Briefing 528 Update 2 Wirtschaft, Gesellschaft, Politik, Mindestlohnerhöhung, Mietpreisexplosion, Migrationspolitik, Wohnungspolitik, Kaufkraftschwund
So schnell kann es gehen, dass etwas aus dem Gedächtnis gerät. Wir dachten, wir hätten den letzten Beitrag zum Mindestlohn zu „14 Euro“ geschrieben, das stimmt aber nicht. Schon zwei Mal waren die 15 Euro, die jetzt von der SPD vorgeschlagen werden, Anlass für Darstellungen unsererseits – auch, weil es immer wieder neue Umfragen dazu gibt. Das Thema ist also schon ein alter Hut, aber trotzdem ist es interessant, wie sich die Meinungsbildung dazu entwickelt. Sowohl das erste Update wie auch der Ausgangsartikel sind unten angehängt, Sie brauchen keinen Link, sind aber umfassend informiert, wenn Sie erst abstimmen, nachdem Sie alle drei Bestandteile dieses Beitrags gelesen haben.
Hier aber schon die aktuelle Version der Abstimmung für Sie:
13.07.2024
Die heutige Umfrage zum Mindestlohn zeigen wir als Update, denn bereits am 17.05.2024 haben wir dazu einen Artikel verfasst. Offenbar kommt das Thema nicht zur Ruhe, und hier ist der SPD-Arbeitsminister Hubertus Heil offenbar hartnäckiger als bei der Verteidigung eines Bürgergelds in einer Höhe, die nach wie vor nicht existenzsichernd ist.
Aber ist der aktuelle Mindestlohn von 12,41 Euro nach der Preisrallye der letzten Jahre noch existenzsichernd? Vor zwei Monaten hatten wir einen Leitkommentar zum Thema geschrieben, den wir heute nur noch in Form eines integrierten Updates ergänzen und leicht ändern – und natürlich zeigen wir den neuen Text der Meinungsforscher neben dem vom Mai. Hier zunächst der Link, wir empfehlen aber, erst den gesamten Artikel zu lesen, bevor Sie abstimmen:
Der Begleittext aus dem Newsletter vom 13.07.2024
Der Mindestlohn liegt seit Anfang 2024 bei 12,41 Euro. Ab 2025 ist eine weitere Erhöhung auf 12,82 Euro geplant. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) hat sich dafür ausgesprochen, die Lohnuntergrenze deutlich zu erhöhen und unterstützt damit den Vorstoß von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), der zuletzt eine schrittweise Anhebung auf 15 Euro forderte. Der gesetzliche Mindestlohn war 2015 eingeführt worden, um Beschäftigte gegen Lohndrückerei zu schützen. Zur Vermeidung des Gebrauchs als politisches Mittel wurde im Gesetz festgelegt, dass dieser nicht von der Regierung, sondern von einer Kommission aus Arbeitgebern und Gewerkschaften bestimmt wird.
Bundesarbeitsminister Heil betont, dass eine deutliche Erhöhung erforderlich sei, um die Löhne an die Inflation anzupassen. Im Interview mit dem Deutschlandfunk sagte er, es müsse bei den Beratungen im kommenden Jahr im Ergebnis „eine deutliche Erhöhung geben“. Diese Forderung wird laut der Zeit auch von SPD, Grünen und Gewerkschaften unterstützt. Sie argumentieren, dass höhere Löhne die Kaufkraft der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer stärken und somit die Wirtschaft ankurbeln könnten.
Vertreter:innen des Hotel- und Gastgewerbes sind gegen eine Mindestlohn-Erhöhung.Der Hotel- und Gaststättenverband im Saarland befürchtet, dass weitere Lohnerhöhungen zu einem verstärkten Betriebssterben führen könnten, da viele Unternehmen die gestiegenen Personalkosten nicht tragen können. Auch die Vereinigung der Saarländischen Unternehmensverbände (VSU) kritisiert dem Saarländischen Rundfunk (SR) zufolge die politische Einflussnahme auf den Mindestlohn und warnt vor einem Überbietungswettbewerb der Politik. VSU-Präsident Oswald Bubel betont im SR, dass der Mindestlohn nicht zum Wahlkampfschlager werden dürfe und dass wirtschaftliche Überlegungen im Vordergrund stehen sollten.
Der Begleittext aus dem Newsletter vom Mai 2024:
Seit dem 1. Dezember 2023 beträgt der Mindestlohn in Deutschland 12,41 Euro brutto pro Stunde. Anfang 2025 soll sich dieser auf 12,82 Euro erhöhen. Die Mindestlohnkommission hatte die Erhöhungsschritte bis 2025 im vergangenen Jahr beschlossen. Dabei war die Gewerkschaftsseite erstmals von der unabhängigen Komissionsvorsitzenden überstimmt worden. Der gesetzliche Mindestlohn war 2015 eingeführt worden, um Beschäftigte vor Lohndrückerei zu schützen. Zur Vermeidung des Gebrauchs als politisches Mittel wurde im Gesetz festgelegt, dass dieser nicht von der Regierung, sondern von einer Kommission aus Arbeitgebern und Gewerkschaften bestimmt wird.
