Buddenbrooks (DE 1959) #Filmfest 1204 #DGR

Filmfest 1204 Cinema – Die große Rezension

Das Wirtschaftswunder, rückwärts gefilmt

Buddenbrooks ist ein zweiteiliger deutscher Spielfilm aus dem Jahr 1959. Er weicht an mehreren Stellen stark von der Romanvorlage, dem gleichnamigen Roman von Thomas Mann, ab. 

Die gesamte Zeitspanne des sehr umfangreichen Romans von Thomas Mann stellt der ursprünglich zweiteilige Kinofilm (in der von uns gesehenen Version zu einer Sendung zusammengefasst, aber um einiges gekürzt) sinnvollerweise nicht dar, sonst wäre daraus ein übliches, amerikanisches „Epic Movie“ geworden, in dem kennzeichnende, aber ruhige Momente nur angerissen oder ausgelassen  werden, hingegen Wendepunkte im Schicksal der Menschen beinahe Schlag auf Schlag folgen. Der dramaturgische Rhythmus ergibt sich bei solchen Filmen beinahe ausschließlich dadurch, dass es mal positive, mal negative Erlebnisse und Ereignisse sind, die das Interesse des Zuschauers über Filme von oftmals mehr als drei Stunden Länge binden.

Die „Buddenbrooks“-Verfilmung von 1959 ist um einiges akribischer und trifft nach unserer Ansicht den Ton des Buches – mit Einschränkungen. Der Film wurde im Wirtschaftswunderland künstlerisch anerkannt, aber sicher nicht geliebt. Man spürt seine Qualität in sehr vielen Details, manchmal eine konservative Grundhaltung, dann eine künstlerische Auffassung die den Niedergang des Bürgertums à la Buddenbrooks mehr zu einer persönlichen Angelegenheit der Beteiligten als zu einem Zeit- und Sittengemälde werden lässt. Gleichwohl ist der Film nicht leicht und strahlt eine gediegene Sperrigkeit aus. Die liegt, im Gegensatz zum Thomas Mann-Roman, nicht so sehr in der Sprache selbst, die bei bewegten Bildern die Filmsprache wäre, als in der Handlung, die gemäß dem Roman eine Art amerikanisches Epos mit gedrehtem Verlauf darstellt.

Nicht der Aufstieg und die Verwirklichung des Traumes einer jungen, dynamischen Welt ist der Gegenstand von „Buddenbrooks“, sondern die Verwirklichung einer solchen Welt, in der man wohlhabend und respektiert ist, bildet den Ausgangspunkt und der Aufstieg dorthin wird nur selten reflektiert. Das Ende jedoch steht der Zerfall und Tragik ohne Trost. Dabei wird der Verlauf nicht durch unabwendbare Schicksalsschläge bestimmt, sondern durch ein individuelles Versagen von Menschen, die den Situationen nicht gerecht werden, in die sie sich selbst stellen. Besonders deutlich wird das an der Hauptfigur, dem Senator Thomas Buddenbrook, dem der Verfasser des Romans seinen eigenen Vornamen verlieh und damit dessen zentrale Bedeutung im Buch und demgemäß im Film unterstrich.

Handlung (1)

Die Buddenbrooks sind eine angesehene und wohlhabende Kaufmannsfamilie aus Lübeck. Tochter Antonie (genannt “Tony”) macht sich über ihren biederen Verehrer, den mit der Familie Buddenbrook befreundeten Geschäftsmann Bendix Grünlich, lustig, während Sohn Christian seinen Vater, Konsul Jean Buddenbrook, mit Negativschlagzeilen wegen seiner Verehrung für eine Theaterschauspielerin brüskiert und daher zu einem Auslandsaufenthalt zu Jean Buddenbrooks englischem Geschäftsfreund geschickt wird. Sohn Thomas wiederum pflegt eine heimliche Beziehung zur Blumenverkäuferin Anna.

Als Bendix Antonie einen Heiratsantrag macht, flieht diese verzweifelt in einen Urlaubsaufenthalt bei der befreundeten Familie Schwarzkopf. Dort lernt sie den adretten Morten Schwarzkopf kennen, beide verlieben sich. Doch Grünlich spürt sie auf, Vater Buddenbrook legt Antonie nahe, standesgemäß seinen Freund Grünlich zu heiraten, was sie schließlich widerstrebend tut.

Zu dieser Zeit muss die Familie Buddenbrook mit den Wirren der Revolution von 1848 fertig werden. Elisabeths Vater wird von dem Steinwurf eines Revolutionärs tödlich verletzt und kurz darauf stirbt auch Jean an einem Herzinfarkt während eines Gewitters. Thomas übernimmt das Familienunternehmen und sieht sich gezwungen, sich der Familienehre wegen von Anna zu trennen. Thomas Buddenbrook erweitert das Familienunternehmen und nimmt Christian nach dessen Rückkehr aus England in die Firmenleitung auf.

Es kommt zu ersten Schwierigkeiten: Bruder Christian rechnet private Rechnungen über die Firma ab, Grünlich steht kurz vor dem Bankrott. Thomas verweigert Grünlich seine Hilfe, Bendix‘ Hauptgläubiger wirft Thomas vor, sein Vater sei mit der Auswahl von Bendix als Schwiegersohn zu unvorsichtig gewesen.

