Russland an der nächsten Ukraine-Friedenskonferenz beteiligen? (Umfrage, Infos, Kommentar)

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Kürzlich hat Olaf Scholz sich gerührt und will sich möglicherweise mit einer eigenen Friedensinitiative hervortun. Stimmt das oder war seine Aussage, die unten zur Abstimmung stehen wird, eher allgemeiner Natur? Wir recherchierten auch noch ein wenig für Sie, um den Civey-Begleittext, der Sie abstimmungssicher informieren soll, zu erweitern.

Nächste Ukraine-Friedenskonferenz mit Russland? (civey.com)

Civey-Begleittext

Auf der letzten Friedenskonferenz im Juni in der Schweiz sprach sich die Ukraine dafür aus, dass Russland stärker in diplomatische Gespräche involviert werden sollte. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sagte laut ZDF, er und Millionen andere Menschen wären froh, wenn „ein Vertreter Russlands” am nächsten Gipfel teilnehmen würde. Dem RND nach reagierten etwa die USA und Deutschland positiv auf den Vorschlag. „Es ist wahr, dass der Frieden in der Ukraine nicht erreicht werden kann, ohne Russland einzubeziehen”, sagte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) der ARD zufolge. 

Unterstützung erhält Scholz mit seiner Haltung aus den Reihen der Grünen. Grünen-Co-Chef Omid Nouripour räumte zwar laut Deutschlandfunk ein, dass der Wille in Russland für Gespräche auf Augenhöhe nicht besonders groß seien. Trotzdem brauche es Verhandlungen mit der russischen Seite, auch in Form von Friedenskonferenzen. Dabei verwies er auf die jüngsten Angriffe Russlands auf die ukrainische Infrastruktur und dass der ukrainischen Zivilbevölkerung vermutlich ein weiterer harter Winter bevorstehe. 

Kritik gab es aus der Union. Der CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter warf Scholz und der SPD in der Bild vor, „ die Ukraine sehr subtil in einen von Russland festgelegten Scheinfrieden zu drängen, in dem die Unterstützung schrittweise zurückgefahren wird und stattdessen Scheinverhandlungen gefordert werden”. Die Einladung an Russland sei falsch. CDU-Politiker Jürgen Hardt warnte davor, Wladimir Putin zu Gesprächen einzuladen, solange er weiter morde. Gespräche seien wünschenswert, aber erst, wenn der Aggressor die Aggressionen beende, sagte er der Berliner Zeitung.

Informationen von uns

Bundeskanzler Olaf Scholz hat sich kürzlich für intensivere diplomatische Bemühungen zur Beendigung des Krieges in der Ukraine ausgesprochen. In einem ZDF-Interview äußerte er, dass jetzt der Moment gekommen sei, darüber zu diskutieren, wie man „aus dieser Kriegssituation doch zügiger zu einem Frieden kommen“ könne[1][4].

Konkret schlug Scholz vor:

  1. Eine weitere Friedenskonferenz abzuhalten[1][2].
  2. Russland an dieser Konferenz zu beteiligen[2][4].

Scholz betonte, dass er und der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sich einig seien, dass eine solche Konferenz unter Einbeziehung Russlands stattfinden müsse[2][4].

Der Kanzler gab jedoch keine Details zu einem möglichen Zeitplan oder konkreten Vorbereitungen für eine solche Konferenz bekannt. Seine Äußerungen deuten aber darauf hin, dass er eine Beschleunigung des Friedensprozesses anstrebt und diplomatische Wege stärker in den Fokus rücken möchte[1][4].

Es ist wichtig zu beachten, dass Scholz‘ Aussagen keine grundlegende Änderung der deutschen Position darstellen. Vielmehr scheinen sie Teil einer sich entwickelnden Strategie zu sein, die bereits zu Beginn des Jahres ihren Anfang genommen hat und nun möglicherweise intensiviert wird[6].

Scholz‘ Vorstoß fügt sich in eine Reihe ähnlicher Signale anderer Staaten ein und könnte als Versuch gesehen werden, mehr Energie in den Friedensprozess zu bringen[6]. Allerdings haben seine Äußerungen auch Kritik hervorgerufen, insbesondere von Seiten der Opposition[2][5]./[1]

Kommentar

Im Grunde hätte der obigen Abstimmungsfrage eine andere vorausgehen müssen: Für wie wahrscheinlich halten Sie es, dass eine Friedensregelung in nächster Zeit möglich ist? Gemeint ist eine Friedensregelung, die nicht darin besteht, dass Russland die Ukraine einnimmt oder sonst alle Kriegsziele erreicht, sondern tatsächlich auf einen Kompromiss hinausläuft. Unsere Antwort wäre gewesen: sehr gering, und die Tendenz geht eher dahin, dass Russland seine Kriegsziele erreichen wird.

