Filmfest Cinema
Something Good – Negro Kiss ist ein kurzer Stummfilm aus dem Jahr 1898, in dem sich ein Paar küsst und Händchen hält. Es wird angenommen, dass es den frühesten Kuss auf der Leinwand darstellt, an dem Afroamerikaner beteiligt sind.
Wir als ersten US-Film des Jahres 1898 diesen 49-Sekünder ausgewählt, womit wir uns langsam von den Ur-Pionieren William K. L. Dickson und William Heise verabschieden, die als Angestellte der Edison Company die allerersten amerikanischen Filme hergestellt hatten. Kaum zu glauben, aber das war im Jahr 1898 schon fast zehn Jahre her. Von Jahr zu Jahr gab es Neuerungen, mal technischer, mal inhaltlicher Art, und nach dem ersten filmischen Giganten-Projekt, der Abfilmung des kompletten Weltmeisterschafts-Boxkampfs im Schwergewicht zwischen Corbett und Fitzsimmons im Jahr 1897 gehen wir zurück zur „natürlichen Entwicklung“ und stellen eine kleine Spielszene vor, deren komplette Version aber mit 49 Sekunden bereits länger ist als die bisher vorgestellten „Spielfilme“, wenn auch freilich viel kürzer als der Corbett-vs.-Fitzsimmons-Film, den wir aber als Dokumentarfilm einordnen. Wir lassen auch die Tatsache hier außer Acht, dass zu der Zeit die künstlerische Filmmusik eher in Frankreich spielte, wo sich bereits im Jahr 1896 Georges Méliès an die Spitze des nunmehr fantastisch gewordenen Films setzte, eine Position, die er auch im Jahr 1898 behalten konnte.
„The Negro Kiss“ wurde aber schon von einem Produzenten hergestellt, der die nächste Stufe der Werdung der amerikanischen Filmindustrie verkörpert, in der Person von William Selig. Mehr dazu steht in der Rezension.
Handlung (1)
In „Something Good“ tauscht ein gut gekleidetes afroamerikanisches Paar mehrere Küsse aus. Zwischen den Küssen halten und schwingen sie sich die Hände und lachen zusammen. Die Chemie in den Performances wird als „spürbar„[3] beschrieben und vermittelt ein „unverwechselbares Gefühl von Natürlichkeit, Vergnügen und Freude“. [2] Eine etwas längere Version kam 2021 ans Licht; Diese Version zeigt das Paar, bevor es sich umarmt, und beinhaltet das „Vorspiel vor den Küssen, mit Werben, Ablehnung und Verhandeln“. [5] Die längere Version wurde zur gleichen Zeit produziert und könnte für den internationalen Markt produziert worden sein. Die Forschung stellt fest, dass alternative Versionen verkauft und separat mit unterschiedlichen Längen aufgeführt wurden. Auch die längere Fassung ist perspektivisch weiter weg und invertiert, mit den Schauspielern auf gegenüberliegenden Seiten der ersten Fassung, wobei nicht bekannt ist, ob es sich dabei um einen Fehler bei der Produktion oder der Reproduktion handelte. Wissenschaftler empfinden den längeren Film auch als „vaudevillesker„, mit mehr schauspielerischer Arbeit, als die Romanze des ersten. [6]
Rezension
Natürlich habe ich mir beide Versionen angesehen, die in der amerikanischen Wikipedia verlinkt sind. Der kurze Film wirkt intimer, aber auch statischer, der zweite stellt eine richtiggehende Anmache dar, die zum Erfolg führt, aber auch süß und sehr beschwingt wirkt. Vom offensiven bis zum devoten Vorgehen per Niederknien vor der Frau sieht man in rascher Abfolge verschiedene Methoden der „Werbung“ des Mannes, und ich schließe mich der Ansicht an, die in der Handlungsbeschreibung schon niedergelegt ist, dass das Paar eine „gute Chemie“ hat. In der Tat handelt es sich hier um zwei afroamerikanische Vaudeville-Künstler namens Gertie Brown und Saint Suttle,[1]/[2] die auf der Bühne langjährig zusammenarbeiteten und vermutlich in Seligs Studio gekommen waren, um einen kurzen Tanz auf Film festhalten zu lassen.
