Strafzölle gegen chinesische Billig-E-Autos? (Umfrage + Infos + Leitkommentar)

Briefing Wirtschaft, China, Exporte, Importe, E-Autos, Elektromobilität, Batterieherstellung, Strafzölle, Subventionen, strategische Wirtschaftspolitik, Wertschöpfung, Automobilindustrie, Automobilhersteller, Volkswagen, Fehlallokation

Diese Umfrage kam schon vor zwei Tagen in Umlauf, aber in Deutschland ist so viel Unruhe in der Politik, dass man kaum dazu kommt, sich um Wirtschaftsthemen zu kümmern. Und wenn man es tut, stellt man fest: Es ist schon wieder alles Politik. Zum Beispiel den hierzulande enorm wichtigen Automobilsektor betreffend.

Wir verlinken hier schon einmal, würden es aber begrüßen, wenn Sie unseren profunden Artikel lesen, bevor Sie abstimmen, denn für den ersten Wirtschafts-Leitartikel seit längerer Zeit haben wir uns einen ganzen Nachmittag von ebenjener Zeit genommen:

Civey-Umfrage: Wie würden Sie es bewerten, wenn die EU China bei staatlichen Subventionen von günstigen Elektro-Autos mit Strafzöllen belegen würde? – Civey

Begleittext Civey

Die EU-Kommission wirft China Wettbewerbsverzerrung vor und will daher Strafzölle auf chinesische Elektroautos erheben. Durch mutmaßlich unzulässige staatliche Subventionen würden die Preise künstlich gedrückt, argumentiert EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen laut Manager Magazin. So würden europäische Elektroauto-Hersteller Schaden nehmen – etwa in Form von Verlusten, Firmenschließungen oder Entlassungen. Die Preise der chinesischen E-Autos liegen der ARD nach i.d.R. 20 Prozent unter den europäischen Modellen. Die Zölle von bis zu 36,3 Prozent könnten dem ZDF zufolge Ende Oktober in Kraft treten und für vorerst fünf Jahre gelten. Morgen werden die EU-Staaten abschließend darüber abstimmen. 

China wirft der EU Protektionismus vor und droht seinerseits mit einer Klage vor der Welthandelsorganisation (WTO) und mit Zöllen auf europäische Produkte. Laut Handelsblatt habe Peking bereits Untersuchungen hinsichtlich Schweinefleisch-Importen eingeleitet. Aus diesem Grund äußerte Spanien, bisheriger Befürworter der Strafzölle, nun Zweifel und rief die Mitgliedsstaaten dazu auf, ihre Position zu bedenken. Das Land wäre laut WiWo als wichtigster Exporteur solcher Produkte nach China besonders betroffen. Auch hierzulande fürchten Firmen, durch die Zusatzzölle mehr Schaden als Nutzen daraus zu ziehen. Einer Umfrage des Instituts der deutschen Wirtschaft zufolge würden deutsche Industrieunternehmen die Strafzölle wegen des zunehmenden Konkurrenzdrucks aber mehrheitlich befürworten. 

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) sucht derzeit eine politische Lösung im Zollstreit mit China. Letzte Woche rief er die EU und China auf, alles daran zu setzen, eine Verhandlungslösung zu finden, berichtete das Handelsblatt. Man müsse einen Handelskonflikt mit Zollspirale, der am Ende beiden Seiten schade, unbedingt vermeiden, sagte Habeck nach einem Treffen mit Chinas Handelsminister Wang Wentao in Berlin. China sei kompromissbereit, so der Minister. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hatte sich zuletzt auch für einen Kompromiss ausgesprochen. Dem Spiegel nach schlug er gleich hohe Zölle auf Autoimporte für beide Seiten vor. Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) ist gegen die Strafzölle. Ein daraus folgender Handelskrieg wäre für Deutschland eine Katastrophe, warnte er jüngst laut Deutschlandfunk

Zwischenergebnis (26.09.2024, 16:30 Uhr)

Eindeutig positiv 31,0%
Eher positiv 15,2%
Unentschieden 19,4%
Eher negativ 15,1%
Eindeutig negativ 19,3%