Grüne, Gewerkschaften und Sozialverbände fordern schon lange eine Erhöhung des Mindestlohns. In einem Interview mit dem Stern forderte nun auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) einen höheren Mindestlohn – schrittweise erst 14 Euro und dann 15 Euro. Katharina Dröge (Grüne) weist gegenüber dem RND darauf hin, dass sich die Mindestlöhne in jedem EU-Land an 60 Prozent des Medianlohns orientieren sollten. SPD-Chefin Saskia Esken fordert außerdem eine Reform der gesetzlichen Vorgaben für die Mindestlohnkommission. Und zwar so, dass dort Entscheidungen, wie bei Tarifverhandlungen, nur im Konsens getroffen werden können. „Man muss sich einigen, die eine Seite kann die andere nicht überstimmen“, hatte Esken dem RND gesagt.
Ökonomen kritisieren die von Scholz angestoßene Diskussion. Der Direktor des Forschungszentrums Konjunktur und Wachstum am Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW), Stefan Kooths, gab dem RND zufolge zu Bedenken, dass der Mindestlohn „als sozialpolitisches Instrument zu wenig zielgenau“ sei. Längst nicht alle Mindestlohnbezieher seien bedürftig. Die FDP lehnt den Reformvorschlag der Mindestlohnkommission ab. Die Arbeitgeber der Kommission haben die Spielräume der Mitgliedstaaten bei der Umsetzung der EU-Vorgaben betont – und darauf gepocht, die Mindestlohnkommission unangetastet zu lassen. Deutliche Kritik kam auch aus der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. „Die richtige Lohnfindung ist keine Aufgabe der Politik, sondern der Tarifpartner“, sagte ihr Erster Parlamentarischer Geschäftsführer Thorsten Frei.
Zusätzliche Infos:
In Deutschland wurde der gesetzliche Mindestlohn am 1. Januar 2015 eingeführt. Hier ist die Entwicklung des Mindestlohns seit seiner Einführung:
- Bei der Einführung 2015 lag der gesetzliche Mindestlohn bei 8,50 Euro brutto pro Stunde.
- Am 1. Januar 2017 stieg er auf 8,84 Euro.
- Am 1. Januar 2019 erhöhte er sich auf 9,19 Euro.
- Am 1. Januar 2020 betrug er 9,35 Euro.
- Am 1. Januar 2021 stieg er auf 9,50 Euro.
- Am 1. Juli 2021 erhöhte er sich auf 9,60 Euro.
- Am 1. Januar 2022 betrug er 9,82 Euro.
- Am 1. Juli 2022 stieg er auf 10,45 Euro.
- Am 1. Oktober 2022 erhöhte er sich auf 12,00 Euro.
- Seit dem 1. Januar 2024 gilt ein gesetzlicher Mindestlohn von 12,41 Euro.
- Zum 1. Januar 2025 steigt der Mindestlohn auf 12,82 Euro.
Bitte beachten Sie, dass es einige Ausnahmen gibt, für die der Mindestlohn nicht gilt, wie z.B. Auszubildende, Langzeitarbeitslose oder teilweise Praktikantinnen und Praktikanten. Neben dem gesetzlichen Mindestlohn existieren auch höhere branchenspezifische Mindestlöhne.
Unser überarbeiteter Leitkommentar:
Einmal sind es die Liberalen, dann sind es die Lobbyverbände der Arbeitgeber, irgendwer hat immer etwas an existenzsichernden Löhnen auszusetzen. Gleichwohl hatten wir im Mai mit „angemessen“ gestimmt, als es um die erwähnten 15 Euro ging. Das haben wir geändert. Wir haben es als „eher angemessen“ bezeichnet, wobei die Antwortmöglichkeiten etwas problematisch sind. Es kann mit ihnen nicht ausgewählt werden, ob „unangemessen“ unangemessen hoch oder unangemessen niedrig meint, Gleiches gilt für die latente Variante. Für „angemessen“ hatten seinerzeit aber 36 Prozent gestimmt (zum Zeitpunkt der Abfassung des Artikels), jetzt sind es schon 49 Prozent (allerdings nur wenige Minuten nach dem Start der Umfrage). Daraus kann man schließen, dass immer mehr Menschen die Notwendigkeit einer Anhebung des Mindestlohns sehen.
