Crimetime 1252 – Titelbild © NDR
Blaues Blut ist ein Fernsehfilm aus der Kriminalreihe Tatort der ARD und des ORF. Der Film wurde vom Norddeutschen Rundfunk unter der Regie von Helmut Förnbacher produziert und am 9. Januar 2000 erstmals ausgestrahlt. Es handelt sich um die 433. Tatort-Folge. Für den Kriminalhauptkommissar Paul Stoever (Manfred Krug) ist es der 38. Fall und für seinen Kollegen Peter Brockmöller (Charles Brauer) der 35. Fall, in dem er ermittelt.
Nach langer Zeit wieder einmal Neues von Stoever und Brockmöller. Ein bisher nicht rezensierter Tatort aus deren Spätphase. Also ein Juwel? Die beiden Charakterköppe sind schon an sich Juwelen. Aber dadurch, dass ich jetzt längere Zeit keine persönliche Premiere mehr mit ihnen hatte, habe ich mich auch etwas entfernt, Menschen sind leider mit diesem Treuelos-Gen ausgestattet: aus den Augen, aus dem Sinn. Manfred Krug hatte ich zuletzt in „Spur der Steine“ gesehen und darüber für die FilmAnthologie des Wahlberliners geschrieben
Anmerkung anlässlich der Veröffentlichung des Textes im Jahr 2024: Die Rezension ist auf dem Filmfest des „zweiten“ Wahlberliners noch nicht gezeigt worden. Aus heutiger Sicht ist auch zu beachten, dass es sich bei dem Film um einen „Spät-Stoever-Brockmöller“ handelt, 2001 beendeten die beiden ihre Tätigkeit als Team, weil Manfred Krug aus der Reihe aussteigen wollte. Was mir erst kürzlich bekannt wurde: 1997 hatte er einen Schlaganfall. Der 433. Tatort ist von einigen typischen Manierismen der späten Zeit des Hamburger Duos geprägt, wie dem gemeinsam jazzige Musik machen, der Einbindung besonderer Milieus, Promis, wie hier mit dem Modeschöpfer Rudolph Moshammer, besonderen Mitwirkenden wie Inge Meysel oder dem luxuriösen 7er-BMW als Dienstfahrzeug.
Handllung
In ihrem neuesten Fall gibt der Mord an einer jungen Fernsehjournalistin Stoever und Brockmöller ein Rätsel auf. Musste Anette Bille sterben, weil sie ein hochprofitables Show-Konzept der Konkurrenz verkaufen wollte? Unter Verdacht gerät schnell Horst Bille, der Ehemann der Toten, der zugleich auch Teilhaber der gemeinsamen Firma ist. Der skrupellose Produzent scheint ein Mann zu sein, der bereit ist, über Leichen zu gehen.
Eine andere heiße Spur führt Stoever und Brockmöller in die allerhöchsten gesellschaftlichen Kreise – den Adel. Wie die Kommissare herausfinden, war das Mordopfer die Geliebte des Grafen Ehrenfried, einem Schönach und Ratau. Als Stoever und Brockmöller erfahren, dass Anette Bille schwanger war, bekommt der Fall eine neue Dimension. Sollte sie sterben, weil sie nicht Mutter des Grafenkindes werden durfte? Ehrenfrieds Ehefrau Reingard und sein Vater, Altgraf Sigbert, machen kein Hehl daraus, dass ihnen der Tod von Anette gelegen kommt.
Für Stoever gilt es unter den Blaublütigen ein Geflecht von Intrigen, Eifersucht und Verrat zu entwirren. Als Ferdinand, der Neffe von Ehrenfried und zukünftige Chef des Familienclans, immer mehr ins Visier der Kommissare gerät, nimmt der Fall plötzlich eine überraschende Wendung. Stoever und Brockmöller beschließen, dem Mörder eine Falle zu stellen.
