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Was ist der deutschen Wirtschaft durch die Krisen der vergangenen beiden Jahrzehnte an Einnahmen verlorengegangen? Dazu gibt es eine interessante Grafik von Statista, mit der wir unsere Berichterstattung nach einer kleinen Pause wieder aufnehmen.
Infografik: Wie haben Corona und der Ukraine-Krieg die deutsche Wirtschaft belastet? | Statista

Diese Statista-Grafik wurde unter einer Lizenz CC BY-ND 4.0 Deed | Namensnennung-Keine Bearbeitung 4.0 International | Creative Commons erstellt und wir geben sie unter gleichen Bedingungen wieder. Folgend der Statista-Begleittext dazu, dann weiter mit unserem Kommentar.
Laut einer Modellierung des arbeitgebernahen Wirtschaftsforschungsinstituts IW Köln musste die deutsche Wirtschaft auf Einkünfte in Höhe von rund 550 Milliarden Euro verzichten. Damit liegt der kombinierte Bruttowertschöpfungsverlust aus Corona-Pandemie und Ukraine-Krieg über dem der Finanzkrise und den strukturschwachen Jahren zwischen 2001 und 2004. Was fehlt: Eine genauere Aufschlüssung der Auswirkungen der beiden Krisen ab dem Jahr 2022.
Deutlich wird wiederum, wo der größte geschätzte Fehlbetrag zwischen 2020 und 2023 zu verortet ist. Studienautor Prof. Dr. Michael Grömling zufolge seien in diesem Zeitraum rund 400 Milliarden Euro im Bereich privater Konsum ausgefallen, der Großteil davon in den Jahren 2020 und 2021. Diese Erkenntnis unterstreicht die Bedeutung von Unternehmen der Reisewirtschaft, des Gastgewerbes und der Kultur- und Kreativbranche für die deutsche Wirtschaft. Diese waren laut einer Umfrage des Deutschen Industrie- und Handelskammertags im November 2020 mit Umsatzrückgängen jenseits von 90 Prozent konfrontiert, im Mittel betrugen die Einbußen bei den 13.000 befragten Unternehmen 69 Prozent.
Im Bereich der Bruttoanlageinvestitionen entstand in den Jahren 2022 und 2023, die von den letzten Ausläufern der akuten Corona-Pandemie und seit Februar 2022 vom Krieg in der Ukraine geprägt waren, ein größerer Fehlbetrag als in den Pandemiejahren. Diese waren für eine Investitionslücke in Höhe von 70 Milliarden Euro verantwortlich, während der geschätzte Fehlbetrag 2022 und 2023 bei 85 Milliarden Euro lag. Grömling führt dies unter anderem auf den Anstieg der Kosten für Baumaterial seit 2022 zurück.
So ist das Leben, war unser erster Gedanke. Es läuft nicht alles eben. Und Krisen gibt es immer wieder. Die Frage ist nur, ob man sie so einander gegenüberstellen kann, wie das in der obigen Grafik getan wird.
- Eigentlich müsste man noch weiter zurückgehen: Die Rezession im dritten Jahr nach der Wiedervereinigung hinzunehmen, die ja auch Ausdruck der Strukturkrise war.
- Die Wachstumsschwäche nach der zweiten Ölkrise von 1979, die zum Ende der sozialliberalen Koalition beigetragen hat (kommt Ihnen bekannt vor?) berechnen, und natürlich den ersten Ölpreisschock 1974, der die vorherige Hochkonjunktur abrupt beendet hatte.
Dann hätte man, wenn man alle Krisen, die überwiegend von außen verursacht waren, zusammen, die sich seit der Gründung der Bundesrepublik ergeben haben. Die Härte dieser Krisen hat aber auch damit zu tun, dass Deutschland als Exportland immer dann besonders schlecht dasteht, wenn es woanders Einbrüche gibt – und umgekehrt natürlich, wenn es dort gut läuft, viel investiert wird, profitiert man hierzulande stark davon.
- Wir haben uns in einem Artikel zu den Ukraine-Hilfen erlaubt, die Verluste der deutschen Wirtschaft durch diesen Krieg beizufügen. Anders als die Corona-Pandemie war es im Grunde kein externer Faktor, der die neueste Krise ausgelöst hat, sondern eine Entscheidung der deutschen Politik, diese Verluste in Kauf zu nehmen.
- Deswegen ist für uns die Ukraine-Delle in der deutschen Wirtschaftsentwicklung ein Sonderfall. Leider ist er in der obigen Grafik nicht genau quantifiziert. Wir hatten ihn bis Anfang 2024 sehr konservativ auf 100 Milliarden Euro geschätzt, das dürfte in den obigen Zahlen bestätigt sein, zumal Corona mittlerweile keine Rolle mehr spielt. Was fehlt, ist die Betrachtung 2023/2024, die Aufschluss darüber geben könnte, wie hoch die Einbrüche durch den Ukrainekrieg mittlerweile sind, denn in dem Zeitraum hatte die Corona-Pandemie keine Rolle mehr gespielt, von einigen Spätwirkungen vielleicht abgesehen, wie der Tatsache, dass während und in der Zeit auch wegen Corona Betriebe aufgeben mussten, die später nicht zu reaktivieren waren.