Würde man also eine Friedenskonferenz ohne Russland abhalten, würde man damit lediglich unnötige Ressourcen verschwenden. „Die Opposition“, also die Union, vermutet zum einen Wahlkampftaktik von Scholz mit dem Blick auf Brandenburg, also einer Landtagswahl im Osten, wo bekanntlich eine Mehrheit der Menschen sich einen Wie-auch-immer-Frieden wünscht, und natürlich die Einbeziehung Russlands in die Gespräche, die dazu führen sollen, während im Westen die Ukraine-Unterstützung noch überwiegt, was auch bedeutet, dass die Abwehr des russischen Angriffs Vorrang vor einem ungerechten Frieden hat.

Diese Vermutung der Union haben wir aus den benannten Quellen herausgelesen, im Begleittext ist nur angeführt, dass erst die Waffen schweigen müssen, wenn Wladimir Putin eine Einladung zu einer Friedenskonferenz erhalten will. Allen voran äußert sich selbstverständlich wieder Roderich Kiesewetter in diese Richtung, während selbst kriegsaffine Parteien in der Ampel, die Grünen und die FDP, das grundsätzlich anders sehen oder anders zu sehen beginnen. Natürlich spielen dabei miese Wahlergebnisse und Umfragewerte eine Rolle, während die Union ihren Kurs mehr oder weniger bestätigt sieht. Auch dort wäre man nun zurückhaltender, wenn die Tendenz nicht aufwärts zeigen würde, so ist das politische Geschäft. Es ist auch so, dass Kanzler Scholz neuerdings hinter den USA zurückzubleiben scheint, was die Hilfe für die Ukraine auf einem bestimmten Gebiet angeht: Die Taurus-Marschflugkörper mit längerer Reichweite kommen wohl vorerst weiterhin nicht zum Einsatz und Deutschlands Regierung ist generell defensiver als andere im Westen, die Erlaubnis betreffend, Waffen mit längerer Reichweite auf russischem Gebiet einzusetzen oder die „Freischaltung“ für längere Reichweiten zu ermöglichen. Ob das konkret richtig oder falsch ist, untersuchen wir heute nicht.

Aber eines ist wohl klar: Wenn der Westen seine Strategie nicht wesentlich offensiver gestaltet, wird die Ukraine diesen Krieg nicht gewinnen können. Wenn sie ihn nicht gewinnt, dann wird eine Friedenskonferenz ohne Russland nicht möglich sein. Wenn sie ihn gewinnt, braucht es im Grunde auch keine Friedenskonferenz, denn eines würde selbst dann nicht passieren, wenn man die russischen Invasoren komplett aus der Ukraine vertreiben könnte, inklusive Krim: Dass Russlands Regierung vor einem Tribunal verurteilt und tatsächlich mit Konsequenzen belegt würde. Wie sollte das gehen? Wir sind nicht im Jahr 1945 und auch nicht im Jahr 1918.

Nur eine totale Niederlage einer Seite kann eine Friedenskonferenz ohne diese ermöglichen, wie in Versailles 1918 oder wie 1945, wobei dabei kein Friedensvertrag, sondern ein Status Quo ausgehandelt wurde. Die Folgen des Versailler Vertrages kennen wir, er führten direkt zum nächsten Krieg, zumindest waren sie ein wesentlicher Grund für den Aufstieg der Nazis. Bestimmte CDU-Politiker dokumentieren, dass sie die Unterschiede nicht verstehen wollen. Ob das wirklich so ist, dazu unten noch ein paar Sätze. Russland wäre selbst dann nicht in dem Sinne wie Deutschland seinerzeit besiegt, wenn der Rückzug aus der Ukraine unvermeidbar wäre. Das heißt, es hätte den Krieg zwar verloren, aber man könnte das Land nicht zu hohen Reparationen verpflichten oder ihm zur Strafe für die Kriegsschuld gar eigenes Gebiet wegnehmen, also das Muster von 1918 wiederholen.

