Briefing | Geopolitik, USA, Präsidentschaftswahl 2024, #Election2024, Harris & Walz vs. Trump & Vance, TV-Duell vom 10. September, Battleground States, Wahlsystem, Wahlmänner, Wahlverhalten nach Religionszugehörigkeit, Christen, Juden, Agnostigker, Katholiken, Protestanten, Atheisten
Wir hatten ihnen in vorausgehenden Updates zur US-Präsidentschaftswahl 2024 bereits versprochen, dass wir auch Infos für Sie haben, die nicht jedes Medium in den Vordergrund rückt und zuletzt auf eine besonders interessante Grafik verwiesen, die wir bald präsentieren werden. Hier ist sie: So wählen die Amerikaner:innen nach Religionszugehörigkeit., versehen mit einer der besten Überschriften, die wir bisher bei dieser Quelle gesehen haben:
Wen würde Jesus wählen?

Diese Statista-Grafik wurde unter einer Lizenz CC BY-ND 4.0 Deed | Namensnennung-Keine Bearbeitung 4.0 International | Creative Commons erstellt und wir geben sie unter gleichen Bedingungen wieder. Folgend der Statista-Begleittext dazu, dann weiter mit unserem Kommentar.
Bei der US-Präsidentschaftswahl geht es oft weniger um harte Fakten als um Glaubensfragen, wie eine aktuelle Umfrage des Pew Research Centers unter rund 8.000 registrierten Wähler:innen in den USA nahelegt. Demnach beantworten protestantische Christ:innen die Frage, wen Jesus wählen würde, für sich zu 61 Prozent mit Donald Trump. Es sei denn es handelt sich um schwarze Protestant:innen – in dieser Gruppe sind 86 Prozent Pro-Harris. Auch im katholischen Lager liegt der Republikaner vorne, wie der Blick auf die Statista-Grafik zeigt. Eine Ausnahme bilden hier Latinos, die zu 65 Prozent der aktuellen Vizepräsidentin zugeneigt sind. Das lässt sich auch über jüdische Wähler:innen sagen. Und wer gar nicht religiös ist, wird ebenfalls eher demokratisch wählen – das gilt ganz besonders für Atheisten (85 Prozent) und Agnostiker (78 Prozent,)
Wir glauben schon, dass es auch um harte Fakten geht, die Wirtschaftslage, die Migration, aber viele US-Amerikaner:innen sind in der Tat viel stärker religiös als die autochthonen Teile der mitteleuropäischen Gesellschaften.
Würde Jesus Donald Trump wählen, weil insbesondere die Mehrheit der protestantischen Christen es tut, die insgesamt immer noch die Mehrheit im Land stellen?
Solche Umfragen beruhen auf Selbsteinschätzungen, das darf man nicht vergessen. John F. Kennedy hatte die Wahlen 1960 äußerst knapp gewonnen und nach seinem Tod durch das Attentat vom November 1963 wollten zwei Drittel der Amerikaner:innen ihn gewählt haben. Aber bei den Protestanten und, weniger deutlich auch wegen der vielen katholischen Zuwanderer, auch bei den Katholiken, hat Trump die Nase vorn. Also bei den Anhängern der Religionen und Konfessionen, wo man die überwiegende Mehrheit der Einwohner der USA nach wie vor vermutet.
Trotzdem glauben wir nicht, dass Jesus einen Typ wie Trump wählen würde. Das Christentum in den USA hat auf politischer Ebene wenig mit Jesus‘ Botschaft von Nächstenliebe und Menschenfreundlichkeit zu tun, sondern ist radikal konservativ, bis hin zu faschistischen Tendenzen. Es basiert vo allem auf Ablehnung der Moderne, der Gleichberechtigung, der Selbstbestimmung, mithin demokratischer Werte, nicht auf positiven Narrativen. Deshalb kann ein Hassprediger und Untergangsprophet wie Donald Trump in diesem Milieu auch so gut punkten. In Deutschland haben Protestanten seinerzeit auch häufiger die Nazis gewählt als Katholiken, um die Unterschiede innerhalb der christlich Gläubigen zu adressieren.