Rezension
Durch die recht große Distanz zu den Alt-Hamburger-Tatorten kam es wohl auch, dass ich diesen ganz ohne „Juhu, wieder einer fürs Peter & Paul-Schatzkästlein!“-Feeling angeschaut habe und feststellte, dass er flach wie eine Flunder geraten ist. Da passt es wunderbar, dass dieses Ermittlerduo den damals aktuellen 7er BMW-fahren darf und damit seine Sonderstellung dokumentiert, der sieht ja auch ziemlich flach aus, verglichen mit den gebangelten Nachfolgern, die wirklich ein Schlag ins Gesicht jedes Ästheten waren. Aber das ist eben Ausdruck ihrer Sonderrolle, dass sie als einzige Ermittler einen Wagen der Luxusklasse fahren dürfen. Gottseidank haben sie dieses Mal kein Keyboard dabei, um des Nächtens beim Observieren im Auto für ihre Musikvorträge zu üben. Dafür aber wird mehrmals Zarah Leanders „Kann den Liebe Sünde sein“ vorgetragen, und einmal sieht man die beiden damit sogar beim Hamburger Polizeifest und in den alten, grünen Uniformen, in denen sie recht seltsam aussehen. Ausweislich ihres Vortrags können sie also nicht nur Lieder aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg, wie Stoever behauptet, sondern auch welche aus der Nazi-Zeit (der Film „der Blaufuchs“ und das in ihm uraufgeführte Lied entstanden 1938).
Passt das Lied zum Plot? Abgesehen davon, dass es mindestens drei Fremdgeher gibt, aber am Schluss im Zweifel steht, ob auch nur eine wahre Liebe dabei ist, kommt‘s mir mir etwas weit hergeholt vor. Da hätte es bezüglichere Texte gegeben. Auch aus der klassischen Zeit des deutschen Filmschlagers. Über die Interpretation seitens der beiden Swinging Cops will ich keine ganze Seite schreiben, aber die beiden haben mit z. B. als Duo am Klavier in ihren Entertainer-Rollen schon besser gefallen.
All diese Manierismen, das große Auto, die Lieder, Stoevers bunte Anzüge und Krawatten, Brockis Lederjacke, auch die BLÖD-Zeitung, haben sich in langen Jahren herausgebildet, aber es ist schon erstaunlich, dass die Hamburger in 16 Jahren weitaus mehr von diesen Elementen in ihren Tatorten unterbrachten als nach 25 Jahren die heutigen Ermittler aus München oder Ludwigshafen. Daran merkt man, dass vor allem Manfred Krug ein Star ist, und wohl auch, dass beim NDR die Stars nicht nur der aktuellen Generation mehr Einfluss haben auf das, was sie dem Publikum übermitteln dürfen, als bei anderen ARD-Sendern, die weitaus mehr an Originalkonzepten festhalten. Dass Brockmöller etwas später inzukam, ist hingegen nicht ungewöhnlich, viele Ermittler erhielten im Lauf der Zeit eine(n) Co, gleichwohl war es in dieser das Team stark verändernden Form damals neu, später zu sehen bei Odenthal-Kopper oder Eisner-Fellner.