Dadurch, dass die Jahre 2001 bis 2004 als Strukturkrise hervogehoben werden, verbirgt die Wirtschaft und verbergen die ihr nahestehenden Institutionen und Institute natürlich geschickt, dass wir in Wirklichkeit eine Dauerstrukturkrise haben, die durch die Niedrigzinspolitik der 2010er nicht so auffiel, wie sie das jetzt tut. Auch das Märchen, Kanzler Schröders Billiglohnsektor hätte Deutschland nach vorne gebracht, wird immer noch gerne erzählt, dabei hat dieser gerade nicht dazu beigetragen, die Innovationsschwäche der hiesigen Ökonomie zu beheben. Die Wirtschaftsinstitute könnten langsam dazu übergehen, die Schuld für die Probleme nicht immer quasi zu externalisieren, wie es auch die obige Grafik suggeriert. Natürlich hätte auch eine intakte, moderne Wirtschaft in diesen Krisen an Umsatz verloren, aber von einem höheren Ausgangsniveau aus – und vor allem hätte sie sich schneller erholt, als das gegenwärtig der Fall ist.
Die Autoindustrie, die immer als Menetekel für das Ende Deutschlands herhalten muss, hätte früher und freiwillig in technologische Umstellungen investieren können, die jetzt in China vorangebracht werden. Dass dem nicht so ist, hat viel weniger, als gewisse Populistinnen behaupten, mit der erratischen deutschen Politik zu tun als mit dem Unwillen, eingetretene Pfade zu verlassen. Aber wer politisch den Leuten suggeriert, dass man sich aber auch ja nie anpassen muss, egal, wie sich die Umstände verändern, dem geht so etwas leicht von der Hand. Deutschland ist aber für die deutsche Autoindustrie lange nicht mehr der größte Absatzmarkt und sie sitzt mit ihren vielen Joint-Ventures in China direkt an der Quelle, wenn es um Technologietransfer in beide Richtungen geht, sie hat also von sich aus entschieden, die BEVs zu vernachlässigen, die jetzt von BYD & Co. auf den Markt gebracht werden.
Bei fast allen wichtigen Zukunftsindustrien hinkt Deutschland sowieso hinterher, und das ist nicht durch die oben verbildlichten Krisen ausgelöst worden, sondern eher dadurch, wie man diese auf eine defensive und Schwächen kaschierende Weise und natürlich auf Kosten der Bevölkerungsmehrheit zu lösen versuchte. Daran hat die Politik sehr wohl einen Anteil, das hätte sie nicht arrangieren, nicht unterstützen dürfen, sondern hätte mal, wie bei den Jobcenter-Kund:innen, mit Fordern und Fördern arbeiten müssen: Nur, wer sich wirklich anstrengt in Sachen Zukunftstechnologie, wird gefördert, dann aber auch großzügig. Die Wirtschaftslobbyisten hingegen bevorzugen das Gießkannenprinzip, mit dem auch die letzte Klitsche so lange steuerlich günstig abschreiben und Abgaben auf andere Weise vermindern kann, bis der Staat noch für deren Existenz draufzahlen muss.
Und das läuft seit Jahrzehnten so, dank des negativen Einflusses der Neoliberalen in diesem Land, die nicht nur bei der FDP, wo sie sozusagen statusmäßig angesiedelt sind, sondern auch in Wirtschaftsinstituten ihr Unwesen treiben.
Es ist sicher nicht sinnlos, einmal eine solche Modellierung zu machen, wie man sie oben sieht, aber man muss solche Darstellungen ins richtige Licht rücken und interpretieren. Bleibt man da zu sehr an der Oberfläche, zieht man die falschen Schlüsse. Die Politik hat sehr wohl Anteile am gegenwärtigen Desaster, sogar große, aber sie liegen z. B. nicht überwiegend bei der Ampelkoalition, sondern ursächlich gesehen viel weiter zurück. Allerdings hat die Ampel mit ihren Ukraine-Entscheidungen eine Wirtschaft belastet, die nicht sehr resilient ist. Offenbar hat auch sie an gewisse Narrative geglaubt, die sich in den 2010ern wieder herausgebildet hatten, als Deutschland eine Scheinblüte aufgrund der Niedrigzinspolitik aufwies. Hätte man einige Zahlen etwas genauer studiert, wie zum Beispiel die seit Jahrzehnten anhaltende Verschiebung der Produktion deutscher Unternehmen ins Ausland, wäre man jetzt nicht so blank auf mehreren Ebenen.
Eine echte Reorganisation der deutschen Wettbewerbsfähigkeit ist ein hartes Stück Arbeit, nicht an einem Tag, nicht in einem Jahr getan. Bei der Kurzatmigkeit aller Beteiligten heutzutage sind wir gespannt, wie sich das unter Kanzler Friedrich Merz anlassen wird. Eigentlich müssten wir dann auch kurzatmig sein. Wenn es nach zwei Jahren keine merklichen Verbesserungen beim Wirtschaftswachstum gegeben hat: Neuwahlen. Ist uns dann auch egal, ob es externe Gründe wie zum Beispiel eine verrückte Zollpolitik Donald Trumps gegeben hat, die wieder einmal eine nicht resiliente deutsche Wirtschaft besonders hart erwischte.
TH
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