Kamala Harris scheint sich also auf Nichtchristen verlassen zu müssen. Interessant ist dabei das Verhalten von Menschen jüdischen Glaubens. Obwohl Trump der rechtsextremen israelischen Regierung von Benjamin Netanjahu schon verbal weiter entgegenkommt als die Demokraten und die US-Botschaft in seiner ersten Amtszeit ins eigentlich geteilte Jerusalem verlegt hat, wählt die überwiegender Mehrheit der Juden in den USA nicht Trump. Das heißt, Juden in den USA sind überwiegend liberal und progressiv. Das wiederum wirft ein Licht darauf, dass Israel-Lobbys wie die AIPAC, die von der US-Regierung fordert, was man in Deutschland jetzt Staatsräson nennt, nämlich eine unhinterfragte Unterstützung von allem, was jedwede israelische Regierung tat oder noch tun wird, möglicherweise nicht die Mehrheit der Juden in den USA repräsentieren. Das macht es schwierig für demokratische Präsidentschaftsbewerber, den richtigen Ton zu treffen. Sie müssen diesen Lobbys Tribut zollen, dürfen aber nicht das liberal-großstädtische Judentum zu sehr vergrätzen. Die Demos weltoffener Juden gegen Israels Vorgehen in Gaza, die Joe Bidens zu wenig kritische Haltung kritisierten, zeugen von dieser Schwierigkeit der Balancewahrung.
Dass Menschen, die sich gar nicht einer Religion zugehörig fühlen oder gar atheistisch geprägt sind, also frei von religiösen Erzählungen, die gegenwärtig so gerne gegen die Menschlichkeit gekehrt werden, die sich also ganz auf gesellschaftliche und ökonomische Themen konzentrieren können, überwiegend pro Harris sind, überrascht schon weniger. Diese Leute regen sich einfach nicht so schnell auf und steigern sich nicht bei jedem Anlass in einen bösartigen Hass hinein, dem gerne noch ein religiöses Mäntelchen umgehängt wird. Sie gehen es etwas rationaler und auch humanistischer an, wie man es Harris zuschreibt, obwohl sie in der Fernsehdebatte vom 10. September bewiesen hat, dass sie Trumps Stil annehmen und ihn mit seinen eigenen Waffen schlagen kann. Ein Stilmittel ist aber keinen Position, und das wissen gerade rationalere Typen auch.
Trotzdem ist es schwer erträglich, dass Menschen, die sich als Christen bezeichnen, sich Donald Trump so nah fühlen. Es zeigt, dass in diesem Land etwas grundsätzlich schief läuft, auch was die Auffassung von Christlichkeit angeht. In Europa wird dieses Phänomen jetzt nachgebildet. Je unchristlicher sich z. B. die Union in Deutschland gibt, desto mehr Zurspruch erfährt sie von ihrer Kernwählerschaft. Die Entwicklungen in den USA haben Ausstrahlungswirkung in die westliche Welt hinein, das darf man nie vergessen.
TH
17.09.2024
Unser heutiger Artikel zur US-Wahl 2024 ist ein weiteres Update, die vorausgehenden Beiträge der aktuellen Serie können Sie unterhalb des aktuellen nachlesen oder hier, und hier geht es zur vorherigen Serie mit insgesamt 8 Artikeln zur US-Präsidentschaftswahl 2024.
Wir hatten bereits mehrfach erwähnt, dass es in den USA nicht ausreicht, die Stimmenmehrheit zu erhalten, um Präsident:in zu werden, sondern dass die Mehrheit der Wahlleute gewonnen werden muss. Nun hat Statista eine aktuelle Grafik aufgesetzt, die das eindrucksvoll belegt:
Vier US-Präsidenten konnten ohne Wählermehrheit gewinnen

Diese Statista-Grafik wurde unter einer Lizenz CC BY-ND 4.0 Deed | Namensnennung-Keine Bearbeitung 4.0 International | Creative Commons erstellt und wir geben sie unter gleichen Bedingungen wieder. Folgend der Statista-Begleittext dazu, dann weiter mit unserem Kommentar.
Das Electoral College, das System, bei dem der Präsident der Vereinigten Staaten nicht direkt von der Bevölkerung, sondern von sogenannten Wahlmännern gewählt wird, wurde von den Gründervätern als Schutz vor demokratischen Fehlentwicklungen erfunden. Die Wahlmänner, deren Anzahl in jedem Bundesstaat der Summe der US-Senatoren und US-Vertreter entspricht, kommen nach der Wahl zusammen, um den Präsidenten offiziell ins Amt zu wählen. Sie sind nicht an das Wahlverhalten der Bevölkerung gebunden und können daher für jeden beliebigen Kandidaten stimmen, obwohl einige Bundesstaaten von den Wahlmännern verlangen, dass sie sich an das Wahlverhalten der Bevölkerung halten, und Geldstrafen gegen so genannte „treulose Wahlmänner“ verhängen können.
Seit der Gründung der modernen Demokratischen Partei und ihres republikanischen Gegenstücks gab es vier Fälle, in denen der gewählte Präsident das Electoral College gewann, aber nicht den größeren Anteil an Gesamtstimmen erhielt. Zuletzt passierte das im Jahr 2016: Hillary Clinton sicherte sich etwa 2,9 Millionen Stimmen mehr (was einem Vorsprung von 2,1 Prozent entspricht) als der offizielle Sieger Donald Trump, der eine solide Mehrheit der Wahlmänner erhielt. Wie die Infografik zeigt, waren es in allen Fällen republikanische Kandidaten, die die Präsidentschaftswahl mit einer Stimmenminderheit gewonnen haben.
