Die goldene Karosse (La carrozza d’oro, FR / IT 1952) #Filmfest 1207

Filmfest 1207 Cinema

Die goldene Karosse (Originaltitel: La carrozza d’oro) ist ein italienischfranzösischer Historienfilm aus dem Jahre 1952 von Jean Renoir mit Anna Magnani in der Hauptrolle. Er entstand nach der Erzählung Le carrosse de Saint-Sacrement von Prosper Mérimée.

Dafür hätten wir uns vermutlich mit jemandem angelegt, der etwas anderes behauptet. Dass Karosse auf Deutsch mit zwei »r« geschrieben wird, in den romanischen Sprachen aber nur mit einem. Und nun ist es umgekehrt. Eigentlich ist dies ein italienisch-französischer Film, nicht umgekehrt, da das Wichtigste daran, um Geldgeber  zu finden, war wohl nicht die Regie von Jean Renoir, sondern die Zugkraft von Anna Magnani. Der Film war aber beim Filmverzeichnis Nr. 8 in der Sektion »Frankreich« eingeordnet und wir belassen es jetzt dabei, mit der Besonderheit, dass der Originaltitel in Italienisch geschrieben ist. 

Da es zu diesem Film keine neuere Rezension von uns gibt, geben wir hier wieder, was die gemeinfreie Wikipedia an Kritiker:innenstimmen zusammengetragen hat:

„Renoir spielt raffiniert mit dem Wechseln von Bühne und Wirklichkeit, von Theater und Leben, von Schein und Sein. Ständig vermischen sich die realen Intrigen des Films mit den Theateraufführungen, gehen ineinander über oder heben sich gegenseitig auf. Und das gleiche Thema wird noch einmal variiert, wenn der Film die Welt des Hofes mit den Bildern der Indios konfrontiert, denen Leben und Zeremoniell des Hofes zwangsläufig wie ein seltsames „Schauspiel“ erscheinen muß. Stil und Rhythmus der Inszenierung sind auch von der Musik Vivaldis bestimmt, die dem Film unterlegt ist.“ – Reclams Filmführer, von Dieter Krusche, Mitarbeit: Jürgen Labenski. S. 251. Stuttgart 1973

„Jean Renoir hat Prosper Mérimées Stück in das Milieu der italienischen „commedia dell’arte“ verfremdet und spielt in dieser brillanten Inszenierung meisterhaft mit den Möglichkeiten der Filmrealität und des Theaters. Die Leichtigkeit des ständigen Szenenwechsels, das Theater im Theater, gebrochen durch eine durchtriebene filmische Sprache, machen den musikalisch gebauten Film mit seiner immer wieder neuen ironischen Gebrochenheit zu einer der großen Regieleistungen Jean Renoirs. Seine Farbdramaturgie kann durchaus als die Fortsetzung der Malerei seines Vaters Auguste angesehen werden.“ – Lexikon des Internationalen Films[1]

Marie Anderson schreibt auf kino-zeit.de: „Ein wunderbarer Film mit filigranen Implementierungen feinster Filmkunstpartikelchen ist Jean Renoir mit „Die goldene Karosse“ gelungen, was sowohl auf die inhaltliche Ebene wie auch auf die formale Gestaltung zutrifft. Jean, Sohn des berühmten Malers Pierre-Auguste Renoir, setzte ein raffiniertes Farbenspiel in Szene, das bei aller politischer Brisanz eine geradezu liebevolle Hommage an die Commedia dell’arte darstellt, deren typische Strukturen sich auch jenseits des charmant gestalteten Theaters im Film in seiner Dramaturgie wiederfinden, die durch Musik von Antonio Vivaldi stilecht unterstützt wird. In der Figur des Offiziers Felipe verkörpert sich eine deutliche, knappe Kritik am kolonialen Unterdrückungssystem, die nur eine der politischen Spitzen darstellt, die Renoir geschickt installiert und dezent mit den emotionalen Inhalten verwoben hat. Besonders der Schluss des Films ist schlichtweg grandios komponiert und enthält die Botschaft, dass das wahre Künstlerherz sich letztlich doch für die Profession entscheidet, auch wenn Liebe, Macht und Ruhm locken.“[2]

„Theaterhaft und stilisiert ist dieser Film einer der großen über die Schauspielerei – und eine erstaunliche Leistung bezüglich der Anwendung von Farbfotografie.“ – Leonard Maltin: Movie & Video Guide, 1996 edition, S. 505

„Der Regisseur schien hauptsächlich an der Farbe und den Hintergründen interessiert gewesen zu sein; die Geschichte ist langweilig und die Hauptdarstellerin fehlbesetzt.“ – Leslie Halliwell: Halliwell’s Film Guide, Seventh Edition, New York 1989, S. 412

Die letzte Rezension wird wohl jeden Freund von Anna Magnani oder Jean Renoir triggern, weil sie dem Film unterstellt, nur Kunst für die Kunst zu sein, unter anderem. Wir haben im Filmverzeichnis Nr. 8, das im selben Jahr entstand wie die siebte Auflage von Halliwell’s Film Guide, zu guten acht Punkten gegriffen. Die IMDb weist aktuell 7/10 aus, das ist okay, aber für einen echten Renoir nicht herausragend; Rotten Tomatoes kommt aber auf 100 Prozent positive Kritiken. Auf Jean Renoir lassen wir normalerweise nichts kommen, aber mit Anna Magnani sieht es etwas anders aus. 

