Pünktchen und Anton (DE / AT 1953) #Filmfest 1183

Filmfest 1183 Cinema

Der Film Pünktchen und Anton ist die 1953 entstandene Literaturverfilmung des gleichnamigen Jugendbuchklassikers von Erich Kästner. Das Drehbuch dieser deutsch-österreichischen Gemeinschaftsproduktion schrieben Thomas Engel und Maria von der Osten-Sacken. Regie führte bei diesem Schwarzweißfilm Thomas Engel. Kinostart in Deutschland war am 27. August 1953.

Da haben wir aber hoch gegriffen. Bei der Bewertung. Für die Verfilmung eines Kinderbuchs. Aber es ist ein Kinderbuch von Erich Kästner. Regisseur Thomas Engel mag später nicht mehr ganz gehalten haben, was sein vielversprechendes Spielfilmdebüt versprach, außerdem hat sein erfahrener Vater Erich Engel (nicht zu verwechseln mit dem Komödienregisseur Erich Engels) an dem Film mitgewirkt („künstlerische Oberleitung“). Wir sind selbst gespannt auf das Lesen und Redigieren des Entwurfs zur Rezension, die wir vor acht Jahren geschrieben haben, dieser Einleitungstext ist hingegen neu, für die Veröffentlichung 2024 geschrieben. 

Handlung (1)

Der Strumpffabrikant Pogge und seine Frau Eva sind so sehr mit sich selbst beschäftigt, dass sie kaum Zeit haben, sich um ihre neunjährige Tochter Pünktchen zu kümmern. Deren Erziehung überlassen sie lieber dem Kindermädchen Fräulein Andacht. Die aber nimmt ihre Pflichten auch nicht genau. Mehrmals in der Woche trifft sie sich im Café Sommerlatte mit einem zwielichtigen Herrn namens Robert. Dieser gaukelt ihr zwar seine Verehrung vor, in Wirklichkeit aber ist er nur an ihrem Sparkassenbuch und den örtlichen Verhältnissen in der Villa Pogge interessiert, um bei Gelegenheit dort einbrechen zu können.

Eines Tages lernt Pünktchen den zwölfjährigen Anton Gast kennen und freundet sich mit ihm an. Die allein erziehende Mutter des Jungen arbeitet normalerweise als Bedienung im Café Sommerlatte, muss zurzeit aber krankheitshalber das Bett hüten. Um über die Runden zu kommen, hilft Anton im Café aus. Mit dem Geld, das er für seine Arbeit erhält, will er seiner Mutter eine Erholungsreise finanzieren, sobald sie wieder genesen ist.

Antons schulische Leistungen lassen wegen seines unermüdlichen Arbeitens immer mehr nach. Als er gar einmal während des Unterrichts einschläft, droht ihm der Lehrer, sich bei seiner Mutter zu beschweren. Pünktchen, die Antons Sorgen kennt, geht zum Lehrer und erzählt ihm, weshalb der Junge in der Schule immer so müde ist. Herr Bremser zeigt dafür Verständnis und beurlaubt Anton vom Schulbesuch, bis dessen Mutter wieder gesund ist. Aber damit gibt sich Pünktchen nicht zufrieden. Ohne jemand in Kenntnis zu setzen, verkauft sie des Nachts auf den Straßen der Stadt Streichhölzer, die sie der Köchin stibitzt hat. Als Fräulein Andacht wieder einmal im Café Sommerlatte mit ihrem Geliebten einen netten Abend verbringt, gelingt es Robert, ihr heimlich den Hausschlüssel zu entwenden. Anton hat dies bemerkt und ruft in der Villa Pogge an. Zu Hause ist gerade nur die „dicke Berta“, wie Pünktchen die Köchin zu nennen pflegt. Diese legt sich, bewaffnet mit einem Fleischklopfer, an der Haustür auf die Lauer. Sie empfängt den Einbrecher, schlägt ihn nieder und übergibt ihn der Polizei, die inzwischen von Anton verständigt worden ist.

Unterdessen verkauft Pünktchen wieder einmal Streichhölzer. Dabei wird sie von dem Lausejungen Klepperbein beobachtet. Dem fällt nichts Besseres ein, als sofort Herrn Pogge über das Tun seiner Tochter aufzuklären. Die Eltern können es kaum glauben. Sofort machen sie sich auf zu dem Platz, den ihnen Klepperbein genannt hat. Überrascht und entsetzt zugleich finden sie ihre Tochter zerlumpt und barfuß bettelnd auf der nächtlichen Straße. Fassungslos hören sie Pünktchens Beichte an. Schließlich dämmert es ihnen, dass sie selbst eine Mitschuld auf sich geladen haben.

