UPDATE: Ist Scholz weiterhin der Richtige für die SPD und ist Pistorius die nächste Kamala Harris? +++ (Umfrage + Kommentar) #btw25

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Gestern hatten wir uns anhand einer Umfrage mit dem Thema der Kanzlerkandidatur in der SPD beschäftigt – und dabei auch eine Aussage getroffen, die  unser eigenes Wahlverhalten am 23. Februar 2025 betrifft. Heute kam es zu einem Kommtar in der Causa „Scholz oder Pistorius“, den wir nicht in erster Linie als Meinugnsdarstellung einordnen, sondern der uns zum Nachdenken gebracht hat. Wäre ein Wechsel des Kanzlerkandidaten hin zu Boris Pistorius das Gleiche wie der notwendiger, aber zu einem falschen Zeitpunkt durchgeführte Wechsel von Joe Biden zu Kamala Harris im US-Präsidentschaftswahlkampf? Wir fassen den Kommentar für Sie zusammen und binden weitere Tendenzen ein:

Zusammenfassung

Die Diskussion um die Kanzlerkandidatur der SPD und den möglichen Wechsel von Olaf Scholz zu Boris Pistorius ist von intensiven Debatten und kritischen Stimmen geprägt. Der Artikel auf web.de beschreibt Pistorius als einen Politiker, der von vielen als letzte Hoffnung der SPD vor einer drohenden Wahlniederlage angesehen wird. Dennoch wird er als „völlig überschätzt“ dargestellt, mit mehreren Schwächen, die seine Eignung als Kanzlerkandidat in Frage stellen.

## Kritische Aspekte der Kandidatur von Boris Pistorius

****Wahlkampfkompetenz und Parteibasis

Pistorius hat in der Vergangenheit bei der Wahl zum Parteivorsitz nur 14,61 Prozent der Stimmen erhalten und landete auf dem fünften Platz. Dies wirft die Frage auf, warum die Wähler ihn nun als Kanzler akzeptieren sollten, wenn er nicht einmal die eigene Parteibasis überzeugen konnte. Die Bedenken hinsichtlich seiner Wahlkampfkompetenz sind somit erheblich.

****Erfolge als Minister

Als Verteidigungsminister hat Pistorius bislang wenig durchschlagende Erfolge vorzuweisen. Die Bundeswehr leidet weiterhin unter Personal- und Beschaffungsproblemen, und die Truppenstärke ist gesunken. Diese Themen könnten im Wahlkampf stark thematisiert werden und sein Image als kompetenter Minister gefährden.

****Wirtschaftskompetenz

Ein weiteres zentrales Problem ist Pistorius‘ mangelnde Wirtschaftskompetenz. In einem Wahlkampf, der stark von wirtschaftlichen Fragen geprägt sein dürfte, könnte diese Schwäche gravierend sein. Seine Fokussierung auf Sicherheitsthemen könnte zudem im linken Spektrum der SPD auf Widerstand stoßen, insbesondere bei Wählern, die eine friedensorientierte Politik bevorzugen.

## Weitere kritische Stimmen innerhalb der SPD

Die Zweifel an Olaf Scholz als Kanzlerkandidat nehmen zu, insbesondere aus dem NRW-Landesverband der SPD. Führende Abgeordnete äußern, dass es viel Zuspruch für Boris Pistorius gibt. Während einige Stimmen für Scholz plädieren, zeigen Umfragen eine klare Präferenz für Pistorius unter den Mitgliedern.

Einige Abgeordnete warnen jedoch vor einem hastigen Wechsel des Kandidaten. Kevin Waldeck, ein junger Bundestagskandidat, betont, dass es riskant wäre, Pistorius als Kanzlerkandidaten zu präsentieren, da seine Beliebtheit als Verteidigungsminister nicht automatisch auf die Kanzlerkandidatur übertragbar sei.

## Fazit

Die Diskussion um die SPD-Kanzlerkandidatur ist von Unsicherheiten und internen Konflikten geprägt. Während Boris Pistorius von einigen als potenzieller Retter gesehen wird, gibt es erhebliche Bedenken hinsichtlich seiner Eignung und den Risiken eines kurzfristigen Wechsels. Die SPD steht vor einer entscheidenden Phase, in der die Wahl des Kanzlerkandidaten maßgeblich über ihren zukünftigen Erfolg entscheiden könnte.

