Crimetime 1250 – Titelfoto © ORF
Tödliches Vertrauen ist ein Fernsehfilm aus der Tatort-Krimireihe. Es ist der 14. Fall des Wiener Chefinspektors Moritz Eisner, dargestellt von Harald Krassnitzer. Der vom ORF produzierte Beitrag wurde am 14. Mai 2006 im Ersten zum ersten Mal gesendet. Eisner ermittelt in einem Mordfall, hinter dem scheinbar internationale Wirtschaftskriminalität steckt, sich dahinter dann aber doch private Gründe verbergen.
Ja, Eisner, mittlerweile seit 14 Jahren Eisner und Fellner, kann man vertrauen. Nicht alle ihre Filme sind herausragend, das kann bei so vielen gar nicht sein, aber sie sind Sympathieträger, wichtig für die Tatortlandschaft, immer unterhaltend und außerdem stehen hinter den Darstellern auch patente Menschen. in „Tödliches Vertrauen“ ermittelt Eisner noch allein, das war im Jahr 2006. Die späteren Duo-Filme sind in vieler Hinsicht ein Plus, aber es geht auch alleine, finde ich. Dass es hingegen ein neues Vorwort für diese Rezension gibt, die wir vor acht Jahren entworfen haben und heute erstmals veröfefntlichen, liegt daran, dass es sich zufällig ergeben hat, dass sie die Nummer 1250 in unserer Rubrik Crimetime trägt. Das ist ein ziemlich großes und stolzes Jubiläum, jede Stadt würde ihr 1250-Jähriges feiern, wir beschränken uns aus Gründen beschränkter Mittel auf dieses neue Vorwort. Und damit zum Film.
Handlung
Am helllichten Tag wird der international sehr renommierte Physiker Raimund Jacobi beim Rudern auf der alten Donau erschossen. Der Entwicklungschef und das „Superhirn“ der Wiener Firma „Techno Plus“ stand knapp vor der Präsentation eines weltweit neuartigen, extrem leichten Werkstoffs (ULC) für die Autoindustrie, der die Zukunft des Unternehmens sichern soll. Handelt es sich um Wirtschafts-Spionage? Hat die Konkurrenz die Finger im Spiel?
Hauptkommissar Moritz Eisner merkt jedoch sehr bald, dass das Motiv für den Mord auch im privaten Umfeld liegen könnte. Denn Jacobi, der seine Exfrau Agnes mit zwei Kindern und einem Berg Schulden zurückgelassen hatte, war äußerst rücksichtslos und scheute selbst davor nicht zurück, seine hochkarätige Mitarbeiterin und Geliebte Christine Schwarz vor anderen Kollegen tief zu demütigen. Auch die Freundschaft zu seinem Geschäftsführer Hannes Kubek ist in die Brüche gegangen. Weiß die attraktive Unternehmensberaterin Carina Relf, die die Führungskräfte und Kubek coacht, mehr über die Hintergründe?
Als ein verbotener Zugriff auf die streng geheimen ULC-Projektdaten entdeckt und Christine Schwarz im Büro überfallen wird, rückt der Fall auf die hochbrisante Ebene internationaler Wirtschaftskriminalität. Mitten in die Ermittlungen platzt über Polizeifunk die alarmierende Meldung von einem Selbstmordversuch – Kubeks 16-jährige, schwangere Tochter Bianca will von einem Hochhaus springen. Eisners selbstbewusste, quirlige Tochter Claudia, die ihrem Vater mit kessen Sprüchen immer öfter Paroli bietet, greift cool und beherzt ein. Doch ihre Rettungsaktion lenkt die Untersuchungen in dem mysteriösen Mordfall plötzlich in eine ganz andere Richtung.
Rezension
Ein Wirtschaftskrimi aus dem Österreich, dazu noch aus dem Jahr 2006 – das müsste doch eine Art gefundenes Fressen sein? Tatsächlich hatte ich die Gelegenheit, etwa zu der Zeit, in welcher der Film entstand, etwas mehr Einblick in einen österreichischen Konzern zu nehmen, aber glücklicherweise ging es dort nicht ganz so zu wie in „Tödliches Vertrauen“. Es gab Eifersüchteleien, Stress wegen einer Übernahme, auch für mich persönlich, aber die Technik war keinem Verrat ausgesetzt und Belegschaft und Geschäftsführung nicht so konfrontativ aufgestellt.
