Filmfest 1176 Cinema
Das Beil von Wandsbek ist ein deutsches Filmdrama von Falk Harnack aus dem Jahr 1951 nach dem gleichnamigen Roman von Arnold Zweig. Es war der erste DEFA-Film mit Aufführungsverbot und ein frühes Beispiel der Kellerfilme.
„Das Beil von Wandsbeck“ ist sicher einer der düstersten Filme, die je in der DDR und überhaupt im deutschen Nachkriegskino gedreht wurden, und doch bleibt man nicht erschüttert oder dem Trauma nahe zurück, wenn er zu Ende ist. Einerseits, weil alle gewaltsamen Todesfälle, insgesamt sechs, nur offscreen gezeigt werden, andererseits, weil man sich dem kommunistischen Weltverbesserer-Charme dieser frühen DEFA-Produktion kaum entziehen kann – das persönliche Drama des Fleischers Teetjen wird marginalisiert durch den gesellschaftspolitischen Anspruch des Films. Dass das SED-Politbüro Falk Harnacks Werk trotzdem schon nach einem Monat stoppen ließ, lässt ahnen, dass sich eines seit den Nazi-Zeiten, in denen der Film angesiedelt ist, nicht geändert hatte: Der Wille zur Radikalität und eine fanatische Grundeinstellung. Nur eben andersrum als zuvor und, notabene, nicht ganz so blutig, ohne den Holocaust.
Handlung (1)
Hamburg 1934. Adolf Hitler wird in der Stadt erwartet, aber vorher gilt es noch einen „Makel“ zu beseitigen: Vier zum Tode verurteilte Kommunisten sind noch nicht hingerichtet. In der Stadt fehlt aber gerade ein Henker. Der erfolgreiche Reeder und SS-Standartenführer Footh erhofft sich mit der Lösung des Problems die Gunst eines ranghöheren Nazi-Funktionärs. Da kommt es ihm gelegen, dass sein alter Kamerad aus dem Ersten Weltkrieg, der Schlachtermeister Teetjen aus Wandsbek, ihn um finanzielle Hilfe ersucht für eine Modernisierung seiner Metzgerei.
Footh bietet Teetjen 2000 Mark an, wenn er die Aufgabe des Scharfrichters übernimmt. Nach einer Nacht Bedenkzeit willigt Teetjen ein mit der Bedingung, dass seine Tat geheim bleibt. Er waltet seines Amtes, doch der Zufall will es, dass sich Tat und Täter herumsprechen. Die Kunden aus seinem Bezirk reagieren angewidert und bleiben seinem Laden nun zunehmend fern. Footh ignoriert einen weiteren Hilfeersuch und wendet sich von Teetjen ab. Die finanzielle Not wird fortan größer als zuvor. Eine kurzfristige Unterstützung seiner Kameraden der SA kommt zu spät, seine Frau Stine erhängt sich, woraufhin sich Teetjen erschießt.
Rezension
„Noch krasser offenbaren sich die Fehler des kritischen Realismus in dem Film „Das Beil von Wandsbeck“, der nicht die Kämpfer der deutschen Arbeiterklasse zu den Haupthelden macht, sondern ihren Henker. Die Verfilmung dieses Stoffes war ein ernster Fehler der DEFA-Kommission und des DEFA-Vorstandes.“ (1)
(1) Für den Aufschwung der fortschrittlichen deutschen Filmkunst. Resolution des Politbüros des ZK der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands. In: Neues Deutschland vom 27. Juli 1952, S. 6.
