Briefing Gesellschaft, Familie, Gewalt gegen Frauen, Gewalt in der Ehe, Femizide, männliche Gewalt, geschlechtsspezifische Gewalt, Gewaltmotiv Frau
Wir haben ein Problem mit Gewalt gegen Frauen, befand Familienministerin Lisa Paus – Anlass ist der Internationale Tag an Gewalt am heutigen 25. November. Hier hat Statista die Grafik dazu erstellt, die wir an Sie weiterreichen. Natürlich mit zusätzlichen Infos und einem Kommentar.
Infografik: Wie viele Femizide werden in Deutschland verübt? | Statista

Diese Statista-Grafik wurde unter einer Lizenz CC BY-ND 4.0 Deed | Namensnennung-Keine Bearbeitung 4.0 International | Creative Commons erstellt und wir geben sie unter gleichen Bedingungen wieder. Folgend der Statista-Begleittext dazu, dann weiter mit unserem Kommentar.
360 Femizide verzeichnet die Statistik des Bundeskriminalamtes (BKA) für das vergangene Jahr – damit wurde fast jeden Tag eine Frau oder ein Mädchen auf Grund ihres Geschlechts getötet.
Die ausführliche Definition des Begriffs beim BKA lautet wie folgt: „Femizide werden allgemeinhin verstanden als Tötungsdelikte an Frauen, weil sie Frauen sind, das heißt aufgrund einer von der Annahme geschlechtsbezogener Ungleichwertigkeit gegen Frauen geleiteten Tatmotivation. Diese äußert sich insbesondere in einer ablehnenden Einstellung der tatbegehenden Person zur Gleichwertigkeit und Gleichberechtigung der Geschlechter und resultiert aus nach wie vor bestehenden patriarchalen Denkmustern und Strukturen.“
Versuchte Taten eingerechnet sind es sogar 938 Fälle – dabei werden über die Hälfte der betroffenen Frauen Opfer von innerfamiliärer Gewalt (185) und Partnerschaftsgewalt (340). Der Anteil weiblicher Opfer an allen Opfern von Tötungsdelikten liegt in diesen beiden Gruppen bei 51,2 beziehungsweise 80,6 Prozent. Zum Vergleich insgesamt sind 32,3 Prozent aller Opfer von Tötungsdelikten weiblich.
Die Taten werden in 84,6 Prozent der vollendeten und versuchten Fälle von Männern verübt. Es kommt also auch vor, dass Frauen Femizide verüben. Dazu schreibt das BKA: „Insgesamt waren 136 weibliche Opfer von Fällen betroffen, bei denen mindestens eine weibliche Tatverdächtige beteiligt war, davon 52 Mädchen und Frauen von vollendeten Fällen.“
Von Gewalt betroffene Frauen und Mädchen können sich an das bundesweite Hilfetelefon Gewalt gegen Frauen. Informationen zu Frauenhäusern und Beratungsstellen lassen sich zum Beispiel auf der Webseite der Frauenhauskoordinierung recherchieren.
Bundesfamilienministerin Lisa Paus hat in einer aktuellen Stellungnahme die alarmierende Situation der Gewalt gegen Frauen in Deutschland thematisiert. Anlässlich des Internationalen Tages gegen Gewalt an Frauen am 25. November 2024 erklärte sie:
Das Statement von Lisa Paus
„**Fast jeden Tag gibt es einen Femizid. Jeden Tag werden rund 400 Frauen Opfer von Partnerschaftsgewalt**“[1][5]. Diese Aussage verdeutlicht den Ernst der Lage, da im Jahr 2023 insgesamt 938 Frauen und Mädchen Opfer von versuchten oder vollendeten Femiziden wurden, wobei 360 von ihnen ihr Leben verloren[1][5][7].
Paus betonte zudem die Notwendigkeit eines **starken Gewalthilfegesetzes**, um den Schutz und die Beratung für Betroffene von geschlechtsspezifischer und häuslicher Gewalt zu verbessern. Sie sagte: „**Der Schutz von Frauen darf nicht abhängig sein von parteipolitischem Kalkül**“[5]. Dies unterstreicht ihren Appell an alle politischen Parteien, gemeinsam für den Schutz von Frauen einzutreten.
