Briefing PPP Politik Personen Parteien | Brandenburgwahl 2024, Landtagswahl in Brandenburg, Wahlbeteiligung, Sonntagsfrage Bund – Scholz im Aufwind, sensationelle erste Prognose, SPD siegt auf Kosten aller anderen "demokratischen" Parteien, Rechtsdrall setzt sich fort
23.09. Nachlese / 22.09.2022 23:00 Amtliches Endergebnis und 20:30,Berliner Runde
In unserem vorerst letzten Update zur Brandenburg-Wahl 2024 melden wir Ihnen das vorläufige amtliche Endergebnis, vergleichen es mit den Prognosen und Hochrechnungen, werfen einen Blick auf die Berliner Runde der Parteisekretäre und parlamentarischen Geschäftsfrührer (und Geschäftsführerinnen, es war bei 8 Personen nur eine Frau dabei), schauen, wie die Wahl in der Presse kommentiert wurde und schreiben ein paar Sätze als eigenes Fazit auf.
Die untenstehenden Zahlen sind so zu lesen: Fett gedruckt = amtliches Endergebnis / dann ARD-Hochrechnung 18:24 Uhr // Prognose 18 Uhr Zahlen ARD/ZDF in Prozent
Die ARD-Hochrechnung von 18:50 hat das bisherige Ergebnis bis auf einige Unterschiede von 0,1 Prozent bestätigt, das gilt auch für die Hochrechnung von 19:09 Uhr, bis auf einen Anstieg des BSW auf 12,3 Prozent gibt es weiterhin nur Abweichungen von bis zu 0,1 Prozent gegenüber der Prognose von 18 Uhr.
SPD: 30,9 / SPD: 31,2 // SPD: 31/32
AfD: 29,2 / AfD: 29,9 // AfD: 30/29
CDU: 12,1 CDU: 11,9 // CDU: 12/11,5
Grüne: 4,1 / Grüne: 5,0// Grüne: 5/4,5
Linke: 3,0 / Linke: 3,1 // Linke: 3/4
BSW: 13,5 / BSW: 12,0 BSW: 12/12
BFV / Freie Wähler: 2,6
- Die SPD wurde erneut stärkste Kraft, knapp vor der AfD. Beide Parteien legten gegenüber 2019 erheblich zu, die SPD um 4,7 Prozent, die AfD um 5,7 Prozent.
- Das neu gegründete BSW schaffte auf Anhieb den Einzug in den Landtag und wurde drittstärkste Kraft. Das BSW zeigt im Vergleich zu den ersten Prognosen und Hochrechnungen den deutlichsten Unterschied im Endergebnis (1,5 Prozent Plus).
- Grüne, Linke und BVB/Freie Wähler scheiterten an der 5%-Hürde und sind nicht mehr im Landtag vertreten. Sie haben auch keine Direktmandate gewonnen, die den Wiedereinzug in den Potsdamer Landtag ermöglichen würden. Die Grünen liegen beim amtlichen Endergebnis noch einmal weitaus schlechter als in den ersten Prognosen / Hochrechnungen.
- Die Wahlbeteiligung lag bei 72,9%, so hoch wie nie zuvor bei Landtagswahlen in Brandenburg.
- Die bisherige „Kenia-Koalition“ aus SPD, CDU und Grünen kann nicht fortgeführt werden, da die Grünen nicht mehr im Landtag sind und die SPD und die CDU zusammen keine Regierungsmehrheit haben.
- Vielfach wurde vor der Wahl schon auf eine „Brombeer-Koalition“ spekuliert (SPD, BSW, CDU). Das ist jenseits der AfD aktuell die einzige Möglichkeit, um eine neue Brandenburg-Regierung zustande zu bringen.
20:30 Die Berliner Runde
Und so geht es gleich wieder los, wie wir befürchtet haben. Den ersten wirklichen Punkt macht nicht Kevin Kühnert, Generalsekretär der SPD, er kann nämlich nicht erklären, wie Olaf Scholz innerhalb eines Jahres die Beliebtheitswerte im Bunde wie Dietmar Woidke in Brandenburg erreichen will, um die SPD tatsächlich an einer CDU vorbeizuführen, die gegenwärtig mehr als doppelt so stark in den Umfragen ist und stärker als die gesamte Ampelregierung.