Der Anfangssatz war zu niedrig, schon 2017 forderte beispielswiese Die Linke 12 Euro. Einen richtigen Sprung gab es im Jahr 2022 (von 10,45 auf 12 Euro). Damals hatte die Bundesregierung eingegriffen und eine höhere Steigerung eingeführt, als die sogenannte Mindestlohnkommission es wohl getan hätte. Seitdem bleibt die Entwicklung des Mindestlohnes wieder hinter der Inflation zurück. Vor allem der lange Zeitraum von Oktober 2022 bis Dezember 2023 sah eine Teuerung, die wesentlich höher war als die Steigerung des Mindestlohns.
Es ist richtig, dass für bestimmte Berufe, zum Beispiel in der Pflege, ein (etwas) höherer Mindestlohn gilt, um diese Berufe, die zu den am meisten anstrengenden zählen, die es heutzutage gibt, attraktiver zu machen.
Nun rechnen Sie bitte aus, wie weit Sie mit dem aktuellen Mindestlohn von 12,41 Euro kommen würden, wenn Sie Vollzeit arbeiten und nehmen wir ruhig 40 Stunden an, und zwar mit der tatsächlichen Durchschnittsstundenzahl pro Monat, die sie dann hätten: 173 (nicht 160, denn ein Monat hat bis auf den Februar, wiederum mit Ausnahme der Schaltjahre, wie wir jetzt eines haben, mehr als 4 Wochen).
Sie haben dann ein Bruttogehalt von knapp 2.220 Euro und ein Nettogehalt von 1.600 Euro, wenn Sie zum Beispiel in der hochgradig diskriminierenden Steuerklasse 1 zuhause sind, aber keine Kirchensteuer zahlen. Wir ziehen diese Steuerklasse heran, weil sie wichtig für Singles ist, die mit nur einem Gehalt, ihrem eigenen, einen Haushalt führen müssen. Wenn Sie heute in Berlin eine bescheidene Zweizimmerwohnung von 50 m² anmieten, zahlen Sie dafür kalt im Durchschnitt 700 Euro. Alle Nebenkosten zusammen dürften sich auf 250 bis 300 Euro summieren. Nehmen wir 250.
Wenn Sie also Vollzeit zum aktuellen Mindestlohn arbeiten, richtig durchpowern, nicht irgendwelche Teilzeitarbeit ausführen, wie so viele, die gar keinen Vollzeitjob bekommen, dann haben Sie bei einer möglicherweise stressigen Arbeit, wie sie im unteren Lohnbereich häufig anzutreffen ist, gerade mal 100 Euro im Monat mehr zur Verfügung als ein:e Bürgergeldempfänger:in, der / die gegenwärtig 563 Euro im Monat zur Verfügung hat und deren Mieterhöhungen das Jobcenter trägt.
Falsch gedacht. Wir schimpfen jetzt nicht über die Höhe des Bürgergelds. Wir sagen, der Lohn ist zu niedrig. Wie sähe die gleiche Rechnung nun bei 15 Euro Mindestlohn aus? Dann hätten Sie netto 1.824 Euro zur Verfügung. Ist das in einer Stadt, in der die Preise so anziehen wie in Berlin viel? Ganz sicher nicht. Ist es auskömmlich? Nach unserer Ansicht nur dann, wenn Sie in einem Haushalt mit jemandem zusammenleben, der ebenfalls zum Einkommen beiträgt. Falls Sie Kinder haben, haben Sie Kindergeld und Kinderfreibetrag / -beträge, aber die werden von Kindern ja auch tatsächlich konsumiert, wenn man sie anständig versorgt. Falls diese Beträge dafür ausreichen, wir glauben das eher nicht, wenn man als Familie oder Alleinerziehende:r mit Kind:ern auch mal etwas unternehmen will.
Hier setzen wir mit einer weiteren Ergänzung an, die auch unsere erneute Befassung mit dem Thema ausgelöst hat: Die obigen Preise sind Schnee von gestern, derzeit sieht es so aus:
Die aktuellen Quadratmeterpreise für Neuvermietungen von Wohnungen in Berlin variieren je nach Quelle und Wohnungsgröße. Hier sind die durchschnittlichen Quadratmeterpreise für drei verschiedene Wohnungsgrößen basierend auf den neuesten Daten:
## Quadratmeterpreise für Neuvermietungen in Berlin
**1. Wohnungen mit 30 m²: durchschnittlicher Preis:** 26,40 €/m²[6]
**2. Wohnungen mit 60 m²: durchschnittlicher Preis:** 20,30 €/m²[6]
**3. Wohnungen mit 100 m²: durchschnittlicher Preis:** 18,66 €/m²[6]
Diese Preise bieten einen guten Überblick über die aktuellen Mietkosten in Berlin und stammen aus verschiedenen zuverlässigen Quellen, einschließlich des offiziellen Berliner Mietspiegels und großen Immobilienportalen. Die Preise können je nach spezifischer Lage und Ausstattung der Wohnung variieren.