Auch, dass das Wahlleute-System die Republikaner klar bevorzugt, haben wir bereits erwähnt, sind aber nun doch verblüfft, wie weit dieser Vorteil in die Vergangenheit zurückreicht. Offenbar befand es niemand für notwendig, dies zu ändern oder es war aufgrund der Verhältnisse in den Kammern des US-Parlaments nicht notwendig. In den 1870ern kam es also zu einem republikanischen Präsidenten, obwohl der demokratische Bewerber satte 3 Proozent mehr an Stimmen erhalten hatte, auch der Vorsprung von Hillary Clinton gegenüber Donald Trump im Jahr 2016 war mit 2,1 Prozent recht hoch.
Die politischen Verhältnisse des 19. Jahrhunderts wollen wir hier nicht aufarbeiten, aber es hätte weder einen Präsidenten George W. Bush gegeben, der versuchte, seine Verbündeten mit Fake News in einen Krieg zu ziehen, was bei einigen gelang, anderen nicht, und es hätte nicht die für das gesellschaftliche Wohlbefinden in den USA verheerende Präsidentschaft von Donald Trump gegeben. Natürlich hätte eine Präsidentschaft von Al Gore, wenn er 2000 gegen George Bush gewonnen hätte, einen konservativen Backlash im Jahr 2004 nach sich ziehen können, aber vielleicht auch nicht, und wer weiß, ob es 9/11 je gegeben hätte. Dass jemand, wie Trump 2016, mit 2,1 Prozent Stimmenrückstand, 57 Prozent der Wahlleute auf sich vereinigen konnte, erklärt, warum um die „Swing States“ ein solches Aufhebens gemacht wird.
Vielleicht ist dieses Wahlsystem eine Art Ausgleich, damit an den Küsten liberale Wähler:innen nicht zu sehr das politische Geschehen in den USA dominieren können, so kann man es auch sehen. Vielleicht hält es sogar die USA dadurch besser zusammen, als wenn die vielen Konservativen im Mittelwesten und im Süden keine Chance mehr hätten, einen ihnen genehmen Kandidaten zum Präsidenten zu machen. Man muss verstehen, manche Pendel-Effekte weggerechnet, die hypothetisch sind, dass es seit 1992 keinen US-Präsidenten mit republikanischem Parteibuch mehr gegeben hätte, hätte tatsächlich die Stimmenmehrheit den Ausschlag gegeben. Wir haben dabei einkalkultiert, dass Gore, Bill Clintons Vizepräsident, der 2000 gegen Bush jun. antrat, 2004 wiedergewählt worden wäre und nicht gegen einen republikanischen Präsidenten verloren hatte. George Bush sen. und Donald Trump waren die letzten Präsidenten, die keine Wiederwahl erreichen konnten, die Regel ist aber, dass dem Amtshinhaber dies gelingt, wenn er erneut antritt. 2024 wäre es wohl anders gekommen, weil Joe Biden sichtlich nachließ, aber nun ist die demokratische Sukzession wenigstens wieder möglich geworden.
Insofern ist zum Beispiel das auch sehr komplizierte französische Wahlsystem, das ebenfalls die Person des Präsidenten direkt bestimmt, mit seinen zwei Durchgängen doch auf eine sehr transparente Weise repräsentativer und politisch im Grunde klüger, weil die Stichwahl die Menschen zu einer Entscheidung zwingt, bei der hinterher niemand behaupten kann, seine Stimme habe nicht gezählt. Was natürlich nicht verhindert, dass „das kleinere Übel“ gewählt wird, nicht ein:e Wunschkandidat:in. Man muss in der ersten Runde so gut abgeschnitten haben, dass man in die Stichwahl kommt.
Kein echtes demokratisches System ist perfekt, auch dasjenige der USA kann man so oder so bewerten, jedenfalls aber ist es nicht repräsentativ und es bevorzugt rechte Politik, wie die obige Grafik eindeutig belegt. Grundlage dieser Verschiebung ist, dass einige Bundesstaaten im Vergleich zu ihrer Einwohnerzahl relativ viele Wahlleute bestimmen können, deshalb rücken sie bei jeder Wahl in den Fokus. Das alles kann seine Berechtigung haben, wenn es darum geht, dass sich Menschen nicht abgehängt fühlen und einmal im Mittelpunkt stehen, während sonst die Ost- und Westküste das Bild der USA nach außen und wirtschaftlich dominieren.