Ergänzungen zum Meinungsbild

Die Diskussion um Zölle auf Importfahrzeuge aus China, insbesondere Elektroautos, ist vielschichtig und wird kontrovers geführt. Es gibt sowohl Befürworter als auch Kritiker der geplanten Maßnahmen. Hier eine ausführliche Analyse der Vor- und Nachteile:

 

## Vorteile der Zölle

### Schutz der europäischen Industrie

Ein Hauptargument für die Zölle ist der Schutz der europäischen Automobilindustrie vor unfairem Wettbewerb. Die EU-Kommission argumentiert, dass chinesische Hersteller durch massive staatliche Subventionen einen Wettbewerbsvorteil haben[3]. Eine Studie des Instituts für Weltwirtschaft (IfW) in Kiel zeigt, dass die chinesischen Industriesubventionen derzeit über 200 Milliarden Euro pro Jahr betragen[3]. Dies führt zu einer Verzerrung des Wettbewerbs, die durch Zölle ausgeglichen werden soll.

### Sicherung von Arbeitsplätzen

Durch den Schutz der heimischen Industrie sollen auch Arbeitsplätze in Europa gesichert werden. Die Befürchtung ist, dass ohne Zölle chinesische Hersteller den europäischen Markt mit günstigen Elektroautos überfluten und dadurch europäische Hersteller und ihre Zulieferer unter Druck geraten könnten.

### Förderung fairer Wettbewerbsbedingungen

DIW-Präsident Marcel Fratzscher sieht die Zölle als „notwendig zur Verteidigung der Prinzipien einer fairen Marktwirtschaft und zum Schutz der europäischen Wirtschaftsstandorte“[1]. Die Maßnahmen sollen dazu beitragen, gleiche Wettbewerbsbedingungen für alle Marktteilnehmer zu schaffen.

## Nachteile der Zölle

### Gefahr eines Handelskriegs

Ein häufig genannter Nachteil ist die Gefahr eines Handelskriegs mit China. Bundesverkehrsminister Volker Wissing warnt: „Durch mehr Wettbewerb, offene Märkte und erheblich bessere Standortbedingungen in der EU müssen Fahrzeuge preiswerter werden, nicht durch Handelskrieg und Marktabschottung“[1]. China hat bereits mit Gegenmaßnahmen gedroht, wie etwa höheren Zöllen auf westliche Verbrennerfahrzeuge[4].

### Negative Auswirkungen auf deutsche Autohersteller

Deutsche Autohersteller könnten durch die Zölle ebenfalls betroffen sein, da viele von ihnen in China produzieren und Fahrzeuge nach Europa importieren. Der Verband der Automobilindustrie (VDA) kritisiert die geplanten Zölle und sieht sie als Hindernis für die globale Zusammenarbeit[1]. Spitzenmanager von BMW, Mercedes und Volkswagen haben vor den Zollplänen gewarnt, da sie befürchten, dass China Vergeltungsmaßnahmen ergreifen könnte[1].

### Höhere Preise für Verbraucher

Ein weiterer Nachteil sind möglicherweise steigende Preise für Elektroautos in Europa. Ferdinand Dudenhöffer vom CAR-Institut warnt, dass die Zölle auch Käuferinnen und Käufer in Deutschland benachteiligen würden[2]. Bereits heute kommen rund 14 Prozent der in Deutschland verkauften E-Autos aus China, und dieser Anteil könnte in Zukunft auf etwa 25 Prozent steigen[2].

### Behinderung des Technologieaustauschs

Dudenhöffer argumentiert auch, dass Strafzölle gegen umweltfreundliche Produkte ein großer Fehler wären, mit dem der wichtige industrielle Austausch mit China behindert würde[2]. Dies könnte langfristig die Innovationsfähigkeit und Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Automobilindustrie beeinträchtigen.

## Mögliche Auswirkungen

### Handelsverschiebungen

Simulationsrechnungen des IfW Kiel zeigen, dass Zölle von 20 Prozent spürbare Handelsverschiebungen zur Folge haben könnten[3]. IfW-Präsident Moritz Schularick erwartet, dass EU-Zölle von insgesamt circa 31 Prozent auf chinesische Elektroautos zu einem Rückgang der Elektroauto-Importe aus China von rund 25 Prozent führen könnten, was einem Wert von rund vier Milliarden US-Dollar entspricht[1].