Dann wäre also der „Negro Kiss“ in seinen verschiedenen Versionen ein Nebenprodukt, auch eine Parodie auf „The Kiss“ möglicherweise, den wir bereits vorgestellt haben, aber vor allem in der tatsächlich aufs Küssen konzentrierten kurzen Version, während die längere, deutlich erkennbar vor einem dunklen Vorhang als Kulisse gedreht, fast schon das Entstehen einer Romanze kurz zusammenfasst, die zwar auf klassische Art, durch den Mann, eingeleitet wird, aber zwei sehr sympathische junge Afroamerikaner zeigt, was auch bedeutet, dass der Film seiner Zeit um Jahrzehnte voraus war. Romantische Rollen gab es für afroamerikanische Darsteller:innen im weißen Film lange nicht – bis heute eigentlich fast nur in Filmen, die als „schwarzes Kino“ bezeichnet werden und bei denen afroamerikanische Schauspieler im Vordergrund stehen. Aber z. B. eine sexuell konnotierte Beziehung besonders zwischen einem dunkelhäutigen Mann und einer weißen Frau ist nach wie vor grundsätzlich ein Tabuthema im amerikanischen Mainstream-Film. Solange die Gefühle innerhalb der „Rasse“ bleiben, ist es etwas einfacher geworden.
Bis vor wenigen Jahren galt der Film als verloren, was unter anderem belegt, dass man die Hoffnung nie aufgeben sollte, auch nicht alte deutsche Filme betreffend, von denen immer wieder Neues gefunden wird, was den bisherigen Stand ergänzt. Auch von den frühen Filmen Charles Chaplins aus dem Jahr 1914 gibt es solchermaßen Kunde, seine Filmografie ist seit dem überraschenden Fund eines One-Reelers aus seinem Debüt-Jahr um eine Arbeit länger geworden.
Finale
Vielleicht handelt es sich um das versierteste Schauspiel, das bis dahin im Film gezeigt wurde. Viele frühe, natürlich in erster Linie weiße Filmstars hatten im Vaudeville-Theater ihre Karriere begonnen und gingen dann zum Film, ab etwa 1910 bedeutet das vor allem: Vom Osten, von New York aus westwärts nach Hollywood. Hätten die beiden Darsteller in „A Negro Kiss“ einige Jahrzehnte später gelebt, hätten sie vielleicht in einem Film wie „Cabin in the Sky“ mitgespielt, den MGM 1943 als ein für damalige Verhältnisse ungewöhnliches „schwarzes“ Musical aufführen ließ und in dem Größen wie Ethel Waters und Lena Horne mitspielten. Auch das war immer noch eine schwierige Zeit für Afroamerikaner, wie sich aus einigen Anmerkungen zum Film herauslesen lässt, aber 1898 war der Bürgerkrieg gerade erst 33 Jahre her.
Man kann es natürlich auch so drehen, dass der Mangel an Steifheit, die Freude und die Beschwingtheit, die der Film vermittelt, auch auf eine Art rassistische Klischees beinhaltet, aber ich fände es schade, den Film unter dieser Prämisse zu betrachten, denn im Grunde ist er progressiv und hat zum Beispiel dem „Original“ aus dem Jahr 1896 sehr vieles voraus, falls er wirklich eine Persiflage darauf darstellen soll – was besonders für die Langversion eigentlich diskriminierend wäre, die viel mehr beinhaltet als die Szene, die drei Jahre zuvor gefilmt worden war und die ich als ästhetisch noch nicht, sagen wir mal, ganz ausgereift bezeichnet habe, als ich über den Film schrieb. Das würde ich so von „Negro Kiss“ nicht sagen und verweise wieder auf die Schlusssekunden, in denen der Mann die Frau an der Taille umfasst und sie sich nach hinten beugt und den Hals freigibt. Eine ungewöhnliche Einstellung für diese Zeit des frühesten Kinos.
In solchen Uralt-Filmen sind natürlich keine im Stil eines Dramas vorgetragenen Botschaften enthalten, solange sie keine richtigen Handlungen haben, die Botschaften transportieren können, aber der Subtext, ob gewollt oder zufällig vorhanden, ist enorm und daher ist die soziokulturelle Auswertung solcher Filme auch sehr ergiebig.
