Das Mädchen Marion (DE 1956) #Filmfest 1191

Filmfest 1191 Cinema

Die melodramatische Immenhof-Variante

Das Mädchen Marion (früherer Kinotitel war Preis der Nationen) ist ein deutsches Filmmelodram aus dem Jahr 1956.

Ursprünglich hieß dieser Pferde-, Vertreibungs- und Liebesfilm „Preis der Nationen“ und wurde in offensichtlicher Anlehnung an „Das Mädchen Rosemarie“ später umbenannt. Inhaltlich ist er aber das beinahe genaue Gegenteil des zwei Jahre später entstandenen, für deutsche Verhältnisse der 50er avantgardistischen und sozialkritischen Films von Rolf Thiele.

Handlung (3)

Das Mädchen Marion von Hoff lebt mit ihrer verwitweten Mutter Vera auf dem heimischen Gut in Ostpreußen. Als das Gestüt Trakehnen im Kriegswinter 1944/1945 evakuiert wird, kehrt Gestütsoberwärter Kalweit in Begleitung seiner Männer und vieler wertvoller Trakehner– Stuten auf dem Gut der von Hoffs ein. Kalweit überredet Vera von Hoff das Gut zu verlassen und in Richtung Westen zu fliehen. Bevor Kalweit aufgrund der Fluchtstrapazen stirbt und der Treck weiterzieht, vertraut er dem Mädchen Marion das neugeborene Trakehner-Fohlen Prusso an, dem Kalweit abstammungsmäßig eine glänzende sportliche Zukunft voraussagt.

Schweren Herzens verlassen Mutter und Tochter das heimische Gut und flüchten, die wichtigsten Erinnerungsstücke in einem Planwagen verstaut, mit dem Fohlen gegen Ende des Zweiten Weltkrieges. Nach vielen Abweisungen werden sie schließlich auf einen Bauernhof der Frau Buddensiek in Niedersachsen aufgenommen. Als der Tierarzt Dr. Peter Meining dort verhindert, dass der, inzwischen zu einem stattlichen Pferd herangewachsene, Prusso gestohlen wird, verliebt sich Marion in ihn, bemerkt dabei aber nicht, das Meinings Interesse nicht ihr, sondern Ihrer Mutter gilt.

Eines Tages helfen Vera und der Tierarzt gemeinsam einem Fohlen auf die Welt. Das Erlebnis bringt Meining dazu, Vera seine Absichten zu erklären. Sie vertröstet ihn auf später, um ihre verliebte Tochter nicht zu kränken.

Beim ersten Turnierstart im Springreiten führt Meining das Tier. Er legt ein schnelles Tempo vor und stürzt schwer. Vera kümmert sich um ihn, während Marion das Pferd einfängt. Zufällig blickt sie durch ein Fenster und bekommt mit, welch inniges Verhältnis Vera von Hoff und Dr. Peter Meining inzwischen pflegen. In ihrer Verzweiflung geht sie ins Wasser, kann aber zu gut schwimmen und wird schließlich ohnmächtig wieder ans Ufer getrieben.

Das Verhältnis von Mutter und Tochter ist danach eine Weile sehr belastet. Prusso ist inzwischen so positiv aufgefallen, dass der Hengst in die Nationalmannschaft aufgenommen werden soll. Im Trainingszentrum Eberslohe soll Prusso auf seine zukünftigen Aufgaben vorbereitet werden. Widerwillig nimmt Marion das Angebot an und stellt das Pferd dem Trainer Günther Legler vor. Dieser geht nach Marions Ansicht viel zu hart mit Prusso um, so dass es zu verschiedenen Zerwürfnissen zwischen den beiden kommt. Die mehrfache Androhung der Abreise kann Marion allerdings nicht umsetzen, da ihre Mutter als Eigentümerin des Pferdes, die Trainingsbedingungen unterschrieben hat. Schließlich muss Marion sich mit der Situation arrangieren und tatsächlich tritt eine Verbesserung des Verhältnisses zu dem selbstbewussten Legler ein, der von Anfang an überzeugt ist Marion „zähmen“ zu können.

Auf dem Reiterball am Abend vor der Teilnahme Leglers mit Prusso am Preis der Nationen tanzt Marion mit Günther Legler, als Ihre Mutter und der Tierarzt Dr. Meining in den Saal eintreten. Marion freut sich unbändig ihre Mutter wiederzusehen und verzeiht ihr das Verschweigen des Verhältnisses zu Dr. Meining.