Jede Erfahrung, gerade eine Unternehmenskultur betreffend, ist zwar subjektiv, aber so recht typisch österreichisch will mir das, was in „Tödliches Vertrauen“ passiert, nicht vorkommen. Muss es ja auch nicht, wenn man Mechanismen im modernen Kapitalismus darstellen will, die überall ähnlich wirken. Nur, dass es heute nicht mehr die Koreaner wären, sondern die Chinesen, die man sich als Lieblingsgegner aussuchen würde. Dass bei dem Wert dieses Geschäftsgeheimnisses eine Zahlung von 50.000 Euro für umfassenden Verrat im Forschungszentrum ziemlich wenig erscheint, darf man auch anmerken.
Ich fasse mal die Linien zusammen: Der a.) Forschungschef ist ein Kotzbrocken, der seinerseits vom b.) Geschäftsführer unter Druck gesetzt wird, der wieder vom Vorstand Druck bekommt der Druck zwischen a.) und b.) verstärkt sich dadurch, dass der b.) weiß, dass a.) ein Verhältnis mit der seiner erst 16jährigen Tochter d.) hat, dass a.) aber auch eine Geliebte e.) und eine Frau f.) hat, die nur ganz am Anfang mal kurz gezeigt wird, vollkommen unnötig, weil so schwach beleuchtet, dass sie nicht mal als anständige Verdächtige taugt.
Bei einem möglichen Mordmotiv von b.) gegen a.) kommt der Film ins Holpern, weil b.) nämlich von seiner Tochter d.) und seiner Ehefrau h.) gar nicht ins Bild gesetzt wurde, dass sie von a.) sogar schwanger ist, und darüber hat sich doch b.) so aufgeregt, dass er glatt einen Stuhl vom Tisch der Werkskantine oder was es für ein Ort war, geschmissen hat. Für einen Österreicher eine ganz enrome Stufe von Fassungslosigkeit, und das stimmt wirklich, die Menschen wirken unaufgeregter, weniger erratisch, vor allem, wenn man sie mit Berliner:innen vergleicht. Was nicht bedeutet, dass sie keine Mordgedanken haben können.
Allerdings gibt es noch die Kommunikationsberaterin i.), welche, man kann es in einer ganz kurzen Szene schon früh sehen, für die koreanische Konkurrenz k.) arbeitet, obwohl sie einen Exklusivvertrag mit dem österreichischen Unternehmen j.) hat. Sie ist dann auch für den Geheimnisverrat mitverantwortlich, ebenso die Sekretärin l.), aber nicht für den Mord. Denn es gibt noch eine weitere Person im Spiel, und die war es dann wirklich.
Dieser Whodunit ist aufgebaut wie eine Matrjoschka, immer kommt hinter einem Verdächtigen ein weiterer Verdächtiger zum Vorschein, und alle sind einander ähnlich. Man kann aber auch sagen, alle werden abgehandelt, schön der Reihe nach, es ist durchaus eine Frage der Betrachtungsweise, oder auch, das Verbrechen hat Schichten, die einem die Tränen in die Augen treiben, aber wenn man sich davon nicht wegschwemmen lässt, dann kommt man zum Kern. Das ist Zwiebelmetaphorik, wie Sie sicher schon bemerkt haben.
Das Spiel ist recht gut, aber es ist auch einer von diesen modernen Krimis mit typischem 2000er-Gepräge. Alles wirkt etwas aseptisch, nicht nur die Umgebungen. Die müssen es auch sein, und da ist noch kein Reinraum der Stufe dabei, wie ich in Österreich einen kennengelernt hatte. Aber es geht auch wieder um Austauschbarkeit. Alle opfern sich für die Firma auf und am Ende kommt heraus, dass der Vorstand, der den Geschäftsführer so schlecht behandelt, wie der Ingenieur seine Geliebte und Top-Mitarbeiterin schlecht behandelt, ein doppeltes Spiel spielt und ihm der Verrat gerade recht kommt, um vom eigenen Vorgehen abzulenken, das sowieso längst mit den Koreanern abgestimmt ist, aber erst einmal die Aktienkurse in die Höhe treiben soll. Ob der Ingenieur in dieses Spiel involviert war, erfahren wird nicht, und es wirkt auch nicht sehr wahrscheinlich, ebenso wie der Vorgang an sich zwar möglich ist, aber dann anders ausgeführt werden müsste. Es ist ein wenig wie bei den Geheimdiensten, wenn mit fingierten Tatbeständen gearbeitet wird.