Während Antonies Ehe mit Bendix zerbricht, heiratet Thomas die Kaufmannstochter Gerda Arnoldsen.

Stolz trägt Thomas Buddenbrook die Geburt des Sohnes Justus Johann Kaspar (genannt “Hanno”) in die Familienchronik ein. Auch Antonie ist glücklich, als sie den Münchner Hopfenhändler Alois Permaneder kennenlernt; beide heiraten. Christian hingegen erfährt von seiner Mutter Ablehnung, als er ihr von seiner Liaison mit der Theaterschauspielerin Aline Puvogel berichtet. Dennoch verlobt er sich mit Aline.

Währenddessen ist das Eheleben von Antonie und Alois getrübt, da dieser zu sehr dem Alkohol zuspricht und anderen Frauen nachstellt. Im Streit wirft Alois seiner Frau ein „verworfenes“ Wort an den Kopf. Da Alois sich zudem zur Ruhe setzt, um von den Zinsen seiner Mitgift zu leben, bleiben Thomas‘ Bemühungen, Antonie von einer weiteren Scheidung und damit einem Skandal abzuhalten, ohne Erfolg. Nach dem Tod seiner Schwester Clara muss Thomas erbost feststellen, dass seine Mutter Elisabeth Claras Erbe an deren Gatten Tiburtius ausbezahlt hat und der Firma somit wichtige Geldmittel fehlen.

Nach dem Tod von Mutter Elisabeth sieht Christian die Gelegenheit gekommen, seine Geliebte Aline zu heiraten. Auf dem hundertsten Jahrestag der Firma erhält Thomas die freudige Nachricht, dass er Senator werden soll. Zugleich erhält Thomas die Nachricht, dass ein Getreidegeschäft, zu dem ihn Antonie überredet hat, fehlgeschlagen ist, nachdem die Ernte durch Hagelschlag vernichtet wurde.

Während in der Stadt eine Typhusepidemie grassiert, schreibt Thomas sein Testament. Wenig später erkrankt auch sein Sohn an der Krankheit und stirbt. Aline lässt den exzentrisch gewordenen Christian in die Psychiatrie einweisen. Kurz vor seiner Vereidigung als Senator fühlt sich Thomas unwohl und bricht trotz Zahnarztbesuch während der Vereidigung tot zusammen.

Rezension

Nachdem im Jahr 1958 zwei der wichtigsten deutschen Filme eines künstlerisch insgesamt mageren Kinojahrzehnts das einsetzende Wirtschaftswunder der Adenauer-Ära thematisierten („Wir Wunderkinder“, „Das Mädchen Rosemarie“ [Rezension beim Wahlberliner]), war es im folgenden Jahr Zeit für einen Rückblick: Die kritische Beleuchtung des deutschen Bürgertums einer anderen Epoche – die in etwa zwischen der Revolutionszeit von 1848 und der Einigung Deutschlands unter preußischer Vorherrschaft im Jahr 1871 liegt.

Die Tatsache, dass Regisseur Alfred Weidenmann wieder in einer ganz andere, glücklicherweise kurzen Phase der deutschen Geschichte, der NS-Zeit, mit der Arbeit begann, wollen wir nicht zu sehr in den Vordergrund stellen, aber er hat nicht, wie etwa der berühmtere Kollege Helmut Käutner auch unter diesen Bedingungen nachdenkliche und versteckt systemkritische, zudem künstlerisch anspruchsvolle Filme wie „Große Freiheit Nr. 7“ gedreht, sondern mit solchen Sachen begonnen wie „Junges Europa – Filmschau der Hitlerjugend“. Schwamm drüber. Ohne das Personal von vor dem Krieg wäre ein Deutschland nach dem Krieg nicht funktionsfähig gewesen und man kann nicht sagen, dass Weidenmann in „Buddenbrooks“, an dem immerhin die Thomas Mann-Tochter Erika als Drehbuchautorin beteiligt war, noch etwas von der stahlharten Ideologie der Nazis als vorbildlich zeigen würde. Es sei denn, man nähme an, der ganze Niedergang der Buddenbrooks sei eine verdeckte Andeutung, dass das schwächelnde Bürgertum zwangsläufig der proletarischen Revolution von Rechts habe weichen müssen und dass musisches Talent, wie es etwa Thomas Buddenbrooks Sohn hat, unweigerlich in die Lebensuntüchtigkeit führt.

Im Ton ist der Film von 1959 in etwa so pessimistisch wie das Buch. Man hat selbst zu Beginn, als Tony Buddenbrook noch vergnügt wirkt und Thomas Buddenbrook noch ein resoluter und würdiger Nachfolger seiner Vorfahren in Geschäft und Familiensteuerung werden könnte, nicht das Gefühl, dass hier eine national gefärbte Überlegenheit zum Vorschein kommt, im Gegenteil – im Handeln in wichtigen Situationen wirken das Personal in diesem Film alles andere als heroisch.