Zum ersten Mal in ihrer Ehe planen Herr und Frau Pogge, zusammen mit ihrer Tochter zu verreisen. Weil Anton verhindern konnte, dass in der Villa eingebrochen wurde, dürfen er und seine Mutter auch mitkommen.

Rezension

Anmerkung anlässlich der Veröffentlichung des Textes: Der letzte Satz der Handlungsangabe wirkt wieder einmal so zweckgebunden, ich kann mich aber nicht mehr erinnern, ob es diese Begründung wirklich gibt, dass nur die besondere Tat, dafür zu sorgen, dass den Reichen nichts abhanden kommt, diese Mitnahme ausgelöst hat, oder ob man nicht vielleicht Menschen, die es sich alleine nicht leisten könnten, auch mal so und, etwa in der Mitte zwischen Altruismus und Belohnung angesiedelt, Anton Pünktchens Freund ist, etwas zukommen lassen könnte.

Nach bisher zweimal „Das fliegende Klassenzimmer“ (1954 und 1973, die Rezensionen sind noch nicht im neuen Wahlberliner veröffentlicht) nun „Pünktchen und Anton“ als dritte gesehene Verfilmung eines Kinderbuches von Erich Kästner.

Und die älteste, der Film stammt aus 1953. Leider kenne ich die Verfilmung von „Das fliegende Klassenzimmer“ aus dem Folgejahr noch nicht, der Vergleich hätte mich wirklich interessiert; schon deswegen, weil in letzterem mit Kurt Hoffmann ein versierter Regisseur am Werk war, der einige der größten deutschen Filmerfolge der 1950er inszeniert hat. Und der Film bekommt von den bewertenden Nutzern in der IMDb eine Punktzahl von derzeit 7,2/10, „Pünktchen und Anton“ liegt mit 6,9/10 knapp darunter.

Anmerkung anlässlich der Veröffentlichung: Mittlerweile kenne ich die Hoffmann-Verfilmung von „Das fliegendes Klassenzimmer“. Sehr gelungen, sehr atmosphärisch, sachte modernisiert, eine „zeitgenössische“, also Vorkriegsverfilmung von dem Jugendroman gibt es nicht. Nur „Emil und die Detektive“ hatte noch das Glück, in der Weimarer Zeit rechtzeitig (1930) veröffentlicht zu werde, sodasss er direkt für den Film adaptiert werden konnte (1931), „Pünktchen und Anton“ und „Das fliegende Klassenzimmer“ sowie „Das doppelte Lottchen“ konnten erst nach dem Krieg unter freien Bedinungen verfilmt werden.

Die Reihenfolge der Namen im Titel ist Programm, Pünktchen, verkörpert von Sabine Eggerth, die ein Jahr älter war als ihre Filmfigur, trägt das Ganze und spielt so erfrischend, wie man es bei Kindern im deutschen Film nicht häufig antrifft. Ein Riesentalent, das aber, wie bei den meisten Kinderstars, nicht in einer ebenso herausragenden Karriere im Erwachsenenalter mündete, Eggerth arbeitete später vor allem als Synchronsprecherin. Peter Feldt als Anton kann da nicht ganz mithalten, aber die Figur ist auch anders angelegt. Die beiden Kinderdarsteller wurden ein Jahr später noch einmal für „Maxie“ geteamt, einen wenig bekannten Jugendfilm aus Österreich.

Spielt die Zeitnähe eine positive Rolle?  Unbedingt. 1953 ist eben dichter an den frühen 1930ern, in denen die Kinderbücher von Erich Kästner spielen, als die 1970er oder gar die 2000er. Für das Jahr 1953 kann man sich noch vorstellen, dass eine kranke, alleinerziehende Mutter keine soziale Unterstützung erfährt, hart ist allerdings auch für damalige Verhältnisse die Kinderarbeit von Anton. Ich bin mir ziemlich sicher, dass diese in den 1950ern bereits verboten war, und das wird ja auch angedeutet, als die ihn beschäftigende Café-Inhabern etwas von Polizei auf den Hals munkelt. Die Gäste scheinen aber nichts dabei zu finden, dass ein Kind hier mitbedient, aber im Kontext der Blackbox Familie ist das zumindest vorstellbar.

