Der größte Steueroasen-Schädiger ist das Vereinigte Königreich (Statista + Kommentar)

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Durch unsere Berichterstattung über den #Mietenwahnsinn sind wir in den Jahrn 2019 und 2020 häufiger auf die Cayman Islands als eine Art Steuer-Endoase gestoßen. Aus wohlerwogenen Gründen haben wir sie beim vollen Namen genannt: British Cayman Islands. Manche wirtschaftlichen Akteure verbuddeln Geld, das dem Staat zusteht und damit der Gemeinschaft, über mehrere Stationen hinweg genau dort. Luxemburg und Liechtenstein spielten dabei auch oft eine Rolle. Es gibt auch in der EU Schädlings-Staaten, und zwar nicht zu knapp bezüglich der Dimensionen und mindestens drei davon,  aber das UK, das nicht mehr dazugehört, versucht am meisten, mit seinen Steuervermeidungsterritorien andere Volkswirtschaften zu ruinieren.

Infografik: UK dominiert Rangliste der schädlichsten Steueroasen | Statista

Diese Statista-Grafik wurde unter einer Lizenz CC BY-ND 4.0 Deed | Namensnennung-Keine Bearbeitung 4.0 International | Creative Commons erstellt und wir geben sie unter gleichen Bedingungen wieder. Folgend der Statista-Begleittext dazu, dann weiter mit unserem Kommentar.

Eine neue Analyse des Tax Justice Network (Netzwerk für Steuergerechtigkeit) zeigt auf, dass das Vereinigte Königreich weltweit am meisten zur Steuerhinterziehung von Unternehmen beiträgt. Wie diese Infografik zeigt, führen die britischen Überseegebiete und Kronbesitzungen die Liste der acht wichtigsten Orte an, die es multinationalen Unternehmen ermöglichen, die Zahlung von Steuern auf ihre Gewinne zu vermeiden. Insgesamt ist das Vereinigte Königreich damit für etwa ein Drittel des weltweiten Steuervermeidungsrisikos verantwortlich.

Die EU-Länder sind ebenfalls für ein Drittel des Risikos des Steuermissbrauchs verantwortlich, während afrikanische Länder nur für vier Prozent und Lateinamerika für nur drei Prozent des Risikos des Steuermissbrauchs verantwortlich sind. Zu den Ländern, die schlechter abgeschnitten haben als zuvor, gehören Brasilien, Polen und Mexiko.

Irland ist 2024 mit einem Indexwert von 1.622 erstmals in die Top-Ten-Liste aufgestiegen und liegt damit auf Platz neun. Es folgen Luxemburg (1.480) und die Bahamas, die zwar ein unabhängiges Mitglied des britischen Commonwealth, aber kein OT oder CD sind. An 12. Stelle liegt die Isle of Man und an 13. Stelle Guernsey, beides kronabhängige Gebiete. Das Vereinigte Königreich liegt an 18. Stelle mit einem Wert von 894. Nach Angaben des Tax Justice Network gehen jährlich etwa eine halbe Billion Dollar in Steueroasen verloren.

Der Index bewertet die Gesetze der Länder und überwacht den Umfang der finanziellen Aktivitäten von Unternehmen, die in Länder ein- und ausgehen. Der Haven Score wird anhand von mehr als 70 Fragen zu 18 Indikatoren ermittelt, um festzustellen, inwieweit die Gesetze und Vorschriften eines Landes den Missbrauch von Unternehmenssteuern zulassen. Die Ergebnisse dieser Indikatoren werden dann mit globalen Skalengewichten kombiniert, die auf IWF-Daten über ausländische Direktinvestitionen beruhen. Die endgültige Zahl ist ein Maß für den Beitrag der einzelnen Länder zum globalen Problem des Missbrauchs von Unternehmenssteuern.

Um keine Zweifel aufkommen zu lassen. Auch Deutschland ist kein komplett neutrales Gebiet und liegt auf Rang 23, zwei Plätze vor den USA. Aber Deutschland hat einen relativ geringen Anteil an den weltweiten Finanztransaktionen, auch im Vergleich zu anderen europäischen Ländern, ist also kein Hotspot des Finanzmarkts, der in besonderem Ausmaß dazu reizen würde, Steuervermeidungskonstruktionen umzusetzen. Vielmehr wird der deutsche Staat massiv dadurch geschädigt, dass hierzulande Player aktiv sind, die ihre Steuerpflicht durch teilweise aberwitzige Verschachtelungen mit ausländischen Holdings gegen Null bringen und gleichzeitit die wahren Eigentümerverhältnisse von Unternehmen und Immobilien verschleiern. Deutschland gehört per Saldo zu den Geschädigten, nicht zu den Schädigern. Ein typisch deutsches Problem ist hingegen, dass wirtschaftliche Aktivitäten gar nicht erst legal ausgeführt werden, auch dies mindert die Handlungsfähigkeit der Gemeinschaft in erheblichem Maße. Es ist aber ein innerstaatliches Problem, sofern dadurch keine internationalen Wettbewerbsvorteile bewirkt werden, was wir angesichts der Branchen, in denen massiv schwarzgearbeitet wird und Schwarzgeld gewaschen wird, eher nicht glauben. Anders ausgedrückt, die konkurrenzintensive Exportindustrie ist von diesem Phänomen wenig betroffen.