Quellen dazu in der Fußnote[1]
Und hier kommen die neuesten Mietpreise ins Spiel: Uns hat, offen geschrieben, fast der Schlag getroffen, als wir das gelesen haben. Nehmen wir also an, Sie müssten jetzt umziehen, warum auch immer. Zum Beispiel wegen einer Trennung oder einer der berüchtigten Eigenbedarfskündigungen seitens des Vermieters. Freiwillig die Wohnung wechseln (innerhalb der Stadt), das tu ja im Moment kaum jemand, der nicht gerade im Lotto gewonnen hat oder der OK angehört. Man sieht nicht viele Umzugswagen in Berlin.
Bleiben wir bei der obigen 50-m²-Wohnung, die wir mit Bedacht gewählt haben, weil wir meinen, sie ist für einen großstädtischen Single-Haushalt die Untergrenze eines angemessenen, menschenwürdigen Wohnraums. Zumindest für Menschen, die dauerhaft so leben, nicht für Studierende oder jene, die für eine bestimmte, kürzere Zeit etwas suchen. Nehmen wir den günstigeren Mietpreis für die 60-m²-Wohnung als Grundlage.
Dann haben Sie eine Kaltmiete von ca. 1.015 Euro zu zahlen, zuzüglich zu den oben erwähnten Gesamtnebenkosten (inklusive Strom und Kommunikationstechnik) von ca. 1.265 Euro. Wir bleiben beim Nettolohn von netto 1.824 Euro, wie oben angegeben, der Mindestlohn beträgt 15 Euro pro Stunde. Sie haben noch genau 559 Euro zum Leben übrig. Das sind vier Euro weniger, als derzeit das Bürgergeld beträgt. Achtung, Falle: Wir haben oben Strom und Kommunikation eingerechnet, sie müssen auch vom Bürgergeld bezahlt werden und gehören nicht zu den Kosten für die Unterkunft, die von der Auszahlungsstelle übernommen werden. Dadurch vermindert sich der für Ernährung und alles andere übrig bleibende Bürgergeldbetrag auf ca. 500 Euro monatlich. Das ist eine sehr günstige Berechnung, meist sind die Kosten für beide Versorgungsleistungen zusammen höher.
Wir haben alles so weit wie möglich zugunsten der Mindestlohnempfänger:innen berechnet, und wir kommen, falls diese das Pech haben, in Berlin umziehen und jetzt eine durchschnittliche Wohnung anmieten zu müssen (in unserem Kiez sind die Preise über dem Durchschnitt angesiedelt) auf einen Betrag zum Leben, der noch gerade um ca. 60 Euro über dem Bürgergeld liegt.
Bei Vollzeitarbeit! Noch einmal: Nicht das Bürgergeld ist zu hoch, kommen Sie mal mit 500 Euro im Monat für alles, was anfällt, nach der Preisrallye der letzten Jahre aus. Sondern der Mindestlohn von 15 Euro ist immer noch zu niedrig. Er müsste mittlerweile 17 bis 18 Euro betragen, damit überhaupt ein vernünftiger Abstand zur Grundsicherung entsteht. Übrigens: Die „neue Grundsicherung“ der CDU würde diesen Monatsbetrag nicht verringern, weil er verfassungsrechtlichen Mindestanforderung auf aktueller Basis entsprechen muss. Lassen Sie sich also keinen Unsinn darüber erzählen, wie die CDU die Gerechtigkeit nach unten anpassen will, also dergestalt, dass nicht die Lohnempfänger mehr, sondern die BG-Bezieher weniger Geld haben.
Wie erwähnt, haben wir im Mai mit „angemessen“ gestimmt. Seinerzeit haben glatte 34 Prozent die Ansicht geäußert, das sei zu viel. Für überwiegend systemrelevante Jobs, nicht für Bullshit-Business, das komplett überbewertet ist. Die Antwortmöglichkeiten wurden jetzt so geändert, dass keine Klarheit mehr herrscht, ob mit „nicht angemessen“ zu viel oder zu wenig gemeint ist. Wie auch immer, die Zahl derer steigt, die merken, dass 15 Euro brutto kein fürstliches Salär sind. Und wir die Chance wahrgenommen, unseren Klick auf „eher angemessen“ zu ändern, obwohl er auch als „etwas zu viel“ ausgelegt werden könnte. Wir sind nicht für die Antwortmöglichkeiten verantwortlich und erklären deshalb, wie wir unser Abstimmungsverhalten verstanden wissen wollen.
