Briefing Umfrage, Gesellschaft, Wirtschaft, Renteneintrittsalter, länger arbeiten, Prämien, Anreize, Strafen, niedrige Renten, Steuerfreiheit, Beitragsfreiheit, Lebensarbeitszeit
Auch Sie werden einmal in Rente gehen oder sind schon dort angelangt. Für diejenigen, die es „hinter sich haben“, das Arbeitsleben, ist die folgende Umfrage vielleicht nicht mehr ganz so wichtig, was aber nicht bedeutet, dass man sich zu dem Thema keine Meinung bilden darf.
Zuletzt hatten wir uns mit dem Thema Renteneintrittsalter anhand einer Umfrage hier auseinandergesetzt.
Begleittext von Civey
Nach geltender Rechtslage wird die Altersgrenze für die Rente ohne Abschläge bis 2029 schrittweise von 65 auf 67 Jahre angehoben. Ein früherer Renteneintritt ist dennoch aktuell noch möglich, meist verbunden mit Abschlägen. Angesichts des Personalmangels diskutieren Politik und Wirtschaft verstärkt darüber, wie Menschen länger im Arbeitsleben gehalten werden können. Einen Vorschlag machte CDU-Chef Friedrich Merz am Wochenende beim Deutschlandtag der Jungen Union in Halle. Er plädierte dafür, Anreize für einen frühen Renteneintritt zu senken. Stattdessen sollten Anreize für diejenigen geschaffen werden, die freiwillig länger arbeiten.
Die Bundesregierung hat dieses Jahr bereits Vorschläge unterbreitet, um Menschen zu motivieren, mehr und länger zu arbeiten. In ihrer im Sommer verabschiedeten Wachstumsinitiative sind steuerfreie Überstunden oder Prämien für die Weiterarbeit über das Renteneintrittsalter hinaus vorgesehen. Die vom Arbeitgeber gezahlten Zuschläge für Mehrarbeit, die über die tariflich vereinbarte Vollzeitarbeit hinausgehen, könnten dann laut ZDF steuer- und beitragsfrei gestellt werden. Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) betonte damals laut Ärzteblatt, dass solche Anreize nötig seien, um die Fachkräftelücke zu schließen und den Arbeitsmarkt zu stärken.
Gleichzeitig gibt es Kritik an der Verlängerung der Lebensarbeitszeit, da dies für viele ältere Beschäftigte mit einer starken gesundheitlichen Belastung einhergeht. Der ehemalige Linkenchef Martin Schirdewan mahnte zuletzt im Mai in einer Pressemitteilung an, dass Menschen in körperlich anstrengenden Berufen oft gar nicht bis zur Altersgrenze arbeiten können. Die Linke setzt sich im aktuellen Parteiprogramm für eine abschlagsfreie Rente ab 65 ein, sowie mit 60 Jahren nach 40 Beitragsjahren. Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) äußerte laut Ärzteblatt ebenfalls Bedenken gegenüber steuerlichen Anreizen, da diese gesellschaftlichen Zündstoff bergen würden.
Kommentar
Wie sie in der CDU eben sind. Natürlich nicht nur Anreize, sondern auch Strafen, wenn jemand nicht bis zum Umfallen arbeiten will oder kann. An dem Wochenende, bei der Jungen Union, haben die Scharfmacher in der CDU sich sicherlich nicht über die Arbeitsunwilligkeit der Generation Z beklagt, sondern darüber, dass die Älteren irgendwann einmal in Rente gehen möchten. Wie’s eben passt, im Zeitalter des Populismus. Aber gegen die Armen wurde wieder gehetzt, das haben wir so am Rande mitbekommen.
Was da wieder einmal in den Raum gestellt wird, wird nach unserer Ansicht unter anderem zum Anstieg von Verrentungen wegen Erwerbsminderung führen, was höhere Rentenzahlungen bewirkt als bei einer „Normalrente“. Hier handelt es sich nicht um Kleinigkeiten, alle drei Gruppen, die Erwerbsminderungs- oder -unfähigkeitsrente (volle Erwerbsminderungsrente) beziehen, summieren sich auf 3,5 Millionen Personen. Auch uns hat diese hohe Zahl überrascht, was sie nicht hätte tun sollen, denn wir kennen mehrere Menschen, die in diesem Status sind. Wir hatten sie nicht für dergestalt repräsentativ oder doch „weitverbreitet“ gehalten.
Wir halten auch Robert Habecks Idee, die nur auf Anreize setzt, nicht für den richtigen Weg. Akkordarbeit finanziell zu prämieren, ist in Deutschland aus guten Gründen verboten (jemand bekommt, je mehr er in einem bestimmten Zeitraum schafft, entsprechend höhere Bezüge; damit ist vor allem die Produktion gemeint, nicht der Vertrieb, hier handelt es sich um Erfolgsprämien).