Nein, den ersten Punkt macht wieder die AfD, indem sie sagt, Woidke hat mit der „Zurückführung an den Grenzen“ eine AfD-Position übernommen, die klarmacht, dass die AfD eine vernünftige bürgerliche Partei ist. Genau das Spiel, das Generalsekretär Bernd Baumann schon mit der CDU in Sachsen und Thüringen vorgeführt hat. Deswegen können wir mit der Art, wie der SPD-Sieg in Brandenburg errungen wurde, nämlich nicht mit demokratischen Gegenpositionen sondern mit einem Nachäffen der AfD, nicht zufrieden sein. Das war natürlich nicht die ganze Miete, so klein wollen wir Dietmar Woidke nicht reden, aber es könnte exakt den Unterschied zwischen einem ethisch fragwürdigen Sieg der SPD und einem ehrenhaften Platz 2 ausgemacht haben, der jede Möglichkeit zur Regierungsbildung mit CDU und den Grünen offengelassen hätte. Diese hätten nämlich ohne die Woidke-Polarisierungsstrategie beide besser abgeschnitten. Für ihn selbst war diese Strategie ein Clou, wenn auch nicht neu und 2019 schon erprobt, das muss man Woidke lassen. Es zeigt sich aber auch am Tag darauf schon, wie vergrätzt z. B. die CDU ist und wieviel Macht dadurch dem BSW zukommt.
CDU-General Linnemann trickst, indem er die starken Umfragen der CDU im Bund hervorhebt. Die bisher stärksten seit 3,5 Jahren gab es aber vor der Wahl von Merz zum Kanzlerkandidaten, die erste Umfrage danach sieht einen leichten Rückgang. Sei’s drum. Und er macht eine schlechte Figur, als AfD-Baumann ihm wieder „Abschreiben“ vorwirft und nebenbei die starken AfD-Ergebnisse bei Jungwählern ins Feld führt, um die AfD als Zukunft des Landes darzustellen. Linnemann ist unangenehm berührt und rhetorisch nicht auf der Höhe. Nur zur Erinnerung: Vor ein paar Jahren waren die Grünen bei jungen Wähler:innen noch ganz vorne, das kann sich also bei anderer Themenpriorisierung schnell wieder ändern.
Diese Auseinandersetzung um das BSW und Putin und das, was in beide Richtungen, also von dort und dagegen, unter der Gürtelllinie und nun mit juristischem Nachspiel verhackstückt wird – dazu erstparen wir uns hier einen Kommentar. Eine Rolle wird es trotzdem spielen, siehe oben. Eigentlich muss man, wenn man das BSW befürwortet, hoffen, der Ukrainekrieg zieht sich noch lange hin. Das haben wir so bisher nicht ausformuliert: Dass die Macher des BSW genau wissen, dass Deutschland den Frieden nicht herbeiführen kann, aber eine Stimmung aufgreift, die ohne diesen Krieg die Wirksamkeit des BSW stark einschränken würde.
Gehen wir aber einen Schritt mehr auf Distanz. Wie einheitlich sind die vier Personen auf der linken Seite (vom Zuschauer aus gesehen), AfD, CSU, CDU, FDP, die den rechten Teil des politischen Spektrums darstellen und bis auf die Frage, wer von wem abschreibt, im Grunde sofort eine Koalition bilden könnten, im Vergleich zu jenen auf der anderen Seite, SPD, Grüne, BSW und Linke? Und wie stark sind sie üblicherweise im Vergleich, denn das heutige SPD-Ergebnis ist ja im Osten nicht der Normalfall, sondern ein Sonderfall. Auf der (optisch) linken Seite sind erhebliche Unverträglichkeiten zu erkennen, zum Beispiel außenpolitisch, während wir uns sicher sind, dass AfD und CDU sich auf dem Gebiet notfalls einigen könnten, wenn es um eine Bundesregierung 2029 ginge, beispielsweise, zumal sich die außenpolitische Lage bis dahin wieder stark verändert haben könnte.
Auch wenn die Linke bei jeder Runde offenbar jemand anderen ins Rennen schickt, sie ist die einzige Partei, die den Faktor benennt, der sozusagen eine Sprungübertragung auslöst: Soziale Probleme werden den falschen Verursachern zugerechnet und nicht den Ampelparteien und den Rechten, die genau dieses Narrativ schüren. Dieses Mal hat der Vertreter der Linken Ates Gürpinar nicht die Verwertung von Menschen durch das Kapital als Spaltpilz direkt angesprochen, aber die Zeit wird kommen, in der die Menschen wieder mehr hinter die Kulissen schauen, wenn sich die Kulissenhaftigkeit der rechten Politik erwiesen hat, wenn sie wieder oder gar erstmalig, in Form der AfD, in Regierungsverantwortung kommt. Einstweilen muss man beten oder was immer man als Atheist stattdessen tut, um die Hoffnung nicht fahren zu lassen, dass wenigstens ein paar gescheite Menschen merken, was wirklich gespielt wird und wie gut das den Herrschenden in den Kram passt.
