Briefing Umfrage, Bundestagswahl 2025, CDU/CSU, Union, Friedrich Merz, Kanzlerkandidat, K-Frage
Wir pendeln derzeit ein wenig zwischen der Berichterstattung über die US-Präsidentschaftswahlen und dem, was sich in Deutschland politisch tut – bezogen auf anstehende Wahlen. Übermorgen wählen die Brandenburger:innen bekanntlich einen neuen Landtag. Die CDU wird dabei wohl ein wenig zerrieben werden, weil die Wahlkampfstrategie der SPD respektive des Ministerpräsidenten Dietmar Woidke für eine Zuspitzung zwischen den Sozialdemokraten und der AfD sorgen wird. Möglicherweise mit Stimmengewinnen für beide Parteien gegenüber der Wahl 2019.
Diese Wahl ist aber kein Test dafür, ob sich die Benennung von Friedrich Merz als CDU-Kanzlerkandidat für die nächste Bundestagswahl positiv auswirkt oder nicht – oder zumindest nur in geringem Maße. Zur Kandidatenkürz von Merz haben wir uns bereits geäußert und werden das noch häufiger tun. Hier nun die passende aktuelle Civey-Umfrage, bei der Sie abstimmen können:
Union: Chancen auf Wahlsieg durch Kanzlerkandidat Merz? (civey.com)
Civey-Begleittext
Die Union hat am Dienstag verkündet, dass CDU-Chef Friedrich Merz bei den Bundestagswahlen im nächsten Jahr als Kanzlerkandidat der Union antreten soll. CSU-Chef Markus Söder hat bei der gemeinsamen Pressekonferenz seinen Verzicht auf eine erneute Kanzlerkandidatur bekannt gegeben. NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst, der auch als Anwärter galt, rückte bereits am Montag von einer möglichen Kandidatur ab. Beide sicherten Merz vollste Unterstützung zu, berichtete die ARD.
„Der erste Schritt Deutschlands aus der Krise ist die Ablösung dieser Bundesregierung – dazu braucht es eine ebenso starke wie geschlossene Union.“ Das sagte Wüst der Welt zufolge bei seiner Verzichtserklärung. In dem Zuge rief er die CSU auf, Merz zu unterstützen, weil „das die gemeinsamen Wahlchancen der Union enorm erhöhen würde“. Wüst hob die Errungenschaften des CDU-Chefs hervor, die Union geeinigt und „oppositionsfähig gemacht“ zu haben. Zudem habe er den „Prozess christdemokratischer Selbstvergewisserung“ initiiert und erfolgreich vollendet. Ähnlich positiv äußerte sich der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Daniel Günther, der ebenfalls als potentieller Kandidat gehandelt wurde.
Merz gilt zugleich als deutlich konservativer und konfrontativer als etwa Wüst oder Günther und kommt damit nicht überall gut an. Wahlforscher Matthias Jung sagte im Handelsblatt, dass Merz aufgrund seiner Polarisierungen die politische Mitte abschrecken würde. Kontroverse Aussagen tätigte der CDU-Chef etwa in puncto Homosexualität oder Migration. Für Linken-Co-Chefin Janine Wissler hätte sich die Union mit der Besetzung auf den Kurs der „herzlosen Partei”, die nur nach unten trete, gebracht. Kaum jemand in der CDU verkörpere den „Typus des Rückwärtsgewandten“ so sehr wie Merz, kritisierte sie in der Rheinischen Post.
Anmerkungen und Kommentar
- Markus Söder war nie Kanzlerkandidat der Union. Er wäre es 2021 gerne geworden, aber die Union entschied sich für Armin Laschet, was sich als Fehler herausstellte.
- Voller als voll geht nicht, so viel zur vollsten Unterstützung, es gibt auch keine „keinste Weise“. Wir wissen, dass in Zeugnissen „zur vollsten Zufriedenheit“ stehen kann, aber das ist eine ganz spezielle Sprachverwendung, die nicht mit der deutschen Rechtschreibung übereinstimmt. Entgegen anderslautenden populistischen Aussagen ist hingegen gendergerechte Sprache durch Binnenzeichen in journalistischen Texten weiterhin erlaubt.
- Selbstverständlich stellen sich die Ministerpräsidenten hinter Merz, alles andere wäre politischer Selbstmord. Dass sie von ihm nicht überzeugt sind, ergibt sich daraus, dass sie in wichtigen Fragen von ihm abweichen (Günther, der im früheren Merkel-Lager verortet wird) oder selbst recht spät die Abwägung getroffen haben, nicht in den Ring zu steigen (Wüst), und gleich nach der Kür von Merz diesen für seinen Stil zu kritisieren: Friedrich Merz: Jetzt dreht Hendrik Wüst die kalte Dusche auf (morgenpost.de). Anders als die meisten Kanzler der Vergangenheit hätte Merz zuvor nie ein Regierungsamt innegehabt, wenn er die nächste Bundestagswahl gewinnt.
