Briefing, PPP, Politik, Personen, Parteien, AfD, AfD-Verbot, Verbotsverfahren, Bundesverfassungsgericht, Demokratie in Gefahr
Wir haben schon so viel über ein Verbot der AfD geschrieben, dass – ja, dass eine Entscheidung dafür oder dagegen unter aktuellen Umständen gar nicht so einfach ist. Wir haben verschiedene Petitionen und ihre Hintergründe durchdekliniert, und natürlich kann es nicht ausbleiben, dass Civey eine Umfrage aus dem Thema macht, zumal es nun zu einer Initiative kommen soll, die tatsächlich ein Verbotsverfahren auf den Weg bringen soll. Hier der genaue Wortlaut der Frage:
Umfrage-Begleittext
Eine Gruppe von über 37 Bundestagsabgeordneten planen, ein Verbotsverfahren gegen die AfD beim Bundesverfassungsgericht zu beantragen. Der Antrag wird von einzelnen Abgeordneten aus SPD, CDU/CSU, Grünen und Linken unterstützt, berichtete der Tagesspiegel am Dienstag. Darin fordern sie unter anderem den Entzug der staatlichen Parteienfinanzierung für die AfD. Eine Partei kann in Deutschland laut Artikel 21 Grundgesetz nur verboten werden, wenn sie die „freiheitlich demokratische Grundordnung“ beeinträchtigen oder beseitigen will.
Die Initiative wirft der AfD vor, die freiheitlich-demokratische Grundordnung abschaffen zu wollen und ihr gegenüber eine „aktiv kämpferisch-aggressive Haltung“ aufzuweisen. Zudem verstoße die AfD regelmäßig gegen die in Artikel eins des Grundgesetzes festgelegte Garantie der Menschenwürde. Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) zeigt sich bei RTL offen für ein Verbot, allerdings nur unter der Bedingung, dass konkrete Beweise vorliegen. Der CDU-Abgeordnete Roderich Kiesewetter hält eine sensible Diskussion über den Umgang mit einer Partei für nötig, „die versucht hat, letzte Woche den Thüringer Landtag in Geiselhaft zu nehmen“, sagte er bei WELT TV. Daher begrüße er die Initiative.
Die Vorsitzende der SPD-Grundwertekommission, Gesine Schwan, hält ein Verbotsantrag für kontraproduktiv. Sie fürchtet, es würde noch mehr Menschen, „die mit den Bedingungen und Erfordernissen der pluralistischen Demokratie wenig vertraut sind und sich mit ihr deshalb nicht identifizieren können, in die Arme der AfD treiben.“ Ähnlich äußerte der SPD-Abgeordnete Ralf Stegner im Handelsblatt. Er habe keine Zweifel, dass die AfD rechtsextrem sei, aber angesichts ihrer großen Wahlerfolge habe er große Bedenken, ob dies nicht zu spät sei. Der FDP-Abgeordnete Frank Schäffler kritisierte im Handelsblatt, dass Verbotsdebatten von der politischen Diskussion ablenken. Er forderte, die AfD politisch zu bekämpfen. Die AfD selbst weist die Vorwürfe der Initiative zurück.
Kommentar
Da hat man plötzlich ganz andere Freunde als üblicherweise, zum Beispiel Roderich Kiesewetter von der CDU. Die Gegner hingegen kennt man schon, zum Beispiel Sahra Wagenknecht. Es war bei deren Demokratieverständnis vorauszusehen, dass sie gegen einen solchen Antrag ist, wenn auch nicht der dumme Übergriff, den Antrag als den dümmsten des Jahres zu bezeichnen. Wagenknecht kann Stalin viel besser als das Grundgesetz.
Wenn eine Partei der Verfassung, dem Grundgesetz, entgegensteht, wenn sie die demokratische Ordnung, die darin festgelegt ist, aktiv bekämpft, dann hat sie verboten zu werden. Wenn 99 Prozent der Menschen zu dumm sind, zu merken, dass sie sich mit der AfD-gesteuerten Entdemokratisierung selbst die Füße unter dem Boden wegziehen, dann muss man ihnen entgegentreten.
Gerade solche Einlassungen wie die mit dem „dummen Antrag“ haben uns darin bestärkt, eindeutig für den Antrag zu stimmen. Er ist nämlich nicht dumm, sondern bei dem Rechtsdrall, den wir im Moment haben, sehr mutig und konsequent rechtsstaatlich-verfassungsrechtlich orientiert. Populistische Anbiederung an die AfD oder scheinheiliges „sie politisch bekämpfen wollen“, was bisher überhaupt nicht funktioniert hat und von vielen im Grunde auch nicht gewollt ist, kennen wir, das ist billig und rekurriert auf niedere Instinkte demokratieferner Menschen.
Sollte das Bundesverfassungsgericht zu der Ansicht kommen, die AfD sei nicht verfassungswidrig, haben wir das hinzunehmen, dürfen aber auch nach einer solchen Entscheidung selbstverständlich darüber diskutieren, ob wir diese für richtig halten. Wir müssen das sogar, denn so schwierig ein Verbot vielleicht werden könnte, so schwierig ist es für uns, ein Verbot rundweg abzulehnen. Deswegen erwarten wir vor allem ein langes Verfahren, das der AfD im Verlauf durchaus nützlich sein kann. Aber: Diese Erwägungen können nicht dazu führen, dass die Demokratie sich nicht mehr zu schützen traut. Glücklicherweise gehört zu dieser Demokratie, dass manche Institutionen eben nicht vom Wählerwillen abhängig sind oder sein sollten, sondern darauf zu achten haben, dass der Wählerwille nicht, wie 1933, in eine barbarische Diktatur mündet.