Figuren

Thomas Buddenbrook / Hansjörg Felmy. In heutigen Kritiken wird dieser damalige Star aus „Wir Wunderkinder“ gerne als zu nett für diese Rolle bzw. in dieser Rolle beschrieben. Wir finden den letzten Patriarchen des Lübecker Kaufmannsgeschlechts ansehnlich, auch wenn man es ihm erspart hat, seine Herzattacke auf der Straße zu bekommen und tatsächlich-sinnbildlich im Dreck zu landen. Für eine solche Szene ist die 1959er Verfilmung zu sehr auf Ästhetik bedacht. Selbstverständlich hat man in diesem Sinn auch darauf verzichtet, den Hauptdarsteller etwa mit künstlich schlechten Zähnen auszustatten, die im Buch eine manchmal etwas abstoßend wirkende Rolle als Symbole für den generationsweisen Verfall der Familie spielen. Es muss ausreichen, dass sich das Ende des Mannes in heftigen  Zahnschmerzen andeutet, dies allerdings wird in einer relativ zu den sonstigen Aussagemodi des Films beinahe drastisch naturalistischen Weise dargestellt.

Des Senators Alterungsprozess folgt amerikanischen Filmmustern und wird vor allem anhand sich entfärbender Haare visualisiert. Felmy verleiht der Figur aber durchaus einen inneren Alterungsprozess, der in dem unheilschwangern Satz gipfelt „Erfolg liegt in uns oder nirgends“. Nichts gerät ihm so, wie er sich’s vorgestellt hat. Die Ehe mit der schönen, aber distanzierten Gerda (Nadja Tiller), die Ehen seiner Schwester Tony (Liselotte Pulver) und schon gar nicht sein Sohn, der zwar kein hoffnungsvoller künftiger Geschäftsmann ist, soviel wird schnell klar, aber ihm doch einen Antrieb gibt, sich für die Welt zu bewahren. Der frühe Tuberkulose-Tod des sensiblen Jungen läutet auch das Ende des Vaters ein, der immer nach dem Vorbild seines eigenen Vaters Jean Buddenbrook und noch mehr des Großvaters Johann Buddenbrook versucht, fest und geschäftstüchtig zu sein, aber nur noch mit Not reüssiert und schlussendlich nicht nur sein Leben verliert, seine verbleibende Familie hingegen ihre Güter.

Im Buch ist Thomas Buddenbrook der dritte Sippenchef nach Großvater Johann und Vater Jean und versinnbildlicht ein Sprichwort, das bis heute für Familienfirmen gilt: Der erste erstellt’s, der zweite erhält’s, dem dritten zerfällt’s. Es scheint ein Gesetz zu sein, dass Nachkommen unter dem Druck übergroßer Gründerväter und –großväter zusammenbrechen müssen oder mindestens nicht den Anforderungen gerecht werden. Sicher gilt das nicht ausschließlich und es gibt kluge Unternehmer, die ihre Nachkommen nicht diesem Druck ausgesetzt oder ihn einfühlend gemanagt haben und deren Familienbusiness seit vielen Generationen erfolgreich ist. Die Regel stellt dies aber nicht dar, denn in den Konventionen und Modalitäten, die durch den Aufstieg entstehen, liegt schon der Untergang. Die Kinder sind entweder zu verwöhnt oder werden zu rigide in ein Korsett gedrängt, das ihnen zu eng ist oder zu schwer. Dies zu verkennen, ist die Tragik vieler Dynastiegründer, deren Dynastie sich auf wirtschaftlichen Erfolg stützen soll und täglich neu erarbeitet werden muss – und nicht durch gottgegebenes Königtum auf Staatsebene auch über schwache Generationen hinweg erhalten werden kann. Jedoch ist eine Siegermentalität schwer von einer Generation auf die nächste zu übertragen. Bereits die zweite Generation hat nicht mehr den Antrieb,  das Antiprivileg, in Armut groß geworden zu sein und diese unbedingt verlassen zu wollen.

Thomas Buddenbrook wird bezüglich seiner Stellung in der Lübecker Kaufmannschaft gleichsam gekrönt – zum Senator. Damit ist der Aufstieg der Familie vollendet. Gleichzeitig ist dies aber auch ein beinahe bedrohlich wirkender, auch formaler Höhepunkt. Man spürt die Tragik und weiß schon beinahe durch den ganzen Film hindurch, dass es so oder ähnlich kommen wird. Felmy trägt diese Rolle trotz seiner vergleichsweisen Jugend – was nicht bedeutet, dass man sie nicht noch intensiver spielen könnte oder gemäß heutiger Praxis mit mehr Wucht und Emotion. Dass er nicht nur nett ist, spürt man im zweiten Teil des Films, als er seinen Sohn eher mit Verachtung als Verständnis für dessen Wesen bedenkt. Dies kommt am besten zum Ausdruck, als dieser nicht in der Lage ist, vor einem ausgewählten Publikum einige Worte auswendig herzusagen und der Vater ihn mit unübersehbarer Enttäuschung nur scheinbar erlöst. Desweiteren und in der Szene, in welcher Thomas Buddenbrook die versammelte Familie zusammenstaucht, weil diese sich ökonomisch kontraproduktiv verhält.