Wir haben mit der „Angemessen-Stimmabgabe“ damals berücksichtigt, dass die Politik und die Wirtschaft selbst dafür gesorgt haben, dass die ökonomische Situation sehr kippelig geworden ist, wohingegen die Einführung des Mindestlohnes in etwas stabileren Zeiten keinerlei negative Arbeitsmarktfolgen hatte. Es war lediglich nicht mehr möglich, arme Kreaturen für 3 bis vier Euro pro Stunde zu beschäftigen und Dienstleistungen wie Security für unfassbare 10 Euro/h anzubieten und sich damit noch eine goldene Nase zu verdienen. Das ging nach der Einführung des Mindestlohns so nicht mehr. Das Beispiel haben wir nicht zufällig gewählt, es stammt aus unserer Berufspraxis, in der wir uns geschämt haben, Aufträge auf Weisung von oben nach dem Billigstprinzip so vergeben zu müssen. Wir waren froh, als dieser von Schröder & Co. inszenierten Sozialschweinerei mit der Einführung des Mindestlohns eine erste, wenn auch nicht ausreichend hohe Barriere vorgeschoben wurde.
Berlin ist mit seiner extremen Tendenz zur Ausbeutung durch Lohndrückerei nicht repräsentativ, aber gerade hier ist es eminent wichtig, die Kaufkraft mit der Anhebung des Mindestlohns vor dem Absinken unter das Existenzminimum zu bewahren, angesichts rapide steigernder Preise in allen Bereichen. Sie erreichen tatsächlich mittlerweile Hauptstadtniveau, nur verdienen die Menschen hier nicht wie in anderen Hauptstädten. In der Folge steigt die reale Kaufkraft nicht, sondern dürfte zuletzt eher gesunken sein, neue Zahlen ab 2022 müssen wir uns dazu noch anschauen.
Gerade die oben erwähnte Mietpreisexplosion lässt den voherigen Absatz als noch dringlicher erscheinen. Dass die Mietpreise so davonschießen, ist politisch bedingt, daher ist die Politik in der Pflicht. Zu geringe Bautätigkeit, vor allem im günstigen Segment bei gleichzeitiger starker, politisch gewollter Anhebung der Nachfrage durch mehr als eine Million Geflüchteter alleine aus der Ukraine, alle anderen Zugänge, die durch Asylanträge entstehen, nicht eingerechnet, haben seit 2022 zu komplettem Chaos am Berliner Wohnungsmarkt geführt, der ohnehin schon von uns in hunderten auf das Thema bezogenen Artikeln seit 2018 mit dem Hashtag #Mietenwahnsinn versehen wurde.
Dazu neue Informationen als Ergänzung:[2]
Laut den vorliegenden Informationen sind im Jahr 2023 insgesamt 32.752 Geflüchtete nach Berlin gezogen. Diese Zahl setzt sich wie folgt zusammen:
- 16.762 Menschen stellten einen Asylantrag in Berlin[2][4].
- 15.144 Kriegsflüchtlinge kamen aus der Ukraine[2].
- 846 Flüchtlinge kamen über sogenannte Sonderaufnahmeprogramme nach Berlin[2].
Es ist wichtig zu beachten, dass die Zahl der ukrainischen Kriegsflüchtlinge im Vergleich zum Vorjahr deutlich gesunken ist. Im Jahr 2022 waren es noch 68.194 Menschen aus der Ukraine[2].
Die fünf häufigsten Herkunftsländer der Asylbewerber waren die Türkei, Syrien, Afghanistan, Moldau und Georgien[2].
Anders als die Zahl der Geflüchtetn aus der Ukraine ist die Gesamtzahl der Asylsuchenden in Berlin im Jahr 2023 im Vergleich zum Vorjahr gestiegen. 2022 wurden 14.704 Asylbewerber registriert, während es 2023 16.762 waren[2].
Zu Spitzenzeiten während der 2010er stieg die Bevölkerung in Berlin um maximal 80.000 Menschen, 2022 kamen allein aus der Ukraine fast 70.000 Menschen.
Und das bei bereits vorhandenem Wohnungsmangel und lediglich um 15.000 neu beziehbaren Wohnungen und einem nicht abgearbeiteten Nachfrageüberhang nach günstigen Wohnungen aus den 2010ern. Die Zahlen sind deshalb valide, weil, anders als während des „Herbsts der Geflüchteten“ im Jahr 2015 die Unterbringung von Geflüchteten auf dem regulären Mietwohnungsmarkt gegenüber der Unterbringung in Sammelunterkünften absolute Priorität hat. Das heißt, der Berliner Senat beteiligt sich an dem Preisauftrieb, den wir oben gesehen haben, und zwar in erheblichem Maße.