### Unterschiedliche Auswirkungen auf Hersteller

Die Auswirkungen der Zölle könnten je nach Hersteller unterschiedlich ausfallen. Während einige chinesische Hersteller wie SAIC (MG) mit Zöllen von bis zu 38,1 Prozent rechnen müssen, werden andere wie BYD mit 17,4 Prozent oder Geely mit 20 Prozent belastet[3][4].

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Diskussion um Zölle auf chinesische Elektroautos komplex ist und verschiedene wirtschaftliche, politische und ökologische Aspekte berührt. Während die EU-Kommission die Maßnahmen als notwendig erachtet, um faire Wettbewerbsbedingungen zu schaffen, warnen Kritiker vor möglichen negativen Folgen für den Handel, die Verbraucher und die internationale Zusammenarbeit. [1]

Kommentar 1

Der Civey-Text und die Ergänzungen, die wir von einer KI haben recherchieren lassen, zeigen in der Tat, wie kompliziert das Thema ist. Und wie politisch, denn ein Handelskrieg ist genauso eine geostrategische Aktion wie ein Krieg mit Waffen zum Nachteil des Gegners, nur, dass es anstatt zerstörter Gebäude und toter Soldaten und Zivilisten Opfer in Form insolventer Unternehmen und wegfallender Arbeitsplätze gibt. Protektion in Form von Zöllen ist eine uralte Maßnahme,  um die eigene Wirtschaft zu schützen, Subventionen ein eher moderneres Mittel, aber beide zielen in dieselbe Richtung, nämlich der eigenen Industrie Vorteile zu verschaffen oder Nachteile auszugleichen.

Eine Exportnation wie Deutschland ist besonders anfällig für Handelskriege. Der eigene Markt ist klein, der Industriesektor immer noch relativ groß, mit Abstand der größte in Europa, da andere große Länder wie Frankreich und Großbritannien anteilig eine geringere Wertschöpfung der produzierenden Industrie am Gesamt-BIP erzielen. Es gibt in der EU eine Festlegung, dass 20 Prozent Industrieanteil am BIP ein Mindestwert sein sollen, der die Wettbewerbsfähigkeit der EU-Länder erhalten soll. Deutschland erfüllt diesen Anteil problemlos, andere größere Länder nicht. Aber die Industrie ist in Gefahr. Im Juli 2024 sank die Industrieproduktion gegenüber dem ohnehin schwachen Vorjahr 2023 wieder um 5,3 Prozent.

Kein anderes Land hat in China so gute Geschäfte gemacht wie Deutschland. Volkswagen war sogar lange Zeit Marktführer und profitierte von einer strategischen Entscheidungen, die bis in den Kalten Krieg zurückreicht. Damals fuhr in China kaum jemand privat ein Auto, aber Dienstwagen und Taxis kamen in erster Linie von VW, nur hohe Funktionäre fuhren ein Produkt der chinesischen Marke Honqui („Rote Fahne“). Seit China den wirtschaftlichen Aufbruch lebt, profitiert besonders die deutsche Autoindustrie massiv von diesem rasanten Anstieg der Wirtschaftsleistung, auch wenn ihre Marktanteile in Relation zu chinesischen Herstellern abnehmen.

Die EU hingegen vertritt auch die Interessen Frankreichs und Italiens, die nach China wenig exportieren und im Land viel weniger produzieren als deutsche Hersteller, aber von dem Exportdruck, den die chinesische Regierung jetzt ausübt, auf den Märkten der EU genauso in Mitleidenschaft gezogen werden könnten wie deutsche Hersteller. Deutsche Interessen in China sind die bei Weitem stärksten und vielfältigsten aller westlichen Nationen. Zwischenzeitlich stieg China sogar zum größten  Handelspartner Deutschlands auf. Das ist es bei den Exporten nicht mehr, wohl aber bei den Importen. Deswegen ist es nicht verwunderlich, dass ein Handelskrieg aufgrund von Zöllen hierzulande eher als schädlich angesehen wird als in anderen EU-Ländern. Sogar die Automobilhersteller verlieren lieber Marktanteile in Deutschland, als sich das riesige China-Geschäft zu erschweren. Aber sind die Interessen von Automobilherstellern, die gar nicht mehr überwiegend in Deutschland produzieren (seit 2016 werden mehr Fahrzeuge deutscher Hersteller im Ausland gefertigt als hierzulande), auch die deutschen Interessen. Gibt es diese früher tatsächlich weitgehende Identität noch?

