Briefing Geopolitik, USA, US-Präsidentschaftswahlen 2024, Harris, Trump, Biden, Wahlsystem, Kompetenz und Charakter, wreck it and fix it, Hypothese für Deutschland
Wir veröffentlichen derzeit mehr Artikel zu den USA als zu Deutschland, und Erstere sind ausschließlich auf den US-Wahlkampf bezogen. Das hat aber seine Ordnung, denn die Wahlen in den USA sind die wichtigsten der Welt und sie werden unser Leben in Deutschland stark beeinflussen – in unterschiedlichem Maße zwar, aber die USA bestimmen die Politik hierzulande immer mit.
- Hier zu unserem vorherigen Artikel zur US-Wahl: US-Arbeitslosenquote unter Trump und Biden
Selten ist das so klar geworden wie bei der aktuellen Bundesregierung und so sinnbildlich wie in Sachen Ukrainekrieg. Olaf Scholz betont es auch: Kein Schritt ohne enge Abstimmung mit den USA, mit Priorität im Vergleich zu europäischen Partnern. Es gilt aber auch auf vielen Gebieten, bei denen es nicht so offensichtlich ist und nicht so bewusst öffentlich gemacht wird: Ohne die Vereinigten Staaten von Amerika wäre das Leben in Deutschland anders. Wir müssten zum Beispiel viel mehr für die eigene Sicherheit tun, als das immer noch der Fall ist. Von den wirtschaftlichen und kulturellen Verbindungen nicht zu reden.
Deswegen verbinden wir heute einmal die beiden Länder direkt miteinander, denn Statista hat eine Grafik dazu erstellt, wem von beiden Präsidentschaftsanwärter:innen die Deutschen auf welchem Gebiet mehr Kompetenz zurechnen und wie ihre Präferenzen sind. Das ist nicht gleichzusetzen mit einer hypothetischen Wahlentscheidung in Deutschland, wenn es hier Direktwahlen gäbe, um den Regierungschef oder die Regierungschefin zu bestimmen. Viele Menschen differenzieren durchaus zwischen dem, was sie hierzulande gut finden würden und dem, was gut für uns ist, wenn es um die US-Politik geht. Dieser vermutlich große Gap ist interessant und führt zu sehr eindeutigen Ergebnissen:
Infografik: Wen halten die Deutschen für den besten nächsten US-Präsidenten? | Statista

Diese Statista-Grafik wurde unter einer Lizenz CC BY-ND 4.0 Deed | Namensnennung-Keine Bearbeitung 4.0 International | Creative Commons erstellt und wir geben sie unter gleichen Bedingungen wieder. Folgend der Statista-Begleittext dazu, dann weiter mit unserem Kommentar.
Knapp zwei Drittel der von YouGov im Oktober 2024 befragten Deutschen sind der Meinung, dass Kamala Harris eine gute oder großartige nächste US-Präsidentin wäre. Die amtierende Vizepräsidentin lag nach dem Ausscheiden von Präsident Joe Biden aus dem Wahlkampf im vergangenen Juli in Umfragen zeitweise im Schnitt mehr als zwei Prozent vor ihrem Kontrahenten Donald Trump, konnte ihr Momentum allerdings nicht bis zum Wahlkampfendspurt beibehalten. Ihr Widersacher kommt bei deutschen Umfrageteilnehmer:innen dennoch deutlich schlechter weg.
Mehr als die Hälfte der über 2.000 Befragten gaben an, dass Donald Trump ein furchtbarer US-Präsident wäre. Trumps Wahlkampfversprechen dürften, sofern umgesetzt, zu einer Verschlechterung der Situation für Frauen und LBTQIA+-Personen führen, beispielsweise in Bezug auf ein nationales Abtreibungsgesetz. Weiterhin könnten seine Fracking-Pläne Klimaschutzvorhaben in den USA gefährden und die geplante Einführung von teilweise drastischen Zollabgaben den internationalen Handel negativ beeinflussen.