Haben Sie in diesem Zusammenhang bemerkt, dass das Mietenthema von der SPD und auch vom Moderator der ARD gar nicht mehr erst angesprochen wird? Danke für nichts, können wir aus unserer Sicht als Begleiter der Mietenbewegung schon einmal zum Wirken der Ampel sagen, vom Klimageld wollen wir gar nicht erst reden.
Und es ist so leicht für die AfD, die anderen aus der Reserve zu locken, wie etwa CDU-General Linnemann, dessen Partei in der Tat 16 Jahre schleichenden Abstieg unter der Ägide von Angela Merkel zu vertreten hat. Und was immer man über den Kinderbuchautor Robert Habeck als Wirtschaftsminister sagt: Vorgänger Peter Altmaier war nicht besser, sondern lobbyorientiert und ihm mangelte es zusätzlich an jeder Form von Zukunftsvision. Es wäre auch leicht, die AfD in Bezug auf Intel zu entzaubern, aber dazu müsste man natürlich im Kopf und rhetorisch parat haben, dass die Probleme in dem Konzern erst für alle im heutigen Ausmaß offensichtlich wurden, nachdem das Magdeburger Chipfabrik-Projekt schon eingetütet war. Die USA machen es übrigens genauso und geben Unsummen an Subventionen aus, nicht bloß um ausländische Firmen anzulocken, sondern um die eigenen zu halten.
Das Argument des CDU-Generals Huber, dass während 16 Jahren Merkel Deutschland nie wirtschaftliche Schlusslicht war, wie jetzt, ist läppisch. Wir haben hier vielfach dargestellt, wie die konservative Sektoren der deutschen Wirtschaft unter Inkaufnahme zentraler Innovationsfeindlichkeit während der Niedrigzinsphase künstlich aufgeblasen wurden, nachdem Finanzminister Schäuble, der ursprünglich gegen diese Politik war, gemerkt hat, dass sich damit eine Scheinblüte mit hohem Steuereinnahmenwachstum und einer werbewirksamen Schwarzen Null organisieren ließ. Derweil kam es auch damals schon schleichend zu industriellen Substanzverlusten. Die Autoindustrie-Wende setzen wir z. B. mit dem Jahr 2016 an, als erstmals mehr Fahrzeuge mit deutschen Markenlabels im Ausland als in Deutschland produziert wurden.
Diese Scheinblüte war ein Meisterstück der merkelschen Fassadenpolitik, die den Menschen suggerierte, alles so lassen wie es ist, ist die erfolgreichste Strategie, hier und da noch ein paar kleine gesellschaftspolitische Formalfortschritte, und alle sind mehr oder weniger zufrieden. Wir waren schon damals nicht zufrieden, wie sich anhand aller unserer Wirtschaftsbeiträge seit der Gründung des ersten Wahlberliners (2011) nachlesen lässt.
Christian Leye vom BSW hat in eine gute Rhetorik, keine Frage, und er verfolgt die Dinge auch im Detail, markiert die Art, wie Investitionspolitik zugunsten Superreicher betrieben wird, aber die Sozial- und Wirtschaftspolitik auf dieser Ebene könnte, wenn wir das richtig sehen, die rechte Seite des Tisches (vom Zuschauer her gesehen) doch das eine oder andere wuppen. Es fällt auf, dass Leye die rechten Politiker bei Gerechtigkeitsfragen angreifen kann, ohne Widerspruch zu ernten. Offenbar gehen diese davon aus, dass das Migrationsthema die Menschen so emotionalisieren wird, damit sie nicht darüber nachdenken ober gar recherchieren, was wirklich während der Merkel-Jahre und auch zuvor gelaufen ist, nämlich ein schleichender Niedergang des Landes, die Aufgabe des Anspruchs auf Technologieführerschaft in vielen Bereichen, der Niedergang der Infrastruktur, Vermögens- und Bildungsverluste, die vom Mittelstand an abwärts bis in die prekäre Zone reichen.
Aber die auf der rechten Seite (politisch mehr oder weniger links) würde sich bei der Außenpolitik und wohl auch der Migrationspolitik verheddern. Deswegen versucht die AfD auch immer, alles wieder auf die Migrationspolitik zurückzuführen. Schön, wie Leye die tatsächliche Haltung der AfD in Gerechtigkeitsfragen adressiert. Punkte letztlich für beide, die ganz rechts am Tisch sitzen; wobei einer davon ja nach der nächsten Bundestagswahl nicht mehr dabei sein wird. Das BSW muss dann quasi alleine die Sozial- und Gerechtigkeitspolitik hochhalten. Ein wirklich gutes Gefühl haben wir dabei nicht, auch wenn der uns von der Linken gut bekannte Christian Leye hier vergleichsweise gut performt.