Konzerne, die riesige Gewinne einfahren und gleichzeitig in Deutschland Werke schließen wollen mit teilweise fadenscheinigen Argumenten, die darauf hinauslaufen, der Politik alles in die Schuhe zu schieben, sind diese noch Vertreter deutscher Interessen oder sollte man sie darauf verweisen, wie glänzend sie in China verdienen und dass sie deshalb nicht schutzbedürftig sind? Weder gegenüber China noch im Allgemeinen?

Auf den ersten Blick scheint es um eine Gerechtigkeitsfrage zu gehen: Vom Staat billiger gemachte chinesische Autos bedingen einen Wettbewerbsnachteil europäischer Hersteller auf dem europäischen Markt. Für deutsche Arbeitsplätze könnte das nachteilig sein, nicht aber unbedingt für die Autokonzerne, die global denken und sich sagen, was in der EU ein Nachteil ist, könnte in China selbst ein Vorteil sein, denn sie produzieren ja, regelmäßig in Joint Ventures, in China und könnten dann ihre dort hergestellten Autos mit chinesischen Subventionen nach Europa exportieren. Es stünde dann das VW-Logo auf einem Auto, das nicht etwa aus Wolfsburg kommt, sondern aus einem der vielen chinesischen Standorte, wäre günstiger als ein hierzulande hergestelltes und auf diese Weise würde VW dazu beitragen, die eigenen heimischen Standorte unter Druck zu setzen. Das ist auch die wahre Geschichte hinter der gegenwärtigen Story von den zu schließenden VW-Werken.

Die Kernmarke VW ist zwar ertragsschwach, aber das ist sie seit Jahrzehnten, ausgeglichen wird das durch profitstarke Marken wie Audi und Porsche. Aber VW macht sich jetzt mehr selbst Konkurrenz als früher, als der chinesische Markt noch keine Basis für Exporte von dort nach Europa war.

Deswegen ist leider die Forderung auch unsinnig, man solle doch in Deutschland Bedingungen schaffen, die es ermöglichen, Autos ebenso günstig herzustellen wie in China. Die Energiekosten sind eine Sache, diesbezüglich ist Kritik auch angebracht, aber die Neoliberalen suggerieren ja, man könnte die Arbeitskosten so weit herunterfahren, dass sie chinesischem Niveau entsprechen, was bei deutschen Lebenshaltungskosten bedeuten würde, dass Industriearbeiter nur noch ein Viertel ihres bisherigen Einkommens erzielen dürften. Ein wahrhaft hinterhältiger Vorschlag, gerne befürwortet von jenen, denen die Verarmung und der Sozialabbau hierzulande noch nicht schnell genug gehen.

Und damit stehen Einkommens- und Sozialstandards für die Zölle. Die Konzerne haben auf äußerst listige Weise ein Dilemma für die Politik geschaffen, die bei dem Spiel fast nur verlieren kann. Das hat die Politik auch dadurch verschuldet, dass sie jahrzehntelang nicht strategisch operiert hat. Sie ist den Konzernen in Deutschland hilfloser ausgeliefert als in fast allen anderen großen Volkswirtschaften. Auch in den angeblich viel liberaleren Ländern wie den USA hat letztlich die Politik das Sagen. Lange Zeit war dort eine aktive Industriepolitik für „alte“ Technologien nicht gewünscht, aber das hat sich seit der ersten Präsidentschaft von Donald Trump geändert, die von Joe Biden in einem etwas freundlicheren Stil weitergeführt wird. Viele Länder sind derzeit dabei, mit viel Geld eine Reindustrialisierung zu versuchen. Wenn sie so große Märkte haben wie China und die USA kann das auch gelingen, China kommt zudem seine Exportstärkte zugute;  die Ansätze sind gar nicht so unterschiedlich, aber oft gegen das jeweils andere Land gerichtet.