- Wenn das, was die Union gegenwärtig mit Merz, Linnemann und anderen Scharfmachern an der Spitze vorführt, eine christdemokratische Selbstvergewisserung ist, dann fragen wir uns, wie ein nicht christliche demokratische Selbstvergewisserung aussehen würde. Wäre die Union dann rechts von der AfD?
- Alles, was Noch-Linken-Chefin Wissler über Merz sagt, stimmt.
- Alles, was Wahlforscher zum Besten geben, muss kritisch untersucht werden. Die CDU hat zuletzt unter der Führung von Friedrich Merz deutlich zugelegt und die Mehrheit der Wähler:innen dürfte längst davon ausgehen, dass Merz auch Kanzlerkandidat wird. Wir halten deswegen dagegen: Die Klarheit, die jetzt erreicht ist, wird der Union eher helfen. Merz ist nichts fürs Herz, aber das ist in diesen herzlosen Zeiten eher ein Vorteil. Seine fehlende Regierungserfahrung halten wir eher für einen Knackpunkt, denn:
- Ihm wird aufgrund seiner Wirtschaftskompetenz zugetraut, dass er das Land quasi wie eine Firma saniert, in die Blackrock gerade eingestiegen ist, das Management gefeuert und ein neues mit handverlesenen Vertrauensleuten wie Merz installiert hat. Wir können nur davor warnen, das zu glauben. Eine Volkswirtschaft ist wesentlich komplizierter als die Bedienung von ein paar Aktionären zulasten aller anderen, die keine Aktionäre sind. Eine vernünftig organisierte Volkswirtschaft muss einen Interessenausgleich herstellen, sonst verliert auch die Demokratie.
- Ob Merz die Demokratie so richtig wichtig ist, wagen wir anzuzweifeln, sonst würde er nicht bei seinen Positionierungen der AfD hinterherrennen. Schlau ist es aber, dass er jüngst gesagt hat, die Wirtschaft sei ihm wichtiger als die Migrationsfrage. Warum? Weil er an der Migrationslage nicht so viel ändern kann, wie er jetzt vorgibt. Möglich allerdings: Dass das europäische Asylsystem insgesamt platzt, wenn immer mehr Länder aussteigen, das würde einer restriktiven deutschen Regelung unter Unionsführung entgegenkommen und Merz könnte es als Erfolg verbuchen. Selbstverständlich trägt auch die aktuelle und künftige Haltung Deutschlands dazu bei, ob sich die EU noch regelbasiert verhält oder Schengen kickt, mit allen Folgen, die das auch wirtschaftlich haben wird. Es wird die Merz-Sanierungsaufgabe wohl erschweren, wenn alle Länder wieder stationäre Grenzkontrollen einführen, zumindest bis eine Neuregelung gefunden ist, die auf verstärkte, gemeinsam organisierte Außengrenzensicherung hinausläuft.
Wir haben schon ein bisschen gespickt und sind damit ebenfalls bei Civey gelandet, weil die „Sonntagsfrage“ dort fortlaufend gestellt wird: Civey-Umfrage: Wen würden Sie wählen, wenn am Sonntag Bundestagswahl wäre? – Civey. Hier steht die Union derzeit bei knapp 33 Prozent. Ein leichter Rückgang gegenüber unserer letzten Einsichtnahme vor etwa einer Woche, da waren es ca. 33,5 Prozent, der höchste Werte, den wir seit dem Abgang von Angela Merkel für die Union registriert haben.
Ist der leichte Rückgang ein Anti-Merz-Effekt oder war der vorherige Anstieg überproportional, wegen der Wahlkämpfe und politischen Haudrauf-Aktionen der letzten Wochen? Wir meinen, der Unterschied ist zu gering, um eine eindeutige Richtung anzuzeigen. Wir warten auf die nächsten Ergebnisse von den „klassischen“ Meinungsforschern, vor allem auf den Vergleich Vormerz und Nachmerz bei Umfragen desselben Instituts (ohne Festlegung, welches davon als erstes diesen Vergleich ermöglichen wird, bestenfalls gerade eine Befragung durchführt und dessen vorausgehende Befragung möglichst erst wenige Wochen alt sein sollte).
