Filmfest 1188 Cinema
Uncle Josh at the Moving Picture Show ist ein US-amerikanischer Stummfilm aus dem Jahr 1902. Regie führte Edwin S. Porter. Der Film wurde von der Edison Manufacturing Company veröffentlicht. Der Film setzt die Uncle-Josh-Reihe aus dem Jahr 1900 fort und ist eine Neuverfilmung des englischen Films The Countryman and the Cinematograph aus dem Jahr 1901.[1]
Auch, wenn der englische Film sicher nicht lang ist, schreiben wir jetzt keine Vergleichsrezension, sondern bleiben bei den US-Filmen. Nachdem wir das Jahr 1901 mit zwei „Firsts“ gefeiert haben und damit auch das neue Jahrhundert, kommen wir dieses Mal – nun ja, nicht zu einem „First“, wenn in England schon ein ähnlicher Film ein Jahr zuvor entstanden ist, aber dann eben einem „Second“, nämlich dem zweiten Film, der Kino über das Kino macht. Der also selbstreferenziell ist, in dem das Medium sich auch erklärt, was ja damals für die Zuschauer, die aus dem Staunen über das Geschehen auf der Leinwand nicht herauskamen, ganz wichtig war.
Handlung (1)
Onkel Josh besucht ein Kino und sieht sich dort mehrere Kurzfilme an, dabei macht er vor der Leinwand so viele Faxen, dass diese zusammenbricht.
Beim ersten Film Parisian Danger ist eine Frau zu sehen, die einen Cancan tanzt, hier tanzt Onkel Josh einfach mit. Der zweite Film The Black Diamond Express zeigt, wie ein Zug hereinkommt und Onkel Josh davonrennt. In dem Film The Country People sind einige Slapstick-Szenen vor einem Dorfbrunnen zu sehen. Schließlich reißt er die Leinwand herunter und bekommt Ärger mit dem Mann am Projektor.
Handlung
Ein Mann sitzt in einer Loge in einem Kino. Die Vorführung beginnt mit dem Titel The Edison Projecting Kinetoscope, gefolgt von dem Zwischentitel Parisian Danger, der ein Mädchen zeigt, das den Can-Can tanzt. Der Mann springt aus seiner Box und beginnt, ihren Tanz nachzuahmen. Dann erscheint der zweite Zwischentitel, The Black Diamond Express, und der Film zeigt einen Zug, der auf die Kamera zurast. Der Mann hat solche Angst, dass er in seine Loge zurückspringt. Dann wird der dritte Film, The Country Couple, gezeigt, und wenn der Zuschauer ein Paar sieht, das sich küsst, geht er zurück auf die Bühne und zerreißt die Leinwand, wobei der Filmprojektor und der Filmvorführer dahinter zum Vorschein kommen. Der Filmvorführer steht auf und gibt dem Zuschauer eine Trappe. [2]/[2]
Hintergrund (1)
Die Szene, in der Onkel Josh vor dem Zug davonrennt, ist eine Parodie auf den französischen Film L’Arrivée d’un train en gare de La Ciotat, bei dessen Premiere die Zuschauer ängstlich aus dem Saal gelaufen sein sollen.
Die Figur um Uncle Josh wurde zu einer beliebten Figur, die mehrere Abenteuer erlebte. Edwin S. Porter führte auch bei den anderen Filmen Regie.
Hintergrund zu Onkel Josh
Charles Manley [der Onkel Josh spielt, Anm. TH] wurde am 25. September 1830 in Irland geboren. Er arbeitete später im Ford’s Theatre und erlebte das Attentat auf den amerikanischen Präsidenten Abraham Lincoln vermutlich direkt von der Bühne aus mit, da er an diesem Abend spielte.[1][2]
Seit dem Jahr 1900 arbeitete er auch für den Film. Zusammen mit Edwin S. Porter drehte er den Film Uncle Josh in a Spooky Hotel für die Edison Manufacturing Company ab.[3]
Mit der Figur von Onkel Josh wurde er die erste richtige Franchise-Figur der Filmgeschichte. Auch in den beiden Fortsetzungen, 1900 Uncle Josh’s Nightmare[4] und 1902 Uncle Josh at the Moving Picture Show[5] war er der Hauptdarsteller.
Rezension
Also haben wir doch noch ein „First“. Uncle Josh oder Onkel Josh war die erste Serienfigur bzw. Filmreihenfigur, denn Serien waren die Filme ja nicht, sondern eigenständig. Also mehr wie James Bond als wie „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“. Allerdings sollten solche Reihen bald sehr beliebt werden, wie wir unter anderem durch die Arbeit mit einigen Filmen von Alice Guy feststellen konnten, die selbst solche Figuren inszeniert hat und in deren Umfeld andere Schauspieler und Regisseure damit arbeiteten. Im Grunde ist die Serialisierung sehr nachvollziehbar. Beliebte Charaktere wollte man einfach immer wiedersehen, und so ist es bis heute geblieben.