In der Nachbetrachtung kam uns ein Gedanke: In der FDP mehren sich die Stimmen, die gerne wieder einmal eine Koalition platzen lassen möchten, und angesichts von deren Wahlergebnissen im Osten ist das sogar nachvollziehbar.
Wenn die SPD bei dann anstehenden vorzeitigen Neuwahlen eine Chance haben will, müsste sie jetzt schon einen Kandidatenwechsel vornehmen und Olaf Scholz, Kanzler hin oder her, durch den wesentlich beliebteren Boris Pistorius ersetzen. Für uns ist vollkommen offen, ob er wirklich mehr leisten kann, seine bisherige Tätigkeit als Verteidigungsminister reicht für die Beurteilung nicht aus. Aber eine Stimmung ist eine Stimmung, und die könnte die SPD durch diesen Wechsel am besten drehen. Für ihn wäre es sogar von Vorteil, dass er es nicht ist, der die Ampelregierung anführt. Damit käme es erstmals in der Geschichte der BRD zu der Situation, dass der aktuelle Kanzler und der Kandidat der Partei für die nächsten Bundestagswahlen zwei verschiedene Personen wären (Konrad Adenauer trat 1961 mit der Maßgabe an, 1963 an Ludwig Erhard zu übergeben, das war eine etwas andere Situation).
Wie notwendig linke Politik ist, zeigt sich wiederum daran, dass Argumente vonseiten des BSW und der Linken einfach weggeschwiegen werden – mit einem klaren Vorteil für das BSW allerdings, weil von dieser Seite offensiv das Thema Ukrainekrieg als Abgrenzung von CDU, SPD und Grünen ins Feld geführt werden kann, und dieses Thema bietet Potenzial. Die Gegenfrage ergibt sich daraus: Wie viel Wirkung würde das BSW ohne dieses Thema erzielen, welches das Bündnis Sahra Wagenknecht speziell pflegt?
Dietmar Woidke wird Ministerpräsident von Brandenburg bleiben und hat uns mit der Durchschlagskraft seiner Alles-oder-nichts-Strategie überrascht. Dabei hat er aber als Nebeneffekt gleich einen seiner bisherigen Koalitionspartner abgeschafft und den anderen, die CDU, so klein gemacht, dass es für eine Zweierkoalition trotz der SPD-Zugewinne nicht reichen wird. Haben Sie beobachtet, wie CDU-Kandidat Redmann dem Herrn Woidke beim ersten Aufeinandertreffen kurz nach der ersten Hochrechnung mit einer hoch emotionalen, unwirschen Bewegung den Handschlag verweigert hat, ihm ausgewichen ist?
Diese Geste hat am Tag darauf bereits eine Art von Verfestigung erfahren: Die CDU sieht derzeit keinen Regierungsauftrag, sprich, keine Notwendigkeit, mit der SPD in Koalitionsgespräche zu gehen. Die Schmach der Woidke-Strategie, die von allen anderen Parteien kritisiert wird, sitzt bei der CDU besonders tief, die vor einem Jahr in Umfragen noch Kopf an Kopf mit der SPD auf Platz 2/3 hinter der AfD lag.
Die Demokratie hat durch den Woidke-Move nicht gewonnen, denn die AfD ist auch in Brandenburg stärker geworden, Woidke hat lediglich die anderen „demokratischen“ Parteien erheblich anzapfen können.
Was in Thüringen ein großes Thema war, in Sachsen noch gerade vermieden werden konnte: Wir haben schon vor der Wahl geschrieben, wenn es ungünstig läuft und viele Stimmen an Parteien gegangen sind, die dann nicht in den Landtag kommen, weil sie an der 5-Prozent-Hürde scheitern und keine Direktmandate holen, dann könnte die AfD schon bei Ergebnissen um 30 Prozent, ebenso wie in Thüringen, eine Sperrminorität erhalten, die ihr viele Mitbestimmungsrechte einräumt. Diese Sperrminorität ist erreicht worden. Die AfD hat 30 Sitze errungen, der Brandenburger Landtag hat insgesamt 88 Sitze.