An dieser Stelle bietet sich eine Zwischenauswertung der Frage an, die diesen Beitrag ausgelöst hat: Es gibt tatsächlich derzeit eine leichte Mehrheit, die sagt, Merz‘ Kandidatenkrönung erhöhe die Wahlchancen der Union nicht. Haben die Leute wirklich geglaubt, Söder würde es? Nun ja, komplett umöglich war es für Außenstehende nicht, aber da haben wohl auch Friktionen von 2021 nachgewirkt. Viele in der Union hätten Söder wegen seines damaligen Verhaltens gegenüber Laschet nicht akzeptiert, Beliebtheit im Volk hin oder her. Wir haben anders abgestimmt, nämlich vorsicht positiv. Auch wenn sich nun einige erst daran gewöhnen müssen, dass der Politiker, der die Union doch ohnehin am meisten vertritt, der insofern logische Kanzlerkandidat ist. Freilich dürfen auch Menschen abstimmen, die ohnehin nicht die Union wählen würden. Sie müssten dann, wie wir, von ihrer persönlichen Abneigung gegenüber Merz hin zu dessen Wirkung auf Unionswähler abstrahieren, und diese halten wir eben nicht für negativ.
In unserem Breaking-Beitrag direkt nach der Kür von Friedrich Merz zum Kanzlerkandidaten der Union haben wir in die Headline gesetzt: Dürfen wir vorstellen? Der neue Kanzler. Das war ein kleiner rhetorischer Kniff, der darauf abzielte, was wir und wohl die meisten Beobachter voraussehen: Dass der Union der Sieg bei den nächsten Bundestagswahlen nur schwer zu nehmen sein wird. Um das zu verhindern, müsste Merz ein ganz schwerer Fehler unterlaufen oder die Ampel müsste ein Feuerwerk an Verbesserungen der Lage inszenieren, aber auf viele Bestandteile der Lage hat sie nicht genug Einfluss, um so kurzfristig noch das Ruder herumreißen zu können. Oder sie hat die Weichen so gestellt, dass das nicht mehr möglich ist, bis Ende September 2025 gewählt werden wird. Ein Move könne die Lage ändern, dazu unten mehr.
Dass Merz die Union oppositionsfähig gemacht hat, stimmt natürlich, um diesen Aspekt noch einmal aufzugreifen. Das war aber nur möglich, weil Menschen furchtbar vergesslich sind. CDU und SPD bestimmen seit Jahrzehnten das politische Geschehen, die CDU noch mehr, aufgrund der langen Kanzlerschaft von Angela Merkel. Nichts, was wir heute an Problemen sehen, wäre nicht schon in ihrer Zeit angelegt gewesen und wir sind uns ziemlich sicher, dass sie im Rahmen des Ukrainekriegs eine ähnliche Politik gemacht hätte wie Olaf Scholz, inklusive des Sanktionsregimes.
Aber sie hätte nicht einmal die Energiewende vorangetrieben, was hätte bedeuten können, dass wir tatsächlich in eine Versorgungskrise hineingelaufen wären. Dagegen ist das vieldiskutierte Heizungsgesetz als originärer Grün-Fail eher eine kleinere Hausnummer. Der Merkel-Regierung fehlte eine strategische Wirtschaftspolitik, und wir sind gespannt, ob der ökonomisch vollkommen einseitig orientierte Friedrich Merz eine Wirtschaftswende ohne massive weitere Wohlstandsverluste für die Mehrheit hinbekommt. Wir glauben das eher nicht. Vielmehr wird der neoliberal-rechtskonservative Medientross und werden die entsprechend orientierten Thinktanks weiterhin ein Trommelfeuer auf die Bevölkerung loslassen, das dieser eintrichtern soll, all dies sei unvermeidlich. Alternativlos, hätte Angela Merkel es genannt. Und die Mehrheit wird es glauben, weil es von rechts kommt, nicht aus der Ampel-Mitte. So sind schon viele Länder tatsächlich abgestiegen, mit Politikern von gestern, die Rezepte von vorgestern verkaufen, die schon fragwürdig waren, als sie sie ihrerseits gelehrt bekamen.
Für uns ist Merz solch ein Typ und damit aus der Zeit gefallen, wenn man sieht, wie andere Länder ihre Industrien sichern, nämlich ganz und gar nicht nach neoliberalen Kriterien. Vielleicht wird ihn aber auch die Wirklichkeit formen, die manchmal ganz erdrückend sein kann und er wird sich pragmatisch verhalten und tatsächlich Dinge anstoßen und dafür Zustimmung erhalten, für die man die Ampel heftig kritisiert hätte. Dann wäre er womöglich der richtige Krisen-Kandidat, wie in diesem Artikel gemutmaßt wird.
Falls Sie aus unserem Artikel ein wenig Fatalismus herauslesen, dann liegen Sie nicht falsch. Wir richten uns bereits auf Merz als nächsten Bundeskanzler ein. Es sei denn, die SPD nimmt einen Wechsel vor und überlässt das Feld Boris Pistorius, der dann gegen Merz antreten würde. Dann müsste noch einmal neu gerechnet und kommentiert werden. Die Union hat nach unserer Ansicht einen guten Zeitpunkt gewählt, um ihre KK-Frage zu klären. Wenn die SPD jetzt schon einen Wechsel vollziehen würde, wäre das nach unserer Ansicht um einige Monate zu früh.
TH
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