Tony (Antonie) Buddenbrook / Liselotte Pulver. Auch dieser junge Superstar des damaligen deutschen Films hatte eine schwierige Aufgabe. Das mit dem Hochdeutsch hat die Schweizerin ganz gut gemeistert, auch wenn sie im Duktus nicht hanseatisch wirkt. Letzteres eignet der Romanfigur allerdings auch nicht. Die junge, unbesorgte, ein wenig verwöhnte Tony gibt die Erzkommödiantin Pulver sehr gut und auch in ihrer romantischen Szene mit dem jungen Arzt Morten wirkt sie nicht überfordert. Ein wenig mehr muss man sich daran gewöhnen, dass die zweifach geschiedene, in jeder Hinsicht gescheiterte Frau, welche sie am Ende darstellt, nicht vollkommen zerbrochen wirkt. Zwei Scheidungen, das war um 1850-1870 eine andere Hausnummer als heute, zumal in gehobenen Verhältnissen. Kinderlosigkeit obenauf.

Das sorglose Mädchen bleibt sie im Grunde immer, fällt auf die falschen Männer herein, weil sie denjenigen, den sie als den Richtigen sehr wohl erkannt hat, aus Gründen der Familientradition oder –konvention nicht ehelichen darf. Damit ist ihr schlingernder Weg vorbestimmt. Sie wurde aus ihrer emotionalen Mitte gerissen, doch sie ist geistig nicht in der Lage, die Zusammenhänge zu erkennen und gegenzusteuern oder sich gar aufzulehnen.

Insofern ist sie ein Kind ihrer Zeit, in der Männer allein bestimmten, wie eine Frau durchs Leben geht. Sie ist zwar in einem Internat offenbar auf liebenswerte Weise erzogen worden, sie kann Gastgeberinnenpflichten erfüllen, wie man anlässlich ihrer Stellung als Hausherrin bei Familienfeiern sieht, aber sie ist finanziell nur durch ihre Mitgift abgesichert. Und wenn ein Mann diese durchbringt, wie der famose Bendix Grünlich (ein wenig buffo dargestellt von Robert Graf) aus Hamburg, das dem erzsteifen und seriösen Lübeck gegenüber offenbar als eine ziemlich verlotterte Hansestadt galt, dann ist sie auf Gedeih und Verderb der wohlwollenden Wiederaufnahme durch die Familie ausgeliefert, welche Bruder Thomas ihr in einem der wenigen Familienverbundenheit ausdrückenden Momente des Films gewährt. Meist schaden die übrigen Mitglieder der Famlie dem Oberhaupt Thomas Buddenbrook. Das tut sowohl Tony durch ihre teuer gescheiterten Ehen als auch sein Bruder Christian, der Leichtfuß, als auch seine Frau Gerda, die ihren Sohn in seinen musischen Talenten fördert, ohne auf einen erzieherischen Ausgleich im Sinn der gleichzeitigen Ausbildung zum Handelsmanager in Nachfolge des Vaters hinzuwirken.

Weitere Rollen. Der aus der Art geschlagene Bruder von Thomas, Christian Buddenbrook, wird von Hanns Lothar, der als komischer Part in vielen Filmen der 1950er und frühen 1960er Jahre zu sehen ist, als Bruder Leichtfuß gespielt, der zudem kränklich veranlagt ist oder dies mindestens von sich glaubt.

Zwischen Verantwortungslosigkeit und Hypochondrie pendelnd, mit symbolischen Beschwerden ausgestattet, begeht er das Sakrileg, eine Schmierenkomödiantin zur Freundin zu nehmen und dann zu ehelichen. Nicht nur dass er dem Ansehen des Hauses durch seine eigene Art schaltet, er verstärkt diesen Effekt dadurch, dass er dem Buddenbrook-Hauptkonkurrenten Wagenström die Geliebte und damit offensichtlich eine Last abnimmt.

Wäre diese Geliebte nun eine Frau des Herzens wie die Blumenhändlerin Anna (Ellen Rödler) für Thomas, auf die jener, ebenfalls aus Familientradition, verzichten zu müssen glaubt, dann wäre die Sache nicht so eindeutig, aber so erkennt man ganz klar die Negativspiegelung der Verhältnisse. Thomas verzichtet für das Haus auf eine Frau, die Wärme und ehrliche Neigung ausstrahlt, Christian geniert sich nicht, eine mehr billig mehr denn einfach wirkende Person in die Familie einzuschleusen, die später, wie so viele andere, vom Clanchef kostspielig abgefunden werden muss, nachdem Christian es vorgezogen hat, in eine geschlossene Anstalt zu wechseln, ohne dass die Ärzte dies als zwingend notwendig deklariert hätten.

Die Elterngeneration wird von Werner Hinz und Lil Dagover (Jean und Elisabeth Buddenbrook) eher unauffällig gespielt, wobei besonders die optische Abweichung von Lil Dagover zur Buchfigur auffällt. Während ihr Mann Jean die Firma bis zu seinem gewaltsamen Tod mit ruhiger Hand führt und mit einer eher moderaten rhetorischen Kunstfertigkeit eine Revolution aufzuhalten versteht (die ihn dann aber doch unversehens umbringt), wirkt sich die etwas törichte Art seiner Frau vor allem später negativ aus, als sie die Kirche überreich aus dem schwindenden Vermögen der Buddenbrooks beschenkt, ohne ihren die Geschäfte führenden Sohn Thomas auch nur zu konsultieren.

Eine eigene Rolle sollte man den sozialen Schichten einräumen. Es geht die Rede, dass Thomas Mann den – heute würde man sagen: bildungsfernen – Schichten nicht wohlgesonnen war.