Kommentar

Die Ansicht des Autors bei web.de, dass Pistorius die Friedensorientierten in der SPD kaum wird mitnehmen können, auch diejenigen nicht, die Scholz‘ vorsichtig-zustimmende Ukraine-Politik schätzen und damit eine offene Flanke für BSW & Co. bieten wird, ist oben sehr knapp zusammengefasst, wird aber als Belastung, nicht als Chance angesehen. Als Pistorius sich zur Wahl  zum SPD-Vorsitzenden stellte, kannte ihn außerhalb Niedersachsens kaum jemand, das sollte man fairerweise hinzufügen, es ist auch schon einige Jahre her. Wir hatten uns damals übrigens für das Duo Lauterbach / Scheer ausgesprochen, weil Karl Lauterbach nach Olaf Scholz der bekannteste  derer war, die antraten, und  der originellste Kopf unter allen Kandidaten zu sein schien. Nicht im Blick hatten wir, das müssen wir selbstkritisch bekennen, dass Lauterbach offenbar bestimmten Lobbys nähersteht als ein jetziger Gesundheitsminister es sollte, und dass er immer schon ein Propagandist des Kliniksterbens war, der sich andererseits – sic! – niemals mit der Pharmalobby anlegen wird, die in Deutschland richtig fette Kasse machen darf.

Was wir nicht voraussehen konnten, war, dass er sich in der späteren Corona-Krise vom vorherigen Corona-Mahner zum Bettvorleger für die stets obstruktive FDP entwickeln sollte. Seine damalige Haltung oder wie er sie als Mahner vertreten hat, sieht er mittlerweile selbstkritisch, wir sind haben diese Haltung aber in unseren Kommentaren weitgehend unterstützt, zumindest während der Zeit, als er noch keinen Ministerposten hatte. Vielleicht waren unsere Einlassungen in Sachen Corona, die seinerzeit einen Großteil unserer Berichterstattung ausmachten, mit  Fehleinschätzungen verbunden, diese wiederum sind leider mit einem SPD-Politiker, dem wir einmal ziemlich viel Vertrauen entgegengebracht hatten. 

SPD-Politiker werden offenbar generell gerne überschätzt, bis sich herausstellt, dass sie auch nur mit Wasser kochen. Auf relativ kleiner Flamme zudem. Und leider meinen wir, an dieser Kolumne, die wir oben referiert haben könnte etwas dran sein, und es ist ohnehin knapp bei uns, mit einer Wahl der SPD. Der

Ungeachtet der Tatsache, dass wir Scholz‘ Ukrainepolitik weitgehend unterstützt haben, sind wir nicht aus dem Dilemma herausgekommen, dass die gegenwärtige Verfahrensweise  zu nichts Gutem führen kann. Die beiden übrigen Möglichkeiten hingegen sind undenkbar oder unverzeihlich, nämlich entweder Nato-Truppen mitkämpfen und die Ressourcen des Bündnisses voll wirksam werden zu lassen, als handele es sich bei der Ukraine um einen Nato-Staat, oder die Ukraine aufzugeben. Wir hatten richtiggehend Sympathie mit den Kämpfen von Olaf Scholz entwickelt, weil er sich die Sache erkennbar nicht so einfach macht wie die Kriegstreiber auf der einen und die falschen Friedenspropheten auf der anderen Seite. Eine außenpolitisch schwer überschattete Kanzlerschaft, und dann noch die Wirtschaftskrise, und alles hängt miteinander zusammen.

So gut wir die sachlichen Nöte von Scholz nachvollziehen können, auch uns nervt seine Art mittlerweile erheblich, zumal wir nie Fans von ihm waren (was allerdings auf alle aktuell maßgeblichen Politiker:innen zutrifft).