Dietmar Woidke hat seinen eigenen Wahlkreis hauchdünn gegen deinen AfD-Kandidaten verloren und dieses Mal sind auch im Westen Brandenburgs einige Wahlkreise „blau“ geworden. Die AfD hat die Mehrzahl der Wahlkreise gewonnen (25 von 44, alle übrigen 19 gingen an die SPD). Das heißt, in der Fläche ist die AfD bereits stärker als die SPD.
Vor der Wahl hatten wir geschrieben, Woidkes Strategie könnte politisch verbrannte Erde hinterlassen. Damit meinten wir zwar eher die Situation, dass sein Scheitern trotz Zuspitzung auf seine Person die SPD in eine Krise stürzen könnte, aber nun lässt sich der Begriff anders lesen: Bis auf das BSW, das von dieser Strategie weitgehend unberührt blieb, muss Woidke erst einmal schauen, wer noch mit ihm koalieren will oder kann. Am Ende wird die CDU sich breitschlagen lassen, um sich nicht vorwerfen lassen zu müssen, die Demokratie durch Mitarbeitsverweigerung beschädigt zu haben.
Wirklich verantwortungsvoll war diese Strategie nicht und die vorgebliche Demokratiehilfe durch Sammeln aller „Abwehrstimmen gegen rechts“ bei der SPD hat das Anwachsen der AfD nicht wesentlich gebremst. Und darauf kommt es an, wenn man darüber urteilen will, ob die Brandenburg-Wahl endlich einen Gegentrend eingeleitet hat. Das hat sie erkennbar nicht. Außerdem: gleich zwei Parteien, die für ein ausgeglichenes politische Spektrum wichtig waren, die Grünen und die Linke, sind im neuen Brandenburger Landtag nicht mehr vertreten. So kann man auch eine politische Flurbereinigung vornehmen, sie ist in dieser Form aber ganz eindeutig eine Bestätigung des Rechtsdralls im Osten.
TH
23.09.2024
19:34 // 18:50 // 18:25 // 18:00
Sensation in Brandenburg, erste Prognosen von ARD und ZDF: Die SPD liegt in beiden Prognosen vorne – allerdings in unterschiedlichem Ausmaß, CDU sackt ab und wird von BSW vermutlich eingeholt. AfD gegenwärtig nur auf Platz 2. Die erste ARD-Hochrechnung von 18:24 Uhr bestätigt die Zahlen der eigenen Prognose weitgehend. Wir werden im Wesentlichen bei der ARD bleiben, weil es dort zwischen SPD und AfD enger aussieht als beim ZDF (1,3 / 3 Prozent Unterschied).
Gegen etwa 19:30 wird bekanntgegeben, dass die Wahlbeteiligung mit ca. 73 Prozent die höchste in Brandenburg seit der Wende ist.
Wir haben in dieses Update nun auch die erste Hochrechnung der ARD gepackt. Die Unterschiede zur 18-Uhr-Prognose sind gering, aber das Allerwichtigste: Der Vorsprung der SPD nimmt leicht zu, das ZDF hatte bereits ind er Prognose um 18 Uhr die SPD um klare 3 Prozent vorne gesehen. Wir kommentieren nun unterhalb der Daten bereits in kurzer Form.
ARD-Hochrechnung 18:24 Uhr // Prognose 18 Uhr Zahlen ARD/ZDF in Prozent
Die ARD-Hochrechnung von 18:50 hat das bisherige Ergebnis bis auf einige Unterschiede von 0,1 Prozent bestätigt, das gilt auch für die Hochrechnung von 19:09 Uhr, bis auf einen Anstieg des BSW auf 12,3 Prozent gibt es weiterhin nur Abweichungen von bis zu 0,1 Prozent gegenüber der Prognose von 18 Uhr.
SPD: 31,2 // SPD: 31/32
AfD: 29,9 // AfD: 30/29
CDU: 11,9 // CDU: 12/11,5
Gründe: 5,0// Grüne: 5/4,5
Linke: 3,1 // Linke: 3/4
BSW: 12,0 BSW: 12/12
- Dietmar Woidke ist ein Fuchs und hat auch uns düpiert. Wir hatten vermutet, dass es dieses Mal nicht ausreichen wird, auf „Die Demokkratie bin ich und wer mich nicht wählt, ist ein AfD-Antidemokrat“ zu setzen, wie es schon 2019 funktioniert hat. Ganz sicher hat Brandenburg unter seiner Leitung Erfolge vorzuweisen, aber das All-In beim Pokerspiel gegen die AfD war der Knackpunkt, auch die Positionierung rechts von der Bundes-SPD wird ihm geholfen haben und wir haben bereits mehrfach darauf hingewiesen, dass das für die Demokratie eben kein gutes Zeichen ist. Generalsekretär Kevin Kühnert hat das in einer ersten Stellungnahme versucht zu marginalisieren, aber wir haben darauf bereits in mehreren Artikeln hingewiesen.