Das kann und wird nicht gutgehen. Es tut uns aufrichtig leid, aus ethischen Gründen, dass wir jetzt doch diese Themen in Zusammenhang setzen müssen. Entweder man stoppt endlich diese Überlastung der Infrastruktur oder man baut endlich mehr oder – man hebt den Mindestlohn so an, dass Menschen, die hier für den Service der Privilegierten zuständig sind, wenigstens noch in der Stadt wohnen können, in der sie Vollzeit schuften.
Die Ampelregierung hat noch großes Glück, dass wir in Berlin in der Regel trotz allen Unmuts nicht nach rechts abdriften, unsere Toleranz also kaum Grenzen kennt. Aber wir haben zum Beispiel bei der Europawahl keine Ampelpartei gewählt (natürlich auch nicht die CDU, FDP oder AfD). Wir haben es einfach nicht über uns gebracht, dieser Politik zuzustimmen, die immer mehr Menschen in große Bedrängnis bringt. Wie die meisten Menschen haben wir diese Wahl zu einer Testabstimmung für die hiesige Politik gemacht, obwohl das Europa gegenüber etwas ungerecht sein mag. Aber letztlich greifen die Ebenen der Politik ineinander, das darf man nicht vergessen.
Es geht bei uns nicht einmal mehr ums Zusammenrücken, es geht ums Überleben, im unteren Drittel der finanziellen Hackordnung dieser Gesellschaft mit ihren vielen Verwerfungen jenseits der erwähnten, die ebenfalls zur miserablen Stimmung beitragen. Und da kommen die rechten Parteien noch daher und würden den Mindestlohn am liebsten senken und natürlich sind sie gegen jede Regulierung des Mietmarktes, auf dem derzeit eine Abzocke wie nie in der Geschichte der BRD herrscht.
Lassen Sie sich bloß nicht von denen ködern, egal, was sie auf welchem Gebiet auch immer für einen Unsinn versprechen, falls Sie nicht zu der Minderheit der Profiteure zählen. Falls das so ist, braucht man Sie aber nicht zu locken, dann wählen Sie diese Parteien längst aus Tradition. Zurück zum Text aus dem Mai dieses Jahres:
Der Mindestlohn ist nicht überall gleich. Nominal ja, aber nicht, was seinen Wert angeht. Das ergibt sich aus der Berlin-bezogenen Betrachtung und hat sich durch die Juli-Ergänzung noch dramatisiert. Vor allem im Osten sind die Lebenshaltungskosten deutlich niedriger als hier und in den meisten Städten des Westens. Das wir auch immer gerne unter den Tisch fallen gelassen, wenn der Osten mit seinen etwas niedrigeren durchschnittlichen Löhnen und Renten als das arme, abgehängte Deutschland markiert wird, mit sehr durchsichtigen propagandistischen Absichten. Die reale Kaufkraft liegt dort nicht niedriger als z. B. in Berlin, nach den neuesten Erhebungen müsste sie sogar höher sein, wenn wir einberechnen, was sich am Berliner Vermietungsmarkt. Wer also in den meisten Regionen des Ostens 15 Euro brutto hat, der kann damit etwas anfangen. Insofern versstehen wir das Argument seitens des IfW aus dem Mai-Begleittext, allerdings bezogen auf 15 Euro, nicht auf 12,41 Euro; Letztere Summe ist überall sehr wenig.
Wir verstehen sogar in Grenzen die Argumentation der Gastronomie im Saarland. Denn das Saarland hat ein anderes Problem, das wir wiederum aus dem Osten ebenfalls kennen. Die Bevölkerung sinkt und damit auch die Zahl der möglichen Kunden für dieses Gewerbe. Die Mieten hingegen steigen dort aufgrund des Angebotsüberschusses auch nicht oder wenig. Gleiches gilt für die Immobilien-Kaufpreise. Sinkende Nachfrage aus Gründen der Bevölkerungsentwicklung trifft auf steigende Löhne, das kann ein Problem sein.
Eine Fragestellung ergibt sich daraus: Müsste der Mindestlohn nicht regional unterschiedlich sein? In München am höchsten, irgendwo im hinteren Thüringen am niedrigsten?
Es hat politische Gründe, dass so nicht gedacht wird, damit nicht eine neue Diskussion über Ost und West aufkommt und auch nicht zwischen ganz unterschiedlichen Regionen innerhalb der beiden Teile Deutschlands. In den USA gibt es zum Beispiel den Bundes-Mindestlohn, die Staaten sind aber frei darin, höher zu gehen, aber auch, niedriger anzusetzen. Beides tun einige Staaten. Der föderale Mindestlohn ist mit 7,25 Dollar pro Stunde lächerlich niedrig und es gibt tatsächlich Bundesstaaten, die diesen unterfahren.