Die Ministerin wies darauf hin, dass **Gewalt gegen Frauen ein alltägliches Problem ist**, das dringend angegangen werden muss, und forderte eine „Trendumkehr“ in der Gesellschaft[3][4]. /[1]
Kommentar
Sie wissen sicher, dass der nach aller Wahrscheinlichkeit nächste Kanzler der Bundesrepublik Deutschland im Jahr 1997 gegen die Abschaffung der legalen Gewalt in der Ehe gestimmt hat. Als einer von nur 138 Abgeordneten. Das Gesetz wurde damals noch von Union und FDP initiiert und beinahe das gesamte mittige und etwas linkere Spektrum im Bundestag hatte zugestimmt, die Gewalt in der Ehe ohne Widerspruchsklausel für illegal zu erklären. Interessant, dass es überhaupt so lange gedauert hat, aber Ähnliches gilt ja auch für das körperliche Züchtigungsrecht an Kindern durch ihre Eltern. Wer also heute auf „patriarchalische Strukturen“ schaut und vor alle Migranten meint, die aus sehr traditionellen Kulturen kommen, darf gerne noch einmal daran denken, wie wenig Zeit vergangen ist, dass in einem Land in Mitteleuropa die Gewalt in der Familie verboten wurde.
Vielleicht aber noch etwas zu Friedrich Merz und seinem Abstimmungsverhalten, denn immerhin handelt es sich dabei nicht um irgendwen, sondern um den nächsten Regierungschef. Absolut sicher ist dieser Wahlausgang geworden, seit die SPD sich nun auf Olaf Scholz festgelegt hat, was wir bedauern. Das weit auch auf unsere Haltung zu Friedrich Merz hin. Die Präsidentschaftswahl in den USA hat einige rechte Kommentatoren zu der Analyse geführt, dass der relativ hohe Frauenanteil unter Wählerinnen des Frauenfeindes Donald Trump darauf zurückzuführen sei, dass bei ihnen nicht die reproduktiven Rechte, sondern der leere Geldbeutel am Ende des Monats angesichts der hohen Inflation als eine Art Hausfrauenrechte-Verletzung dieses Wahlverhalten mit bewirkt habe. Ob Friedrich Merz die schwierige Wirtschaftslage auch so ausnutzen kann und ob diese Analyse stimmt, wollen wir hier nicht vertiefen.
Unsere Frage lautete: Hat Friedrich Merz in den 1990ern tatsächlich gegen die Illegalisierung von Gewalt in der Ehe gestimmt?
Ja, Friedrich Merz hat in den 1990er Jahren gegen die Strafbarkeit von Vergewaltigung in der Ehe gestimmt. Im Mai 1997 stimmte er im Bundestag gegen einen Gesetzentwurf, der die Vergewaltigung in der Ehe als Straftat ins Strafgesetzbuch aufnehmen sollte. Diese Abstimmung war Teil einer langen Debatte, die sich über Jahre hinzog, und Merz gehörte zu den 138 Abgeordneten, die gegen die Reform stimmten[1][4][5].
Es ist wichtig zu beachten, dass Merz zuvor im Jahr 1996 für einen anderen Gesetzentwurf gestimmt hatte, der ebenfalls die Vergewaltigung in der Ehe strafbar machen sollte. Dieser Gesetzentwurf scheiterte jedoch aufgrund von Widerständen und einer umstrittenen Widerspruchsklausel. Bei der Abstimmung im Jahr 1997 war die Widerspruchsklausel nicht mehr enthalten, was zu seiner Ablehnung führte. Merz argumentierte, dass er gegen den Gesetzentwurf stimmte, weil er befürchtete, dass ohne diese Klausel Opfer unter Druck gesetzt werden könnten, ihre Anzeigen zurückzuziehen[1][2][6]. / [2]
Jetzt wollten wir es natürlich genauer wissen: Wie war die Widerspruchsklausel ausgestaltet?
Die sogenannte Widerspruchsklausel, die in den 1990er Jahren im Zusammenhang mit der Strafbarkeit von Vergewaltigung in der Ehe diskutiert wurde, hätte es einer vergewaltigten Ehefrau ermöglicht, die Strafverfolgung ihres Mannes zu verhindern. Selbst nach einer eigenen Anzeige hätte sie bis zur Hauptverhandlung Widerspruch einlegen können, um das Verfahren zu stoppen[1][2]. Diese Klausel wurde von einigen als Möglichkeit gesehen, den Bestand einer Ehe zu sichern, indem ein Strafverfahren nicht gegen den Willen des Opfers durchgeführt wird[1].