- Die SPD hat vor allem viele Nichtwähler:innen sozuagen aus dem Bett oder aus dem demokratischen Tiefschlaf geholt, das ist ein Verdient, unbestreitbar. Von dort kommt der stärkste Zuwachs der SPD laut ARD-Daten, mehr als von der CDU und der Linken. Vermutlich wird auch die Wahlbeteiligung heute einen für Brandenburg sehr hohen Wert erreicht haben.
- Die AfD hat trotzdem am oberen Rand der Vorwahl-Umfragen abgeschnitten, das scheint bereits festzustehen, diese gingen auf bis zu 29 Prozent, gegenwärtig stehen die Aussichten bei 29 bis 30 Prozent. Dass die SPD es geschafft hat, das zu toppen, das ist die eigentliche Sensation.
- Die CDU hat bekommen, was sie generell verdient, mit der kuriosen Note, dass Sachsens Ministerpräsident Kretschmer, gerade selbst knapp vor der AfD eingelaufen, in Brandenburg für Woidke Wahlkampf gemacht hat, nicht für seine eigene Partei – und insofern half, eine demokratische Abwehrfront aufzubauen. Der Rechtsdrall der CDU hat hier erstmals dazu geführt, dass sie dafür zugunsten der AfD richtig abgestraft wird.
- Bei den Grünen ist noch nicht klar, ob sie in den Landtag kommen, es sieht gerade ganz knapp aus. Von ihrem Wiedereinzug kann es aber abhängen, ob die AfD eine Sperrminorität im neuen Landtag bekommt, wie in Thüringen.
- Die Linke ist erstmals in einem ostdeutschen Landtag nicht mehr vertreten.
- Das BSW könnte aus dem Stand die CDU überholt haben. Wir wollen da nicht schadenfroh sein, zumal wir den BSW-Spin, ein Nicht-Landesthema nun schon zum dritten Mal in den Vordergrund gestellt zu haben, wenig hilfreich finden, aber es ist natürlich legitim, Menschen eine Wahlmöglichkeit zu bieten, für die eben dieses Friedensthema wichtiger war als alle Landesthemen.
TH
15:00
Bis 14 Uhr haben in ganz Brandenburg etwa 46,1 Prozent der Wahlberechtigten für die Landtagswahl ihre Stimme abgegeben, wie die Landeswahlleitung mitteilte. Das sind fast 15 Prozent mehr als bei der letzten Wahl um diese Zeit (31,3 Prozent).
Die Briefwahlstimmen seien bei dem Zwischenstand noch nicht berücksichtigt worden, hieß es. Die höchste Wahlbeteiligung meldete Potsdam (51,3 Prozent), die niedrigste nannten Brandenburg an der Havel und die Uckermark (beide 40,2 Prozent). (Quelle: RBB)
Wie schon bei den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen zeichnet sich auch in Brandenburg ab, dass es 2024 zu einer höheren Wahlbeteiligung kommen wird als 2019. Die Zuspitzung der politischen Verhältnisse, in Brandenburg besonders befeuert durch die „Alles-oder-nichts-Strategie“ des Ministerpräsidenten, treibt überall im Osten die Wähler:innen zu den Urnen.
Zwischenmeldung aus dem Bund: Die neueste Sonntagsfrage-Umfrage von Insa zeigt einen plötzlichen Anstieg bei der Beliebtheit von Olaf Scholz, der bei einer Direktwahl etwa auf die gleichen Werte käme wie Friedrich Merz. Die CDU verliert gegenüber der letzten Umfrage ein Prozent, die SPD gewinnt ein Prozent. Ist Merz der falsche Kandidat für die Union? Wir haben uns bereits damit auseinandergesetzt: So schnell kann man das nun nicht sagen. Sollte tatsächlich jetzt ein Stimmungsumschwung stattfinden, würde sich uns die Frage stellen, was die Menschen erwartet hatten. Wir waren uns ziemlich sicher, dass Merz für die Union bei der Bundestagswahl 2025 antreten wird. (Quelle)
11:00
Die Wahllokale in Brandenburg sind seit drei Stunden geöffnet, das Wetter ist optimal zum Rausgehen und seine Stimme abgeben. Aber die politische Großwetterlage ist nicht so schön und das politische Mikroklima in Brandenburg genauso vergiftet wie in anderen Zonen der Republik.