Was gegen die  Haltung in der Kolumne spricht, ist, dass aktuell nicht in erster Linie Wirtschaftskompetenz erwartet zu werden scheint, die Pistorius nach dieser Darstellung nicht hat, sondern Führungsstärke, also etwas, das Scholz wiederum nicht hat oder nicht zu  haben scheint. Das Bedüfnis nach Ansprache scheint rieisg zu sein, wenn es Sachthemen im dem Maß überlagert, wie es aus einer in den Artikel eingebetteten Umfrage hervorgeht, deren Ergebnis nahelegt, dass Führungsstärke mehr gefordert wird als die Sachkompetenz auf allen Gebieten zusammen. Wir haben „Sozialpolitik“ angekreuzt, schließlich handelt es sich um die SPD, die Schröder hinter sich lassen wollte.

Wenn dieser Ruf nach Führung aber so dominant ist und Boris Pistorius kann den Eindruck vermitteln, er kann diesem Ruf gerecht werden, dann ist er auch der richtige Kandidat. Dann kann er sehr wohl darauf verweisen, dass er seit Anfang 2023 noch nicht den kompletten Rostbeulen-Tanker Bundeswehr hat restaurieren lassen können, außerdem hat die CDU da auch erhebliche Schwächen, die jahrelang Verteidigungsminister:innen stellte, die den Job nicht gewuppt bekamen. Während die eine bescheiden in die zweite Reihe zurückgetreten ist, versucht sich die andere an einer noch größeren Aufgabe.

Eigentlich kein Wunder, dass die CDU auf eine „neue SPD“ unter Pistorius setzt. Wir waren immer der Ansicht, dass schon Olaf Scholz nicht gerade ein linker SPD-Politiker ist, aber Boris Pistorius scheint rechts von ihm zu stehen, und das würde bedeuten, dass die SPD zwar mit der CDU in der nächsten Legislaturperiode reibungsarm regieren kann, zu einem Chaos wie in der Ampel käme es wohl nicht . Aber welche Politik wäre das? Also geht es für uns auch um die Sache. Wir haben mit der  SPD in unseren Wahl-O-Maten nur zwischen 55 und 65 Prozent Zustimmung, je nachdem, für welche Wahl das Modul erstellt wurde, während wir bei der Linken nach wie vor auf 77 bis über 80 Prozent kommen. Die  CDU liegt regelmäßig mit 35 bis 50 Prozent Zustimmung im hinteren Mittelfeld aller zur Wahl stehenden Parteien.

Es bleibt schwierig, mit der richtigen Wahl in drei Monaten. Was für ein kurzer Wahlkampf, und was da noch alles passieren kann, was letztlich den Ausschlag dafür geben wird, wo wir unsere beiden Kreuze machen werden.  Immerhin haben wir uns eine Hintertür offengehalten: Wir haben gesagt, wenn Pistorius es macht, machen wir mit, aber wissen noch nicht, wie wir uns verhalten werden, wenn wir Scholz wählen müssen, um die CDU zu bremsen. 

TH

Citations:

[1] https://web.de/magazine/politik/pistorius-voellig-ueberschaetzt-40362604
[2] https://web.de/magazine/politik/pistorius-voellig-ueberschaetzt-40362604
[3] https://www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/scholz-k-frage-spd-100.html
[4] https://www1.wdr.de/nachrichten/landespolitik/spd-kanzlerkandidat-scholz-pistorius-100.html
[5] https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/kanzlerkandidatur-der-spd-boris-pistorius-hat-es-in-der-hand-110120479.html
[6] https://www.ndr.de/nachrichten/schleswig-holstein/Olaf-Scholz-oder-Boris-Pistorius-SPD-in-SH-uneins-ueber-Kanzlerfrage,spd2140.html
[7] https://www.stern.de/politik/deutschland/pistorius-oder-scholz–das-fuehrungsversagen-der-spd-35239474.html
[8] https://www.br.de/nachrichten/deutschland-welt/pistorius-zu-kanzlerkandidatur-bin-zutiefst-loyaler-mensch,UUVtvhw

18.11.2024
Zunächst waren es nur Politiker der SPD aus der dritten Reihe, vorwiegend im kommunalen Bereich angesiedelt – doch langsam steigt der Promi-Grad derer in Partei, die sich eine Auswechslung des Kanzlerkandidaten wünschen. Olaf Scholz soll nach deren Ansicht seinen Platz für den jetzigen Verteidigungsminister Boris Pistorius räumen. Aus den Zweifeln an Scholz hat Civey erwartungsgemäß eine Umfrage gemacht, die wir hier empfehlen. Nehmen Sie teil und helfen Sie der SPD!