Auf die Rolle Irlands, Luxemburgs und der Niederlande haben wir schon vielfach hingewiesen, weil wir es unsäglich finden, dass innerhalb der EU gleich drei Spitzen-Schädigerstaaten verortet sind, ohne dass dies zu irgendwelchen Sanktionen seitens der EU-Institutionen führt. Bei Ländern wie Luxemburg muss man mitbedenken, wie groß der Schaden, den sie anrichten, im Vergleich zu ihrer Größe ist. Tut man dies, dann kommt man auf ein astronomisches Verhältnis, das die EU als solidarische Gemeinschaft per se diskreditiert und unglaubwürdig macht. 

So wird auch innerhalb der EU keine Steuergerechtigkeit zu erwirken sein und es führt dazu, dass die EU mit nicht weniger als einem Drittel an der schädlichen Steuervermeidung auf der Welt beteiligt ist. Neben den drei genannten Ländern gibt es weitere, die sich nicht nur bei der Entdemokratisierung und Entsolidarisierung, sondern auch auf dem Gebiet der Schädigung Dritter durch Steuervermeidungsanreize offenbar einen Namen machen wollen, wie etwa Ungarn.

Das größte Parasitenland ist nicht etwa die Schweiz, obwohl sie natürlich ganz vorne dabei ist und eine sehr lange ungute Tradition hat, sondern das Vereinigte Königreich mit seinen vielen fernen oder näher gelegenen Inseln, auf denen Sonderrechte für ausländische Unternehmen gelten, die durch ihre Ansiedlung diese Territorien und damit das UK wirtschaftlich aufpumpen, aber per Saldo viele andere Volkswirtschaften schädigen. Wie sehr das UK auf dem Gebiet dominiert, hat uns dann aber doch überrascht. Unser Verhältnis zu dem Land hat sich schon durch den Brexit stark abgekühlt, aber hier sehen wir, dass ein Mangel an Entkolonialisierung und die Neigung zu unfairen Wirtschaftspraktiken dort regelrecht zu Hause sind. Besonders interessant sind die „Safe-Haven-Punkte“ dabei: Alle diese britischen Territorien kommen auf genau 100 Prozent, das heißt praktisch, sie haben keine andere Funktion, als Kapital aus anderen Staaten anzusaugen, indem sie keinerlei Transparenz, Durchgriff, faire Steuererhebung ermöglichen. 

Wenn man Länder, die Kriege mit Waffen führen, sanktioniert oder China wegen seiner subventionierten Exporte, müsste man auch Länder, die ohne großes Aufhebens, aber äußerst brutal Wirtschaftskriege führen, wie das UK es mit seinem Ring von Steueroasen tut, ebenfalls dafür bestrafen. 

Das geht aber aus geostrategischen Gründen nicht, weil sie zum Westen gehören, der damit auch insgesamt wieder einmal eine denkbar miserable Position in Sachen fairer Weltwirtschaft einnimmt. Diese Steueroasen schädigen zwar auch andere westliche Länder, sind im Ganzen aber Elemente der westlichen Dominanzstrategie. Wer die Kapitalmärkte beherrscht und seine Besitzungen oder gar das Kernland als Drehscheibe für schmutziges Verbuddeln von Kapital anbietet, hat einen unschätzbaren Vorteil gegenüber den Werkbankländern dieser Welt und jenen, die noch gar nicht richtig angefangen haben, an der Weltwirtschaft teilzunehmen. Während große Volkswirtschaften wie die der USA oder Deutschlands diese Abflüsse noch insgesamt einigermaßen verschmerzen können oder könnten, wenn die wirtschaftliche Lage etwas besser wäre, auf Deutschland bezogen, haben kleine Ökonomien den Nachteil, dass sofort, wenn es zu Kapitalakkumulation kommt, die Tendenz besteht, die mobilen Assets außer Landes zu schaffen und keine Steuern zu zahlen. Zumal, wenn eine korrupte Elite diese Tendenz vollumfänglich unterstützt und mangels Demokratisierung der Wirtschaft die Hand auf alles hält.

Die Schweiz ist als Sammelbecken für schmutziges Geld legendär oder auch berüchtigt, aber der Fokus muss viel mehr auf die modernen britischen Steuervermeidungsterritorien gerichtet werden, ohne dass dies die Schweiz und andere Klassiker des Dienstes am Fluchtkapital entlasten würde. 

