Briefing Geopolitik, USA, US-Präsidentschaftswahlen 2024, Kamala Harris, Donald Trump, Umfragenaggregation, Trump führt wieder, Momentum, Tim Walz, J. D. Vance
Als wir zuletzt den Trend der Umfragen zu den Präsidentschaftswahlen in den USA vorgestellt haben, hatten wir für die meisten Menschen in Deutschland eine frohe Kunde: Kamala Harris lag mit ca. 1,4 Punkten in Führung vor Donald Trump.
Das ist nicht sehr viel, und auch damals war es in den Swing States, die wahlentscheidend sein werden, wenn es insgesamt knapp wird, teilweise noch enger, als es diese 1,4 Prozent spiegeln, die eine Aggregation für die gesamten USA darstellen. Aber in den letzten Wochen ist etwas passiert, dem wir nachgehen müssen, denn Trump hat sich die Führung zurückgeholt, die er vor dem Wechsel von Jod Biden zu Kamala Harris bei den Demokraten sicher zu haben schien. Wenn man so will, ist nicht einmal alles wie zuvor, denn es ist derzeit sehr knapp. Sehr knapp landesweit bedeutet allerdings, dass Harris in den Swing States überwiegend zurückgefallen ist – das hatte sich schon vor einigen Tagen abgezeichnet.
In dem Moment, als die Demokraten das stärkste Momentum hatten, nach der Ernennung von Tim Walz, des bodenständigen Mannes aus dem Mittleren Westen als Ergänzung zur Küsten-Intellektuellen Harris, lasen wir von „Auguren“, dass Harris die Kampagne eigentlich nur noch selbst in den Sand setzen kann, denn Trump kann nichts mehr tun, was ihn auf die Gewinnerstraße bringen würde. Also müsste Harris in den letzten Wochen, vor allem in der dritten Oktoberwoche, als es einen relativ starken Abfall ihrer Werte gab, einen Fehler begangen haben – oder mehrere. Davon wurde zumindest hierzulande nichts berichtet. Nichts, was auf einen einzelnen größeren Lapsus hindeuten würde, jedenfalls. Und sie hat viel prominente Unterstützung bekommen, in den letzten Tagen. Sogar aus dem republikanischen Lager, wie die Stimme von Arnold Schwarzenegger, dem früheren Gouverneur von Kalifornien und Filmstar.
Gerade hat die New York Times, die Nummer eins unter den Zeitungen des Landes, eine klare Wahlempfehlung für Harris abgegeben News zur US-Wahl: „New York Times“ bezieht klar Stellung zur Wahl | WEB.DE und damit eine bereits bestehende Aussage verstärkt. Die Washington Post hätte es auch gerne getan, aber ihr Besitzer, der Oligarch Jeff Bezos, hat es verboten.
Auf einer Wahlveranstaltung der Demokraten trat die Ex-First Lady Michelle Obama auf und sagte etwas sehr Treffendes: Trump kann machen, was er will, er sei eben Trump und die Menschen wüssten das, sagte sie. Hingegen legten sie an Kamala Harris ganz andere Maßstäbe an.
Und wieder schimmerte durch, dass eine Frau, dazu eine Nicht-Weiße anders wahrgenommen wird als ein alter weißer Mann, der sich nach wie vor alles erlauben darf – und er weiß es, da sind sich Beobachter sicher, und er nutzt es aus, um ohne negative Auswirkungen auf seine Beliebtheit einen Übergriff nach dem anderen zu begehen. Welche Menschen wählen so jemanden, zu dessen Charakter in ganz Europa keine politische Entsprechung zu finden ist – jedenfalls nicht, wenn es um Politiker:innen geht, die aktuell relevant sind. Wir haben wegen der Aktualität der Umfragegrafik von Statista einen anderen Artikel zurückgestellt, in dem wir geschrieben haben: Wir können froh sein, dass noch kein Trump in Europa aufgetaucht ist. In Deutschland würde er die AfD vermutlich landesweit zur stärksten Partei machen.
Unterschwellig, da sind wir uns sicher, warten viele auch hierzulande auf solch einen Typ. Ob er nicht vom Bundesverfassungsgericht gestoppt würde, ist eine andere Frage, denn vieles, was er sagt, ist hierzulande eindeutig rechtswidrig. Doch in den USA wurde er schon rechtskräftig zum Straftäter, und trotzdem hat er gute Aussichten, wieder Präsident zu werden. Das lässt den Rückschluss zu, dass viele Amerikaner es sogar gut finden, dass er sich über das Recht hinwegsetzt, wann immer es ihm beliebt. Dass er über dem Recht steht und dass er eine messianische Funktion für seine Anhänger einnimmt, wie man sie in Deutschland zuletzt in den 1930ern gesehen hat. Wie es endete, wissen wir. Wie es mit Trump und damit auch mit dem deutsch-amerikanischen Verhältnis enden wird, können wir noch nicht wissen, aber Sorge ist allemal angebracht. Nun die Statista-Grafik, wir werden im Anschluss herauszufinden versuchen, warum es zu dem Wechsel in der Führung bei den Umfragen kam.
