich als Bestandteil der Macht, den die Politik darstellt, wirklich von der Macht fernhalten, der echten, kapitalistischen Macht?
Ich finde die diskutieren Ansätze sehr ehrenwert, wie Teile des Abgeordnetensalärs in Sprechstunden stecken etc. Aber seien wir ehrlich: Das ist noch etwas leichter, solange man quasi in der politischen Diaspora lebt. Wenn man erst einmal regiert und je höher die Regierungsebene, desto mehr wir man von Lobbys bombardiert, eingeschmeichelt oder gar bedroht. Dann zeigt sich, ob es tatsächlich eine Gruppe von Machthabern, notabene Politikern gibt, die dem allem gewachsen bleibt – oder doch den Weg des geringsten Widerstands geht, oder, wie im sogenannten Realsozialismus, nicht dem Volk die Macht gibt, sondern sie selbst übernimmt, als Funktionärskaste.
Ich bin im Moment nicht menschenfreundlich genug, um mir vorstellen zu können, dass diese Entwicklung nicht doch eintreten wird. Diejenigen, die den anderen immer zuhören und Lösung um Lösung für sie anstreben müssen, persönlich, für kleine Gruppen, mit kleinen Projekten, beinahe mikroskopischer politischer Arbeit, wollen vielleicht doch irgendwann dafür mehr haben. Es bräuchte eine ganz starke, nicht durchbrechbare Institutionalisierung ethischer Prinzipien, um das zu verhindern, und wir wissen doch, dass Institutionen immer nur so stark sind wie die Menschen, die sie mit Leben erfüllen.
Mir ist kein Fall einer realen Gesellschaft bekannt, in dem es bisher möglich war, das Ausnutzen von Macht gegen die Mehrheit dauerhaft zu verhindern. Es gibt aber Unterschiede und es wäre schon viel geholfen, wenn Deutschland sich wenigstens einmal auf den skandinavischen Stand leveln könnte. Oder auf den österreichischen, die Standards dort sind für die Menschen, nicht politisch-moralisch, auch besser als bei uns.
Man kann also nicht Macht sein und Teil der Gesellschaft? Wo das eine beginnt, hört das andere auf?
Doch, siehe oben. Aber die meisten Menschen sind damit überfordert. Populismus oder bei Machtgewinn diesen ausnutzen ist eben einfacher als die jahrelange Arbeit vor Ort. Es gibt viele schlaue Modelle, Regierungsformen, die das Festfressen von Macht vermeiden sollen, angefangen von stark rotierenden bis hin zu direkt gesellschaftlich oder bürgergesellschaftlich orientierten Systemen mit kollektivistischer Ausrichtung. Aber wer, wie Kurz, Machtstrukturen aufbauen will, der muss auch in Machtstrukturen denken, und da geht es eben nicht so partizipativ und basisdemokratisch zu. Da deckt er sich natürlich mit Kommunisten, die strikt kaderorientiert denken. Ich kenne aus dem Wagenknecht-Lager auch Leute, die sehr führungsorientiert denken.
Jetzt haben sie dann den passenden Platz gefunden. Keine Mehrheitsentscheidungen mehr, die man akzeptieren muss und wo man zu Recht kritisiert wird, wenn man es nicht tut.
Beim BSW entscheidet eine Person alles. Ich sehe auch, dass Kurz die gesellschaftlichen Bewegungen zwar dankbar als Anstöße aufnimmt, aber ihnen letztlich keine Durchsetzung von Interessen zutraut. Leider gibt ihm die Tatsache, dass z. B. in Berlin „DW & Co. enteignen“ versandet, recht. Trotzdem glaube ich, der Druck von der Straße ist immer eine wichtige Komponente und gesellschaftliche Bewegungen können sich verstetigen und mit strukturierten Parteien kooperieren. In Berlin ist es nämlich so, dass die politischen Kräfte, die „DWE“ voll oder überwiegend unterstützt haben, nicht mehr an der Regierung sind.
Als die Stimmung noch etwas progressiver war, haben z. B. die Grünen das intensivste Verhältnis zur Mietenbewegung gepflegt, nicht die Linke, auch wenn diese dann „DW & Co. enteignen“ deutlicher, einheitlicher unterstützt hat, als es um das Werben für den Volksentscheid ging. Ich sehe da auch keinen Gegensatz. Ich glaube sogar, dass es nur so geht: Eine permanent wache Zivilgesellschaft muss in der Tat darüber wachen, dass die Macht sich nicht verselbstständigt, an die sie ihre Anliegen zur Durchsetzbarkeit im Parlamentarismus delegiert. Ich kann aber auch vestehen, dass viele kaderorientierte Menschen genau deshalb bewegungsfeindlich sind. Immer diese lästigen Auseinandersetzungen mit politisch aktiven Menschen der Zivilgesellschaft, die ja oft keine „geschulten Funktionäre“ sind. Das ist so unpaternalistisch. Sich zu kümmern hingegen ist anders. Es ist bei aller Integration in die Gesellschaft soziale Care-Arbeit, bei der es keine Gleichordnung gibt. Die Zivilgesellschaft, die sich selbst ermächtigt, der Parteifunktionär, der sich um alles kümmert, das sind zwei unterschiedliche Prinzipien, und nun fragen wir uns, was längerfristig mehr Teilhabe und soziale Effizienz gewährleistet.
Und?
Beides hat seine Berechtigung. Und beides darf nicht, wie ich es auch von einigen in der Linken kenne, gegeneinandergestellt werden. Denn sonst haben wir wieder eine Spaltung, die unseren Interessen zuwiderläuft. Menschen gleichberechtigt gegenübertreten ist sogar schwieriger, wenn sie keine Hilfe, sondern Teilhabe wollen, und Hilfe ist dort richtig und wichtig, wo es wirklich brennt und jemand sich nicht selbst helfen kann. Eine moderne Linke muss gesellschaftspolitisch integrativ, bewegungsfreundlich und trotzdem eine Kümmererpartei sein. Und politische Bildung betreiben, damit die Menschen das überhaupt schätzen können. Ich bin gespannt, wie die Linke sich mit der neuen Expertise, die ihr nun zuwächst, entwickeln wird. Wählbar ist sie für mich, wie die jüngsten Wahl-O-Mat-Auswertungen belegen. Bisher habe ich auch meist nicht taktisch oder strategisch gewählt, sondern positionengetreu. Problem: Die Gefahr, damit Stimmen zu verschenken, wächst. Die Aufgabe von Kurz und anderen ist es jetzt, zu verhindern, dass man, wenn man in Berlin lebt, sogar dann seine Stimme verschenkt, wenn man bei stadtinternen Wahlen für die Linke stimmt, nicht etwa nur bei Bundestagswahlen, wo das 2025 ziemlich sicher der Fall sein wird.
Was wäre die Zielmarke oberhalb der allzu bescheidenen 5 Prozent, für die nächsten Abgeordnetenhauswahlen in Berlin?
Wenn Kurz und die anderen die Linke in Berlin bei den nächsten AGH-Wahlen 2026 zweistellig halten können, haben sie schon einen verdammt guten Job gemacht, wenn man bedenkt, wie linke Politik in Deutschland derzeit insgesamt in der Klemme ist. An mir wird es, Stand heute, nicht liegen, wenn es nicht klappt.
TH
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