Durch den hohen Wiedererkennungswert der Figuren hat man immer etwas Nettes zum Anschauen, auch wenn die Fälle hochgradig konstruiert und schlecht ausgeführt sind. So, wie „Blaues Blut“. Dieser Whodunit überholt sich am Ende selbst. Es war für den Normalzuschauer nicht zu erahnen, dass der Täter der adoptierte Adelige war, und das gleich aus zwei Gründen: Zum einen wird die Verlobung mit der Ermordeten viel zu spät und vollkommen überraschend lanciert, mithin gegen den Vertrag Zuschauer-Drehbuchautor verstoßen, wie er beim Ratekrimi gilt: Zuschauer kann nicht richtig raten, weil es keinerlei Indizien gibt, die auf eine bestimmte Person als Täter hinweisen; und dann taucht er auch noch auf dem Parkdeck auf, dazu als mit dem lädierten alten Golf Cabrio des Jung-Adeligen, obwohl er nach allem, was uns an Informationen zur Verfügung gestellt wurde, nicht wissen kann, wo die Fernsehfrau wann gerade filmt. Dass sie sich verfolgt fühlt, ich glaube, einen solchen Satz gibt es, reicht nicht aus, schon gar nicht in Kombination damit, dass ein Geschäftsmann sich dazu eines Autos bedient, das für seine Verhältnisse unpassend ist und dessen Besitzer er im Handlungserlauf erst kennenlernt, als die Frau sich längst in unsichere Gewässer begeben hat. Es gibt hingegen keine aktuelle Verbindung zwischen dem Studio, der Frau, dem Ex-Verlobten, die uns offengelegt wird. Das ist eine der schwächsten Auflösungen, die ich seit langem gesehen habe.
Aber es gibt ja noch den Adels-Aspekt, die Milieuzeichnung. Auch wenn der Auftritt von Inge Meysel und Rudolph Moshammer nebst Yorkshire-Terrier-Hündin Daisy spektakulär ist, passt vor allem Letzterer doch eher zur Münchener Schickeria als zu hanseatischem Adel, führt aber nicht zu Punktabzügen. Eher schon die larmoyante Darstellung ebenjenes Milieus.
Mein man im Leben zwei, drei Adelige kennengelernt hat, denkt man vor allem: Da ist zwar was dran, aber sie kriegen es nicht zu fassen, in diesem Film. Da wir so tief gezielt und dann danebengeschossen, wie es Sigbert am Schluss gottseidank nicht getan hat. Klar ist das Anspruchsdenken in diesen Kreisen größer als das persönliche Potenzial, das liegt aber an den hohen Ansprüchen, nicht daran, dass die Leute gegenüber Nicht-Adeligen abfallen würden. Dass alle nur mit Wasser kochen, Guttenberg hat‘s bewiesen. Die Relation wirkt eben heutzutage etwas gewagt, die Selbstverortung und das, was die Gesellschaft von ihnen wahrnimmt, gehen sicher nicht immer ganz konform. Trotzdem haben diese Familien weiterhin großen Einfluss, weil sie untereinander hervorragend und in die Wirtschaft hinein immer noch sehr gut vernetzt sind. Das alles aber zeigt der Film überhaupt nicht, sondern präsentiert eine sehr abgeschlossen wirkende Einzelfamilie voller Typen, die es auch als Geldadel oder im gehobenen Mittelstand geben könnte.
Und diese Hausgesetze bei der Erbfolge, die so ausführlich dargestellt werden, werden nicht einmal in Relation zum BGB-Erbrecht gesetzt, das nicht dispositiv ist. Anders ausgedrückt: Sicher kann ein Ahnherr seine Nachfolger bestimmen, aber einzelne Erben komplett übergehen, ist nicht möglich, es sei denn, er kann sie unter den Voraussetzungen des BGB enterben. Da müssen sie sich aber einiges zuschulden kommen lassen. Die Motivlage für den Täter in „Blaues Blut“ kommt also, zumindest die finanzielle Seite der Erbansprüche betreffend, zu all dem noch in Schieflage, bezüglich seines Ranges gibt es kein Motiv, weil er gemäß Hausgesetzen wohl sowieso nicht zum neuen Familienvorstand berufen worden wäre. Dann wird noch ein wenig Nazi-Vergangenheit eingestreut, wie es sich für einen NDR-Tatort und einen Stoever-Tatort gehört, obwohl die Idee absurd ist. Die Adelshäuser sind gut genug dokumentiert, Bilddokumente meist nicht nur in einem Privatalbum eines Bediensteten (!) verschlossen, das aussieht wie gerade erst fertig geworden, dass man sich als glühender NS-Anhänger nicht einfach in die Nähe der Widerständler des 20. Juni 1944 rücken kann – von denen einige ebenfalls anfänglich Hitler-Fans waren und erst die wirklich miserable Lage, in die er Deutschland gebracht hatte, bewog sie zum Umdenken. Bei anhaltendem militärischem Erfolg hätte es aus diesen Kreisen wohl kaum ein Attentat auf Hitler gegeben.