Mit dem Trakehner-Wahlspruch „Zeig deinen Mut, Trakehnerblut.“ schickt Marion schließlich ihr Pferd und ihren neuen Schwarm erfolgreich in die Prüfung des Nationenpreises, die Prusso und Legler in einem spannenden Zeitstechen gegen Berndella und Leutnant Ortega gewinnen.

Rezension

Wolfgang Schleif, der Regisseur von „Das Mädchen Marion“, ist tatsächlich und einerseits bekannt als Pferdespezialist, von ihm stammt auch der erste Film der Immenhof-Trilogie („Die Mädels vom Immenhof“, ein Jahr vor „Das Mädchen Marion“ entstanden).

Auch auf Immenhof kommt die Vertreibung der Deutschen aus den früheren Ostgebieten vor, aber insgesamt ist dieser Film mit Heidi Brühl und Angelika Meissner-Völker ein Stück Nostalgie der 50er, das man sich auch heute noch an einem Sonntagnachmittag anschauen kann. Zumindest als Pferdeliebhaber(in). „Das Mädchen Marion“ hingegen ist ein ziemlich dramatisch inszeniertes Melodram mit Happy-End und einer der reaktionärsten Filme seiner Zeit – aus mehreren Gründen.

Darstellung der Vertreibung

Die Eingangszene im Schneesturm erinnert an „So weit die Füße tragen“, der ein Straßenfeger war, zu einer Zeit, als das Thema Ostfront und Kriegsgefangene noch sehr präsent war – und sogar ein wenig an den einsamen Marsch durch die Kälte in „Doktor Schiwago“, ist aber in Schwarzweiß gefilmt. Wie die Pferdemänner die Trakehner durch den Winter führen und der Bereiter Kalweit sein Leben lässt, weil er das Fohlen Prusso mit letzten Kräften durch den Schnee trägt, ist Heldenkientopp und weist schon auf ein Hauptmerkmal des Filmes hin. Prusso wird natürlich gerettet und später unter Marion von Hoffs Hand (gespielt wird das Mädchen von Brigitte Grothum) zu einem berühmten Turnierpferd im Springreiten (1).

Die Pferdemenschen kommen aus dem östlichen Nichts und machen Station auf dem Gut der von  Hoffs, wo Marion den Hengst kennenlernt, der ihr Leben bestimmen wird. Die von Hoffs ziehen schließlich mit nach Westen und dort verliert und vereinzelt man sich. Sie finden eine Bleibe an einem Hof in Niedersachsen. Typisches Vertriebenenschicksal.

Dass die Vertreibung der im Osten ansässigen Deutschen individuelles Unrecht war, ist eine Sache, aber die Gutsherrin Vera von Hoff (Winnie Markus) sagen zu lassen, man begreife sowieso nicht, warum das alles, aber es muss eben sein, ist typische „wir haben von allem nichts gewusst und schon gar nicht bei etwas Bösem mitgemacht“-Attitüde der 50er Jahre.

Sich der Geschichte zu stellen und klarzustellen, dass die Vertreibung eine direkte Folge der deutschen Expansionspolitik unter Hitler war und dass die Deutschen hätten wissen können, was sie sich mit ihm einhandelten, wenn sie etwas genauer hingeschaut hätten und was es bedeuten kann, ihm beidngungslos zu folgen, wird komplett ausgeblendet. Erst in den Jahren ab etwa 1958 wird mit diesem Thema aufrichtiger umgegangen.

Als sei es ein unabwendbares, bar jeder Erklärung stattfindendes Naturereignis und nicht eine Kausalkette, welche die Deutschen selbst in Gang gesetzt hatten, erscheint die Vertreibung hier wie eine riesige schwarze Wolke über dem Schicksal der Nation, von einem Wind herbeigetrieben, dessen Herkunft niemand zu kennen scheint. In diesem Sinn ist „Das Mädchen Marion“ noch ganz in der Tradition etwa von „Grün ist die Heide“ (1951), in dem ein entwurzelter Gutsherr im Lüneburger Heideland zum Wilderer wird, weil er den Verlust der Heimat nicht verkraften kann. Aber es gibt gerade zu diesem bekannten Film mit dem Traumpaar Sonja Ziemann und Rudolf Prack, der ein Kassenschlager in zur Heide passendem, grünstichigen Agfacolor war, auch deutliche Unterschiede.

Die uralten deutschen Tugenden

Einer davon liegt in der Art, wie die Vertriebenen mit ihrem Schicksal umgehen. Obwohl die Vertreibung dieses Mal direkt gezeigt und nicht nur erzählt wird wird – man sieht den Gutshof der von Hoffs, der nun verlassen werden muss, mit all seiner bodenständigen Eleganz und all dem, was nun der russischen Barbarei anheimfallen wird – gehen die Vertriebenen anders mit ihrem Schicksal um.