Pünktchens Umgebung hingegen konnte man im beginnenden Wirtschaftswunder genau so darstellen wie im Buch, ohne dass man das Gefühl hat, da muss das eine oder andere gebogen werden. Die reichen Eltern, die von der großen Wohnung in der noblen Berliner Tauentzienstraße, die sie im Buch innehaben, in eine Villa umgezogen sind, sind Typen jener Zeit und die Vernachlässigung des Kindes, weil die Eltern zu busy sind, hochmodern. In einer Weise ist selbstverständlich doch ein sehr konservatives Weltbild eingewoben: Während der Vater das Geld verdient (Paul Klinger, bekannt u. a. aus der Immenhof-Trilogie, wie immer in einer ernsten Rolle), und zwar mit Strumpffabrikation (im Buch: Spazierstöcke), gibt die Mutter es mit vollen Händen für Klamotten aus. So war das tatsächlich damals bei betuchten Leuten. Diese recht unsympathische Mutter muss Hertha Feiler, Heinz Rühmanns Frau, verkörpern, was sie mit einiger Eleganz und Überzeugungskraft tut. Allerdings erspart man es ihr ebenso wie ihrer Filmtochter, in der Szene, in der sie Pünktchen beim Streichhölzer verkaufen entdeckt, bei schlechtem Wetter das schöne Kleid zu zerstören, das sie wieder einmal trägt, wie es im Buch der Fall ist, als sie sich im Regen vor ihr Kind kniet. Ich hätte diese Steigerung aus dramaturgischen Gründen klasse gefunden, aber auch im Sinne der Kinderdarstellerin, die Pünktchen spielt, ist es wohl besser, man hat auf solche äußeren Widrigkeiten verzichtet.

Dass Anton also als Zwölfjähriger arbeiten muss, damit die Stelle seiner Mutter nicht von jemand anderem besetzt wird, dass Pünktchen  auf der Straße bettelt, ohne dass das mehr als kurios erscheint, kommt eben aus der Entstehungszeit des Buches, in der Armut so präsent war, dass Kästner darüber so berührende, aber auch hinreißend optimstische und lebensbejahende Bücher schreiben konnte, die einen hohen sozialpädagogischen Wert haben – noch heute und gerade heute wieder. Wenn ich mich recht erinnere, ist die Didaktik in „Pünktchen und Anton“ sogar so angelegt, dass es kursiv gedruckte Zwischenkapitel als Nachdenkseiten gibt, die Kästner optional zum Lesen empfiehlt und die eigentliche Handlung, die gerader Normalschrift gedruckt ist. Als Erwachsener versteht man die hier gezeigten sozialen Gegensätze auch ohne die Zwischenkapitel, aber für Kinder im geeigneten Alter, die Kästner etwa ab 8 oder 9 Jahren lesen können, am besten aber zwischen 10 und 14, das auch die Hauptfiguren seiner meisten Bücher innehaben, sind die pädagogischen Zusatzinstrumente eine gute Sache – und auch Kästner wird klar gewesen sein, dass seine Bücher eher von Kindern aus dem begüterten Mittelstand als von jenen der armen Schichten gelesen werden, es also darauf ankommt, somit wollte er bei denen, denen es sozusagen leistungslos und nur aufgrund ihrer Geburt in glückliche Verhältnisse hinein gut geht, Verständnis für die unverschuldete Armut anderer zu wecken.

Das gelingt trotz der 1953 bereits gegenüber den Jahren der Weltwirtschaftskrise veränderten Umstände hier recht gut, aber das liegt auch daran, dass die Figuren so gezeichnet sind, dass ebenso plastisch hervortreten wie im Buch; Kästner hat auch das Drehbuch mitverfasst und die Regie stammt vom jungen Thomas Engels, dessen Vater Erich offenbar die künstlerische Oberleitung hatte und seine Erfahrung im Gestalten von Filmen einbringen konnte. „Pünktchen und Anton“ hat ganz viele nette, phantasiereiche Details, die meist aus dem Buch übernommen sind, aber es gibt auch einige neue, eben doch der Zeit geschuldete Ideen wie Pünktchens Teilnahme an der Wäsche des Cadillac mit elektrischen Fensterhebern, der 1953 ein (beinahe) aktuelles Spitzenmodell der amerikanischen Automobilindustrie darstellte. Das Auto allein repräsentiert den Sonderstatus der Familie Pogge und hat zudem den Vorteil, dass in der Schlussszene alle hineinpassen. Pünktchen, ihre Eltern, der Chauffeur, Anton und seine Mutter und natürlich Rauhaardackel Piefke.