Unzweifelhaft ist es dadurch aber so, dass manche Stimmen mehr zählen als andere. Würde man das System auf Deutschland übertragen, müsste man es so einrichten, dass Stimmen im ländlichen Raum und im Osten stärker gewichtet werden als in den Städten. Angesichts des Rechtsrucks, der von den dann bevorzugten Gebieten sowieso ausgeht, kann man froh sein, dass es nicht auch noch eine solche absichtliche Verschiebung aufgrund eines indirekteren Wahlsystems gibt – das von einer weiteren Besonderheit begleitet wird. Anders als in insgesamt 125 Ländern auf der Welt, gleich, ob sie echte Demokratien oder scheindemokratische Diktaturen sind, ist jeder Bürger, jede Bürgerin auch potenzielle Wähler:in. Das Wahlregister wird automatisch erstellt. In den USA hingegen muss man sich erst als Wahlperson registrieren lassen, was die Hürden für eine Beteiligung deutlich höher liegt. Auch so ist zu verstehen, warum es in den USA z niedrigeren Wahlbeteiligungen kommt und sogar zu Manipulationen, Druck und Bedrohung in manchen Gegenden bereits bei der Wählerregistrierung. Vielleicht ist dieses Vorgehen in den USA aufgrund der weniger scharfgestellten personalen Identität von Menschen besser begründbar, als es dies bei uns wäre. Ein Datenabgleich zwischen Bundesstaaten muss dort aber auch stattfinden, damit das System funktioniert.
Nicht umsonst gelten wohl die USA als ein Land, das bei Demokratie-Indizes auch deshalb nie an der Spitze liegt, weil das Wahlsystem nicht so egalitär und niederschwellig zugänglich ist wie in quasi allen Ländern Europas. Gemäß einer Grafik, die wir hier noch besprechen wollen, wäre Österreich übrigens eine Ausnahme, wir haben aber recherchiert, dass dort jede:r Staatsbürger:in automatisch auch potenzielle Wähler:in ist, wie bei uns, es gibt keine aktive Registrierung, die man vornehmen muss, um bei Wahlen abstimmen zu dürfen.
TH
11.09.2024
Den heutigen Artikel senden wir wieder als Update, das heißt, der vorherige hängt auch unten an. Und hier geht es zur vorherigen Serie mit insgesamt 8 Artikeln zur US-Präsidentschaftswahl 2024.
Er ist fünf Tage alt und behandelt die damals aktuellsten Wahlumfragen. Wir zeigen eine Grafik von Statista, deren Ergebnis wiederum Einfluss auf die nächsten Umfragen haben könnte. Wer hat nach Meinung der Amerikaner das gestrige TV-Duell zwischen Kamala Harris und Donald Trump gewonnen? Auch ein Vergleich zum Duell Biden-Trump vom 27. Juni, das Bidens Rückzug aus dem Wahlkampf eingeleitet hat, wird gezogen.
Infografik: TV-Duelle: Harris wendet das Blatt für die Demokraten | Statista
Diese Statista-Grafik wurde unter einer Lizenz CC BY-ND 4.0 Deed | Namensnennung-Keine Bearbeitung 4.0 International | Creative Commons erstellt und wir geben sie unter gleichen Bedingungen wieder. Folgend der Statista-Begleittext dazu, dann weiter mit unserem Kommentar.
Beim gestrigen zweiten Fernsehduell im US-Präsidentschaftswahlkampf sind Kamala Harris und Donald Trump aufeinander getroffen. Eine Blitz-Umfrage des US-Senders CNN (PDF-Download) direkt nach dem Duell weist daraufhin, dass Harris diesen Auftritt als Sieg verbuchen kann: 63 Prozent der Befragten fanden, dass sie besser abgeschnitten hat als Trump. Trumps Zustimmungswerte lagen dagegen bei lediglich 37 Prozent. Damit könnte Harris dem US-Wahlkampf eine neue Richtung gegeben haben: Im ersten TV-Duell, dass Ende Juni stattgefunden hatten, war der damalige Kandidat der Demokraten, Joe Biden, seinem Herausforderer Donald Trump noch klar unterlegen. Bei den Umfragewerten ist zu beachten, dass sie eine relativ hohen Fehlerbereich von +/-5,3 Prozentpunkten aufweisen, was die Aussagekraft bezüglich des Kerntrends jedoch nicht schmälert.
Die kommenden Präsidentschaftswahlen in den USA finden am 5. November 2024 statt. Es wird die 60. Wahl zum Präsidenten und Vizepräsidenten der Vereinigten Staaten sein. Zudem wird ein neues Repräsentantenhaus und etwa ein Drittel des Senats gewählt. Nach den Midterm-Wahlen (Zwischenwahlen) zum US-Kongress haben die Republikaner eine Mehrheit im Repräsentantenhaus, was ein Umsetzen von Präsident Bidens Politik in den vergangenen zwei Jahren erschwerte.