Im Kommunismus ist eben alles planbar, auch der Film-Aufschwung, und es ist krass, dass in einem Resolutionstext aus dem Jahr 1952 das Wort „krass“ verwendet wird, solche Gedankenblitze können schon kommen, wenn man sich das Umfeld vorstellt, in dem der Film entstanden ist und nicht hinreichend gewürdigt wurde. Selbstverständlich kann man den „guten“ Film fördern, das wurde in Westdeutschland ja auch versucht, und es dauert nach der Wiedervereinigung an. Man kann aber auch ein Verdikt über einen Film sprechen, der es nach heutigen Maßstäben an Deutlichkeit nicht fehlen lässt. Man muss natürlich auch den Subtext einbeziehen. Zum Beispiel gibt es nicht nur den offenen Gegensatz zwischen den heorischen Kommunisten und den Nazis, sondern eine unterschwellige Kapitalismuskritik gleich mit. Wäre nämlich der Fleischer Teetjen nicht ein kleiner Selbstständiger, der keine Chance gegen die Finanzmacht der Kaufhäuser hat, sondern Genosse in einem VEB, dann hätte er auch keine Existenzsorgen und käme nicht in das Dilemma, für 2000 Mark sein Gewissen über Bord zu werfen oder stabil zu bleiben. Der Kapitalismus, der Menschen auf einen Existenzkampf zurückwirft, der nicht von einem egalisierenden System ausgeschaltet wird, korrumpiert eben die Menschen und mancher wird auch aus Opportunismus zum Nazi. Hat man diese linientreue Unterlegung bei der SED nicht gesehen? Doch. Aber sie war wohl noch nicht deutlich genug. Das NS-System war eben nicht nur menschenverachtend, es war, entgegen dem im Namen der NSDAP implizierten Sozialismus, auch nicht sozial gerecht. Im Gegenteil, den Braunen wohlgesonnene Unternehmer konnten ihren Wohlstand rasant mehren, indem sie zum Beispiel Bestände jüdischer Firmen übernahmen, auch dies zu zeigen, vergisst der Film nicht.
Obwohl der Henker von Wandsbeck im Mittelpunkt der Betrachtung steht und von Erwin Geschonneck ebenso hervorragend verkörpert wird, wie Käthe Braun dessen Frau spielt, bietet der Film auch vier kommunistische Häftlinge, von denen jeder unterschiedlich gezeichnet wird. Der jüdische zum Tode Verurteilte glaubt, dass die Nazis es aus außenpolitischen Gründen es nicht wagen werden, die Hinrichtungen tatsächlich vorzunehmen. Ein weiterer Inhaftierter hat Angst und hat bereits ein Gnadengesuch gestellt – das ihm nicht helfen wird. Der dritte ist ein robuster, furchtloser Arbeiter, der ohne Zögern in den Tod geht, nicht ohne an den Sieg des Kommunismus zu glauben. Ebenso Häftling Nummer vier, der geistige Anführer der Gruppe, der ein wirklicher Paradekämpfer für die gute Sache ist und die rote Fahne auf dem Hamburger Michel vor dem geistigen Auge hat – trotzdem möchte er von der Ärztin, die alle vier besucht und mit denen sie sich politisch verbunden fühlt, eine Feile und ein vollgetanktes Motorrad jenseits der Gefängnismauer, was diese in einen Konflikt stürzt, dem sie nicht gewachsen ist. Wir interpretieren den Wunsch des Mannes nach Ausbruch so, dass an die Solidarität der Arbeiterklasse appelliert wird und dass der Kommunist selbstverständlich nicht um sein Leben fürchtet, sondern besorgt darüber ist, dass er nicht mehr in den Kampf für eine bessere Weltordnung eingreifen kann.
So sehr die Kommunisten überhöht und pauschal von jeder Mitverantwortung für den Untergang der Weimarer Demokratie freigesprochen werden, so lebensnah wirken, von den stilisierten Komintern-Kämpfern abgesehen, die Menschen und die Nazis im Besonderen. Die Darstellung der NS-Chargen unterscheidet sich nicht wesentlich von der in anderen DEFA-Filmen und auch in den wenigen kritischen westdeutschen Filmen, die in den 1950ern und 1960ern entstanden sind, aber alles wirkt stimmig, nachvollziehbar, und daher erschreckend. Die Opportunisten, die Großkotze und Welteroberungsfantasten, die Sturmtruppen. Sehr differenziert sind die weiblichen Figuren angelegt, auch wenn keine echte Kämpferin darunter ist. Ihnen wird eine Mitverantwortung an dem, was im Dritten Reich geschah, zugewiesen, weil sie sich nicht genug gegen das einsetzende Barbarentum stellten, ihre soziale Kompetenz nicht genug aktivierten – und in einigen Fällen eine ebenso rohe Gesinnung hatten wie ihre Männer.