Civey-Umfrage: Ist Olaf Scholz Ihrer Meinung nach der richtige Kanzlerkandidat für die SPD?

Begleittext von Civey

Nach dem Ampelbruch steht die Frage im Raum, welche Spitzenkandidatinnen und Spitzenkandidaten die jeweiligen Parteien ins Rennen schicken. Die SPD will die Kanzlerkandidatur laut Deutschlandfunk erst im Januar bekanntgeben. Aber inoffiziell gilt es als gesetzt, dass Bundeskanzler Olaf Scholz erneut antritt. In der ARD-Sendung „Caren Miosga” bekräftigte er letzte Woche seinen festen Entschluss, auch bei Neuwahlen erneut als Kanzlerkandidat anzutreten. Er rechne mit einem guten Ergebnis für die SPD und halte den Umfragevorsprung der Union für „sehr aufholbar”. 

Mehrere SPD-Mitglieder, darunter Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter, wünschen sich indes einen Kandidatenwechsel. Dem Spiegel nach plädieren sie für Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) aufgrund seiner Beliebtheitswerte. Bei seiner Regierungserklärung wurde Scholz am Mittwoch zudem stark von der Opposition kritisiert. CDU-Chef Friedrich Merz warf ihm vor, das Land gespalten zu haben. CSU-Chef Markus Söder nannte die Ampel die schwächste Regierung aller Zeiten und legte Scholz daher nahe, sich ein Beispiel am US-Präsidenten Joe Biden zu nehmen, und sich zurückzuziehen. 

Kompetenz, Erfahrung und Integrität – das mache Scholz aus, sagte dagegen SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich. Er zeigte sich im ZDF optimistisch, dass der SPD mit Scholz erneut ein Wahlsieg gelingen werde. Durch das Ampel-Aus sei dieser freier, um umso stärker für sozialdemokratische Werte zu kämpfen. Auch SPD-Co-Chef Lars Klingbeil machte die Woche unmissverständlich klar, dass die Partei mit Scholz ins Rennen gehe. Gegenüber der RP sagte er: „Der Kanzler wird jeden Tag deutlich machen, dass er für höhere Löhne, stabile Industriearbeitsplätze und den gesellschaftlichen Zusammenhalt kämpft”.

Kommentar

Ob die SPD-Wahlkampfstrategen sich Civey-Umfragen anschauen, wissen wir nicht, aber wir denken, das sollten sie tun. Es geht nicht darum, ob diese Umfragen zu 100 Prozent Repräsentativität beanspruchen können, sondern darum, dass sie in der Regel ein sehr gutes Stimmungsbild liefern, weil jeder teilnehmen kann und auch das Bedürfnis, teilzunehmen, etwas darüber aussagt, wie wichtig einer Person die Politik ist.

Wir fangen mit dem letzten Absatz an. Nehmen Sie diese Treuebekenntnisse der SPD-Köpfe gerne als Manöver. Niemand aus der SPD-Spitze will öffentlich den „Königsmörder“ spielen, so etwas geschieht immer von hinten, wenn’s geht. Heraus kommt es hinterher meist doch, dass nicht alle so loyal waren, wie sie nach außen suggeriert haben. Die SPD kann unmöglich ignorieren, dass derzeit nur 17 Prozent der Abstimmenden klar für eine erneute Kanzlerkandidatur von Olaf Scholz sind und 63 Prozent dagegen. Wenn die SPD bei den nächsten Wahlen einigermaßen gut abschneiden will, muss sie das Pferd wechseln, das zum Sieg galoppieren soll.