Auf den oben zuletzt genannten Fakt wird zu selten hingewiesen, wenn es darum geht, die Arbeit der Biden-Regierung zu bewerten und das, was Donald Trump über diese Regierung und damit auch über Kamala Harris sagt.
Noch vor wenigen Tagen schien der Aufwärtstrend des Teams Harris-Walz gegenüber Trump-Vance im Präsidentschaftsrennen ungebrochen, doch dann mehrten sich Meldungen, in denen es heißt, es wird wieder enger- bis hin zu einem leichten Vorsprung der beiden Republikaner.
Nun bot das TV-Duell eine Chance, das Blatt erneut zu wenden. Darüber, ob solche Duelle wahlentscheidend sind, gibt es Darstellungen mit unterschiedlicher Tendenz. Gerne wird auf das legendäre erste Fernsehduell der Geschichte zwischen John F. Kennedy und Richard Nixon verwiesen, das eindeutig zugunsten Kennedys ausging. So eindeutig vermutlich wie gestern die Wahlschlacht Harris-Trump.
Wenn nun Trump dieses Ergebnis ernstnehmen würde, müsste er aus dem Rennen aussteigen, wenn die Republikaner es ernstnehmen würden, müssten sie ihn zum Ausstieg bewegen, denn ein ähnlicher Wert in die andere Richtung (etwa 1/3 zu 2/3) hatte den Widerstand der Demokraten gegen eine weitere Kandidatur von Joe Biden in Fahrt gebracht. Und ist Trump nicht beinahe genauso alt und passieren nicht auch ihm immer wieder kognitive Fehler? Nun ja, nicht ganz in dem Maße, außerdem ist er ein Rabauke und Lügner, und da ist ein Aussetzer sozusagen mehr integral als bei einem Menschen, der sich bemüht hat, immer im Rahmen der Regeln zu bleiben. Außerdem dürften die Grüne dafür andere sein, dass Kamala Harris nun gesiegt hat. Sie liegen nicht in Fehlleistungen der Gegenseite, sondern weil sie auf eine Weise auf Angriff geschaltet hat, wie das in der Geschichte wohl noch kein(e) demokratische(r) Präsidentschaftskandidat(in) vor ihr getan hat. In Klammern wegen Hillary Clinton, die 2016 Trump nach Stimmen, aber nicht nach Wahlleuten besiegt hatte.
Die aktuellen Umfragen zeigen: Das könnte 2024 wieder passieren. Dass Harris zwar nach Stimmen knapp gewinnt, aber trotzdem die Wahl verliert.
Wenn man die deutsche Berichterstattung zum Wahlkampf liest, fragt man sich: Wie kann es überhaupt sein, dass es so eng ist? Wo doch in Deutschland Harris einen Erdrutschsieg verbuchen würde, glaubt man hiesigen Meinungsforschern. Schauen Sie sich die Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen vom 1. September und deren Ergebnisse an, dann wissen Sie, warum das eben nicht so einfach ist. Es gibt, das muss man fairerweise beifügen, auch gute Analysen und Reportagen, die das Herzland der USA beleuchten, in dem Trump – genau, einen festen Platz im Herzen der Menschen hat.
Wie das bei einem solchen Typ sein kann, mag man sich kopfschüttelnd fragen, der nur negativ ist, ein Gegenbild des amerikanischen Optimismus. Aber wie kann man Björn Höcke wählen?
Die Berichte aus dem Mittelwesten der USA stimmen nachdenklich, weil sie das Bröckeln des gemeinsamen Nenners belegen, der die USA im Kern zusammenhält.
Es ist nicht so einfach und in den städtischen Blasen und im ländlichen Raum versteht man einander immer weniger. So zumindest die Erzählung. Ob das je anders war, da sind wir nicht so sicher. Es drückt sich mittlerweile nur politisch anders aus und außerdem rücken Gesellschaften wie die deutsche, die amerikanische, die französische insgesamt immer noch weiter nach rechts. Es gibt erste Gegenbewegungen zu diesem Trend. Eine Gegenbewegung in Zeiten, in denen globale Fairness und Freundschaft zur Lösung gewaltiger Probleme so notwendig ist. Ein Zurückkehren des Weltbewusstseins sehen wir darin aber noch lange nicht, dafür ist der Gegentrend zu vereinzelt zu bemerken und zu schwach ausgeprägt.