Infografik: Wer führt in den Umfragen zur Präsidentschaftswahl in den USA? | Statista

Diese Statista-Grafik wurde unter einer Lizenz CC BY-ND 4.0 Deed | Namensnennung-Keine Bearbeitung 4.0 International | Creative Commons erstellt und wir geben sie unter gleichen Bedingungen wieder. Folgend der Statista-Begleittext dazu, dann weiter mit unserem Kommentar.
Als Kamala Harris im Juli die Kandidatur für die US-Präsidentschaft von Amtsinhaber Joe Biden übernahm, lag Donald Trump in Führung. Noch Ende Juni lag die Demokratin laut RealCear Polling im Durchschnitt einer Reihe landesweiter Umfragen zwei Prozentpunkte hinter dem republikanischen Herausforderer. Aber dann kam Harris‘ Kampagne in Fahrt. Am 6. August, dem Tag an dem sie Tim Walz als ihren Vize benannte, übernahm die Präsidentschaftskandidatin die Führung. Dieses Momentum konnte Harris bis weit in den Oktober hinein nutzen. Vor knapp einer Woche wendete sich das Blatt: Seit dem 26. Oktober liegt Trump wieder vorne, wenn auch mit einem Vorsprung unterhalb der 0,5-Prozent-Marke. Am 31. Oktober führte Trump mit 0,3 Prozent. Auch aufgrund des gängigen Fehlerbereichs von mindestens einem Prozent in statistischen Umfragen ist der Ausgang der Wahl also auch weniger als eine Woche vorher völlig offen.
Über das Electoral College, die Wahlform der USA, die einen Sieg von Harris erschwert, selbst wenn sie in Umfragen landesweit führt, haben wir bereits vor einer Woche ausführlich geschrieben, indem wir einen sehr instruktiven Artikel des Verfassungsblogs dazu republiziert und kurz kommentiert haben: „Auf Messer Schneide“ (Verfassungsblog-Editorial zu den US-Wahlen).
Es gibt nicht nur Swing-States, sondern auch Umfragen-Swings: Sie sehen auf der Grafik sehr deutlich, dass auch Kamala Harris zu Beginn ihrer Übernahme der Kandidatenschaft für die Demokraten nicht in Führung lag, sondern sogar weiter zurückfiel hinter Trump, als das bei Präsident Biden zuvor der Fall war. Das entspricht nicht ganz unserer Wahrnehmung der Presseberichterstattung in Deutschland, die eine Aufholjagd suggerierte, die dann in der Nominierung von Tim Walz ihren Höhepunkt erreichte. Demnach hätte Harris schon vorher in Führung liegen müssen. Außerdem kam es an einem einzigen Tag zu einem abrupten Wechsel der Umfragenführung, und der liegt laut Grafik nicht im August, ist also nicht der Tag, an dem Walz vorgestellt wurde, sondern einen ganzen Monat später. Was soll da so Entscheidendes passiert sein? Deswegen bitten wir, die Grafik mit Vorsicht zu genießen. Zu den Swing States gibt es eine weitere Darstellung, sie ist aber ein paar Tage älter: Harris vs. Trump – Umfragen in den Swing States 2024 | Statista.
Ergänzung: Wir haben uns die zuvor publizierte Statista-Grafik aus dem September noch einmal angeschaut. Die aktuelle Grafik enthält einen eindeutigen Fehler, der auf der Datenaufbereitung fußen dürfte: Bitte tauschen Sie die rote und die blaue Linie gedanklich für die Zeit bis zum ca. 7. eptember. Das war der Tag, an dem die alte Grafik endete. Danach kommt es zu einem angeblichen plötzlichen Wechsel bei der Führung in den Umfragen. Offenbar wurden die Linien zuvor vertauscht, Harris bzw. Harris-Walz lagen schon zuvor in Führung. Dieser plötzliche Wechsel an einem Tag ist ganz offensichtlich ein Bearbeitungsfehler von Statista, der mit der Fortschreibung der Grafik von diesem Tag ab zu tun hat.
Nun aber zu unserer Recherche:
In den landesweiten Umfragen zur US-Präsidentschaftswahl ist Kamala Harris in den letzten Tagen wieder hinter Donald Trump zurückgefallen. Was hat diesen überraschenden Wechsel in der Beliebtheit ausgelöst? Finden Sie dazu bitte möglichst viele Meinungen, diese sollten ganz aktuell sein, also aus dem November 2024.
Dieses Mal posten wir das Ergebnis der KI-Befragung nicht direkt, weil es deutliche Schwächen zeigte. Zunächst behauptete sie, es gebe gar keinen Umschwung und versteifte sich auf den kleinen Bundesstaat Iowa, in dem Harris überraschend in Führung gegangen ist, im zweiten Anlauf hielten wir ihr die obige Grafik sozusagen unter die Nase und sie verwies darauf, dass diese enge Führung von Trump innerhalb der statistischen Fehleruqote liege. Das war bei den bisherigen Ergebnissen aber auch der Fall, der Trend ist also trotzdem ablesbar. Im dritten Anlauf wurde es dann etwas deutlicher: Iowa könnte ein Ausreißer gewesen sein und vor allem trauen die Menschen Trump mehr Wirtschaftskompetenz zu als Harris – mit einem Verhältnis von 55 zu 35 Prozent. Obwohl eine Mehrheit der Amerikaner (53 Prozent gemäß Umfrage) Trump negativ sieht (bei 42 Prozent Beliebtheit), scheint es darunter auch welche zu geben, die ihn trotzdem wählen wollen.