Der Film ist auch in den Nebenrollen hervorragend besetzt. Annie Rosar als legendäre Köchin dicke Berta, Jane Tilden als mit doppelter Moral ausgestattete und ungeeignete Erzieherin und Hans Putz als Robert liefern gute Leistungen, besonders Letzterer hat mir in seinen vergleichsweise wenigen Szenen viel Freude bereitet, weil er zweifellos ein komisches Talent hat, das meiner Vorstellung von vielen Kästner-Figuren entspricht, wie ich sie aus den Büchern herausgelesen habe. In diesem Kleinganoven kommt noch am stärksten das Zillesche an den Berliner Typen heraus, das in der kästnerschen Jugendliteratur untergebracht wurde. Der Film spielt übrigens, anders als das Buch, nicht ausdrücklich in Berlin, das hügelige Umland und einiges Kleinstädtische spricht auch dagegen, aber anderes wirkt eben doch hiesig.

Wie ist der Film als Film? Sehr sicher und souverän inszeniert, erwachsen, wenn man so will.  Auch eine so geeignete Darstellerin wie Sabine Eggerth muss man erst einmal sicher durch einen Langspielfilm führen, und ich finde über die gesamte Zeit hinweg kaum eine Szene, die ich als nicht gelungen bezeichnen würde. Die Stimmungen, die nicht rasante, aber gut getimte, flüssige Erzählweise, die Plausibilität der Dialoge, natürlich durch das Buch mitbedingt, und visuellen Gags, da gibt es nichts auszusetzen. Visuell am eindrucksvollsten fand ich die Szene, in der Pünktchen den verzweifelten Anton auf einem Abgang zwischen Straße und tiefergelegener Ebene am Fluss wiederfindet – und die Kamera oben stehen bleibt. Man hört nicht den Dialog der beiden Kinder, die nur aus der Entfernung von hinten sichtbar sind, nur die Gesten bekommt man mit; wie Pünktchen Anton aufmuntern kann und sie schließlich zusammen wieder nach oben rennen, jetzt der Kamera zugewendet und mit glücklichen Gesichtern. Da wird der Film wirklich Film, und die Regie traut es jugendlichen Zuschauern zu, ohne Worte verstehen zu können, was sich in diesem Moment abspielt.

Ist Pünktchen als Charakter nicht doch etwas übertrieben? Wenn ja, dann ist das im Buch aber schon so. Sie ist wirklich ungeheuer patent, viel erwachsener und empathischer als die Erwachsenen, geradezu eine Hoffnung für die Zukunft und eine bessere Welt, und das, obwohl sie sehr verwöhnt ist und nie am eigenen Leib erfahren musste, wie es ist, auf die Hilfe angewiesen zu sein, die sie anderen zukommen lässt.  Dass es bei ihren Aktionen auch mal Missverständnisse gibt, liegt in der Natur des Kindes und seiner Ideen, und alles dies wird mit beeindruckender immanenter Logik dargestellt, weil es eben die Romanvorlage gibt, die zu den besten deutschsprachigen Kinderbüchern zählt, und deren Handlung so fein erdacht ist. Weil sie so gut funktioniert, nimmt man auch ein Übermädchen wie Pünktchen als authentisch wahr – allerdings tritt sie im Film noch etwas mehr hervor als im Buch. Was sie alles unternimmt, um Anton zu helfen, ist schon an der Grenze des generell Machbaren angesiedelt und weit oberhalb der normalen Kapazitätsgrenze eines Kindes in dem Alter – und wirkt natürlich im Film auch deswegen stärker, weil man alle ihre Taten beibehalten hat, aber die Spielzeit doch kürzer ist als die Lesezeit, die man für das Buch benötigt, mithin, man erlebt dies als Zuschauer in dichterer Abfolge.