Das vergisst man beinahe, wenn man sieht, wie gestern Ministerpräsident Dietmar Woidke ungestört und im Kreise seiner SPD-Liebsten den Wahlkampf abgeschlossen hat. Hier können Sie noch einmal schnell nachlesen, wie die gefährliche Strategie des Ministerpräsidenten aussieht: Woidke setzt zum Abschluss auf Polarisierung (nordkurier.de). Oder etwas ausführlicher bei uns, wir haben mehrere Artikel zu einer Serie zusammengefasst:
Die letzten Umfragen laufen darauf hinaus, dass Woidkes Polarisierungsstrategie zum Beispiel dafür sorgen könnte, dass die Grünen, mit denen er aktuell regiert, nicht mehr im Landtag vertreten sein werden und dass er mit dem BSW und der CDU zusammengehen muss, um eine AfD-Regierungsbeteiligung zu verhindern. Dabei könnte sogar eine recht stabile Koalition herauskommen, zumindest die Zahl der Sitze im Landtag betreffend. SPD, BSW und CDU zusammen könnten auf etwa 55 Prozent der Stimmen kommen. Ob diese Koalition auch inhaltlich gut funktionieren wird, ist eine andere Frage. Falls Woidke die Wahl nicht gewinnt und die AfD die SPD überholt, wird das aber nicht mehr sein Problem sein, wenn er Wort hält und abtritt. So stark, dass die SPD die führende Partei in der neuen Regierung sein und den Ministerpräsidenten stellen wird, wird sie auf jeden Fall werden.
Tradition ist es mittlerweile, dass wir Ihnen zum Auftakt eines Wahlsonntags Pressestimmen liefern, die die Lage erklären und dass wir kurz dazu kommentieren. Hier ein persönlicher Bericht von einem echten Ostdeutschen, wie ihn sich AfD-Wähler gar nicht als deutsch denken können: AfD-Wählende in Brandenburg : Eigentlich stolz ostdeutsch zu sein – taz.de.
Wir haben noch nicht Nazideutschland 2.0, und das ist keine Verharmlosung. Aber wir verstehen, dass jemand, dessen deutsche Biografie jünger ist als die Begründung der Nachkriegsordnung, damit auch meint: Wir haben das schlimmste Deutschland, das es gibt, seit seine deutsche Biografie und die seiner Vorfahren begonnen hat, und er zieht zu Recht Vergleiche zu den frühen 1990ern, als die Asylbewerberunterkünfte brannten. Nicht nur, aber damals schon überwiegend ein einem Ostdeutschland, in dem es noch kaum Ausländer gab. Uns machen solche Aussagen betroffen, denn eines wird deutlich: Der Osten schädigt sich jedes Mal selbst, wenn er anfängt, nach rechts freizudrehen. Er wird ärmer an interessanten und intelligenten Menschen, er fällt wirtschaftlich zurück, er schafft sich die Perspektivlosigkeit selbst, die wiederum zum rechts wählen führt – angeblich, denn in dem Artikel wird erwähnt, dass mittlerweile 15 Prozent der Ostdeutschen aus Überzeugung, sprich, wegen ihrer rechten, rassistischen Ansichten die AfD wählen.
Brandenburg, sollte man meinen, hat es besser als zum Beispiel Sachsen-Anhalt. Es verliert keine Bevölkerung mehr, die Wirtschaft läuft weitaus besser, es gibt keinen Riesenfail wie den Stopp der Magdeburger Intel-Chipfabrik, Brandenburg profitiert von Berlin und – es ist doch zweigeteilt. Dietmar Woidke als Lausitzer müsste eigentlich wissen, dass der Wirtschaftsaufschwung eben nicht dort stattfindet, wo er herkommt, sondern im Berliner Umland, auch wenn es eine Strukturpflege in der Lausitz gibt. Was er natürlich auch verschweigt: Wie fragil der aktuelle Aufschwung ist, wie sehr auf wenige große Unternehmen gestützt, wie wenig produzierenden, generischen oder autochthonen Mittelstand es auch in weiten Teilen Brandenburg gibt. Es wird auf Dauer nicht tragen, wenn nur das direkte Berliner Umland Input und Output liefert.
Die Zukunft Brandenburgs als Industriestandort wird in hohem Maße davon abhängen, wie Tesla sich entwickelt. Der Konzern und auch der Standort sind hochgradig umstritten und wiederum abhängig von einem einzigen Mann, der ein Rechtsextremer ist und immer noch ein Newcomer, der innerhalb weniger Jahre den technologischen Vorsprung verlieren kann, den er in Sachen Automobiltechnik erarbeitet hat. Und kürzlich haben wir aus erster Hand gehört, dass das Mercedes-Werk in Ludwigsfelde seine Pforten bald schließen wird. Stimmt das aber?