Harris will auf wirtschaftlicher Ebene laut eines Positionspapiers vor allem eine sogenannte „Opportunity Economy“ etablieren, die die Mittelschicht stärken soll. Oberstes Ziel sei es, „die Kosten für den täglichen Bedarf wie Gesundheitsversorgung, Wohnen und Lebensmittel zu reduzieren und die Steuern für mehr als 100 Millionen Amerikaner:innen aus der Arbeiterklasse und Mittelschicht zu senken.“
Wer das Rennen um die Präsidentschaft machen wird, ist derzeit noch völlig offen. Bezieht man den statistischen Fehlerbereich in aktuelle Umfragen mit ein, kristallisiert sich kein:e eindeutige:r Gewinner:in heraus, weder hinsichtlich des nationalen Wahlverhaltens noch hinsichtlich der stark umkämpften Battleground States, die auch die diesjährige Wahl entscheiden werden.
Momentan liegt Trump laut Auswertungen von RealClear Polling in fünf der sieben Swing States, deren Wähler:innen keine klare Parteipräferenz aufweisen, vorne, was ihm inklusive der gesichert für den republikanischen Kandidaten stimmenden Bundesstaaten 287 Wahlleutestimmen einbringen würde. Für einen Sieg sind 270 dieser Stimmen nötig. 2020 erhielt der derzeitige Präsident Joe Biden 306 der insgesamt 538 Stimmen.
Nur 13 Prozent derer, die sich in der grafisch dargestellten Abstimmung geäußert haben, fänden es großartig oder gut, wenn Trump US-Präsident würde, schlecht oder furchtbar hingegen 71 Prozent, wobei „furchtbar“ 56 Prozent sagen. Das ist eine überragende Abneigung, die auch viele von jenen umfassen dürfte, sie sich in Deutschland a.) sehr wohl eine trumpistische Politik wünschen würden und die b.) der Ansicht sind, Trump passt eher zu ihren außenpolitischen Vorstellungen, insbesondere in der wichtigen Frage von Krieg und Frieden.
Auch Spontanumfragen, wie sie in Artikel zur US-Wahl hierzulande gerne eingebettet werden, zeigen ein ganz eindeutiges Bild: Nur etwa 15 Prozent der Abstimmenden würden Donald Trump wählen, hingegen über 60 Prozent Kamala Harris, nur auf die jeweils ganz eindeutigen Meinungen bezogen. Falls Harris in den USA verliert, darf sie also gerne nach Deutschland kommen, und es hier eine Nummer kleiner angehen. Gleich, für welche Partei sie antritt, sie wäre vermutlich beliebter als alle jetzigen Spitzenpolitiker:innen.
Ist das wirklich so? Würden die AfD-Wähler:innen und die vielen Rechten, die es sonst im Land gibt und auch einige Linke, die sich ausdrücklich eine Verschlechterung des Verhältnisses zwischen den USA und Deutschland wünschen, nicht doch für Trump stimmen, wenn er ebenfalls hier anträte und genau diese Agenda von der anderen Seite angehen würde, die man ihm jetzt zuschreibt, nämlich das transatlantische Verhältnis wieder beschädigen zu wollen?
Wir glauben, dass dies eine größere Rolle bei der deutschen Umfrage spielt als die unterschiedlichen innen- und vor allem gesellschaftspolitischen Vorstellungen der Kandidat:innen, sofern sie nicht auch als mit Auswirkungen auf Minderheitenrechte weltweit verbunden angesehen werden, um ein Beispiel zu nennen. Natürlich gibt es auch Menschen, die sich hineindenken können in die dann betroffenen Amerikaner:innen, wenn Trump seine rechte Agenda weiterverfolgt, die auch Joe Biden nicht stoppen konnte, siehe Abtreibungsrecht, demnach denken Menschen also auch solidarisch. In Sachen Klimaschutz spielt es auf den Fall für alle von uns eine große Rolle, wie die westliche Führungsmacht sich verhält, die beinahe zehnmal mehr Treibhausgas-Emissionen verursacht als Deutschland.
So riesig wären die Unterschiede beider Zustimmung oder Ablehnung von Harris und Trump aber nach unserer aber Auffassung nicht, wenn dieses Gedankenspiel Realität wäre. Trump würde in Deutschland ähnliche Mentalitäten ansprechen, wie er das in den USA tut, seine Rhetorik müsste er lediglich ein wenig an die Gesetzeslage anpassen, denn die ist bezüglich Beleidigungen gegenüber anderen strenger als in den USA, wo die Meinungsfreiheit tatsächlich kaum Einschränkungen kennt und Vorrang gegenüber den Persönlichkeitsrechten hat. Deswegen wird Trump auch nicht wegen seiner häufigen Übergriffe vor Gericht zitiert, sondern wegen wirtschaftlicher, politischer und persönlicher Verstrickungen aller Art.