Deutschland alleine kann diesen Weg nicht gehen, sondern nur die EU als ein Markt, der ähnlich groß ist wie der chinesische und derjenige der USA (in Umsätzen, nicht bevölkerungsseitig gemessen). Ein gemeinsames Vorgehen hat aber immer für einige Länder mehr Vorteile als für andere, wie oben angerissen. Für Deutschland steht bei Zöllen gegen chinesische Exporte besonders viel auf dem Spiel.

Die Verbraucherseite haben wir damit noch gar nicht betrachtet. Es versteht sich von selbst, dass staatlich subventionierte Autos für Verbraucher günstiger sind als solche, die nach tatsächlichen Produktionskosten bepreist werden müssen. Es ist ohnehin grundsätzlich so, dass die sogenannte freie Marktwirtschaft eine Suggestion Neoliberaler ist, die den Leuten einreden wollen, Erfolg hinge nur von ihrem persönlichen Einsatz ab. Industriepolitik war im Grunde immer schon anders, wie diese strategischen Eingriffe von Regierungen in den Markt zeigen. Zumindest gilt das für Branchen, die als strategisch definiert wurden, dazu zählte in Deutschland lange Zeit auch der Bergbau, der in den 1960ern innerhalb weniger Jahre komplett weggebrochen wäre, als die Produktionskosten für die Kohleförderung in anderen Ländern günstiger zu werden begannen als in Deutschland, hätte man ihn nicht sehr aufwendig mit Subventionen am Leben erhalten. Jetzt ist es die Autoindustrie, die man in einem Abwehrkampf und als erhaltenswerte strategisch wichtige Branche sieht.

Es gibt aber wesentliche Unterschiede zu den klassischen Subventionsbranchen: Die Autoindustrie ist nicht prinzipiell standortgebunden, dafür aber viel mehr exportfähig. Deswegen sind Staaten, die ihre Industrie unbedingt halten wollen, auf die nicht dumme Idee gekommen, einen „local content“ zu fordern, wenn Autos nicht mit Strafzöllen belegt werden sollen. China und die USA gehen beide diesen Weg. Das bedeutet, die Autos müssen zu einem gewissen Anteil mit Komponenten bestückt sein, die in dem Land hergestellt wurden, in dem sie verkauft werden.

Wieso funktioniert das in Deutschland so nicht? Der Grunde ist relativ einfach. Der deutsche Markt ist zu klein. Die Europäer hätten im Grunde ein gemeinsames Interesse, denn in deutschen Autos stecken auch viele Teile aus anderen EU-Ländern, speziell aus Frankreich. Aber im Ernstfall, auch aus populistischen Gründen, werden immer die eigenen Hersteller bevorzugt. In Frankreich, das schon lange eine strategische Industriepolitik vorweisen kann, ist es auf diese Weise möglich geworden, dass man überhaupt noch eine eigene Autoindustrie hat und diese so steuert, dass Konzerne wie Stellantis entstehen, die weltweit andere Firmen aufkaufen und so die kritische Größenordnung erreichen, die sie überlebensfähig macht. Ob dieses Prinzip „europäische Champions unter französischer Führung“ wirklich langfristig aufgeht, wenn anderswo in der Welt immer schneller Kapital in der Autoindustrie akkumuliert wird (nicht nur in China, sondern auch in Indien, das eine ähnliche Industriepolitik hat wie China oder Frankreich, die immer darauf achtet, dass nationale Industrien nicht in fremde Hände geraten, oder weiteren aufstrebenden Ländern) wird sich zeigen, aber im Moment funktioniert es einigermaßen.

Trotzdem wird sich die deutsche Bundesregierung etwas einfallen lassen müssen, das über die bisherige fantasielose und naive Politik hinausgeht, die so tut, als sei der Welthandel wirklich noch offen und das sei Konsens bei allen Handelspartnern.

Was aber könnte man tun, um ohne Zöllen, aber auch ohne massiven Stellen- oder Lohnkostenabbau aus der Zwangslage zu kommen? Vielleicht so:

Um […] konkurrenzfähig zu sein, müssten die deutschen und die europäischen Hersteller als Erstes wettbewerbsfähige Batterien entwickeln. Denn deren Anteil an den Produktionskosten eines E-Autos liege zwischen 30 und 40 Prozent. Hier wäre ein Ansatzpunkt für Forschungsinvestitionen der Bundes- und der Landesregierungen und auch eine passende Investitionsförderung für Fabriken, gerne mit Unterstützung der EU. Derzeit bestehe auf diesem Feld eine deutliche Abhängigkeit von China, denn 75 Prozent der verbauten Batterien in deutschen Fahrzeugen kommen aus China.