Die echten und die fiktionalen Buddenbrooks

An dieser Stelle wird es Zeit,  den Schriftsteller Thomas Mann selbst als soziale Person zu beschreiben. Was macht einen Erstling wie „Buddenbrooks“ oft überragend authentisch? Dass man zum Beispiel viel Autobiografisches einfließen lässt. Thomas Mann, Sohn des Lübecker Kaufmanns und Senators Thomas Heinrich Mann, wusste, über welches Milieu er schrieb und es lässt sich denken, wie diese Familie, die zu den ersten Keisen Lübecks gehörte (Wikipedia) zu den Arbeitern stand, die im Film als „rebels without a cause“ dargestellt werden. Drang zur sozialen Revolution als Ergebnis von mangelnder Bildung, könnte man es zusammenfassen.

Es ist also nicht ein Übergriff der Inszenierung, wenn der Verbesserungen fordernde Arbeiter Smolt (von Günther Lüders volkstümlich wiedergegeben) als eher unterbelichtetes Individuum wirkt, dankbar, aber so wenig beleuchtet, dass er bei jedem vorgeblich glücklichen Ereignis eine Art Grabrede hält. Natürlich ist auch dieser Vergänglichkeitshinweis symbolisch, ebenso wie der Stein aus der Menge, der nach einer diese Reden durchs Kutschenfenster fliegt und den Jean Buddenbrook am Kopf trifft, woraufhin er verstirbt.

Die Parallelen gehen selbstverständlich weiter. Thomas Manns Vater, ihm ist wohl in seltsamer Zugeneigtheit die Hauptfigur des Buches und Films gewidmet, verstarb mit nur 51 Jahren an einer Krebserkrankung und hatte im Testament die Auflösung seiner Firma verfügt, weil seine Söhne nicht nach seinem Wunsch geraten seien. Gemeint sind damit Thomas und Heinrich Mann, die berühmten Schriftsteller. Dies geschah zehn Jahre, bevor „Buddenbrooks“ entstand, das demnach mehr eine halbe Autobiografie denn ein überwiegend auf fiktionalen Gegebenheiten basierender Roman ist, zumal weitere Figuren aus dem Leben des Schriftstellers sein Buch bevölkern – etwa seine Mutter Julia, welche das Vorbild der geheimnisvoll-unnahbaren Gerda ist. In dieses Geflecht ließe sich unendlich viel hineininterpretieren und selbstverständlich wurde dies von der Literaturwissenschaft bereits getan, aber diese Hauptlinien und die resultierenden Strebungen sollte man kennen, um den Film und das ihm zugrundeliegende Buch richtig aufzufassen.

Buddenbrooks als Deutsche

Anlässlich der Neuverfilmung des Romans im Jahr 2008 sagte der damalige Bundespräsident  Horst Köhler, die Deutschen fände er darin gut wieder (nach dem Sinn zitiert). Das war wohl kein Kompliment, sondern heißt im Grunde, er sieht die Deutschen als wenig welttauglich an, weshalb er vermutlich auch demissionierte und Platz für den Zwischenpräsidenten Wulff machte, dem als heutiger oberster Mann im Staat Joachim Gauck folgte.

Auch hier können wir nicht alle Parallelen und Bezüge aufgreifen. Als Thomas Mann im Jahr 1901 seinen Roman veröffentlichte, war dieser gewiss nicht gerade im Trend der Zeit. Deutschland fühlte sich als ein starkes, expandierendes, nach einem gewonnenen Krieg geeintes Land, das durchaus zur Überheblichkeit neigte – freilich nicht mehr als andere europäische Staaten. Als der Film entstand, war das Urtrauma von 1914 geschehen und der daraus resultierende Krieg von 1939 bis 1945 und mehr kann sich die Ausgangslage einer Nation in einem so kurzen Zeitraum nicht verändern.

Eine Familie als Symbol für ein Land, das dazu neigt, sich selbst zugrunde zu richten? Nicht, wenn man es von der emotionalen Botschaft her betrachtet. Der Künstler Thomas Mann war der Aufrichtigkeit verpflichtet, die ein hervorragender Literat in sein Werk einbringen sollte – eine durchaus norddeutsche Tugend, diese strenge Selbstauffassung und Ernsthaftigkeit, allerdings auch gepaart mit hohen Ansprüchen and andere. Es ist fühlbar, dass daraus, Konventionen und Disziplinvorgaben über die wahren Gefühle zu stellen, nichts Gutes erwachsen kann. Insofern hat er aber treffend erfühlt, woran Deutschland krankte und leider immer noch krankt: Großes Wollen und Vorbild sein wollen, anstatt sich selbst zu erkennen als hoch emotionales Volk und demgemäß andere Prioritäten zu setzen als Nationen, die weniger gefühlig und mehr nach einer Sachlogik des Vorteil- und Nachteilhaften instinktiv oder ganz nüchtern vom Verstand her zu denken und pragmatischer zu handeln vermögen als die Deutschen.

Thomas Mann gehörte aus gutem Grund zu den von den Nationalsozialisten verfemten Künstlern und wenn man es von heute aus betrachtet, hat sein Frühwerk prophetische Kraft, während der Film nur noch nicken musste und sagen: Ja, so ist es gekommen, es war alles absehbar.

