Briefing Geopolitik, USA, Wahlsysteme, Wahlleute, Wahlmänner, Wählsterimmen, Gleichgewichtung, Ungleichgewichtgung, EU-Parlament, Bundesrat, Wählerverzeichnis
Nun sind die US-Wahlen bzw. deren Abschluss in weniger als zwei Wochen – und wir schreiben ausgerechnet jetzt nichts mehr darüber? Nun gut, setzen wir also diesen Beitrag als Update zu den US-Wahlen, setzen ihn neu, sodass Sie zum Lesen der bisherigen acht Artikel diesen Link benötigen.
Vermutlich hat es uns die Sprache verschlagen, angesichts der Art, wie dieser Wahlkampf geführt wird und wie es möglich ist, dass ein Typ wie Donald Trump jetzt wieder gute Chancen zu haben scheint, diese Wahl tatsächlich zu gewinnen. Aber haben die Extremisten in Deutschland etwa keinen Zulauf? Außerdem ist das amerikanische Wahlsystem mit seinen Wahlleuten tückisch, weil es schon mehrfach dafür gesorgt hat, dass nicht diejenige Person Präsident:in wird, der oder die eine Mehrheit der Stimmen hinter sich vereinen können. Die Genderung ist korrekt, denn 2016 traf es Hillary Clinton, die mehr Stimmen erhielt als Donald Trump, der aber überwiegend die Wahlleute in den „Swing States“ hinter sich vereinen konnte. Diese Gefahr droht auch jetzt wieder Kamala Harris, seiner demokratischen Herausforderin.
Nicht nur das: Die USA zählen zu den wenigsten westlichen Ländern, in denen Staatsbürger nicht automatisch Wähler:innen sind, sondern sich in eine Wahlliste eintragen lassen müssen. Sie bekommen also keine Wahlkarte zugesendet, weil sie Staatsbürger:innen sind, wie bei uns, sondern müssen sich registrieren lassen. Das setzt die Hürden höher und führt zu Manipulationsmöglichkeiten, das hält vor allem unsichere und weniger privilegierte Menschen vom Wählen ab. Auch deswegen sind die Quoten derer, die gewählt haben, in den USA niedriger als zum Beispiel hierzulande. Zu diesem Thema hat Statista im vergangenen Monat eine Grafik erstellt, die wir heute präsentieren. Wo läuft es wie bei uns und wo ist es wie in den USA? Natürlich nicht exakt jeweils gleich, aber prinzipiell: Wähler per se oder Wähler erst nach Eintragung in eine Liste mit Prüfung der Identität?
Infografik: Wo Bürger nicht automatisch Wähler sind | Statista

Diese Statista-Grafik wurde unter einer Lizenz CC BY-ND 4.0 Deed | Namensnennung-Keine Bearbeitung 4.0 International | Creative Commons erstellt und wir geben sie unter gleichen Bedingungen wieder. Folgend der Statista-Begleittext dazu, dann weiter mit unserem Kommentar.
Die Teilnahme an nationalen Wahlen wird in Demokratien auf der ganzen Welt als ein grundlegendes Bürgerrecht angesehen. Einige Regierungen glauben sogar so fest an diesen Grundsatz, dass sie die Teilnahme an Wahlen zur Pflicht gemacht haben. Die Befürworter dieses Konzepts betrachten die obligatorische Teilnahme an Wahlen als eine Pflicht des Bürgers, die mit der Steuerpflicht, der Geschworenenpflicht oder dem Militärdienst vergleichbar ist. Außerdem führt sie zu einer höheren Wahlbeteiligung und somit besserer Repräsentation der Bürgerinteressen.
Wie die Statista-Infografik auf Basis der Daten des ACE Electoral Knowledge Network zeigt, gibt es in 88 Ländern der Welt keine obligatorische Eintragung in ein Wählerverzeichnis, wie es beispielsweise in Deutschland für Bürger:innen der Fall ist. Die USA sind das wohl prominenteste Beispiel für eine Demokratie ohne diese Form des Wahlrechts. Wer in den Vereinigten Staaten wählen will, muss sich vorher als Wähler:in registrieren – erst dann ist man zur Stimmabgabe berechtigt. Eine Hürde, die viele US-Amerikaner:innen nicht überwinden wollen, weshalb die Wahlbeteiligung in den USA traditionell eher gering ausfällt. Bei den letzten Präsidentschaftswahlen im Jahr 2020 hat diese bei etwa 66,4 Prozent gelegen. Es gibt aber auch Argumente gegen eine verpflichtende Stimmabgabe, wie zum Beispiel die Einschränkung der Meinungsfreiheit. Das Recht seine Stimme abzugeben, sollte gleichermaßen das Recht beinhalten, sich zu enthalten.
Ursprünglich war auch die Grafik falsch betitelt, aber der erste Absatz des Begleittextes stimmt immer noch nicht. Es gibt in kaum einem Land der Welt eine Wahlpflicht, es geht wirklich um den Unterschied zwischen automatischer Wahlberechtigung und zusätzlichen administrativen Schritten, die notwendig sind, um wählen zu dürfen.
Wir können uns gut vorstellen, dass in den USA dieses Jahr eine für die Verhältnisse des Landes sehr hohe Wahlbeteiligung erreicht wird, die Mobilisierung folgt sozusagen der Polarisierung. Auch bei uns wir die US-Wahl 2024 ja gerne als Schicksalswahl dargestellt. Was sie in gewisser Weise tatsächlich ist, vor allem, weil die Europäer es nicht hinbekommen, eigenständig zu denken, geschweige denn, eigenständig zu handeln. In Deutschland wird das besonders deutlich, wo Kanzler Scholz immer exakt den Vorgaben aus den USA folgt. Es könnte im Moment Schlimmeres geben, aber das kann sich ändern, wenn der Deutschland-Basher Donald Trump tatsächlich wiedergewählt wird. Der Ton wird ohnehin rauer werden, die Verantwortung für die Europäer größer, auch wenn Kamala Harris das Rennen macht, aber wir müssen uns auf das große Gruseln einstellen, wenn sie es nicht schafft.