Das alles streift der Film bloß, um Zeit zu füllen, um seine Pflicht zu erfüllen, also den politischen Auftrag, aber es wirkt substanzlos. Selbst die Namen in der gräflichen Familie sind krude. Ehrenfried und Reingard, das entfremdete, kinderlose Paar, schon klar. Dass die Adeligen ihren Kindern zeitlose, klassische Namen aus der Antike oder aus der Zeit Friedrichs des Großen geben, dass daher Friedriche, Sophien und Charlotten, Konstantine und Alexandras beliebt sind, weiß man und es hat wohlerwogene Gründe. Einen Kevin und eine Cindy von und zu Graf Dingsbums wird man zu vermeiden wissen – aber so schräg wie hier dargestellt sind die Adeligen in der Regel nicht drauf. Und es geht ja um Exemplarisches, nicht um Ausnahmen innerhalb eines Nach-wie-vor-Ausnahme-Milieus. Wenn der Film nicht so zentral in diesem Milieu angesiedelt wäre, würde ich mich darüber nicht auslassen. Die Münster-Variante, die das alles immer nur andeutet, nie zu spezifisch und daher nie bei so falschen Tönen erwischt wird, sondern bei der in prononcierten Andeutungen viel Satire drinsteckt, die ziehe ich einer so hölzern-ironischen Adelsdarstellung, die dann doch immer wieder ins Kitschig-Seichte abgeleitet, eindeutig vor. Was in Münster immer so herrliche Szenen ergibt, nämlich das große Charity-Event als Höhepunkt der Satiresaison, das bei den noch bewusst und im Alltag traditionsorientierten Adeligen und deren Lebensstil eine wichtige Rolle spielt, kommt in „Blaues Blut“, wohl mangels Budget, gar nicht erst vor. Eine einzige solche Szene, gut ausgearbeitet, hätte viele langweilige Moment des Films erspart.
Die Titelsucht der Nicht-Adeligen ist marginal besser dargestellt und Moshammer gibt hier den Konsul Weyer, aber ein rundes Bild entsteht dadurch noch lange nicht.
Finale
Auch das Ermittler-Duo hat mir schon besser gefallen. Stoever, also Krug, domininiert hier Brockmöller so klar, dass der beinahe ängstlich wirkt. Dabei scheint mehr als in vielen anderen Filmen durch, dass Krug wohl wirklich gegenüber Brauer der stark dominierende Charakter in diesem Duo war. Man kann das mit Schauspielerführung und einem entsprechenden Drehbuch mindern, aber alles in „Blaues Blut“ wirkt einfach nicht so elaboriert, so inszenierungsstark, sondern eher hohlklangig und plotschwach.
Trotzdem muss ich eine Aussage vom Beginn des Textes relativieren. „Blaues Blut“ war für mich ein Titel, der auf einen Ehrlicher / Kain-Fall hindeutet. Und obwohl ich die beiden mittlerweile schätze, hab ich mich erst einmal gefreut, dass es stattdessen ein HH-Tatort mit Peter und Paul ist.
Es gibt sie also, die gewissen Unterschiede, auch wenn sie nicht statisch sind.
5,5/10
© 2024 Der Wahlberliner, Thomas Hocke (Entwurf 2016)
Kursiv, tabellarisch. Wikipedia
| Regie | Helmut Förnbacher |
|---|---|
| Drehbuch | Raimund Weber |
| Produktion | Doris J. Heinze |
| Musik | Klaus Doldinger |
| Kamera | Hartwig Strobel |
| Schnitt | Wiebke Koester |
| Premiere | 9. Jan. 2000 auf Das Erste |
| Besetzung | |
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