Deswegen ist es utopisch, eine Friedensregelung ohne Russland durchsetzen zu wollen, deren Sühneteil nur mit Gewalt gegen Russland durchzusetzen wäre. Selbstverständlich teilen wir die Ansicht, dass gegenwärtig nichts für eine Friedenskonferenz spricht. Es hat sich ja nichts geändert in den letzten Monaten, außer dass Russland strategisch ein paar Fortschritte erzielt hat. Wenn es im Felde nicht vorangeht, wird man in der Tat die Infrastruktur der Ukraine weiter zerstören, was wiederum eine Fluchtwelle unter anderem nach Deutschland auslösen wird. Auch das ist ein strategischer Vorteil.

Grundsätzlich und unabhängig davon, ob der Zeitpunkt, wie die Opposition vermutet, durch Wahlmanöver bestimmt ist, kann es nicht falsch sein, zu suggerieren, dass man der Diplomatie mehr Raum geben möchte. Und vielleicht kommt es doch einmal zu einem Kompromiss, weil auch in Russland die Kriegskosten nicht mehr so einfach zu tragen sind, egal, ob man genug Waffen für eine jahrelange Fortsetzung des Krieges zu produzieren in der Lage ist. Gegenwärtig deutet aber nichts auf ein Entgegenkommen Russlands hin und was hinter den Kulissen des Kreml vor sich geht, davon haben wir wenig Ahnung. Was ganz sicher passiert: Die Probleme der Demokratien, die sie auch  mit ihrer eigenen Bevölkerung wegen der Ukraine-Unterstützung haben, werden in Moskau genau registriert und man setzt dort auf Zeit.

Wann also ist die Zeit für eine Friedenskonferenz gekommen, würde sich aus der vorausgehende Frage ergeben. Und wenn es dazu kommt, dann wird es nicht ohne Russland gehen, da kann man sich aus ethischen Gründen noch so sehr graulen. Das wissen natürlich auch die CDU-Politiker, aber in der Opposition müssen sie selbst nichts tun, um den Frieden in Bewegung zu bringen. Wenn im Jahr 2026 die CDU wieder die Bundesregierung anführen wird, wonach es derzeit stark aussieht, dann wird aber auch etwas anderes nicht passieren. Sie wird nicht alle Forderungen der Ukraine erfüllen in der Form, wie sie sich diese jetzt zu eigen macht. So weit wird man nicht gehen, denn Deutschland ist nun einmal aus mehreren Gründen gefährdeter, tief in den Krieg hineingezogen zu werden, wenn es zu einer Eskalation kommen sollte, als Großbritannien, Frankreich, die USA, aber auch kleinere Nato-Staaten es sind. Wir haben die Unterschiede mehrfach dargestellt.

Deswegen kann man genauso gut der Union manöverhaftes Verhalten vorwerfen: Sie rechnet sich aus, dass ihre Wähler die harte Haltung bevorzugen, die gegenwärtig sehr billig ist, weil sie mangels Verantwortung für ganz Deutschland keine realen Konsequenzen nach sich ziehen kann und sie hat im oben erwähnten Brandenburg ohnehin am nächsten Sonntag nicht viel zu gewinnen. Die anderen Parteien kommen hingegen mehr ins Nachdenken, und das war voraussehbar, denn Demokratien können nicht ständig die Bevölkerungsmehrheit ignorieren, wenn es um akute Sicherheitsfragen geht. In anderen Dingen und auch bezüglich einer langfristigen Strategie schon, wie man immer wieder sieht, aber das Thema Ukrainekrieg verstehen alle Menschen als existenziell und halten es für relativ leicht durchschaubar. Krieg oder Frieden? Wer kann da schon „Krieg!“ schreien, nach den deutschen Erfahrungen der Vergangenheit? Viele falsche Friedensapostel wissen das und machen es sich zunutze, aber es ist eine Tatsache, dass man sich hierzulande schwertut mit der Akzeptanz von Kriegszuständen, von denen man selbst betroffen ist, wie jetzt durch die Ukrainehilfe oder noch mehr betroffen sein könnte, wenn der Krieg sich ausweitet.

Wir haben natürlich klar dafür gestimmt, dass Russland an einer Friedenskonferenz beteiligt werden muss, wie zwei Drittel aller Abstimmenden derzeit, hinzu kommen ewa 15 Prozent, die „eher positiv“ gestimmt sind, eine Beteiligung Russlands an einer Konferenz betreffend. Lediglich 7 Prozent sind klar dagegen, 3 Prozent eher dagegen.