Im gleichen Atemzug wird Kritik an der Bundesregierung geübt, weil sie den Kaufbonus für E-Fahrzeuge im Jahr 2023 abrupt gestrichen hat; aktuell wird darüber nachgedacht, ihn wieder einzuführen.[2]

Wer einen wirklich tiefergehenden Blick in das System der Autopreise und der Absatzsteuerung werfen möchte, aufgehängt am aktuellen „Automobilgipfel“ mit Wirtschaftsminister Robert Habeck, dem sei dieser Artikel der Nachdenkseiten empfohlen: Gipfel der Ratlosigkeit (nachdenkseiten.de). Eine ähnlich gute Abhandlung der vielen Fehlstellungen auf dem deutschen Automarkt, die nun auch den Exporteuren aus China helfen und im Grunde immer wieder Einfallstore für günstige Produkte aus dem Ausland sind und jede Standortsicherungspolitik konterkarieren, haben wir sonst nirgends gefunden. Das kommt eben daher, wenn man Industrieinteressen und Klientelpolitik macht, anstatt strategisch zu operieren und dafür auch in Kauf zu nehmen, dass sich nicht ohnehin Privilegierte auch bei dem Autokauf weitere Vorteile verschaffen können, die wiederum die Nichtprivilegierten, die auf den Euro achten müssen, zum Beispiel, weil sie ihre Anschaffungen privat machen, ohne sie auf vielfach begünstigte Weise, die jetzt noch verstärkt werden soll,  absetzen zu können, u. a. zum Kauf günstiger chinesischer E-Autos animieren.

Wir hatten eben erwähnt, wie hoch der Anteil der industriellen Wertschöpfung am BIP in der EU sein sollte, daher werfen wir einen Blick über die Autoindustrie hinaus:

Basierend auf den gegebenen Suchergebnissen sind folgende Fakten besonders relevant für die industrielle Produktion in Deutschland:

  1. Aktuelle Entwicklung: Im Mai 2024 sank die Produktion im Produzierenden Gewerbe um 2,5% gegenüber dem Vormonat (saison- und kalenderbereinigt)[4].
  2. Kurzfristige Schwankungen: Die Produktion unterliegt monatlichen Schwankungen. Zum Beispiel stieg sie im Januar 2024 um 1,0% gegenüber dem Vormonat, nachdem sie im Dezember 2023 um 2,0% gesunken war[2].
  3. Vergleich zum Vorjahr: Im März 2024 lag die Produktion im Produzierenden Gewerbe kalenderbereinigt 3,3% niedriger als im März 2023[1].

 

  1. Energieintensive Industrien: Die Produktion in energieintensiven Industriezweigen zeigt eine eigene Dynamik. Im März 2024 blieb sie gegenüber dem Vormonat unverändert, war aber 2,3% höher als im Vorjahresmonat[1].
  2. Sektorale Unterschiede: Es gibt deutliche Unterschiede zwischen verschiedenen Industriesektoren. Zum Beispiel stieg im Januar 2024 die Produktion in der chemischen Industrie um 4,7%, während sie in der Automobilindustrie um 7,6% sank[2].
  3. Wirtschaftliche Bedeutung: Die Industrie macht etwa 22% der gesamten Wertschöpfung in Deutschland aus, was im internationalen Vergleich ein hoher Anteil ist[3].
  4. Exportorientierung: Fast 90% aller deutschen Exporte stammen aus dem Industriesektor[3].
  5. Forschung und Entwicklung: Die Industrie ist für 86% der Forschungs- und Entwicklungsaufwendungen in der deutschen Wirtschaft verantwortlich[3].
  6. Trend zur Tertiarisierung: Es gibt einen Trend zur „inneren Tertiarisierung“, bei dem Industrieunternehmen zunehmend produktbegleitende Dienstleistungen anbieten[3].
  7. Rückverlagerung: In den letzten Jahren hat sich der Trend zur Produktionsverlagerung ins Ausland verlangsamt, mit einer zunehmenden Tendenz zur Rückverlagerung[3].