Eine gute Demokratie muss Institutionen bereithalten, die sowohl der Politik Grenzen setzen als auch den Wählern gegenüber misstrauisch sein dürfen.
Ein tatsächlich dummes Argument ist „jetzt ist es zu spät“. Ja, dieses Problem haben wir auch gesehen: Je länger ein Verbotsverfahren hinausgezögert wird und je mehr Wählerzuspruch die AfD bekommt, desto größer wird der Schaden für die Demokratie bei einem Verbot. Aber nach allem, was wir in den letzten Wochen und Monaten beobachtet haben, meinen wir: Er wird nicht größer sein, als wenn man die AfD auf der Basis von Opportunitätsargumenten einfach weitermachen lässt, egal, wohin sie sich entwickelt.
Außerdem: Die Normalisierung rechtsextremer Parteien, die in anderen Ländern zu beobachten ist, kann für Deutschland angesichts der historischen Erfahrungen kein Vorbild sein. Wie in keinem anderen Land muss auf das „Nie wieder“ geachtet werden.
Es darf bei uns nicht normal sein, was anderswo normal ist, weil diese Normalisierung auch bedeutet, dass wir die besondere deutsche Verantwortung für Freiheit und Demokratie in den Wind schießen, die uns als Chance und als Pflicht nach dem Zweiten Weltkrieg mitgegeben wurden.
Das Vertrauen der Welt in ein neues Deutschland hat ein höheres Gewicht als eine Normalisierung im Stil anderer europäischer Nationen. Wir müssen ethisch höhere Ansprüche bewahren. Und wenn das in weiten Teilen der deutschen Bevölkerung nicht verstanden wird, dann müssen die Institutionen dafür sorgen, dass dieses Unverständnis nicht zu rechtsextremer Politik führt. Und sei es durch das Verbot einer Partei, die gegenwärtig bundesweit fast ein Fünftel der Stimmen einfahren würde, wäre jetzt die Bundestagswahl.
Das ist nicht undemokratisch, im Gegenteil. Denn Demokratie ist Minderheitenschutz, ist Grundrechte für alle, ist ein Grundmaß an Humanität und Zivilisation, nicht Terror einer wildgewordenen Mehrheit, wie wir ihn in Deutschland in einem Maße hatten, das eine Wiederholung unbedingt ausschließen muss. Mag das in anderen Ländern lockerer gesehen werden, so ist das deren Sache. Sie müssen sich nicht die deutschen Erfahrungen zu eigen machen. Aber in Deutschland müssen diese Erfahrungen weiterwirken.
Sollen nach einem AfD-Verbot diejenigen, die sie unterstützt haben, nicht mehr zur Wahl gehen, das ist dann deren Sache. Sie haben antidemokratisch gewählt, also erwarten wir von ihnen keine aktive Unterstützung der Demokratie. Mobilisierung ist per se kein Vorteil, wenn sie darauf hinausläuft, dass jede noch so mistige Meinung endlich eine politische Kraft gefunden hat, die diese Meinung hofiert. Denn das liefe darauf hinaus, dass es auch kein Verbot einer Eins-zu-eins-NSDAP-Ersatzpartei geben dürfte, denn schließlich gibt es immer noch Menschen, die eins zu eins NSDAP-Ansichten vertreten.
Eine solchermaßen opportunistische Haltung steht diametral einer wehrhaften Demokratie entgegen. Es kommt also nur darauf an: Ist die AfD verfassungsfeindlich oder nicht? Nicht darauf, wie viele Wähler es toll finden, eine verfassungsfeindliche Partei zu wählen. Selbst, wenn es eine absolute Mehrheit in ganz Deutschland wäre, müsste die AfD verboten werden, wenn sie aktiv eine Demontage der Verfassungsgrundsätze betreiben will. Gerade dann würde ein Verbot in höchstem Maße nottun, denn gäbe es eine solche Mehrheit, würde das bedeuten, dass diese Mehrheit bereit ist, zum zweiten Mal innerhalb von knapp hundert Jahren jedwede zivilisatorische Maske fallenzulassen und alle Lehren aus der Vergangenheit zu verraten. Das dürfen die Institutionen, die für den Schutz der Verfassung zuständig sind, allen schützenswerten Minderheiten nicht antun.
Auch wegen der gefährlich defätistischen, opportunistischen oder von mangelnder Verfassungs- und Demokratiekenntnis getragenen Einlassungen zum Verbotsantrag, die in den letzten Tagen durch die Medien gingen, haben wir uns klar für den Verbotsantrag ausgesprochen. Wir wissen, dass das alles nicht einfach ist, aber es nicht zu wagen, es nicht zu versuchen, ist Verrat an der Demokratie und keine ganz normale politische Auseinandersetzung unter Demokraten. Wo undemokratisches Gedankengut im Diskurs sichtbar wird, muss der Diskurs an dieser Stelle enden.
Dieser Standpunkt entbindet die gegenwärtig herrschende Politik allerdings nicht davon, bessere Angebote für die Bevölkerung machen zu müssen. Ein AfD-Verbot und ansonsten weiter wie bisher wird die Demokratie nicht stabilisieren. Nur ein AfD-Verbot, das auch als Warnung an die anderen Parteien verstanden wird, ergibt letztlich einen Sinn bezüglich des Schutzes der Demokratie.
Signifikant ist, dass sich nur eine Minderheit für das Verbotsverfahren ausgesprochen hat, die Ablehnung bekommt doppelt so viel Zuspruch. Gerade daran zeigt sich, was Demokratie nicht tun darf: Sich durch eine Mehrheit zerstören lassen, der es an Zugang zu dem fehlt, was die Freiheit tatsächlich ausmacht.
TH
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