Würden diese ständigen Verwicklungen mit der Justiz ihn in Deutschland unmöglich machen? Auch hier gibt es viele, die das System und damit auch das Recht in diesem System ablehnen und es gut finden würden, dass Trump sich über das Recht stellt. In dieser negativen Hinsicht sind die Deutschen nicht mehr so legalistisch, wie man ihnen das gerne zuschreibt. Was im Grunde nie gestimmt hat, sonst hätten nicht so viele die Nazis willkommen geheißen. Ordnungsdenken und Rechtsempfinden sind nicht das Gleiche, Order ohne Law im Sinne eines Rechtsstaats finden viele, die autoritär denken, gar nicht schlecht. Diesen Hype um die Freiheit wie in den USA gab es hingegen nie, der auch beinhaltet, Waffen ohne Ende bunkern und sie auch relativ großzügig einzusetzen, um eine besonders negative Ausprägung der US-Freiheit zu benennen.
Wir glauben, dass Harris in Deutschland einen Sieg einfahren würde, aber nicht so überragend, wie es die obige Befragung ausdrückt, die sich auf die tatsächliche Situation bezieht, zumal Trump in Sachen Wirtschaft den Menschen das Blaue vom Himmel verspricht. Auch bei uns sind Wirtschaftsthemen sehr wichtig. Was nicht bedeutet, dass die Menschen auch die richtige Einstellung dazu haben. Bei Trump oder Harris ginge es außerdem wohl eher um die Glaubwürdigkeit. Viele Amerikaner sind auch auf eine erschreckende Weise naiv, hierzulande würden Heilsversprechen für quasi alles nach dem Motto „fix it“ von vielen doch etwas kritischer gesehen, auch wenn sie inhaltlich bei Trump große Übereinstimmung mit ihren eigenen Positionen sehen, das Gegenmodell ist demnach „Wreck-it-Harris“. Wenn man dem politischen Gegner einen solchen Stempel aufdrücken kann, darf man einen noch so miesen Charakter haben und ein Rechtsbrecher sein, der vorgebliche Konstruktivismus der eigenen Politik ist wichtiger. Da ist lächerlich, angesichts der komplexen Realität, die selbst in Diktaturen Schranken setzt, aber entspricht dem sehr schlichten Schwarz-Weiß-Denken vieler Menschen, nicht nur in den USA.
Würde er Trump umsetzen, was er verspricht, diese Frage scheint im US-Wahlkampf hingegen gar keine so große Rolle zu spielen. Das liegt auch daran, dass ein US-Präsident wesentlich mehr Macht hat als jeder Politiker in Deutschland. Er kann sogar per Dekret am Parlament vorbei regieren, und davon haben sowohl Trump als auch Joe Biden Gebrauch gemacht, wenn eine Blockade nicht anders zu lösen schien. Das geht nicht bei jedem Gegenstand, aber damit kann man politische Knoten auflösen, Stillstand beseitigen, Handlungsfähigkeit demonstrieren.
Bei uns hingegen gibt es dieses Element des Durchregierens nicht, und was das in Zeiten wie diesen bedeutet, sehen wir gerade, wenn eine Koalition am Werk ist, die in Teilen unverantwortlich handelt, weil sie sich nicht mehr vernünftig abstimmen kann. Handelt allerdings ein Präsident in den USA unverantwortlich, ist es formal viel schwieriger, ihn zu bremsen, als hierzulande den Kanzler fast handlungsunfähig zu machen, wie es im Moment der Fall ist. Es hat alles zwei Seiten, auch die Tatsache, dass die demokratischen Checks und Balances aufgrund der deutschen Erfahrungen hierzulande anders akzentuiert sind als in den Vereinigten Staaten. Am Ende ist eh fast alles gleich, wird der geübte Systemkritiker nun einwenden, aber wir finden die Unterschiede spannend, weil sie auch erklären helfen, warum ein Typ wie Trump tatsächlich Chancen hat, in den USA eine Wahl zu gewinnen.
Wird er das in wenigen Tagen schaffen? Wir würden heute keinen Cent mehr dagegen verwetten, egal, ob es sich um einen Euro-Cent oder einen US-Cent handelt.
TH
Entdecke mehr von DER WAHLBERLINER
Melde dich für ein Abonnement an, um die neuesten Beiträge per E-Mail zu erhalten.