Der Sieg wird es ohnehin nicht werden, aber wir schrieben kürzlich: Jedes Prozent mehr für die SPD und weniger für die CDU macht es wahrscheinlicher, dass das Land nicht vollkommen in die Inhumanität abkippt. Der Begriff ist auch bei der SPD relativ zu verstehen, aber wir sind nun einmal wieder aufgerufen, das kleinere Übel zu wählen. Wir haben uns in einem anderen Beitrag festgelegt: Falls Boris Pistorius für die SPD antritt, werden wir den Sozialdemokraten am 23. Februar unsere Stimmen geben. Das Festhalten an Scholz hingegen werden wir nicht prämieren. Denn in einer Sache haben diejenigen recht, die „Scholz ist verbrannt“ sagen. Wir mögen diesen Begriff nicht, auch „verbraucht“ ist für uns keine gute Wortwahl, also: Scholz ist gescheitert. Das ist unzweifelhaft, beinhaltet aber, dass er in der nächsten Regierung durchaus eine ihm gemäße Rolle spielen könnte, zum Beispiel als Finanzminister, was er in der letzten Regierung Merkel schon war.

Auch „sehr aufholbar“ ist für uns ein Beleg dafür, dass dort, wo die Sprache leidet, ähnlich wie bei der sogenannten keinsten Weise, auch die gedankliche Präzision nicht auf höchstem Niveau angesiedelt ist. In dem Fall die Analysefähigkeit von Olaf Scholz. Die SPD wird die Stimmung innerhalb von drei Monaten noch komplett drehen können, was „sehr aufholbar“ suggeriert, nicht einmal mit Pistorius an der Spitze. Aber einige Prozentpunkte aufholen kann sie mit ihm, davon sind wir fest überzeugt.

Wir meinen, seine Arbeit als Verteidigungsminister kann man noch gar nicht fundiert beurteilen, aber er steht nicht so für das Scheitern der Ampel, vielmehr gilt seine Berufung zum Minister als eine der wenigen geglückten Entscheidungen – von Olaf Scholz. Pistorius‘ Anwesenheit im politischen Raum erinnert an die vielen Fehler der Ampelregierung, zum Beispiel, indem Scholz zunächst die offenbar ungeeignete Christine Lambrecht an die Spitze der Bundeswehr gesetzt und sie zu lange nicht abgelöst hat, falls die Zuschreibung der Ungeeignetheit stimmt.

Vielleicht wäre in friedlichen Zeiten diese Ungeeignetheit nicht aufgefallen und die Bundeswehr wäre weiter verrottet. Vielleicht hätte in friedlichen Zeiten Olaf Scholz einen passablen Kanzler abgegeben, weil die Leute froh gewesen wären, in Ruhe gelassen zu werden, wie es bei Angela Merkel der Fall war. Freilich ist das nur korrekt bezüglich ihres Gepräges und war eine Suggestion, denn in Wirklichkeit hat Deutschland während ihrer Regierungszeit viel Substanz verloren. Mehr als während der nur drei Jahre, in welchen die Ampel nun die Geschicke des Landes bestimmt. Scholz, das muss man aber klar festhalten, war der falsche Mann zur falschen Zeit. Ins Amt gekommen nur durch Fehler der Union, unfähig, sich der Lage anzupassen von Beginn an, im Amt nicht bereit, sich so anzupassen, dass er die Menschen in dieser nunmehr schwierigen Zeit davon überzeugen kann, dass er ein guter Regierungschef ist.

Wenn er jetzt glaubt, mit diesem Stil noch einmal für die SPD eine Wahl gewinnen zu können, dann endet an dieser Stelle seine Analysefähigkeit bzw. genau vor der richtigen Beurteilung, ob das stimmen kann. Er mag es selbst als ungerecht empfinden, dass sein zweifelsohne vorhandener guter Wille und seine Abstinenz von Gepolter aller Art nicht zur Geltung kamen. Wir hätten aber nicht gedacht, dass er so an der Macht kleben wird, dazu kam er uns bisher zu pragmatisch vor. Vielleicht ist seine verkniffene, jedenfalls nicht sehr offen wirkende Physiognomie aber auch nicht bloß einer introspektiven Natur zuzuschreiben, einem Mann, der viel mehr weiß und kann, als er uns mitzuteilen vermag oder bereit ist, zur Schau zu stellen, sondern auch von Sturheit, im Falle der erneuten Kanzlerkandidatur kann man es auch Verbohrtheit nennen.