Diszipliniert und tüchtig arbeitet Vera von Hoff auf dem Bauernhof der Buddensiecks in Niedersachsen und wird eine tüchtige Weberin (!). Auch ihre ungezähmte Tochter macht sich auf diese Weise nützlich. Es wird nicht geklagt und wenig getrauert.

Wir waren erstaunt, wie rau und auch roh dieser Film teilweise ist. Da wird ungerührt und mehr als in den Filmen der Nazizeit das Lied von der deutschen Disziplin in allen Tonlagen gesungen und Polen treten nur als eines auf – als Pferdediebe. Man könnte jetzt lästern, die entwendeten Mobilitätsmittel haben sich im Lauf der Zeit nur ebenjener Zeit angepasst, aber das ist ja auch schon lange wieder vorbei. 1956 jedenfalls war es herb und ein ganz deutlicher Appell an niedere Instinkte, die Ostnachbarn nur als Gauner zu zeigen. Kein Wunder bei solchen Filmen, dass diese Klischees von den Untermenschen östlich der Reichsgrenze oder auch im Reich, wo sie den Herrenmenschen wie der blonden Frau von Hoff zu dienen hatten, nicht totzukriegen sind.

Dass zumindest die Macher von „Das Mädchen Marion“ aus dem Zweiten Weltkrieg nichts gelernt hatten, wird schon an diesem Teil des Figurentableaus deutlich sichtbar.

Es zieht sich weiter durch den Film, in dem Emotionalität und Mitgefühl immer wieder der Disziplin und der Härte untergeordnet werden müssen. Also ist es richtig, dass Marion am Ende von einem richtigen Urmacho gezähmt wird, dargestellt von Dietmar Schönherr, seines Zeichens Springreiter. Die Allegorie der Behandlung des Hengstes Prusso mit der Peitsche und der Einnordung seiner tierlieben Besitzerin ist offensichtlich, und damit’s auch der Letzte versteht, darf der Herrenreiter das dann wörtlich zum Ausdruck bringen.

Das meinen wohl viele Kurzbeschreibungen des Films mit starker Regie (eine ausführliche Kritik zum Film haben wir nicht gefunden), dieses für die im Film eher sanften deutschen Nachkriegsverhältnise sehr Strikte. Alle Figuren haben so etwas Knorriges – das wirkt gar nicht uninteressant, weil es einem heute so abweichend vorkommt und so unreflektiert ist, doch ein Mann kann man dem Moment etwas abgewinnen, in dem Marion am Ende ihren Meister findet. Alle Urinstinkte, die vierzig Jahre Sozialpädagogik verschütten wollen, kommen wieder hoch, wenn man nicht aufpasst.

1956 aber konnte man nicht von einer Art Erinnerung an ferne Konventionen und Rollenverteilungen sprechen, da hätte etwas mehr Dezenz auch in diesem Film gut getan. Der Unterschied zu dem melancholischen Vertriebenen-Milieu etwa von „Grün ist die Heide“ ist aber auch durch etwas anderes bedingt.

Fünf Jahre später war Deutschland schon Fußball-Weltmeister und drauf und dran, sich wirtschaftlich dank eben jener berühmten Tugenden, die im Film gepriesen werden, neuerlich zu Großmacht emporzuarbeiten – einer wirtschaftlichen. Auch wenn es nicht direkt erwähnt wird und die Nebenwirkungen des Erfolges nicht ansatzweise beleuchtet werden (der Film spielt im Wesentlichen in den Jahren 1944-1948, also vor der Zeit des einsetzenden Wohlstandes), man spürt deutlich den alten Stolz und auch die alte Überheblichkeit. Wäre es so weiter gelaufen, hätte man befürchten müssen, es hätte sich niemals etwas geändert. Doch etwa 10 Jahre später kam die Schockwelle dann über eine Gesellschaft von alten Männern, die sich, nicht ohne Vorwarnungen, gleichwohl nicht vorbereitet einer Generation von Fragenden gegenübersah.

Die Geschlechterrollen

Während im Film, auch im deutschen, Frauen oftmals exponiertere Rollen hatten als zumeist in derselben Epoche im wirklichen Leben, macht „Das Mädchen Marion“ keine Kompromisse. Vera von Hoff, immerhin Gutsherrin, fügt sich willig den Anweisungen des Tierarztes Dr. Meining (Carl Raddatz) und überlässt es ihm, wie er mit Marion und deren Verliebtheit in ihn umgeht. Da ist schon ein guter Konflikt drin, wie Mutter und Tochter um denselben Mann rivalisieren, aber der wird aufgelöst, indem die Tochter einer jüngeren Macho-Ausgabe namens Günter Legler (der Springreiter) begegnet.