Leider aber lässt sich die Linie bis zum heutigen Tag fortführen. In der Zeit, in welcher der Film entstand, schickte sich selbst das erheblich verkleinerte (West-) Deutschland an, ökonomisch zur Supermacht zu werden, die es dann für eine kurze Zeit tatsächlich darstellte. Heute steht es ökonomisch auf wackeligen Beinen und gaukelt anderen und sich selbst eine vorbildliche Rolle vor, die es abermals zum Neidobjekt einerseits macht und sieht sich andererseits selbst wieder in eine Position gedrängt, der es nicht gerecht werden kann, ebenso, wie es zu Beginn des 20. Jahrhunderts, als Thomas Manns Roman entstand, nicht die Welt an seinem Wesen genesen lassen konnte.

In Wirklichkeit ist Deutschland ähnlich erschöpft, durch seine Hatz nach der Perfektion und der maximalen Selbstausbeutung als eine Art Suggestion von Disziplin ausgezehrt wie von Schulden aufgezehrt wie andere Länder, die sich zur Erreichung dieses Zustandes wenigstens nicht so verausgabt haben. Die Nationen, die sich dem Materiellen hingegeben haben und damit keine tieferen Werte besitzen, und das sind mittlerweile fast alle, sind genauso dem Untergang geweiht wie die Buddenbrooks, wenn sie nicht umsteuern und andere Prioritäten setzen.

Doch bei dieser Lübecker Kaufmannsfamilie schienen die Wirkmechanismen, die in den Untergang führten, stärker zu sein als die Menschen, die sich diesen Wirkmechanismen unterwarfen, und so wird es wohl auch im 21. Jahrhundert wieder kommen. Ein Systemwechsel, der nicht auf der Zerstörung der bisherigen, untauglichen Instrumente fußt, scheint angesichts unserer beschränkten Weltwahrnehmung nicht denkbar. So wenig, wie die Buddenbrooks begriffen, dass sie mit ihrem vorgeblich der Tradition und dem materiellen Wohlstand verpflichteten Handeln noch keine Werte schufen, welche die Zeiten überdauern können.

Einen Mann wie den aktuellen deutschen Finanzminister Wolfgang Schäuble, der, halb gelähmt im Rollstuhl sitzend, aufopferungsvoll eine zusammenbrechende Ordnung zu hüten versucht – eine Figur mit mehr Symbolcharakter hätte sich auch Thomas Mann nicht ausdenken können.

Das Buch von 1901 und der Film von 1959 werfen lange, dunkle Schatten in die Gegenwart. Den Film haben wir bereits vor einem halben Jahr aufgezeichnet, aber uns vor der Rezension gescheut, weil wir die eindringliche, aber wohl vergebliche Botschaft, die er uns mitgibt, nicht so deutlich  herausstellen wollten. Bis zur Veröffentlichung des fertigen Essays haben wir wieder einige Monate verstreichen lassen. Doch gerade jetzt, wo die Börsen in einer Scheinblüte hoch am Halm stehen, kann der Hagelsturm jederzeit kommen und die gesamte Ernte vernichten – so wie in jenem Moment, als Thomas Buddenbrook ein Geschäft macht, das den Keim des Verderbens schon in sich trug.

Er wollte damit vor allem seiner Schwester Tony einen Gefallen tun, um deren finanziell notleidendem Mann zu helfen – und gleichzeitig durch Spekulation seine Firma stärken. So, wie wir heute uns selbst und anderen einen Gefallen durch ungeheuer überdehnte europäische Rettungsschirme und viele weitere Maßnahmen von geringer ökonomischer Solidität tun wollen. Doch auch sie werden den Sturm nicht überdauern und wenn es schlecht läuft, wird nicht nur die Ernte einer Periode vernichtet werden.

Handlung, Atmosphäre, Setting

Dass man den Roman in jeder Hinsicht kürzen musste, um ein halbwegs handhabbares Kinoformat zustande zu bringen, versteht sich. Nach unserer Ansicht sind die Kürzungen gut gewählt und obwohl man das Epische gekappt hat und anstatt 40 Jahren, wie im Buch, nur deren etwa 20 im Film zeigt, wirkt genau dieses Epische weiter. Man spürt, wie die Vergangenheit auf der Familie lastet, ohne sie näher bestimmen zu können, was das Buch eher zulässt. Nur die Familienchronik, in einem wiederum symbolisch überformatigen Standard-Roman der Bürgerlichkeit niedergeschrieben, stellt die Verbindung zu den verstorbenen Ahnen her, die den kommenden Generationen so viel mitgaben, dass es offensichtlich für diese eher durchschnittlichen Menschen zu viel geworden war.

Die wichtigen Ereignisse werden selbstverständlich gezeigt, das unterscheidet die „Buddenbrooks“ nicht von amerikanischen Spielfilmen ähnlicher Art – aber in ihnen wird auch der Alltag dieser Familie spürbar. Eine Szene möchten wir herausheben, weil sie von allen anderen im Film abweicht.