Selbstverständlich war das allerdings nicht, andere Medien wie das Buch oder das Theater zeichneten eine solche Entwicklung keineswegs vor. Es kam zwar zu der einen oder anderen Romanfortsetzung, aber ganze Romanreihen mit denselben Figuren sind wiederum eher eine Reflektion auf die Massenmedien Film und Radio, als dass derlei vor deren Erfindung schon weit verbreitet gewesen wäre. Ausnahmen gab es allerdings bei den Kurzgeschichten, wie die Detektivfigur Sherlock Holmes, die von Arthur Conan Doyle schon 1887 einführte. Sozusagen im Gegenzug wurden Kriminal- und Detektivgeschichten auch als Filmreihen alsbald populär.
Da die englische Wikipedia in der Hinsicht viel ausführlicher ist, wollen wir die dortigen Anmerkungen, die auch den Vergleich zum englischen Vorbildfilm beinhalten, nicht auslassen:
Analyse (2)
Es gibt eine Reihe von Unterschieden zwischen diesem Film und dem britischen Original. Zunächst einmal ist es der dritte einer Reihe von Filmen unter der Regie von Edwin S. Porter mit der Figur des Onkel Josh, gespielt von Charles Manley. Die anderen waren im Jahr 1900 Onkel Joshs Albtraum und Onkel Josh in einem gruseligen Hotel. Onkel Josh Weathersby war eine Figur, die auf der Bühne von Cal Stewart geschaffen wurde, der in einer mythischen Bauernstadt in Neuengland namens „Punkin Center“ lebte. Edison hatte mehrere Zylinder von Cal Stewarts sehr erfolgreichen Reden und Liedern aufgenommen, bevor er diese Filme produzierte.
Die Inszenierung von Porters Version unterscheidet sich ein wenig von der Version von 1901, mit einem etwas breiteren Rahmen, der eine Bühne mit einem Kasten auf der linken Seite und überlebensgroßen Figuren auf der Leinwand zeigt, während sie in der Version von 1901 lebensgroß sind. Porters Version enthält, zum Unterschied zum Film von 1901, einen Titel und drei Zwischentitel für die drei Filme innerhalb des Films. Der allgemeine Titel The Edison Projecting Kinetoscope ist eine Art Werbung für diese Innovation, die Edison kürzlich eingeführt hat, um die Kinetoscope-Salons zu ersetzen, nach dem Erfolg des Kinematographen der Lumière-Brüder.
Der zweite Film im Film ist eine klare Anspielung auf den Film der Brüder Lumière aus dem Jahr 1895, L’Arrivée d’un train en gare de La Ciotat (in den Vereinigten Staaten bekannt als The Arrival of a Train at La Ciotat Station, Arrival of a Train at La Ciotat oder The Arrival of the Mail Train, und im Vereinigten Königreich als Train Pulling into a Station) und die Panikreaktion, die er angeblich beim Publikum auslöste.
Porter verwendete eine Doppelbelichtung, um die Filme hinzuzufügen, nachdem er den Zuschauer neben einem schwarzen Hintergrund gefilmt hatte. [3] Dies ermöglichte es auch, im dritten Film, in dem er seinen Doppelgänger konfrontieren will, den gleichen Schauspieler als Zuschauer und Darsteller einzusetzen. Am Ende wird mit Stop-Motion der schwarze Hintergrund durch ein weißes Blatt ersetzt, das vom Zuschauer zerrissen wird.
Dieser Film und der britische Film, der ihn inspirierte, gelten als gefeiertes Dokument des Lernprozesses des Publikums in Bezug auf das Kino; Miriam Hansen sagte: „Die richtigen Beziehungen zwischen Zuschauer, Projektor und Leinwand, die eigentümlichen Dimensionen des filmischen Raums waren Teil einer kulturellen Praxis, die gelernt werden musste.“ [4]
Rezension Teil 2
Beim Springen oder Gehen von Film zu Film sehen wir natürlich auch die Entwicklung, die im Prinzip auch eine Art Ablehnung des Genieprinzips in Wissenschaft und Technik darstellt. Wir haben nun schon fast 15 Jahre Filmgeschichte hinter uns und mühen uns immer noch ab, Filme von zwei Minuten Länge hinzubekommen. Drei Sekunden, sechs, achtzehn, vierzig, eine Minute und fünfzehn, so geht es kontinuierlich voran. Mit diesem Tempo drohten die Amerikaner allerdings den Anschluss zu verlieren, besonders in Frankreich und Großbritannien war man sehr rührig dabei, die US-Filmer in den Schatten zu stellen, in Frankreich vor allem künstlerisch, im Vereinigten Königreich hinsichtlich der Zahl der Produktionen, die ja damals den Riesenmarkt des Weltreichs bespielen konnten, das wesentlich mehr Einwohner hatte als die USA.