Es kommt zu Diskussionen über die Peitsche und zum bekannten Ende und es ist natürlich dieser Legler, der Prusso zum Sieg im Preis der Nationen führen darf. Es ist offensichtlich, dass die Figur dem damaligen deutschen Reitidol Hans Günter Winkler nachempfunden wurde, der just im Jahr der Entstehung des Films die Olympia-Goldmedaille im Springreiten sowohl im Einzel als auch mit der Mannschaft gewann (2). Die Reitszenen sind wirklich schön gefilmt und man kann sich der Erhabenheit und Eleganz dieses Sportes nicht entziehen, aber man merkt auch, dass alles im Dienst eines neuen deutschen Leistungs-Nationalstolzes seht, der sich dann zum Glück nicht so linear weiterentwickelt hat, wie man es 1956 offenbar gerne gehabt hätte, und dass die Rollen klar verteilt waren – auch wenn Legler generös die junge Marion von Hoff als Turnierreiterin vorschlägt.

Finale

Ihr eigenes Pferd darf sie jedenfalls nicht reiten, als es darauf ankommt, das ist Legler vorbehalten. In der Sache Peitsche (sogar „Zuckerbrot und Peitsche“ kommt in einem sinnfälligen Bild zur Anwendung, als er Marion auffordert, dem Hengst Zuckerstücke zu geben) vertritt er offensichtlich die üblichen Methoden im Pferdesport, wie sie bis heute gelten – einen Sachfehler, der die Figur Legler als Spitzensportler unglaubwürdig machen würde, kann man also dem Regisseur Schleif nicht vorwerfen.  Dass die Symbolik missbraucht wird, ist aber offensichtlich – denn ein Pferd soll ja mit der Peitsche eben nicht geängstigt und zahm gemacht werden, sondern sie dient der Kommunikation mit dem Tier und man kann diese Verwendung nicht auf das gefügig machen eines emotional sehr eigenständigen Mädchens wie Marion übertragen, ohne dass das Bild schief und die Manipulation offensichtlich wird.

Anmerkung anlässlich der Wiederveröffentlichung des Textes, der schon im „ersten Wahlberliner“ (2011-2016) in der Filmanthologie vorgestellt wurde (2014). Da in der Kritik auch Reflexionen zur Weiterentwicklung in Deutschland enthalten sind: Im Jahr 2013, als wir den Entwurf geschrieben hatten, wurde gerade die AfD gegründet, als eine kleine Ansammlung konservativ-liberaler Ökonomen und Euro-Gegner – wir sind mehr als 10 Jahre weiter und müssen leider konstatieren, dass ein Film wie dieser für die vielen Rechten, die sich nun offen zeigen, einen hohen Nostalgiefaktor haben dürfte, mindestens dies. Zumal der Bezug dazu, warum alles kam, wie es kam, inklusive des Verlustes der deutschen Ostgebiete, in denen übrigens die NSDAP bei den letzten freien Wahlen besonders stark war, immer mehr verlorengeht.

48/100

© 2024, 2014 Der Wahlberliner, Thomas Hocke (Entwurf 2013) 

(3), kursiv, tabellarisch: Wikipedia

(1)    Trakehner sind heute eher selten beim Springreiten zu sehen, aber als Sportpferde vor allem in der Vielseitigkeitsreiterei und neuerdings im Dressursport zu sehen.

(2)    Olympische Spiele in Stockholm, Schweden. Auch die Geschichte von Winkler und seiner Stute Halla ist ein Heldenstück, nachzulesen in der Wikipedia. Der Film wurde erst nach dem dort erwähnten legendären Ereignis vom Juni 1956 uraufgeführt und gewinnt damit noch einmal deutlich an Bezug, auch was die erwähnten deutschen Tugenden angeht. Ob die Dreharbeiten vorher oder nachher abgeschlossen wurden, wissen wir nicht, aber natürlich hatten die Zuschauer damals die frischen Medaillen der deutschen Springreiter bei den Olympischen Spielen im Kopf, einer der ersten Triumphe einer bis heute anhaltenden Nachkriegstradition sehr erfolgreicher deutscher Sportreiterei. 

Regie Wolfgang Schleif
Drehbuch Felix Lützkendorf
Produktion Hans Raspotnik
Musik Mark Lothar
Kamera Igor Oberberg
Schnitt Hermann Ludwig
Besetzung

 

 


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