Und es ist halt ein Vor-Bibi-Film mit Moritz Eisner alias Harald Krassnitzer. Was diese Co-Ermittlerin ausmacht, die ihn seit 2011 begleitet, den Humor und den Drive der Wien-Tatorte betreffend, das kann man nur anhand des Vergleichs feststellen. Das Wechselspiel zwischen den beiden ist wirklich fantastisch und macht den ohnehin guten Krassnitzer noch einmal besser, ohne dass das Duo von Adele Neuhauser, der Darstellerin von Bibi Fellner, dominiert wird. Dafür stolpere ich in den Eisners der Epoche, aus welcher „tödliches Vertrauen“ stammt immer wieder über die Tochter, die nicht höher ist als ein zeitgenössischer VW Golf V, während Eisner ja gut über 1,80 sein sollte. Wie klein also muss die Frau gewesen sein, mit welcher er die Tochter zustande gebracht hat? Nun gut, wir lassen diese politisch nicht korrekte Bemerkung auch im Rahmen der Veröffentlichung im Text.
Dass Familienmitglieder der Ermittler wichtige Rollen in Tatorten übernehmen, in diesem Fall hilft die Tochter, die ich jetzt nicht mit einem Buchstaben ausstatte, weil ich sie zur Ermittlerseite rechne, aber der Tochter des Gechäftsführers, damit diese nicht Selbstmord begeht. Mir ist sowas immer etwas zu sehr herbeikonstruiert, was dann besonders nervt, wenn der Film schon so arg bausteinmäßig daherkommt wie „Tödliches Vertrauen“.
Der Titel wirkt übrigens, als habe man ihn festgelegt, bevor das Drehbuch fertig war. Denn das Vertrauen des Ingenieurs in seine Mitarbeiterin war ja nicht tödlich, sie hat ihn nicht umgebracht oder umbringen lassen. Vielmehr war es jene noch nicht erwähnte Person, und dabei spielt ein eventuell auf tödliche Weise missbrauchtes Vertrauensverhältnis überhaupt keine Rolle. Möglicherweise wollte man ursprünglich doch die Mitarbeiterin des Ingenieurs die Mörderin sein lassen, fand das dann aber wegen der professionellen Begehungsweise zu unglaubwürdig oder es haben noch drei Minuten Spielzeit gefehlt.
Finale
Mit dem Moritz Eisner habe ich schon anregendere Krimistunden verbracht, aber so schlecht ist „Tödliches Vertrauen“ nun nicht. Bis auf ein paar Wackler anständig konstruiert. Wenn ich von den recht gut aufspielenden Darstellen schrieb, dann muss ich aber ausgerechnet bei Krassnitzer einschränkend sagen, dass er ein wenig zurückgenommen wirkt. Wer das mag, kommt mit diesem Film gut klar, mir ist es lieber, er kommentiert etwas mehr und ist etwas launischer.
Dass er eine tolle Nacht mit einer tollen Frau hat, gönne ich ihm, auch wenn es meist so ist, dass dann, wenn die Ermittler sich schon mal auf eine Beteiligte einlassen – verdächtig war sie ja in dem Moment, in dem er mit ihr die vielen Erdnüsse und Salzstangen aß, noch nicht – dieses Einlassen schon ein Hinweis ist, dass mit der Person etwas nicht stimmt. Wahlweise wird sie auch umgebracht, spätestens im nächsten oder übernächsten Tatort, damit das Klischee vom privat recht einsamen Cop aufrechterhalten oder reinstalliert werden kann.
Der Film wirkt vom Setting noch recht modern, auch wenn die Coaching-Situation, in welcher der Ingenieur plötzlich selbst die Veranstaltung leitet, so kaum denkbar ist. Wenn man die Gelegenheit hatte, sich ein wenig mit Unternehmenskommunikation, auch durch private Verbindungen mit Spezialisten dafür, auseinanderzusetzen, weiß man, dass solche Szenarien – etwas bewirken können, aber nicht müssen, vor allem nicht, wenn es grundsätzliche Verhaltens- und Kommunikationsfehler gibt, die quasi die Arbeitsgrundlage mitbestimmen, so wie hier gezeigt. Da hätte man mehr an der Wurzel anfangen müssen. Aber es ist ja auch nur ein Schaustück und es ist auch Kapitalismuskritik dabei und die nehme ich immer gerne.
7/10
© 2024 der Wahlberliner, Thomas Hocke (Entwurf 2016)
| Regie | Holger Barthel |
|---|---|
| Drehbuch | Thomas Baum |
| Produktion | Niki List und Burkhard W.R. Ernst |
| Musik | Yullwin Mak |
| Kamera | Peter von Haller |
| Schnitt | Sonja Lesowsky |
| Premiere | 14. Mai 2006 auf Das Erste |
| Besetzung | |
|
|
Entdecke mehr von DER WAHLBERLINER
Melde dich für ein Abonnement an, um die neuesten Beiträge per E-Mail zu erhalten.