Seltener wurde etwas besser verstanden, als dass man keine Konferenz ohne einen Gegner abhalten kann, der gar keine Anstalten macht, sich besiegt zu geben.

Unangenehm ist dabei vor allem, dass die Ukraine wohl Gebiete abgeben müsste, wenn es wirklich zu einer Friedenskonferenz käme. Die derzeitigen Umstände lassen gar keinen anderen Rückschluss zu. Aber selbst der ukrainische Präsident Selenskyi scheint sich langsam daran zu gewöhnen, dass es so kommen könnte, denn anders ist seine Befürwortung einer Konferenz unter Einschluss Russlands nicht zu verstehen. Man wird sich dreinfinden, dass die Aggression des Putin-Regimes erfolgreich war und kann höchstens für die Zukunft Lehren ziehen. Diese Lehren werden auch bereits gezogen, in Form erheblicher Ausweitung der Rüstungsbudgets in den Staaten, sie sich direkt für von Russland gefährdet halten, aber auch in Deutschland. Wir wollen das nicht zu einem Mantra machen, aber wir halten die Gefahr nicht für gebannt, solange Deutschland keine eigenen Atomwaffen führt. Wäre dem so, könnte man sich auch geopolitisch viel freier bewegen.

Feier meint nicht aggressiver, sondern unabhängiger von anderen, wie den USA, deren Verhalten man leider kaum beeinflussen kann. Als Friedensmacht, als die wir Deutschland am liebsten sehen würden, hätte man auch mehr Gewicht, als wenn jedes offene, unabhängige diplomatische Wort mit Druck und Erpressung beantwortet werden könnte. Gegenwärtig gehen der Druck und die Erpressungsversuche von Russland aus, auch deswegen ist die Beteiligung von Putin an einer Friedenskonferenz eine fette Kröte, aber man wird sie schlucken müssen, um das Morden in der Ukraine auf irgendeine Weise zu beenden.

Uns passt diese Entwicklung genauso wenig wie vor zweieinhalb Jahren, am 24. Februar 2022, als alles begann. Aber wir können diese Entwicklung nicht ignorieren. 

Geht es dabei noch um Gerechtigkeit? Leider nicht. Es geht darum, dass sich doch wieder einmal der Stärkere durchsetzen wird und wie man sich so organisiert, dass dieser Sieg wenigstens Konsequenzen für die Zukunft hat. Dieses Schema, aber ohne hinreichende Konsequenzen, kommt in der Weltpolitik so oft vor, dass es uns schwerfällt, von einer regelbasierten Ordnung zu sprechen, in der wir uns befinden. Die Regeln werden vor allem von denen befolgt, die nicht die Macht haben, sie nicht zu befolgen. Das ist eine frustrierende Feststellung aus ethischer Sicht, aber aus historischer Sicht setzt sich lediglich der Modus fort, in dem Geschichte immer schon jenseits aller schönen Worte und moralischer Aspekte abgelaufen ist.  

TH

[1] Quellen zu „Olaf Scholz und die Friedenskonferenz“

[1] https://www.deutschlandfunk.de/kommentar-scholz-frieden-ukraine-krieg-russland-aussagen-100.html
[2] https://www.tagesspiegel.de/internationales/scholz-schwacht-deutsche-sicherheit-cdu-kritisiert-geplante-friedensgesprache-im-ukraine-krieg-12337847.html
[3] https://www.deutschlandfunkkultur.de/friedensverhandlungen-fuer-die-ukraine-was-von-scholz-vorschlag-zu-halten-ist-dlf-kultur-34ff6b48-100.html
[4] https://www.dw.com/de/warum-scholz-z%C3%BCgigen-frieden-in-der-ukraine-will/a-70188714
[5] https://www.br.de/nachrichten/deutschland-welt/russland-ukraine-krieg-scholz-fuer-friedenskonferenz-schlaegt-jetzt-die-stunde-der-diplomatie,UNsm1Q6
[6] https://www.zdf.de/nachrichten/politik/ausland/ukraine-krieg-russland-frieden-verhandlungen-scholz-deitelhoff-100.html
[7] https://www.sueddeutsche.de/politik/scholz-frieden-ukraine-russland-putin-verhandlungen-lux.Eqa6CZwkLX2bwKMeK3YmDv
[8] https://www.spiegel.de/politik/deutschland/olaf-scholz-lehnt-vertrauensfrage-ab-a-e68bd04c-65b5-4bd0-9821-0ebaad456ccb


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