Diesen Gegentrend könnte ein erneuter Sieg der Demokraten in den USA unterstützen. Angesichts des sehr engen Rennens anstatt eines eindeutigen Vorsprungs für Harris-Walz wagen wir leider zu bezweifeln, dass deren Sieg ein echter Beitrag dazu ist. Vielmehr wird er nicht Ausdruck einer riesigen Welle der Gemeinsamkeit sein, sondern hart umkämpft sein , möglicherweise schwere Verwerfungen nach sich ziehen, wenn Trump sich nicht nach demokratischen Regeln geschlagen gibt und damit die Gräben in den USA weiter vertieft.
Im Kern wird sich auch die nach innen oft menschenfeindliche und nach außen imperialistische Politik der USA ohnehin nicht ändern, gleich, wer das Rennen macht. Neoliberal orientierte Gesellschaften neigen zur Spaltung und zur Aggressivität, das sieht man in Deutschland und den USA eindeutig, und ein solcher Metatrend ist nicht durch eine einzelne halbwegs geglückte demokratische Wahl zu drehen, die zudem die Grundparameter nicht verschieben wird.
Wir sehen bisher keine echten Antworten auf die Probleme, die uns alle angehen, jedenfalls in den meisten Ländern nicht. Auch nicht in den USA. Harris wird als Präsidentin polarisieren, ähnlich wie Trump. Einfach, weil sie sie ist, weil sie diesen Hintergrund und jenes Gepräge hatte, wie es schon bei Barack Obama der Fall war.
Im oben erwähnten Artikel haben wir das Wahlsystem der USA angesprochen: Auch, wenn Harris die Stimmenmehrheit gewinnen sollte, wenn am 5. November gewählt wird, bedeutet das also nicht, dass sie auch die Wahl gewinnt. Das Wahlleute-System tickt anders und gibt den Republikanern sozusagen einen Startvorteil. Der 5. November wird ein besonderer Tag für die Demokratie nicht nur in den USA sein. Ein möglicherweise richtunggebender Tag.
Heute heut ist ebenfalls ein besonderer Tag und ein Grund, uns wenigstens kurz mit den USA zu befassen: Der Anschlag vom 11. September 2001 jährt sich zum 23. Mal. Wir hatten diesen Tag damals sehr intensiv erlebt und gedenken heute noch einmal der beinahe 3.000 Todesopfer an diesem Tag.
Zum Duell von gestern an sich gibt es heute so viele Medienberichte, dass wir es hier nicht noch einmal nachzeichnen werden, obwohl es sicher viele Highlights hatte wie Harris‘ Aussage, Trumps Anhänger würden vor Langeweile seine Veranstaltungen verlassen oder drumherum Wichtiges passierte, wie Taylor Swifts Instant-Instagram-Unterstützung für Harris.
TH
06.09.2024
Die Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen sind gelaufen, wir haben sie begleitet und kommentiert. Da wird noch das eine oder andere kommen, natürlich auch zur bereits am 22. September anstehenden Wahl in Brandenburg. Doch eine Wahl überstrahlt dieses Jahr alles: Die Präsidentschaftswahl in den USA. Wir nehmen den Faden wieder auf und fragen: Wie ist der Stand der Dinge?
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Als Kamala Harris im Juli die Kandidatur für die US-Präsidentschaft von Amtsinhaber Joe Biden übernahm, lag Donald Trump in Führung. Noch Ende Juni lag die Demokratin laut RealCearPolitics im Durchschnitt einer Reihe landesweiter Umfragen zwei Prozentpunkte hinter dem republikanischen Herausforderer. Aber dann kam Harris‘ Kampagne in Fahrt. Am 6. August, dem Tag, an dem sie Tim Walz als ihren Vize benannte, übernahm die Präsidentschaftskandidatin die Führung. Seitdem ist es ihr gelungen, ihren Vorsprung sukzessive auszubauen. Derzeit (Stand: 5. September) liegt sie 1,8 Prozentpunkte vor Trump. Und auch in den sogenannten Battlegroundstaaten wendet sich das Blatt nun zu Harris Gunsten (…).
Die Grafik zu den Battleground- oder Swing-States werden wir im nächsten Update veröffentlichen. Seit das Team Harris-Walz geformt wurde, scheint Donald Trump keinen Fuß mehr auf den Boden zu bekommen.
Lassen Sie sich nicht von der hiesigen Berichterstattung täuschen, die voll auf Harris abfährt. 1,8 Prozent können innerhalb einer Woche kippen, wenn Harris oder ihr Running Mate nur einen einzigen wahrnehmbaren Fehler machen. Persönliche Angriffe, bei denen Harris‘ ethnische Zugehörigkeit und Schläge unter die Gürtellinie genauso dazugehörten wie ein penibles Durchleuchten von Walz‘ Vergangenheit in den Streitkräften, bei dem sich eine kleine Abweichung herausstellte, haben die beiden gut überstanden. Selbst den Amerikanern wird auffallen, dass das eine Petitesse ist gegenüber dem Leben des Lügners und Straftäters Donald Trump, der auch nie gedient hat.