Die Befürworter der Klausel argumentierten, dass ein Strafverfahren gegen den Willen der Frau zur Zerstörung einer möglicherweise noch zu rettenden Ehe führen könnte. Gegner hingegen sahen darin ein Problem, da dies dem Ehemann ein weiteres Druckmittel in die Hand geben könnte, um seine Frau zur Rücknahme der Anzeige zu zwingen[1][2]. Letztlich wurde die Widerspruchsklausel nicht ins Gesetz aufgenommen, da sie gegen den Grundgedanken des Strafrechts verstieß, wonach Verbrechen von Amts wegen verfolgt werden sollten und nicht im Ermessen des Opfers liegen dürfen[4]. / [3]
Was denken Sie über diese Klausel und darüber, dass Friedrich Merz ihr Fehlen zum Anlass genommen hat, für die legale Vergewaltigung in der Ehe zu stimmen?
Nach unserer Ansicht hat sich eine Gruppe besonders konservativer Abgeordneter auf diese Weise grundsätzlich für die weitere Möglichkeit, in der Ehe legal Gewalt ausüben zu dürfen, entschieden. Die Widerspruchsklausel bzw. deren Abwesenheit im endgültigen Gesetz wurde als Aufhänger genommen, um Frauen weiterhin Gewalt aussetzen zu dürfen, und zwar dort, wo sie mit am wenigsten geschätzt sind, im Bereich der häuslichen Gewalt. Natürlich kommt die neue Regelung auch Männern zugute, aber dann handelt es sich nicht um Femizide, wohingegen als Täter auch Frauen infrage kommen, siehe obige Grafik. Weit überwiegend aber ist das Gewaltverbot in der Ehe ein Schutz zugunsten von Frauen. Wir haben nicht recherchiert, ob Friedrich Merz sich heute differenziert zu seinem damaligen Abstimmungsverhalten äußert, Sie dürfen das gerne tun, wenn Sie möchten. Wir meinen, es reicht an dieser Stelle aus, festzustellen, dass Friedrich Merz damals zu einer besonders konservativen Gruppe in der Union gehörte.
Wir mögen uns hingegen nicht ausdenken, wie es dem Gewaltverbot ergangen wäre, wenn diese heutige dominierende Richtung in der Union zusammen mit einer nach der Wahl erstarkten AfD und vermutlich auch mit einem gesellschaftlich erzkonservativen BSW zusammen gegen das Gewaltverbot gestimmt hätte. 1997 waren es nur 138 Abgeordnete, die fanden, Gewalt in der Ehe sei weiterhin okay, wie viele wären es heute, wie viele nach der nächsten Wahl, wenn die Rechtsverschiebung im Land weiter voranschreitet?
Wir meinen, der Fall „Gewalt in der Ehe“ als Straftatbestand zeigt sehr deutlich, wie sich die Verhältnisse in der BRD verändert haben, denn wir erwähnen es gerne noch einmal: Es war keine Ampel mit grüner Familienministerin, sondern eine CDU-FDP-Regierung, die damals dieses Gesetz auf den Weg brachte.
Erklärungen zur Grafik
Man muss ein wenig genauer hinschauen, damit man die Grafik nicht falsch interpretiert. Insgesamt gab es in Deutschland 2.077 vollendete Tötungsdelikte, davon waren 1.065 als Mord (§ 211 StGB) klassifiziert. Das heißt, es wurden insgesamt 670 Frauen getötet, das sind 32,2 Prozent davon. Überwiegend fallen also Männer Tötungsdelikten zum Opfer. Auf diese in der Grafik nicht genannte Gesamtzahl bezieht sich der hellgraue Kreis mit den ausgewiesenen 32,3 Prozent.
Die Säulen der Grafik betreffen hingegen nur versuchte und vollendete Femizide, 80,2 Prozent beträgt der Frauenanteil bei versuchen und vollendeten Partnerschafts-Tötungsdelikten, 51,2 Prozent bei weiteren familiären Tötungsdelikten, die keine Partnerschaftsdelikte sind bzw. nicht so klassifiziert wurden. Hingegen wurden 84,6 Prozent aller Delikte von Männern begangen – auch Femizide außerhalb der Familie, die hier einen breiten Raum einnehmen, mit 413 versuchten oder vollendeten Delikten, die Zahl der gesamtfamiliären Delikte (Partnerschaft und sonst innerfamiliär) beträgt hingegen 525.
Dass insgesamt mehr Tötungsopfer Männer sind, die in der Regel auch von anderen Männern getötet werden, sagt wiederum über die Gewaltneigung von Männern insgesamt etwas aus, auch wenn kein Femizid im Spiel ist und keine Frau aus einem Grund getötet wird, der sich nicht auf ihre Eigenschaft als Frau bezieht. Wenn 360 getötete Frauen Femizidopfer sind, dann muss es 310 weitere Tötungen an Frauen gegeben habe, denen kein frauenfeindlicher Hintergrund zugerechnet werden kann, die also auch mit kriminellen Strukturen im Zusammenhang stehen oder bei denen das Geschlecht keine konstituierende Rolle beim Tatmotiv gespielt hat.