Als Antonie vor dem Werben des Bendix Grünlich nach Travemünde ausweicht, trifft sie dort auf den jungen Arzt Morten, wir haben diese Sequenz schon als die einzig romantische im Film beschrieben. Was das ganze Werk durchzieht, potenziert sich hier: Eine erlesene Produktionsqualität. Settings und Kostüme sind dem üblichen damaligen Standard im deutschen Film überlegen. Die Dekors und die jeweilige Szenerie sind gefühlvoll und doch wieder mit einer deutschen, klinischen Akkuratesse ausgestaltet. Die Strandszene mit Tony und Morten wirkt wie ein impressionistisches Gemälde, eingedeutscht durch die Perfektion in jedem Detail, vom Sonnenschirm bis zu Tonys hellem Kleid und der ebenfalls hellen Kleidung Mortens, bei der man sich eine sichtbare und offenbar gewollte Abweichung erlaubt hat: teilweise entspricht diese der Mode späten 1950er Jahre, das betrifft auch seine Frisur.

Wir deuten das so, dass diese frische, moderne, beruflich als Medizinstudent und emotional und gemäß seiner Sprachverwendung als Mann eher heutiger Prägung selbstbestimmte Figur in einem besonderen Moment innerhalb des Films von allen anderen abgehoben werden sollte, auch von der in jenem Moment schwärmerisch verliebten Tony. Wir glauben, dass man Morten mit dieser den Menschen zu der Zeit, als der Film ins Kino kam vertrauten Art zu sprechen, zu handeln und gekleidet zu sein, näher an die Zuschauer heranbringen wollte und damit den Verlust, den Tony und die Buddenbrooks in Wirklichkeit dadurch erleiden, dass sie diesen intakten Menschen nicht in ihre Familie aufgenommen haben, weil er von einfachen Küstenbewohnern abstammt und kein wohlhabender Kaufmann ist, umso fühlbarer machen wollte.

Dass hingegen die Menschen stimmungsadäquat gekleidet sind und daher im Verlauf des Films immer häufiger dunkle Kleidung vorkommt, ist zwar anzumerken, gehört aber zum üblichen Symbole—Repertoire der Filmzunft und der Literaten.

Von der Strandszene weg, mit dem Wind und dem Meer und zwei jungen Leuten, die für eine Filmminute einfach nur genau das sein dürfen, ist die Atmosphäre, wie der ganze Film, sehr gediegen und strahlt aus diesem Grund mehr, als es jede heutige Produktion kann, die Nähe zu dieser Bürgerlichkeit aus, die man uns zeigen möchte.

Schauspieler, Dekors, Kleidung, Wetter, Plätze und Dialoge sind so präzise und wirken im Zusammenspiel so eigentümlich wirklich, dass man sich dem Buch näher fühlt als bei jeder noch so gut gemeinten Nachverfilmung aus dem 21. Jahrhundert, die zwar bezüglich der Motive und Botschaften dicht bei den Buddenbrooks sein mag, wie wir festgestellt haben, aber doch im Umgangston ganz anders geworden. Was allen heutigen Historienfilmen ein wenig anlastet, sind gewisse Jetztzeit-Attitüden, wir haben das neulich auch an dem hoch ambitionierten und vielfach preisgekrönten „Das weiße Band“ gesehen, der in der wilhelminischen Periode spielt und den wir ebenfalls rezensieren werden.

Ein weiterer Aspekt für die schwindende Nähe zum historischen Subjekt ist eine Tatsache, die im Grunde nicht negativ zu bewerten ist – dass heutige Filmer nicht, wie diejenigen vor achtzig oder sechzig Jahren, selbst oftmals dem Großbürgertum oder gehobenen Bildungsbürgertum entstammen, sondern soziale Aufsteiger eher linker Provenienz sind, die andere Akzente in ihren Filmen setzen als die genuine Wiedergabe der Welt, die sie beschreiben und dass im Film die Theatersprache auf dem Rückzug ist. Dass dadurch der besondere Reiz älterer Werke sich verstärkt, ist unvermeidbar.

Eine für die Verhältnisse der 1950er Jahre recht sparsam eingesetzte Musik, die keinen Klangteppich darstellt, sondern sehr genau auf die Situation eingestellt wurde kommt dem Film ebenso zugute wie seine bis auf einige Wischblenden saubere und geradlinige Kameraarbeit. Da ist wenig filmdeutscher Expressionismus, aber einiges, das man durchaus französischen und italienischen Einflüssen der frühen Nachkriegszeit zuschreiben könnte.

Finale

Fraglos ist „Buddenbrooks“ eines der gelungensten und anspruchsvollsten „period pieces“, das die Westdeutschen im ersten Jahrzehnt der Bundesrepublik zustande gebracht haben. Wir schlagen eine Brücke zum schon 1951 in der DDR entstandenen Film „Der Untertan“ nach dem Roman von Thomas Manns Bruder Heinrich, der zu unserer Zeit nicht nur zum Kanon der „Schulfilme“ gehörte, die man sich im Klassenzimmer bzw. mit Deutschlehrer in einem kleinen Programmkino anschaute, dann muss man sagen, dass „Buddenbrooks“ weitaus weniger plakativ und weniger offen sozialkritisch wirkt, aber seine eigenen Qualitäten als eine angemessene Beschreibung einer deutschen Welt aufweist, deren Prioritäten wie Gefühlsnegierung und Zurückstellung eigener Wünsche und Empfindungen hinter ein vermeintlich wertvolleres, in Wirklichkeit sehr abstraktes Ganzes zu den bekannten Ergebnissen geführt haben.