Diese Fakten zeigen, dass die industrielle Produktion in Deutschland zwar kurzfristigen Schwankungen unterliegt, aber insgesamt eine zentrale Rolle in der deutschen Wirtschaft spielt, mit starkem Fokus auf Export, Innovation und zunehmender Integration von Dienstleistungen.[3]

Fazit

Seit Jahren ist die Automobilproduktion in Deutschland rückläufig. Nachdem sie sich lange Jahre trotz zunehmender Verlagerung von Produktionsanteilen ins Ausland bei ingesamt wachsenden Fertigungszahlen deutscher Hersteller zwischen 5 und 6 Millionen gehalten hat, geht es jetzt rapide abwärts. Corona war ein Auslöser, aber danach scheint sich auch keine Erholung abzuzeichnen. Falls Sie sehr umweltorientiert sind und denken, die Autobranche könnte generell weg, tun Sie bitte eines nicht. Folgen Sie nicht solchen Darstellungen argumentativ: Arbeitsplätze in der Autoindustrie | BUND Naturschutz (bund-naturschutz.de). Wenn es nach diesen Leuten ginge, gäbe es gar keine Industrie mehr. Dann gäbe es aber auch nicht mehr die hier erwähnten Arbeitsplätze in der Gesundheitsindustrie, die „konsumptiv“ sind, also auf einer Wertschöpfung basieren, die durch den Verkauf von Produkten erst zustandekommt. „Correctiv“ hat diese Darstellung übrigens weitgehend übernommen.

Es geht nicht nur um die Zahl der Arbeitsplätze und selbstverständlich sind auch diejenigen Arbeitsplätze, die durch Vorprodukte-Herstellung für die Autoindustrie gesichert werden, dieser im weiteren Sinne, aber richtigerweise zuzurechnen. Im Grunde muss man nur fragen: Gäbe es diesen Arbeitsplatz ohne die Automobilindustrie? Dann kommt man auf realistische Zahlen.

Vor allem aber, und das wird komplett weggelassen, erwirtschaftet jeder Arbeitsplatz in der Autoindustrie und generell in der Industrie eine wesentlich höhere Wertschöpfung als das generell im Dienstleistungsbereich der Fall ist. Ein Industriearbeitsplatz, der wegfällt, vermindert die Wirtschaftsleistung um das 3- bis 10-Fache des Wegfalls eines Dienstleistungs-Arbeitsplatzes. Wir haben jeden Grund, nicht das Gesundheitswesen geringzuschätzen, aber hier werden leider Äpfel mit Birnen verglichen, wieder einmal und wie in Deutschland auf eine schädliche und spaltende Art und Weise oft üblich. Wir sind keine absoluten Fans der E-Autos und des überbordenden Verkehrs von Stadtpanzern, wir meinen, es ist angezeigt, nicht nur die Abhängigkeit Deutschlands von China zu verhindern, sondern auch die Automobillastigkeit seiner Industriestruktur. Es klappt auffällig wenig, wenn es darum geht, alternative, zukunftssichernde und umweltfreundliche, möglichst klimaneutrale Industrien in Deutschland zu züchten.

Leider ist gerade wird die gerade deshalb noch bestehende Wichtigkeit der Automobilindustrie, die nicht nur immer dienstleistungsintegrativer wird, sondern auch immer weitere Technologien, wie etwa die Konnektivität und die KI integriert, die vor einigen Jahren noch keine Rolle spielten, von Menschen, die wirklich glauben, es könnte funktionieren, dass sich in Deutschland nur noch alle als Fahrradkuriere gegenseitig mit Pizzen beliefern (respektive ältere Menschen noch ältere Menschen im Gesundheitswesen versorgen). Wie sich der Wohlstand bei entwickeln würde, bedarf keiner weiteren Erläuterung.