In Europa gibt es aber kaum Länder, die dem US-Vorbild auch wahltechnisch gefolgt sind. Wenn wir es richtig gesehen haben, ist eines der drei ausgerechnet Österreich. Das war uns gar nicht bewusst, als wir dort gelebt haben, weil wir als Ausländer eh kein Wahlrecht hatten. Hinzu kommen Irland und Island. Letzteres ist so klein, dass man sich vermutlich die Automatisierung spart, weil zur Wahl gehen eh eine Art Familienfest darstellt, wo man sich im Registrierungsbüro wie bei einer Hochzeit trifft. Das war ein Scherz, wir wissen nicht, wie das isländische System genau funktioniert.
Wenn es nach der Weltkarte geht, gibt es eine riesige hellgrün-optimistische oder niederschwellige Zone, ihr gegenüber stehen flächenmäßig und vor allem einwohnermäßig viel kleinere dunkelgrüne Bereiche gegenüber. Leider ist nicht alles, was grünt, auch demokratisch. Schön, dass in China alle Bürger:innen automatisch Wähler:innen sind, aber sie haben eh nur die Wahl zwischen der KPCh oder gar nicht zu wählen. Da sind die Nachbarn aus Nordkorea in gewisser Weise ehrlicher, dort scheint es überhaupt keine Wahlen zu geben. Wie auch in Saudi-Arabien, einer der letzten klassischen, nicht nur konstitutionellen, sondern per se autokratischen Monarchien. Natürlich gibt es auch keine Wahlen im Vatikanstaat, verblüfft hat uns das Gelb bei Kroatien. Offenbar liegt hier ein Informationsdefizit vor, denn unseres Wissens sind dort, wie fast überall in der EU, Staatsbürger:innen auch Wahlbürger:innen.
Das amerikanische System oder ein Ähnliches pflegt auch Kanada, was uns ebenfalls verblüfft hat, denn das Land ist in seinen Traditionen doch sehr europäisch geprägt. Ein Grund für solche Systeme in riesigen Flächenländern könnte sein, dass die Identität eines Menschen im Zusammenhang mit seinem Wohnsitz schwieriger zu überprüfen sind. Wir erinnern uns an legendäre Hollywoodfilme, in denen jemand die Identität einfach wechseln konnte, wenn er in einen anderen Bundesstaat zog und dort einen Neuanfang startete. Die Story wäre allerdings nicht vorhanden gewesen, wenn es dabei nicht zuweilen zum Aufpoppen der Vergangenheit gekommen wäre. Also wird wohl in den Gemeinden dieser flächigen Staaten aktiver geprüft, ob jemand wirklich dort ansässig ist, der zur Wahl gehen will.
Trotzdem bleibt das Problem, dass die Wahlleute nicht entsprechend der Einwohnerzahl der Staaten bestimmt werden, was dem konservativen Mittelwesten und Süden stets einen Vorteil verschafft. Anders ausgedrückt: Ein Demokrat muss schon beinahe einen Erdrutschsieg einfahren und auch versuchen, widerborstige Rednecks zu überzeugen, die ihm eigentlich wesensfremd sind, um wirklich Präsident werden zu können. Aber wer weiß, ob die USA nicht gerade wegen dieser Disparität überhaupt noch zusammenhalten. In der EU gibt es ja auch die Verfahrensweise, dass kleinere Mitgliedsstaaten bei der Vergabe von Sitzen im EU-Parlament, bei der Postenvergabe und beim halbjährlich wechselnden Vorsitz stärker berücksichtigt werden, als es ihrer Einwohnerzahl entsprechen würde.
Trotzdem finden wir es grundsätzlich richtig, dass a.) alle Staatsbürger:innen eines Landes gleichzeitig Wähler:innen sind und dass es b.) in Deutschland alle Stimmen gleich viel wert sind. Leider stimmt Letzteres nicht. Auch im Bundesrat werden kleinere Bundesländer übergewichtet, haben also in Relation zur Gesamtstimmenzahl mehr Einfluss, als es ihrer Größe entspricht. Deswegen halten wir es auch für dumm, wenn Kommentator:innen die Wahlen in kleineren Bundesländern so gerne als etwas Marginales abtun. Die Verteilung sieht übrigens so aus:
Jedes Bundesland hat im Bundesrat mindestens drei und höchstens sechs Stimmen. Die Stimmenzahl der Länder im Bundesrat ist nach der Einwohnerzahl abgestuft, jedoch nicht proportional.. Länder mit mehr als zwei Millionen Einwohnern haben vier Stimmen, Länder mit mehr als sechs Millionen Einwohnern fünf Stimmen und Länder mit mehr als sieben Millionen Einwohnern sechs Stimmen. Insgesamt hat der Bundesrat 69 Stimmen.
Im EU-Parlament haben die kleinsten Länder mindestens sechs Abgeordnete, Deutschland als größtes Land kommt derzeit auf 91.
Man kann es sehr wohl als demokratisch ansehen, dass Minderheiten oder kleinere Länder nicht so stark dominiert werden können von größeren und bevölkerungsreichen territorialen Einheiten. Was die USA angeht, passt uns das gerade nicht, aber es ist eine Form von Ausgleichs, die es grundsätzlich, wie oben gezeigt, auch anderswo gibt, unter anderem in Deutschland.
TH
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