Trotzdem verloren alle anderen Filmländer das Rennen ab den 1910ern deutlich, und ich verstehe auch den Sprung auf mehr als zehn Minuten, den der für Onkel Josh zuständige Edwin S. Porter im folgenden Jahr mit „Der große Eisenbahnraub“ vollziehen wird, auch als Auftakt für eine Entwicklung, die schon bald zu Filmen führen wird, die sogar länger sind als neuere Verfilmungen derselben Literatur.
Die Technik schritt aber auch 1902 wieder voran. In keinem älteren Film, den ich im Rahmen der dritten US-Chronologie gesichtet habe, sind so viele Tricks und Ideen verarbeitet worden, witzig ist der Film obendrein und entzaubert das Kino, das bereits in einem richtigen Saal stattzufinden scheint. Was mich überrascht hat: Dass der Projektor hinter der Leinwand steht. Das dürfte in der Realität nie so gewesen sein, denn das Bild wäre dann ja ziemlich schlecht gewesen. Möglich ist es, aber nicht sinnvoll. Ich vermute, man hat das so arrangiert, um einen Kameraschwenk in die andere Richtung vermeiden zu können, nämlich weit hinten im Saal, der in Wirklichkeit ein Filmstudio darstellt und in dem es gar kein „hinten“ gibt. Also erklärt man das Kino zwar gut, aber flunkert auch ein wenig. Nun ja, dass das Licht des Projektors aus der anderen Richtung kommt, werden die Zuschauer damals auch schon bemerkt haben, denn es gibt ja unverkennbare Anzeichen dafür, wo das Gerät steht, und es war damals auch vermutlich noch nicht immer durch eine Wand und einen eigenen Projektorraum vom Zuschauerbereich abgetrennt.
Finale
Die Reaktionen von Onkel Josh auf das Geschehen auf der Leinwand sind in der Handlungsangabe beschrieben. Am beeindruckendsten fand ich, dass man die Figuren teilweise größer auf die Leinwand projiziert hat, als Menschen tatsächlich sind, sodass Onkel Josh kleiner wirkt als sie; also schon ganz kino-like, auch wenn es sich nicht um Nahaufnahmen handelt. Nahaufnahmen waren damals durchaus bereits gefilmt worden, u. a. in „The Kiss“ (1896), um bei den von uns rezensierten Filmen zu bleiben.
Der amerikanische Film, daran muss man immer wieder erinnern, war um 1900 nicht State of the Art, sowohl in Frankreich als auch in Großbritannien schritt die Entwicklung des Kinos auf unterschiedlichen Pfaden schneller voran. Da wir uns mit der Film-Frühzeit dieser beiden Länder aber noch nicht befasst haben, können wir nur anhand von Bewertungen und der Höhe der Filmproduktion, der Länge der Filme etc. feststellen, dass das, was Filmhistoriker schreiben, wohl stimmen muss. Deswegen ist es nicht überraschend, dass Onkel Joshs Abenteuer im Kino die leicht verbesserte Version eines englischen Films aus dem Vorjahr ist.
Das Urheberrecht war damals noch sehr rudimentär, es war nicht einmal klar, ob man nur einzelne Bilder oder ganze Filme schützen lassen konnte, weil man Filme offenbar noch als laufende Bilder interpretiert hat –daher waren sowohl Raubkopien als auch unverblümte und unautorisierte Remakes eher die Regel als die Ausnahme. Dem Fortschritt beim Film hat das trotzdem gutgetan, ganz im Sinne der Piratenmentalität. Oder etwa nicht? Ich habe mich bereits in die Wikipedia-Dokumentation von „Der große Eisenbahnraub“, dem berühmtesten Film des Jahres 1903, eingelesen. Es stimmt sicher im Sinne der Entwicklung von Topen und der Erzählweise, aber weniger technisch-künstlerisch, zumindest auf das weitere Wirken von Edwin S. Porter bezogen, der für Uncle Josh und für den „ersten Western“ verantwortlich ist. So, wie „Uncle Josh“ aber auf einer Vorlage basiert, ist nach heutigem wissenschaftlichen Stand auch „The Great Train Robbery“ nicht der erste Western gewesen, sondern lediglich der Western mit der bisher längsten und abwechslungsreichsten Handlung und war der erfolgreichste Film überhaut bis 1905. Immerhin. Man kann nicht alles haben, das merkt auch Onkel Josh, als er am Ende versucht, in die Prügelei der Farmersleute auf der Leinwand einzusteigen und sie daraufhin zerreißt.
68/100
© 2024 Der Wahlberliner, Thomas Hocke
| Regie | Edwin S. Porter |
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| Besetzung | |
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[1] Uncle Josh at the Moving Picture Show – Wikipedia
[2] Onkel Josh bei der Moving Picture Show – Wikipedia
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