Damit haben wir aber noch nichts darüber ausgesagt, wie wir selbst abgestimmt haben. Es mag überraschend klingen, aber wir sehen die Strafzölle als „überwiegend positiv“ an und sind zusammen mit den harten Befürwortern damit bei einer relativen Mehrheit von etwa 46 Prozent. Wir sehen auch Fragezeichen und Gefahren, Nachteile für Verbraucher und sind der Ansicht, langfristig sind diese Zölle keine Lösung. Aber bis endlich, von wem, den wir noch nicht kennen auch immer, eine strategische Wirtschaftspolitik in Deutschland organisiert werden wird, könnte übergangsweise auch eine Ansage gegenüber einem Land, das seine Größe zunehmend nutzt, um andere mit dem Rücken zur Wand zu stellen, eine Methode sein, die ausdrückt, dass man sich nicht alles gefallen lässt, nur, um die Interessen von privaten Konzernen zu schützen, die längst nicht mehr „patriotisch“ denken, falls sie das je getan haben, sondern immer schauen, wo ihre Eigner die meiste Rendite ziehen können. Es ist auch alles ein wenig Nervensache. Chinas Aufstieg ist mittlerweile wackelig geworden, auch das steckt hinter dieser massiven Promotion für den Export eigener Produkte, es gibt in China mittlerweile eine ganze Reihe von Faktoren, die zu einem ökonomischen Rückschlag größeren Ausmaßes führen könnten. Jetzt ein Handelskrieg gegen die EU und möglicherweise gegen die USA gleichzeitig – alle würden verlieren, aber China womöglich am meisten. Deutschland direkt dahinter, alle anderen werden weniger betroffen sein.

Es rächt sich nun, dass in Deutschland kaum Vorsorge für den Strukturwandel getroffen wurde, der sich doch schon so lange abzeichnet. Als wir den „ersten“ Wahlberliner im Jahr 2011 gründeten, befassten wir uns bereits mit dem Aufstieg Chinas und welche Lehren man daraus ziehen sollte. Die Regierung Merkel hat es in diesem Sinne bis zu ihrem Ende nicht getan.

TH

[1]Quellen zu „Vor und Nachteile der Strafzölle gegen China“:

[1] https://www.manager-magazin.de/unternehmen/autoindustrie/eu-kommission-strafzoelle-auf-chinesische-elektroautos-stossen-auf-viel-kritik-a-3e8740b3-05cf-453d-9983-4d434c5acecc

[2] https://www.autobild.de/artikel/strafzoelle-auf-chinesische-e-autos-nachteile-meldung-26204151.html

[3] https://automobilrevue.ch/aktuell/eu-z%C3%B6lle-f%C3%BCr-autos-aus-china-der-zollstreit-und-die-folgen

[4] https://www.deutschlandfunk.de/china-elektroautos-eu-markt-zoll-100.html

[5] https://www.ifw-kiel.de/de/publikationen/aktuelles/eu-zoelle-gegen-china-leiten-handel-mit-e-autos-fuer-fast-4-mrd-usd-um/

[6] https://www.trtdeutsch.com/wirtschaft/e-autos-aus-china-eu-zolle-kurz-vor-dem-inkrafttreten-18179162

[7] https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/vda-haelt-eu-zoelle-gegen-china-fuer-kontraproduktiv-19829114.html

[8] https://www.zdf.de/nachrichten/wirtschaft/eu-wirtschaft-strafzoelle-e-autos-china-100.html

[9] https://finanzmarktwelt.de/eu-von-der-leyen-will-vormarsch-von-e-autos-aus-china-stoppen-283649/

[10] https://www.tagesschau.de/wirtschaft/weltwirtschaft/auswirkungen-sanktionen-china-eu-100.html

 

[2] Quellen zum Thema China-Zölle bringen Autokunden und Händlern nur Nachteile (vogel.de):

[3] Quellen zum Thema Industrieanteil am BIP, Entwicklung der Produktion nach Branchen

[1] https://www.datev-magazin.de/nachrichten-steuern-recht/wirtschaft/produktion-im-maerz-2024-04-zum-vormonat-124414

[2] https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2024/03/PD24_090_421.html

[3] https://www.boeckler.de/de/boeckler-impuls-industrie-kern-der-deutschen-wirtschaft-6468.htm

[4] https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2024/07/PD24_260_421.html

[5] https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2024/01/PD24_019_811.html

[6] https://tradingeconomics.com/germany/industrial-production

[7] https://www.tagesschau.de/wirtschaft/konjunktur/industrie-mehr-auftraege-positiv-entwicklung-100.html


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