Aber alte Menschen sollen mit Privilegien für zeitliche und sachliche Überarbeit zu Anstrengungen gelockt werden, die selbst Junge in der Regel nicht schaffen oder schaffen sollen, deswegen werden offiziell abgerechnete Überstunden auch nicht höher vergütet als das, was innerhalb der vertraglich vereinbarten Arbeitszeit geleistet wird. Das ist in einer Zeit, in der man mit 65 schon als Frührentner gilt, die falsche Methode, Menschen, die dann über 67 sind, zu noch mehr Arbeit zu treiben. Im Anschluss erhalten Sie zum Dank auch noch die berüchtigten niedrigen deutschen Renten, selbst wenn die Mehrarbeit in Rentenpunkte umgesetzt wird.
Das formale Renteneintrittsalter in Deutschland wurde schon auf 67 Jahre angehoben, das reale steigt mit, die Frühverrentungen sinken. Das ist erstaunlich, wenn man bedenkt, wie in diesem überpowerten und unterbesetzten System die Menschen auf Verschleiß arbeiten. Manchmal wird es die pure materielle Not sein, weswegen sie sich weiter zur Arbeit schleppen, anstatt einen würdevollen Lebensabend genießen zu können. Mindestens drei rechte Parteien arbeiten aktiv daran, dass die Ruhestandszeit immer kürzer wird, sodass das Rentensystem nicht etwa durch mehr Einzahlung seitens Privilegierter stabilisiert wird, sondern dadurch, dass kaum noch jemand das Rentenalter erreicht.
Die Rente ist aber immer noch nicht sicher, wie die jüngsten Diskussionen und Rentenpakete belegen, deren Ergebnis ja kein Fortschritt, sondern der krampfhafte Versuch ist, das Rentenniveau nicht noch weiter absenken zu lassen. Natürlich, es zahlen zu wenige ein, unsere Generation und alle ihr nachfolgenden hat zu wenig Kinder hervorgebracht. Das ist aber nur die halbe Wahrheit, denn in anderen Ländern mit ähnlicher Demografie funktioniert das System sehr wohl. Weil es gerechter gehandhabt wird und Einzahlungen generell anders organisiert sind, zum Beispiel nicht nach einem Umlageprinzip, das einen funktionierenden Generationenvertrag voraussetzt, den es in Deutschland schon lange nicht mehr gibt.
Und wieder einmal werden Fehler der Politik und auch der Unternehmen auf die Bevölkerung abgewälzt. Der Mangel an Personal hat etwas mit den Arbeitsbedingungen zu tun, das steht für uns außer Frage. Gerade unsere Einblicke in den Öffentlichen Dienst und ins Gesundheitswesen lassen gar keinen anderen Schluss zu. Gerade im „systemrelevanten“ Bereich sind viele Menschen jetzt schon überarbeitet.
Und wieder einmal keine Strategie, die langfristig die Erhaltung wichtiger Leistungen sichert, sondern Flickschusterei zulasten der Mehrheit in diesem Land. Denn die Jungen werden nicht mehr dadurch, dass die Alten sich vom Ruhestand verabschieden. Vielmehr versucht man, Menschen, deren Belastbarkeit und deren kognitive Fähigkeiten allmählich absinken, noch in Mehrarbeit zu treiben. Wir schreiben es ungern, aber das wird auch die Fehleranfälligkeit erhöhen, falls es sich um Arbeit handelt, die nicht überwiegend auf Erfahrungswissen beruht, sondern ständige Konzentration, hohe Reaktivität und Auffassungsgabe und volle Fitness erfordert. In diesen Bereichen ist man mit Mitte 60 nicht mehr so gut wie mit 20 oder auch 40. Wir sehen da mehr als nur eine Form von Generationenkonflikt voraus, wir sehen auch ein weiteres Absinken der ohnehin in vielen Bereichen miserablen Qualität staatlicher und privater Dienstleistungen, wenn Menschen länger arbeiten müssen, als ihre Fähigkeiten es erlauben oder sich das sogar freiwillig antun, weil wie durch die niedrigen Renten unter Druck gesetzt werden.
Auch auf diesem Gebiet wird, ohne dass es irgendwen zu stören scheint, gegen Art. 1 des Grundgesetzes, Menschenwürde, Politik gemacht. Das alles müsste bei einer strategischen und gerechteren Politik nicht sein, aber wir werden vermutlich längst in Rente sein, bis sich mal wirklich wieder etwas zugunsten der Menschen ändert. Ach nein, das ist zu positiv gedacht.
TH
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