Leidtragende sind wieder einmal die arbeitenden Menschen überall auf der Welt, die das erwirtschaften, was einige Superreiche und Kapitalanleger jedwedem Zugriff entziehen. Deswegen sehen wir auch das relativ hohe BIP-Wachstum einiger undemokratischer und korrupter Staaten mit Distanz. Was dadurch nämlich nicht wächst, ist „Wohlstand für alle“, sondern die Ungleichheit. Deswegen sind auch bestimmte Wachstumsmodelle obsolet, solange das Wachstum nur quantitativ und nicht qualitativ, gewichtet nach seinem Benefit für alle, betrachtete werden.  

Natürlich könnte man es auch anders machen. In Deutschland ein paar Sonderwirtschaftszonen ausweisen, Nordseeinseln wie Sylt, die einen gewissen Ruf haben, oder, anders herum, eher auf die irische Art gedacht, bisher benachteiligte Regionen wären dafür besonders geeignet, das Ganze als Strukturbeihilfe tarnen, und bei dem Rennen mitmachen. Dabei würde sich rasch zeigen, wie wenig andere im Vergleich zu bieten haben. Aber wem käme dieses Kapitalsammeln zugute und was wäre, wenn jedes Land in diesen ruinösen Wettbewerb einsteigen würde?

Die Steuervermeidungsterritorien sind nur ein besonders übler Bestandteil einer insgesamt unfairen Wirtschaftsordnung, das darf man dabei nicht vergessen. Deutschland hat lange seine eigenen Profitstrategien gehabt, die die Reichen immer reicher und die Armen ärmer gemacht haben, nur wirkt es im Moment mit diesen ein wenig Old School und irgendwie am Ende seiner Möglichkeiten angekommen. Die Briten waren auch einmal in diesem Zustand, aber dann initiierten sie, mit dem Vorteil von London als größtem europäischem Finanzplatz als Drehscheibe, u. a. die Verwendung ihrer Besitztümer als Steuersparmodelle. Wenn der Brexit überhaupt funktionieren wird, dann vermutlich nur wegen solcher Machenschaften.

Eine Lösung dieses typisch westlichen Problems gäbe es nur, wenn die USA massiv Druck dagegen machen würden. Mit der Mindest-Unternehmenssteuer von 15 Prozent sind sie dabei einen ersten Schritt gegangen, haben ihrerseits aber auch viel zu geringe Kapital- und Unternehmenssteuern. Dass sie im Steuerschäden-Ranking noch hinter Deutschland angesiedelt, liegt wohl daran, dass die niedrigen Steuersätze in der Regel auch wirklich durchgesetzt werden, das Steueraufkommen auch wirklich eingetrieben wird. Aufgrund der Größe ihres Marktes können sie andere eher unter Druck setzen, ebenso die eigenen Unternehmen, die ihre Sitze einfach woanders nehmen, um Steuern zu sparen. Ein Beispiel ist Amazon mit seinem Hauptsitz in Irland. Umsätze an der Quelle zu besteuern, ist eine Möglichkeit, die große Volkswirtschaften haben, um das Ausbüchsen ihres Kapitals zu begrenzen. Welches westliche Unternehmen würde schon die USA als Markt aufgeben oder sich dort ständig hohe Strafsteuern einhandeln wollen?

Gleich, ob sie sich  mit Steuerschweinereien Vorteile verschaffen wollen oder nicht, wachsen die Schuldenberge großer westlicher Staaten immer weiter. Oder soll man sagen, genau deshalb tun sie es? Einige fahren noch ganz gut mit ihrem Parasitenmodell, aber für Großbritannien gilt das offenbar nicht in besonders hohem Maße, dort steigen die Staatsschulden auch, ebenso wie in den Volkswirtschaften, die in diesem Rennen nicht vorne dabei sind. Britische Schuldenquote auf höchstem Stand seit 1961 | tagesschau.de.

Wir meinen, es kann nicht der deutsche Weg sein, sich bei allen kapitalistischen Schweinereien an die Spitze zu setzen und auf diese Weise „wettbewerbsfähig“ zu bleiben. Wo soll zum Beispiel das Wettrennen um immer niedrigere Steuersätze hinführen? Dorthin, wo das Kapital hinwill, nämlich zur Dysfunktionalität, zur Auflösung von Staat und Ordnung, zur kompletten Privatisierung von jedweder Sicherheit, die sich dann nur noch Reich eleisten können – damit die Ausbeutung und die Schutzlosigkeit Einzelner immer extremere Dimensionen annehmen?

Und dann wird sich das System doch selbst zerstören durch seine Überfressung. Wir meinen, wir können es besser, aber dafür braucht es eine neue wirtschaftliche Erzählung für alle, ein Narrativ, von dessen Aufstellung die gegenwärtige Bundesregierung meilenweit entfernt ist. Das Grundgesetz würde andere Möglichkeiten bieten als die derzeitige Kopflosigkeit, es anderen nachmachen zu wollen, aber nie schnell und gut genug zu sein, es erlaubt auch konzeptionelle Ansätze, die außerdem fairer sein könnten als das, was wir aktuell gegenüber den Menschen hierzulande und außerhalb sehen.

TH


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