Ein Land wie die USA braucht nicht nur Gurus, sondern auch Auguren, einer davon ist sich gewiss, dass Harris das Rennen machen wird: Harris oder Trump? US-Wahlorakel legt sich fest | WEB.DE. Auch dieses Orakel hat sich einmal geirrt, aber offenbar ging es dabei nicht darum, wer die Wahl gewinnen wird, sondern ob der gerade gewählte Präsident „seine erste Amtszeit überstehen wird“. Vermutlich war damit gemeint, dass ihn die Machtelite vorzeitig aus dem Verkehr ziehen wird, wenn er ihr nicht zu Diensten ist. Offenbar hat es aber gerade noch so hingehauen mit der Abstimmung, auch wenn es immer wieder quietschte im gut geölten Mechanismus amerikanischer Machtpolitik. Gemeint sind Donald Trump und seine erste Präsidentschaft.
Die demnach seine einzige bleiben wird. In der Tat wirkt es im Moment so, als ob Trump nicht in die Offensive gehen kann und warten muss, bis die anderen über etwas stolpern, das acht Wochen vor den Wahlen noch nicht abzusehen ist. Eher unwahrscheinlich dürfte die Variante sein, dass sie schon gestolpert sind, man es bisher aber noch nicht gemerkt hat. Sprich, dass etwas aus ihrer Vergangenheit ausgegraben wird, das die Trump-Kampagne sich nutzbar machen könnte. Ganz sicher haben Legionen von republikanischen Spezialisten für solche Schlammschlachten schon gegraben, so tief sie konnten und sehr wenig gefunden. Außerdem ist jeder Angriff auf diesem Niveau schon die Einladung zu einem Gegenangriff, und da hat besonders Tim Walz schon bewiesen, dass er auf Augenhöhe ist und Punkte machen kann, die viral gehen. Beispiele: Seine Abstempelung des Gegnerteams als „weird“ und seine Pointe über die Verbrechen im Land, die unter Trump zunahmen, wobei er Trumps eigene nicht berücksichtigt habe. So etwas kann man nicht auslassen in einem Wahlkampf made in den USA, wenn man selbst eine einigermaßen saubere Weste hat.
Die Landtagswahlen haben gezeigt, dass es so weit in Deutschland noch nicht ist, aber gerade die Politiker der AfD sind mit Aussagen konfrontiert worden, auf die sie vergleichsweise gelassen reagiert haben. Warum? Weil sie sich besser als Trump selbst als Opfer des Mainstreams markieren können. Aber wir wollen nicht zu sehr auf die vielen Fehler der „demokratischen Parteien“ in Deutschland eingehen; der US-Wahlkampf tickt anders, aus ihm kann man, um doch mit einer bekannten deutschen Parteivorsitzenden zu sprechen, nicht allzu viel lernen. Nicht für das, was bei uns gerade läuft und wie es läuft. Es sei denn, man meint, bessere Politik anzubieten, aber dieser Lernprozess scheint bei uns unmöglich zu sein.
Harris und Walz verlassen sich offensichtlich nicht auf das Anti-Trump-Kampagnenmodul, sondern legen Schritt für Schritt auch ihre eigenen Absichten offen, wohl wissend, dass sie dadurch auf Sachebene auch angreifbarer werden. Wenn man bedenkt, was in den USA alles als sozialistisch markiert wird, fasst man sich selbst im sozial ausgewrungenen und mit rechten Spins durchtränkten Deutschland des Jahres 2024 noch an den Kopf. Wer also eine einigermaßen mittige, arbeitnehmerfreundliche Politik macht, der müsste einen überwältigenden Wahlsieg gegen Trump & Co. einfahren. Dummerweise waren die Biden-Jahre von hoher Inflation geprägt, und dagegen konnte die Administration relativ wenig machen bzw. hatte die Hebel dazu nicht in die Hand genommen. Vielmehr entschied sie sich für Investitionen und Reindustrialisieren anstatt Preisdeckelung. Letztere hat es in den USA wohl noch nie gegeben, nicht einmal während des New Deal in den 1930ern.
Was sich ebenfalls nicht negativ auf den Vorsprung von Harris und Trump ausgewirkt hat, ist der Ausstieg des dritten Präsidentschaftsbewerbers Robert F. Kennedy und dessen Wahlempfehlung für Donald Trump. Man sieht lediglich am rechten Ende der Grafik, dass beide verbliebenen Bewerberteams ein wenig zugelegt haben. Vermutlich verbinden viele, die Kennedy vielleicht gewählt hätten, seinen Namen immer noch mit einer der großen Familien der Demokraten und sind enttäuscht von seiner Parteinahme. Ironischerweise trägt er den Namen seines Vaters Robert F., Justiziminister unter John F. Kennedy, 1968 im Rennen der Demokraten um die Präsidentschaftsbewerbung, erschossen während des Wahlkampfs. Robert F. senior gilt vielen als das größte politische Talent der Familie bis heute und als der Kopf hinter vielen progressiven Entscheidungen seines Bruders in den Jahren 1961 bis 1963.