Basierend auf den vorliegenden Informationen gibt es aktuell keine konkreten Pläne, das Mercedes-Werk in Ludwigsfelde zu schließen. Die Situation lässt sich wie folgt zusammenfassen:
- Es gab zunächst Befürchtungen, dass der Standort gefährdet sein könnte, da die nächste Generation des elektrischen Sprinters (eSprinter) ab 2028 nicht mehr in Ludwigsfelde gebaut werden sollte.
- Mercedes-Benz hat jedoch inzwischen mitgeteilt, dass der neue eSprinter ab 2024 auch in Ludwigsfelde produziert werden soll.
- Das Unternehmen plant, das Werk als „Kompetenzcenter für eVan-Individualisierungen“ zu etablieren.
- Mercedes geht davon aus, dass die Nachfrage nach Sprintern und eSprintern bis zum Ende des Jahrzehnts eine hohe Auslastung des Werks sicherstellt.
- Es sollen Investitionen getätigt werden, um die bestehenden Produktionslinien für die Fertigung von Verbrennern und Elektrofahrzeugen umzurüsten.
- Mit dem Betriebsrat wurde eine Vereinbarung zur künftigen Entwicklung des Standorts geschlossen.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das Werk in Ludwigsfelde zwar vor Herausforderungen steht, aber aktuell keine Schließung geplant ist. Vielmehr scheint Mercedes-Benz den Standort für die Zukunft umzustrukturieren und in die Elektromobilität einzubinden.[1]
Möglich, dass das Werk am Ende der Umstrukturierung einige Arbeitsplätze weniger haben wird, aber das heißt nicht, dass es zu Entlassungen kommen wird und schon gar nicht, dass der Standort aufgegeben wird.
Und jetzt kommt die Pointe. Die Information, die wir hatten, stammt von einer AfD-Wählerin, die viele Jahre lang im Werk gearbeitet hat. Das heißt aber nicht, dass sie tatsächlich auf aktuellem Stand Bescheid weiß. Und so ist es mit den AfD-Wählenden oft: Es wird katastrophisiert und der Untergang herbeigeredet und dabei der Anschluss an die Zukunft verpasst. Bis dann die Prophezeiungen sich selbst erfüllen, weil kein vernünftiges Unternehmen, das auf seine Außenwirkung bedacht sein muss, sich in einem AfD-Land ansiedelt. Gut, bei Elon Musk passt es ideologisch, aber das ist eine Ausnahme und wir haben aus mehreren Gründen Bedenken, dass mit seinen industriellen Aktivitäten Nachhaltigkeit entsteht.
Im folgenden Artikel können Sie sich noch etwas über die Struktur und konkrete Aussagen zu Projekten, Menschen, Um- und Zuständen in Brandenburg informieren: Stimmungslage in Brandenburg: Rechtsruck im Aufschwungsland – taz.de.
Damit schließen wir unseren Auftaktartikel zum Wahlsonntag und werden ab hier mit Updates und ab den ersten Prognosen gegen 18 Uhr mit einem Liveticker arbeiten.
TH
[1] Quellen zu „Mercedes in Ludwigsfelde“
[1] https://www.igmetall-ludwigsfelde.de/aktuelles/meldung/geht-der-stern-in-ludwigsfelde-unter
[2] https://www.rbb24.de/wirtschaft/beitrag/2022/09/mercedes-benz-mitarbeiter-ludwigsfelde-jobs-gewerkschaft.html
[3] https://www.berliner-zeitung.de/wirtschaft-verantwortung/abgehaengt-mercedes-werk-in-ludwigsfelde-verliert-transporter-produktion-li.269003
[4] https://www.rbb24.de/wirtschaft/beitrag/2022/12/mercedes-benz-esprinter-ludwigsfelde.html
[5] https://group.mercedes-benz.com/unternehmen/standorte/produktionsnetzwerk-ludwigsfelde.html
[6] https://www.mdr.de/nachrichten/deutschland/politik/landtagswahl-brandenburg-spd-woidke-afd-100.html
[7] https://web.de/magazine/politik/wahlen/landtagswahlen/brandenburg/wahl-krimi-brandenburg-brombeer-koalition-muenden-40138722
[8] https://www.zdf.de/nachrichten/politik/deutschland/landtagswahl-brandenburg-koalition-parteien-100.html
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