Das Verhältnis des Ehepaares Teetjen und seine Stellung in der kleinen Welt von Wandsbeck ist wunderbar ausgestaltet, ohne Übertreibungen und ohne falsche Sentiments, aber mit diesem Mindestmaß an Verständnis für persönliche Schicksale, ohne das die Nachvollziehbarkeit ihres Handelns nicht gegeben wäre und sie mehr oder weniger wie Monster wirken würden. Aber „Das Beil von Wandsbeck“ zeigt in mehreren Szenen, wie sie sich einordnen in den State of Mind einer Nation, die aus den Fugen geraten war. Der Metzger sieht sich als Henker im Spiegel des Mahogoni-Kleiderschrankes, der sinnfällig verpfändet werden muss, und er steht zu Übungszwecken im Schlachthaus und zerteilt Schweine – eine klare Allegorie darauf, dass sich der NS-Staat nach den ersten Jahren, in denen politische „Verurteilungen“, also Morde, noch als einzelne Fälle kenntlich waren und es eine Scheinjustiz gab, spätestens ab 1942 und jenseits der Volksgerichtshöfe in ein hoch automatisiertes Schlachthaus verwandeln wird, in dem erst gar nicht mehr eine persönliche Schuld als Grund für die Aussonderung aus der „Volksgemeinschaft“ suggeriert wird, sondern schon die Zugehörigkeit zu einer Rasse oder Religion ausreicht, um im Massensterben der Vernichtungslager zu enden.
Finale
„Das Beil von Wandsbeck“ ist bei weitem nicht so bekannt wie der im selben Jahr entstandene „Der Untertan“ von Wolfgang Staudte, vermutlich hat er in den Zeiten der deutschen Teilung nie den Weg in den Westen gefunden, während die effektvoll arrangierte Heinrich Mann-Verfilmung zum Schulfilm-Kanon zählte. Aber er ist von ähnlicher Wichtigkeit. Sowohl kulturhistorisch die DDR betreffend, weil die DEFA anhand des Umgangs der Partei mit solchen Filmen ihre Linie festlegte, sondern auch filmgeschichtlich. Sicher fehlt die knallige Extravaganz, die Staudtes Ausmalung der Zeit Wilhelms II. aufweist, aber dafür wirken die Figuren viel natürlicher und ihr Handeln steht uns näher. Beide Filme zeigen den Geist, der das Nazitum förderte, sehr gut auf, aber Menschen wie den Metzger Teetjen und seine Frau, die bösen und die guten Nachbarn, die Käufer als Herde, die Profiteure und Opportunisten, die kennen wir alle und fragen uns, wie hätten wir uns in jener Zeit verhalten? Vermutlich nicht wie Teetjen, was aber auch daran liegt, dass wir eben in einer anderen Zeit geprägt wurden (2).
Die Haltung der Ärztin Dr. Neumeier bietet im Rahmen einer gewissen Selbst-Ehrlichkeit das meiste Identifikationspotenzial und ihr Verhalten ist überzeitlich: Das Gute zu denken und zu wollen, den Versuch zu wagen, etwas für andere zu erreichen, aber letztlich doch nicht den ganzen Weg gehen, die ganze Solidarität zeigen, nämlich den offenen Widerstand – um nicht selbst vom System vernichtet zu werden. So schätzen wir uns ein, und viele, die wir kennen, so würden wir uns in einer Diktatur verhalten. Diese Erkenntnis bedeutet aber auch, dass wir den Wert der Freiheit, ohne Gefahr für Leib und Leben unsere Meinung aussprechen und politisch Stellung beziehen zu dürfen, sehr hoch einschätzen. Und diese Wertschätzung für das kostbare Geschenk der Meinungs- und Handlungsfreiheit, das wir uns nicht selbst erkämpft haben, vermissen wir bei vielen, die wir kennen.
80/100
(1), kursiv, tabellarisch: Wikipedia
(2) Im Nachgang zur Rezension haben wir gerade gelesen, dass Wolfgang Staudte an der Erstellung Drehbuch für „Das Beil von Wandsbeck“ beteiligt war, das unterstreicht den Sinn des Vergleichs mit seinem Film „Der Untertan“.
© 2024 Der Wahlberliner, Thomas Hocke (Entwurf 2015)
| Regie | Falk Harnack |
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| Drehbuch | Hans-Robert Bortfeldt, Falk Harnack, Erich Conradi |
| Musik | Ernst Roters |
| Kamera | Robert Baberske |
| Schnitt | Hilde Tegener |
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