Die Welt des Untertans war konkret am Staat und seinen Symbolen ausgerichtet und hat diese verherrlicht, die Traditionen und Essentials im Selbstverständnis der Buddenbrooks wirken nach heutigen Maßstäben weniger aufschauend und viel selbstbewusster – und sind uns, die wir glauben, des Untertanengeistes ledig geworden sind, indem wir mit Farbbeuteln auf Staatssymbole schmissen oder den Wehrdienst verweigert haben, doch viel näher. Wir hinterfragen viel zu wenig, was uns als gesellschaftliche oder status- und standesbedingte Vorgabe wichtig erscheint. Wir folgen noch immer, trotz aller Lehren aus der Vergangenheit, nicht unseren Herzen und dem gesunden Menschenverstand, die durchaus Hand in Hand gehen können, sondern Ideen, die nicht unsere sind, sondern die uns vorgesetzt werden mit der Maßgabe, sie seien höher und wichtiger als wir selbst und als unsere Nächsten, die wir erhobenen Blicks übersehen, weil sie alle unter der Ägide ihrer Relevanz für den Erhalt des Systems gesehen werden – und nicht als Individuen. Das Wort Systemrelevanz kam jetzt ganz unbewusst aus der Feder, aber es steht wie ein Zeichen an der Wand und wir lassen’s dort stehen.

„Die Buddenbrooks“ haben uns auf all dies hingewiesen und auch wenn die 1959er Verfilmung nicht die gültige sein mag, die es für einen solchen Roman wie das Nobelpreiswerk von Thomas Mann wohl nie geben wird, bewerten wir sie als einen der herausragenden Filme aus dem Westdeutschland der Jahre 1950-59 mit 8,0/10.

Anmerkung anlässlich der Wiederveröffentlichung des Textes im Jahr 2024

Vor zehn Jahren, als die Rezension im „ersten “ Wahlberliner Premiere hatte und allemal im Jahr 2013, als sie entstand, war sie eine der bis dahin umfangreichsten – und das ganz ohne Einbindung von Fremdtext, was mittlerweile häufiger dafür sorgt, dass nach dem heutigen Schema der Feature-Zusatz „Die große Rezension“ (ab 3.000 Wörter) im Titel und der Headline erscheint. 

Wenn man sich die Entwicklung seit 2013 anschaut, auf die wir damals Bezug genommen haben, kann einem sehr mulmig werden und es kommt unweigerlich der Gedanke auf, dass das gesamte Land sehr viel von den Buddenbrooks hat. Der Niedergang ist mittlerweile so greifbar, dass man um den Vergleich gar nicht herumkommt. Ob Thomas Mann das alles 1901 als eine Art ewigen deutschen Kreislauf antizpieren konnte? In einer historisch einmaligen Aufstiegssituation? 1959, als der Film entstand, war der Aufstieg oder Wiederaufstieg ja auch sehr oberflächlich, beruhte weniger auf tiefgehendem Wandel zur Charakterfestigkeit und, wenn man das Ausland als die umgebende Gesellschaft sieht, weniger auf Sympathie denn auf Respekt vor ausschließlich ökonomischen Tatsachen, und wie wenig Substanz das alles hatte und wie heute wieder der empathielose deutsche Volkscharakter sein destruktives Werk tut, indem er jede Krise zu einem Desaster werden lässt, zu einem Blankziehen in ökonomischer und ethischer Hinsicht, kann man die Brücke von 1901 nach 1959 hin in die heutige Zeit leicht bauen.

Die große Skepsis, die aus Manns Werk spricht, hat Alfred Weidenmann durchaus adaptiert. Die Frage ist aber, und der würden wir bei einer heutigen Sichtung intensiver nachgehen, ob nicht dieser Downfall der Bürgerlichkeit doch die vorgeblich antibürgerliche Nazi-Ideologie durchschimmern lässt, deren Thomas Mann gewiss abhold war, und wo es also zu Unterschieden zwischen Film und Buch kommt, die herauszuarbeiten wären. Dass Mann auch der Arbeiterschaft nicht viel zugetraut hat, selbst ein Bürgerlicher, der er war, könnte man sogar auf heutige Verhältnisse übertragen, in denen sie nicht zu Fortschritt und Solidarität findet, sondern in die Regression geht und sich politisch dementsprechend verhält. 

Uns steht der Pessimismus, der sich im Roman und im Film ausdrückt, derzeit sehr nah. Wir glauben nicht mehr recht daran, dass Menschen sich wirklich innerlich und äußerlich erheben können. Das beeinflusst unsere aktuellen Rezensionen hoffentlich nicht zu sehr, denn letztlich ist Film auch ein Spiel mit Möglichkeiten und kann eine befreiende Wirkung haben. Buddenbrooks ist nicht so. Er passt, vom Fazit her gesehen, hervorragend in die heutige Zeit. Die Bewertung ändern wir nicht.

80/100

© 2024, 2014 Der Wahlberliner, Thomas Hocke (Entwurf 2013)

Regie Alfred Weidenmann
Drehbuch Harald Braun
Jacob Geis
Erika Mann
Produktion Filmaufbau GmbH, Göttingen
(Hans Abich)
Musik Werner Eisbrenner
Kamera Friedl Behn-Grund
Schnitt Caspar van den Berg
Besetzung

 


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