Aber in den vor allem von Demokraten regierten Regionen im Osten und in Kalifornien liegt er in der Regel zwischen 15 und 17 Dollar, also etwa dort, wo auch der deutsche Mindestlohn nach unserer Ansicht mindestens liegen sollte. Für die Preisverhältnisse dieser Staaten ist sehr wenig, aber es ist wenigstens eine Grenze nach unten – die freilich, wie bei uns, für Freelancer und andere, die die große Freiheit manchmal mit dem großen Loch in der Kasse bezahlen, nicht gilt.
Alle, die nicht sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind, unterfallen auch hierzulande nicht den Vorgaben für den Mindestlohn. Damit wird er auch gerne umgangen, indem man arme Menschen als Kleinunternehmer und mobil-flexible Selbstständige darstellt, die in Wirklichkeit von irgendeiner Ausbeutermühle abhängig sind, die sich nicht nur den Mindestlohn, sondern auch die Sozialversicherungsabgaben schenkt. Es gibt ganze Branchen, die nur deshalb so funktionieren können, dass gedankenlose Servicefreaks dort Aufträge platzieren können. Es ist auch nicht verwunderlich, dass man dort vor allem junge Menschen arbeiten sieht, die den Raubbau an sich selbst noch nicht so auf dem Schirm haben, den sie damit betreiben oder auch denken, es ist nur ein Zwischenschritt. Wollen wir für sie hoffen, dass Letzteres der Fall ist. Die ökonomischen Erwartungen für Deutschland, ebenfalls eine Folge falscher Politik, fallen gegenwärtig nicht so aus, dass diese Hoffnung sehr viel Nahrung erhält. 2024 wird wohl bestenfalls ein „Nullwachstum“ erzielt werden, nach einer nominalen Rezession von 0,3 Prozent im Jahr 2023 und einer realen Rezession von ca. 1,5 Prozent (wegen der aufgrund Zuwanderung wachsenden Bevölkerung ist der Rückgang des BIP pro Kopf deutlich höher als der des nominalen Gesamt-BIP).
Auch dieses Mal können wir die Betrachtung nicht weglassen, die denen gilt, die so gar nichts mit der Mindestlohnzohne zu tun haben. Seit 2020 haben die Menschen, die über 30 Millionen Dollar Nettovermögen haben, diese Vermögen glatt verdoppeln können. Sie profitieren davon, dass in Deutschland und anderswo tatsächlich über 30 Prozent der Menschen bei einer Abstimmung denken, ein Mindestlohn von 15 Euro sei zu viel. Es ist klar, dass bestimmte Kleinunternehmer die gestiegenen Lohnkosten an die Kundschaft weitergeben müssen, um überhaupt Gewinn zu machen, aber wie wär’s denn stattdessen mit einem kooperativen Modell? Was wir überhaupt nicht hören können, ist, wenn jemand als Unternehmer sagt, er verdient weniger als seine Angestellten. Ja, dann sollte die Konsequenz wohl klar sein.
Nein, die Löhne der abhängig Beschäftigten sind weltweit viel zu niedrig, daraus resultieren enorme Gewinne, die auch während Corona weiter angestiegen sind. Das mag seltsam klingen, wo doch einige Branche so zu „knapsen“ hatten. Ist es aber nicht. Die Kapitaleigner haben es sich zunutze gemacht, dass die Unternehmen getrimmt wurden, die Börsenkurse mangels Alternativen während der Niedrigzinsphase stiegen, und sie steigen weiter. Ob das noch lange gutgehen kann, ist eine andere Frage. Aber der absurde und rasch wachsende Reichtum einiger ist der Spiegel der anhaltenden Armut vieler – und sie nimmt in den klassischen Industrieländern zu. In Deutschland sogar ziemlich schnell, weil es insgesamt nicht mehr rundläuft.
Angesichts der Tatsache der weltweit rasant zunehmenden Ungleichheit zwischen Arbeitenden und Kapital Besitzenden wollen Sie den Menschen wirklich einen Mindestlohn von 15 Euro verwehren, von denen Sie tagtäglich bedient werden und die den Laden hier am Laufen halten? Wenn Sie zu dieser Gruppe der „Zu-viel-Abstimmer“ gehören, sollten sich ein bisschen schämen, finden wir. Wir schämen uns schon beinahe dafür, dass wir im Mai gesagt haben, es ist okay so, auch wenn wir für uns reklamieren können, dass wir einige neue Infos damals noch nicht hatten.
Wir sehen es aber auch als Zwischenschritt, bis vielleicht doch die Konjunktur wieder anzieht und bis endlich das gesamte Verfahren neu ausverhandelt wird. Wer leistet tatsächlich und wer profitiert nur, ohne arbeiten zu müssen?