Man darf davon ausgehen, dass dieses fantasiebegabte und ungemein selbstsichere Mädchen eben mehr nach dem Vater kommt, der ja trotz seines Zeitmangels ein liebenswerter Mensch ist, der sogar eine künstlerische Ader hat und die Sprüche auf den Werbeplakaten für seine Strümpfe sogar selbst zusammenreimt, was seiner schauspielerisch begabten Tochter sehr gefällt. Trotz der Selbstsucht der Mutter und der unfreundlchen Erzieherin wirkt der Pogge-Haushalt mit dem sympathischen Vater, dem netten Chauffeur und der patenten Berta nicht kalt oder bedrückend nach frühviktorianischem Muster. Die Armut der Gasts drückt mehr auf die Stimmung, obwohl sie sich auf einem Niveau abspielt, das man bewusst nicht als Elend inszeniert hat. Das Haus, in dem die Gasts wohnen, scheint sogar ein recht ansehnliches zu sein – das schöne Treppenhaus, die formidable Original-Eingangstür zur Wohnung und der milieuhafte Hinterhof, den Pünktchen zusammen mit ihrem Hund überquert, scheinen in der Realität aber im selben Anwesen angesiedelt zu sein.

Finale

Ein wirklich schöner Kinderfilm, den ich zu den gelungensten westdeutschen Produktionen der 1950er rechnen möchte, zumal im Bereich Jugendfilm. Das Lexikon des Internationalen Films hat die sozialen Milieus als nicht trennscharf herausgearbeitet empfunden, aber aus heutiger Sicht finde ich, sie spiegeln sehr gut die 1950er und die Zeit des einsetzenden Wohlstandes, den noch nicht alle hatten, der aber in Aussicht gestellt wurde, die Schärfe der Klassengegensätze waren dann für ein paar glückliche Jahrzehnte verdeckt durch dieses Versprechen, dass alle, die so fleißig wie Anton und so begabt wie Pünktchen sind, es in diesem System unbedingt zu etwas bringen konnten, und es nackte, böse, aussichtslose Armut bald gar nicht mehr geben würde. Freilich war das für 1953 noch eine mutige Prognose. Aus der Sicht über 60 Jahre später finde ich es gut, dass man den Film moderat an die Lebenswelt der Jugendlichen nach dem Krieg angepasst hat. Anders hätte man nur dann verfahren dürfen, wenn man den Film wirklich, auch aus pädagogischen Gründen, in der Entstehungszeit des Buches angesiedelt hätte. Darauf hat man aber meins Wissens bei allen Kästner-Verfilmungen außer natürlich derjenigen von 1931 verzichtet, und dies nicht nur wegen des höheren Aufwandes für eine historisierenden Kinderfilm, mithin für einen Kostümfilm.

Das Furchtbare ist, dass man auch heute wieder „Pünktchen und Anton“ verfilmen könnte und dabei nicht auf die 1930er zurückgreifen müsste, um Elend oder doch große Armut abzubilden. Als 1973 „Das fliegende Klassenzimmer“ zum zweiten Mal nach dem Krieg adaptiert wurde, war es gerade recht schwierig, soziale Probleme darzustellen, sodass man die wirtschaftlichen Probleme der Eltern eines Schülers namens Johnny (Jonathan) schon auf sehr hohem und etwas abstakt wirkendem Niveau ansiedeln musste. Heute ist das nicht mehr zwingend, arme Menschen und geradezu trostlose Jugendschicksale gibt es wieder mehr als genug.  Nur ob es unter durchgeplanten, ökonomisierten und von ihren Eltern schon gleich, wenn sie die ersten Worte sprechen und die ersten Schritte gehen können, konsequent aufs eigene Fortkommen hin erzogenen Kindern des gehobenen Mittelstandes von heute noch ein Mädchen wie Pünktchen geben kann, das wage ich stark zu bezweifeln.  Darüber ließ sich manch gutes Buch schreiben, aber auch mit Schriftstellern von Kästners Qualität sieht es nicht so richtig gut aus. Die Neuverfilmungen der Kästner-Bücher, die in der jeweiligen Gegenwart spielen, gehen in diese Richtung, aber damit entfernen sie sich auch ein Stück weit von der Lebensrealität.

80/100

© 2024 Der Wahlberliner, Alexander Platz (Entwurf 2016)

(1), kursiv, tabellarisch: Wikipedia

Regie Thomas Engel
Alfred Solm (Assistenz)
Erich Engel (Künstlerische Oberleitung)
Drehbuch Erich Kästner
Thomas Engel
Maria von der Osten-Sacken
Produktion Rhombus-Film GmbH, München
(Hans Lehmann)
Ring-Film, Wien
(Karl F. Sommer)
Musik Heino Gaze
Herbert Trantow
Kamera Franz Weihmayr
Schnitt Anna Höllering
Besetzung

 

 

 

 

 

 


Entdecke mehr von DER WAHLBERLINER

Melde dich für ein Abonnement an, um die neuesten Beiträge per E-Mail zu erhalten.

Hinterlasse einen Kommentar