1,8 Prozent Vorsprung sind nicht viel. Und vor allem könnten sie zu wenig sein, um die Wahl zu gewinnen. Wir haben das amerikanische Wahlsystem mit seinen Verschiebungen schon mehrfach thematisiert. Es kam seit der Jahrtausendwende schon zweimal vor, dass nicht der Kandidat oder die Kandidatin mit den meisten Stimmen die Wahl gewann, sondern verlor, weil sie nicht genug Wahlleute auf sich vereinigen konnte. So Hillary Clinton gegen Donald Trump im Jahr 2016.
Das liegt an einer Übergewichtung von republikanisch wählenden Staaten bezüglich der Wahlmännerverteilung in Relation zu ihrer Bevölkerung. Sprich, die großen Staaten im Osten und Westen, die Demokraten-affin sind, bekommen weniger Wahlleute zugeteilt, als es ihrer heutigen Bevölkerung entsprechen würde. Auf der einen Seite kann man sagen, dadurch wird das „Herzland“ Amerikas weniger abgehängt, auf der anderen ist dieses System schlicht eine Verfälschung des Wählerwillens. Würden die Stimmen sich korrekt im Endergebnis spiegeln, hätte es die stressige (erste) Präsidentschaft Donald Trumps nie gegeben. Deswegen sind die „Battleground-States“ so wichtig, in denen relativ viele Wahlleutestimmen vergeben werden, auch wenn sie von der Bevölkerung eher eine mittlere Stellung unter den 50 US-Bundesstaaten einnehmen. Das bedeutet auch, dass die Demokraten nicht nur ihre Stammwähler mitnehmen müssen, sondern auch jedes Mal darum zu kämpfen haben, in erzkonservativen Gegenden Staaten zu gewinnen.
Das gegenwärtige System der Zuteilung von Wahlleuten nach Bundesstaaten anstatt einer direkten Stimmauswertung, bei der alle Stimmen gleich zählen, ist klar republikanerfreundlich. Offenbar kam es im Laufe der Zeit zu Bevölkerungsverschiebungen, sodass die Wahlleute-Verteilung nicht mehr den aktuellen Verhältnissen entspricht. Dieser Effekt dürfte sich noch verschärfen, wenn weiterhin demokratische, große Staaten wie Kalifornien an Bevölkerung zulegen und der Mittelwesten stagniert. Es zu ändern, würde vermutlich große Mehrheiten an allen Orten der politischen Repräsentation erfordern, die gegenwärtig nicht zu erwarten sind, eine automatische Anpassung scheint es hingegen nicht zu geben. Wir werden auf dieses System aber an anderer Stelle noch etwas tiefer einsteigen.
Wenn man so will, hat jedes demokratische Team, das antritt, einen Startnachteil und die besondere Aufgabe, das Land viel mehr einen zu müssen, als die spalterische Trump-Kampagne das tun muss, wenn es gewinnen will, als die Republikaner es tun müssen, um sich gerade so ins Ziel zu retten und dabei mehr oder weniger auf ihre Stammwählerschaft zu bauen.
Der letzte Fall vor Clinton vs. Trump war der von Al Gore gegen George W. Bush im Jahr 2000, auch damals wurde ein Republikaner Präsident, der weniger Stimmen erhielt als sein demokratischer Gegenpart. Anders ausgedrückt: Ohne die Unwucht im amerikanischen Wahlsystem hätte es seit 1992 vermutlich keine republikanische Präsidentschaft mehr gegeben.
Das ist natürlich eine schematische Überlegung, denn man weiß nicht, ob nicht zum Beispiel am Ende einer langen, 12- oder 16-jährigen demokratischen Ära Bill Clinton – Al Gore eine natürliche Gegenbewegung entstanden wäre, die wiederum verhindert hätte, dass Barack Obama erster nichtweißer Präsident der USA werden konnte.
Wir können am Ende nur die Fakten betrachten, und die besagen, dass Demokraten mehr investieren müssen als Republikaner, um einen Präsidenten oder eine Präsidentin der USA stellen zu können. Seit Donald Trump sind sie dabei auch noch mit unhaltbaren Wahlbetrugsvorwürfen konfrontiert. Das macht es noch einmal pikanter, wenn Republikaner nicht in der Lage sind, ihren natürlichen, dem Wahlsystem geschuldeten Vorteil auszunutzen.
TH
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