It’s the economy, stupid, sagte Harris’ Parteifreund Bill Clinton und gewann mit diesem Spruch die Wahlen von 1992, denn die Wirtschaft stagnierte unter seinem Vorgänger George Bush senior gerade. Auch in Deutschland ist die Wirtschaftslage trotz allem sonstigen Getöse der Hauptfaktor für den Ausgang von Wahlen – normalerweise und wenn kein Hype um etwas anderes, wie die Migrationsfrage, entfacht wird. Deswegen sehen wir auch keine Chance auf eine Fortsetzung der Ampelkoalition, die bei beiden Themen nicht punkten kann, abgesehen davon, dass sie offenbar nicht mehr funktionsfähig ist.
Die Wirtschaftslage in den USA ist jedoch wesentlich besser, der Vorsprung der dortigen Ökonomie auf die europäische wächst seit Jahren erheblich. Trotzdem sind viele Menschen unzufrieden, weil die Gesamtdaten nicht dem Gefühl zur eigenen Lage entsprechen, und dieses Gefühl bestärkt Donald Trump, wo er kann, und wenn es sein muss oder auch nicht sein müsste, mit Fake News. Hingegen haben wir bis jetzt keine Quelle gefunden, die ein einzelnes Ereignis ausweisen würde, etwa einen größeren Fehltritt von Harris, das den Umschwung erklären könnte.
Die KI hat sich auch auf das Attentat auf Trump am 13. Juli bezogen, das seiner Kampagne Aufwind gegeben haben könnte. In der Grafik sieht man diesen Tag aber nicht so abgebildet, dass er etwas in größerem Umfang zu Trumps Gunsten bewegt hat, er führte damals ohnehin, und der Höhepunkt des Harris-Momentums, die Nominierung von Tim Walz, geschah fast einen Monat später.
Wie sich Trumps aggressive Rhetorik und seine Angriffe auf die Demokratie, die vor allem darauf zielen, jedes Wahlergebnis, das nicht seinen Sieg bedeutet, schon vorher infrage zu stellen, hat die KI ebenfalls nachzugehen versucht, sich dabei aber auf eine Weise verhakt, wie wir das bei diesem Modul bisher nicht gesehen haben. Anders ausgedrückt: Es scheint schwierig zu sein, eindeutige Anhaltspunkte für die Hintergründe des Stimmungsumschwungs zu finden.
Wir haben noch einmal einen Gegentest mit dem MSN-Chatbot Copilot (ChatGPT4) gemacht, aber die Aussagen waren beinahe identisch mit dem, was wir schon hatten. Anders ausgedrückt: Nichts Genaues weiß man nicht, es gibt nicht das bestimmte Ereignis, den großen Fehler, den Harris begangen haben könnte. Kommentatoren haben aber hierzulande zwei Punkte erwähnt: Dass Harris in Sachen Grenzverwaltung angreifbar ist, weil Joe Biden ihr das Management der illegalen Migration übertragen hat, und dass sie in vielen Punkten nicht so eindeutig ist wie Trump. Das ist nach unserer Ansicht auch nicht möglich, wenn man Seriosität über Populismus stellt, denn noch knackiger und vereinfachter oder simplifizierender als Trump kann man Politik kaum vermitteln.
Das könnte bedeuten, dass das Momentum von Harris einfach zum Erliegen kam, weil die Dynamik der Ereignisse vom Juli und August nicht mehr vorhanden ist und sie diesen Mangel an Aufregern nicht durch aufregende Rhetorik kontern kann. Selbstverständlich ist alles weiterhin offen, so eng, wie die Umfragen beide Kandidat:innen nach wie vor beieinander zeigen. Das Problem ist aber, dass die Swing States derzeit mehrheitlich an Trump gehen würden, wenn die Umfragen sich bewahrheiten. Und das wäre sein sicherer Sieg. Wenn man die USA als Fläche betrachtet, liegt er ohnehin in weiten Teilen des Landes vorne. Diese Betrachtung erfordert aber auch den Hinweis, dass kleinere Staaten oft dichter besiedelt sind und dort viele Menschen wohnen, deren Stimme für Harris als sicher gilt. Das Wahlleute-System hingegen privilegiert großflächige Staaten mit wenigen Einwohnern und schafft somit einen Ausgleich zu den progressiven Hochburgen an der Ost- und Westküste.
Wir haben noch einige Grafiken auf Lager, wir werden es wohl vor der Wahl nicht mehr schaffen, sie alle in Artikel einzubinden. Die vorliegende Umfragenaggregation hingegen ist so essenziell, dass wir sie auf jeden Fall noch vor der Wahl vorstellen wollten.
TH
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