Wenn Scholz es wirklich durchzieht, setzt er uns andererseits frei. Wir werden dann nicht taktisch wählen, sondern nach tatsächlicher Übereinstimmung mit unseren Positionen, und da steht die SPD nun einmal nie an erster Stelle, wenn wir beispielsweise eine Orientierung mithilfe der Wahl-O-Mate vornehmen, sondern eine Partei, die im nächsten Bundestag nicht mehr vertreten sein wird, führt die Liste an oder findet sich auf einem der vorderen fünf Plätze wieder.

In letzter Zeit kam es häufig zu Umfragen mit sehr eindeutigen Mehrheiten, auch die vorliegende zeigt wieder ein solches Bild. Würden wir noch einmal für eine Wahl antreten, wenn wir so klar wüssten, wie Olaf Scholz es wissen muss, dass wir nicht gewinnen können? Die Antwort ist auf allgemeiner Ebene nicht so einfach, mitmachen kann auch Demokratenpflicht sein. Wir haben das auch schon getan, obwohl wir wussten, dass wir keine Siegchance hatten, weil wir nun einmal nominiert wurden. Wenn man nominiert wird, wenn Menschen der Ansicht sind, man sei für eine Position oder Funktion geeignet, dann stößt man sie nicht mit einer Absage vor den Kopf und nimmt teil.

Hier geht es aber um die wichtigste politische Funktion, die in diesem Land vergeben wird. Was wir sehr übel vermerken würden, wäre, wenn die SPD-Spitze sich deshalb so hinter Olaf Scholz klemmt, weil sie die nächste Wahl schon als verloren ansieht und Pistorius oder wen auch immer für 2029 unbeschädigt erhalten will. Das ist Quatsch, auch Willy Brandt musste mehrmals antreten, bis er die höchsten SPD-Ergebnisse aller bisherigen Zeiten einfahren konnte. Es gibt aber noch einen anderen Grund, und der darf ebenfalls nicht über die Erfolgschancen dominieren: Scholz scheint in der Partei besser vernetzt zu sein als ein Mann, der bis 2022 nur auf Landesebene einen Namen hatte und der außerdem mit seiner offenen Art nicht bei allen gut ankommt. Pistorius scheint anderen auch mal auf die Füße zu treten, das war aus einigen Artikeln über ihn herauszulesen. Andererseits: Wenn die SPD ihre Umfragewerte nicht noch steigern kann, wird mehr als ein Drittel ihrer derzeitigen Abgeordneten nicht mehr im nächsten Bundestag vertreten sein.

Vielleicht ist es aber genau das, was im Moment wichtig ist: Führung, nicht Moderation ist das Gebot der Stunde. Und wir würden uns lieber von Pistorius führen lassen als von Merz, so viel steht fest – korrekt ausgedrückt: Wir würden den SPD-Mann lieber als denjenigen sehen, der die Politik des Landes steuern, persönlich sollte der Begriff Führung sowieso nicht verstanden werden, weil das keine erwachsene, geschult demokratische Haltung wäre. Die Politik ist für uns kein kostenfreier Service, sondern ein Deal. Wir geben als Zivilgesellschaft unsere Bereitschaft, an dieser Demokratie mitzuwirken, dafür bekommen wir etwas, das unser Leben positiv beeinflusst, weil es gute Rahmenbedingungen für unsere persönliche Agenda setzt. Alles darüber hinaus ist Gesinnungsethik, und die muss im Moment hintanstehen, weil auf der Ebene der Verantwortungsethik unendlich viel zu tun ist. „Fix it“-Pistorius, das wäre doch ein toller Slogan für seinen Wahlkampf, der auch seinen jetzigen Job als Verteidigungsminister gut reflektiert. Und hat diesen Begriff nicht kürzlich jemand in einem anderen Land verwendet und damit gewonnen?

TH


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