73/100
© 2024 Der Wahlberliner, Thomas Hocke
| Directed by | William Selig |
|---|---|
| Starring | Saint Suttle Gertie Brown |
| Distributed by | Selig Polyscope through Sears & Roebuck |
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Release date
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Running time
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29 seconds (1st rediscovered version) 49 seconds (2nd rediscovered version) |
| Country | United States |
| Language | silent |
[1] Kurzbiografie von Gertie Brown:
Laut der Volkszählung der Vereinigten Staaten von 1900 wurde Gertie Brown, damals 22 Jahre alt, 1878 geboren. Laut ihrem Nachruf begann sie ihre Karriere auf der Bühne im Alter von neun Jahren. [1] In den 1890er Jahren trat sie an der Seite des bekannten Komponisten und Entertainers Saint Suttle (1870-1932) in Varieté– und Minstrel-Shows im Raum Chicago und im ganzen Land auf. [2][3][4][5] Suttle, Brown, John und Maud Brewster traten als Gruppe namens „The Rag-Time Four“ auf, die für die Popularisierung einer Variation des Cakewalk-Tanzes verantwortlich war. [4] 1899 wurden Suttle und Brown im Varieté als „Two Real Ragtime Coons“ aufgeführt. [6] Von etwa 1906 bis 1915 war Gertie Brown eine der Hauptdarstellerinnen am Pekin Theatre in Chicago. [7] Zu ihren Auftritten gehörten Rollen wie „ein Indianer“ in der Show Coffey und Girls of All Nations im Jahr 1915.
Im September 1915 heiratete Brown den Komiker und Schauspieler Tim Moore, und er führte sie in eine neue Karriere ein, die sie durch das ganze Land und ins Ausland führte. Unter dem Namen Tim & Gertie Moore tourte das Paar durch Varietés in den Vereinigten Staaten, Neuseeland, den Hawaii-Inseln[8] und Australien und wurde als „außergewöhnlich kluges“ Paar gefeiert. [9][10] Von 1920 bis 1924 tourten sie mit ihrer eigenen Aktiengesellschaft, The Chicago Follies, durch die Dudley– und T.O.B.A.-Varieté-Zirkel. 1923 spielten sie in dem verschollenen Stummfilm Seine große Chance.[11]
Mit Tim Moore in der Hauptrolle trat Gertie 1925 mit ihm am Broadway in der Musical-Komödie Lucky Sambo auf. [12][13] Von 1925 bis 1927 tourten sie mit dem Columbia Burlesque Wheel in Edward E. Dalys Erfolgsshow Rarin‘ to Go.[14] 1927 trat sie mit ihm auch in der Southland Revue auf und Anfang 1928 in seiner Ausstellung Bronze Buddies. Nachdem ihr Mann als Star-Komiker von Lew Leslies Blackbirds von 1928 engagiert worden war, stand Gertie nur noch gelegentlich auf der Bühne. Sie widmete einen Großteil ihrer Zeit ihrem Zuhause und half dabei, wohltätige Hilfe für Theaterleute zu organisieren, die in den ersten Jahren der Weltwirtschaftskrise ihre Arbeit verloren hatten, einschließlich der Einrichtung eines Heims für mittellose Schauspieler.
[2] Die Biografie des männlichen Partners, die auch ergänzende Angaben zum Film „The Negro Kiss“ enthält: Saint Suttle (* Februar 1870 in New York City; † 4. Februar 1932 ebenda) war ein US-amerikanischer Komponist und Interpret. Suttle war als Cakewalk-Künstler und Varieté-Darsteller in Chicago bekannt. [1][2] Der Afroamerikaner war ein Pionier des frühen Films des späten 19. Jahrhunderts. [3]
Im Film „A Negro Kiss“
Suttle hält Händchen und küsst Gertie Brown in dem Kurzfilm Something Good – Negro Kiss (1898) von William Selig. [3][4] Es ist der früheste bekannte Kuss zwischen Schwarzen, der auf Film festgehalten wurde. [3][5] Dieses Beispiel für schwarze Intimität im Film war eine positive Darstellung, die sich gegen die entmenschlichenden Stereotypen wandte, die in dieser Zeit oft im Film zu sehen waren. [5] Im Jahr 2022 wurde der Film in die Ausstellung Regeneration: Black Cinema 1898 – 1971 im Academy Museum of Motion Pictures in Los Angeles aufgenommen, eine Ausstellung mit dem Ziel, die Beiträge Schwarzer Künstler*innen und Filmemacher*innen seit den Anfängen der amerikanischen Filmindustrie zu zeigen, die zeitweise gegen die konventionellen Stereotypen stieß. [6]
Suttle und Brown sind auf den Noten von William H. Krells „Shake Yo‘ Duster“ aus dem Jahr 1898 abgebildet. [7]
Suttle, Brown, John Brewster und Maud Brewster traten als Gruppe namens „The Rag-Time Four“ auf, die für die Popularisierung einer Variation des Cakewalk-Tanzes verantwortlich war. [1] Im Jahr 1901 hieß eine von Suttles Cakewalk-Performances, die auf Tournee gingen, das Coontown 400.[8] Er war auch an der Entwicklung von Plänen für den Bau eines Theaters beteiligt, die scheiterten. [9]
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