Dass die FDP eine Mindestlohnerhöhung ablehnt, ist klar, sie dient ja den Reichen. Die CDU vergisst wieder mal das „C“, aber auch das ist ja nichts Neues. Die Gewerkschaften als weiterer Mitspieler im Lohnpoker haben sich nie um diejenigen gekümmert, die nicht im tarifgebundenen Bereich arbeiten, und das ist in Berlin die Mehrzahl aller Beschäftigen. Die FDP ist offen klassistisch, dafür wird sie ja auch nur von einer Minderheit gewählt, aber die Scheinheiligkeit der Union ist nach der Existenz der AfD das größte Übel in dieser Demokratie, in der auch unter Kanzlerin Merkel die Ungleichheit angewachsen ist, weil die Einkommen oben viel schneller stiegen als unten. Im vergangenen Jahr soll die Ungleichheit nicht weite gewachsen sein, aber das müssen wir uns noch einmal näher anschauen, denn die Kaufkraft der verschiedenen Einkommensschichten wurde dabei vermutlich nicht als Maßstab herangezogen.
„Eigentlich müssten wir noch einmal abstimmen, wir waren da viel zu gutmütig, angesichts des Reibachs der Reichen, der immer unverschämtere Dimensionen annimmt und die sich die Politik immer offener kaufen, damit es auch schön so bleibt.“
Diese nochmalige Abstimmungsmöglichkeit hatten wir heute und haben sie wie oben angegeben genutzt. Und dabei immer noch nicht klar ausgedrückt, es ist zu wenig. Daran kann man sehen, wie tolerant und irgendwie auch dumm wir in Deutschland sind, speziell in Berlin, wo wir auch mit einem „Normaleinkommen“ keinerlei Aussicht mehr auf einen durch was auch immer erzwungenen Wohnungswechsel haben, der uns nicht komplett arm machen würde. Dumm meint: Wir stellen Gesinnungsethik deutlich über die eigenen Interessen, wohingegen eine gesunde Einstellung nicht egoistisch, aber mehr ausgewogen sein müsste. Nur durch diese Mentalität kann die herrschende Politik sich überhaupt noch über Wasser halten.
Aber es frustriert, es kostet Motivation, und das merkt man auch der allgemeinen Leistungsbereitschaft in der Bevölkerung an. Wir hatten überlegt, ob wir diese Erkenntnis durch eine Darstellung unserer persönlichen Wohnverhältnisse und -wünsche untermauern sollten, aber es ist ja in diesen Zeiten der Generalverschiebung wirklich alles relativ geworden und man muss froh sein, nicht auf der Straße zu sitzen.
Gleichwohl ist der Begriff „Kaufen der Politik“ nicht aus einem Akutfrust heraus entstanden. Werfen Sie einen Blick auf das, was NGOen wie Abgeordnetenwatch und Lobbycontrol so alles zusammentragen über die Verbandelung von Wirtschaft und Politik und was daraus für die Mehrheit der Bevölkerung abzuleiten ist. Und lassen Sie sich bitte nicht einreden, 15 Euro Mindestlohn für schwer arbeitende Menschen seien zu viel Geld. Darüber lachen die Privilegierten, die andere für sich arbeiten lassen, sich richtig schlapp, das versichern wir Ihnen.
TH
[1] Quellen zu „aktuelle Neuvermietungspreise in Berlin“:
[1] https://www.engelvoelkers.com/de-de/mietspiegel/berlin/
[2] https://www.immoportal.com/mietspiegel/berlin
[3] https://www.berlin.de/sen/sbw/presse/pressemeldungen/pressemitteilung.1451496.php
[4] https://www.berlin.de/sen/wohnen/_assets/service/mietspiegel2024.pdf?ts=1717059042
[5] https://www.immowelt.de/immobilienpreise/berlin/mietspiegel
[6] https://www.wohnungsboerse.net/mietspiegel-Berlin/2825
[2] Quellen zu „Geflüchtete, die nach Berlin gezogen sind“:
[1] ttps://www.berlin.de/rbmskzl/aktuelles/pressemitteilungen/2023/pressemitteilung.1369690.php
[2] https://www.rbb24.de/politik/beitrag/2024/01/berlin-laf-gefluechtete-unterbringung-notunterkuenfte-jahresbilanz.html
[3] https://www.rbb24.de/politik/beitrag/2023/11/berlin-brandenburg-asyl-antraege-2023-gefluechtete-migration-daten.html
[4] https://www.berliner-zeitung.de/news/berlin-zahl-der-asylsuchenden-ist-deutlich-gestiegen-li.2180420
[5] https://www.berlin.de/sen/wohnen/_assets/service/mietspiegel2024.pdf?ts=1717059042
Entdecke mehr von DER WAHLBERLINER
Melde dich für ein Abonnement an, um die neuesten Beiträge per E-Mail zu erhalten.