Wir wissen, dass sie als die größte italienische Filmschauspielerin aller bisherigen und damit vermutlich auch aller künftige Zeiten gilt. Viele italienische Filmdiven wurden bewundert für ihre Schönheit oder Sexiness, einige nebenbei für ihr Schauspiel, aber bei Anna Magnani musste es ja wohl das Schauspiel gewesen sein, zumindest in den 1950ern, als sie international so erfolgreich war. Vielleicht ist es die weibliche italienische Form von Method Acting, aber ich bin da sehr im Zweifel und meine durchaus, dass sie in Rollen junger, attraktiver Frauen in jenen Jahren eine schwierige Besetzung darstellt. Und was man bei Stummfilmen schon als übertrieben empfand, obwohl der Dialog und die Sprechweise als Ausdrucksmittel fehlt, nämlich der sehr körperbetonte, exaltierte Einsatz, soll bei Anna Magnani also das Höchste der Schauspielgefühle sein. Italiener:innen sind beim Reden lebendiger als wir oder die Angelsachsen und haben eine stärker gestisch unterstützte Sprechweise, das war natürlich auch bei Anna Magnani der Fall. Ein bisschen mehr Geste bei der Rhetorik müssen Deutsche für öffentliche Auftritte in der Regel im Wege rhetorischer Schulung beigebracht bekommen, und auch dann wirkt es oft sehr statisch und einfallslos.

Das Spiel von Magnani ist nach meiner Ansicht theaterhaft, und am Theater gelten andere Regeln als im Film, die Darsteller müssen lauter sprechen und mehr gestikulieren, die Mimik stärker akzentuieren, um im ganzen Saal mit ihren Emotionen deutlich zu werden, während im Film die Nahaufnahme ein Riesenfortschritt war. Für mich sind diejenigen Darsteller:innen die besten, die zwar vom Theater kommen mögen, aber ihre Spielweise an das Medium Film anpassen konnten, das nun einmal mehr visuelle Möglichkeiten hat, um Emotionen, Assoziationen und viele Symbole gleichermaßen bzw. gleichzeitig zu erzeugen. Am Visuellen orientierte Regisseure wie Jean Renoir wussten das natürlich. 

Daher musste er auch wissen, seien wir ehrlich, dass es bei Anna Magnani in den 1950ern etwas unglaubwürdig wirken musste, dass sich unzählige gutaussehende junge Männer aus den höheren Kreisen Hals über Kopf in ihre Figur verliebten; so waren ihre Rollen üblicherweise auch nicht ausgestaltet. Zwei Jahre später, in »The Rose Tattoo« hatte sie es wundersam geschafft, den virilen, aber hier einen einfachen Typ spielenden Burt Lancaster zu gewinnen und 1961 in »Der Mann in der Schlangenhaut« sogar Marlon Brando zu interessieren. Interessant ist in dem Zusammenhang die Produktionsgeschichte dieses Films. 

Vielleicht war es aber auch die Verbindung von Theater und Leben, die in den Rezensionen beschrieben wird, die für ihn die Magnani als die richtige Besetzung erscheinen ließ. Meine Sichtung des Films ist zu lange her, um mir ein Urteil über passend oder nicht erlauben zu können. Ich gebe nur meine Eindrücke von Anna Magnani aus Filmen wieder, deren Sichtung noch nicht so lange her ist. Auffällig ist der große Unterschied zwischen der prominent besetzten Hauptrolle und dem übrigen Cast, der keinen sehr hohen Bekanntheitsgrad aufweist. Wie sich das aufs Spiel auswirkt, können wir freilich ebenfalls nicht mehr aus der Erinnerung abrufen.

Deswegen frieren wir schön alles auf dem Stand von 1989 ein und bleiben dabei, dass dies ein guter Film ist und nichts daran so unpassend, dass wir damals eine entsprechende Anmerkung geschrieben hätten. 

© 2024, 1989 Der Wahlberliner, Thomas Hocke

Kursiv, tabellarisch, in Zitatform: Wikipedia

Regie Jean Renoir
Drehbuch
Produktion Francesco Alliata
Musik Antonio Vivaldi
Kamera Claude Renoir
Schnitt
Besetzung

sowie

 


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