Wenn man die Jahre vergleicht, kann man seht deutlich den Anstieg während der Corona-Zeit feststellen, und zwar in allen Kategorien. Interessanterweise auch außerhalb der Familie, obwohl dafür die Gelegenheiten in der Zeit eher geringer geworden waren. Ein Rückgang im Jahr 2021 war nur temporär, seitdem steigt tendenziell die Gewalt gegen Frauen wieder an.
TH
[1] [1] https://www.prosieben.de/serien/newstime/news/360-vollendete-femizide-in-einem-jahr-alarmierende-zahlen-zum-tag-gegen-gewalt-an-frauen-464409
[2] https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/kurzmeldungen/DE/2024/11/lagebild-gewalt-gg-frauen.html
[3] https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/aktuelles/alle-meldungen/lisa-paus-und-nancy-faeser-stellen-lagebild-zu-straftaten-gegen-frauen-vor-250136
[4] https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/aktuelles/reden-und-interviews/lisa-paus-gewalt-gegen-frauen-hat-nichts-mit-liebe-zu-tun–226104
[5] https://www.zeit.de/politik/deutschland/2024-11/gesetz-schutz-gewalt-gegen-frauen-lisa-paus
[6] https://www.frauenrat.de/prominente-appellieren-an-den-kanzler-stoppen-sie-gewalt-gegen-frauen-jetzt/
[7] https://www.welt.de/politik/deutschland/article254655470/Familienministerin-warnt-Fast-jeden-Tag-ein-Femizid-In-Deutschland-gibt-es-zu-viel-Gewalt-gegen-Frauen-sagt-Lisa-Paus.html
[8] https://www.perplexity.ai/elections/2024-11-05/us/president
[2] [1] https://correctiv.org/faktencheck/2024/11/21/friedrich-merz-war-fuer-strafbarkeit-der-vergewaltigung-in-der-ehe-wegen-einer-klausel-stimmte-er-jedoch-1997-gegen-den-gesetzentwurf/
[2] https://www.gutefrage.net/umfrage/glaubt-ihr-wie-es-friedrich-merz-damals-tat-dass-vergewaltigung-in-der-ehe-keine-straftat-ist
[3] https://www.tagesspiegel.de/politik/was-friedrich-merz-fruher-forderte-und-wie-er-abstimmte-6603298.html
[4] https://www.deutschlandfunk.de/gesetz-strafbarkeit-vergewaltigung-ehe-100.html
[5] https://www.fr.de/kultur/gesellschaft/vergewaltigung-in-der-ehe-in-ehelicher-zuneigung-und-opferbereitschaft-91544500.html
[6] https://correctiv.org/faktencheck/politik/2018/11/14/diese-abgeordneten-stimmten-1997-gegen-die-strafbarkeit-von-vergewaltigung-in-der-ehe/
[7] https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/aktuelles/reden-und-interviews/lisa-paus-gewalt-gegen-frauen-hat-nichts-mit-liebe-zu-tun–226104
[8] https://www.abgeordnetenwatch.de/profile/friedrich-merz/fragen-antworten/herr-merz-warum-haben-sie-1997-gegen-ein-gesetz-gestimmt-was-vergewaltigung-in-der-ehe-strafbar-macht
[9] https://www.perplexity.ai/elections/2024-11-05/us/president
[3] [1] https://www.ssw.de/themen/vergewaltigung-in-der-ehe-6838
[2] https://www.deutschlandfunk.de/sexualstrafrecht-vergewaltigung-ehe-bundestag-100.html
[3] https://www.fr.de/kultur/gesellschaft/vergewaltigung-in-der-ehe-in-ehelicher-zuneigung-und-opferbereitschaft-91544500.html
[4] https://www.freiheit.org/de/deutschland/folge-1-vergewaltigung-der-ehe
[5] https://correctiv.org/faktencheck/2024/11/21/friedrich-merz-war-fuer-strafbarkeit-der-vergewaltigung-in-der-ehe-wegen-einer-klausel-stimmte-er-jedoch-1997-gegen-den-gesetzentwurf/
[6] https://www.humanistische-union.de/publikationen/grundrechte-report/1998/publikation/keine-privatsache-vergewaltigung-in-der-ehe/
[7] https://www.bundestag.de/resource/blob/407124/6893b73fe226537fa85e9ccce444dc95/wd-7-307-07-pdf-data.pdf
[8] https://www.gutefrage.net/umfrage/glaubt-ihr-wie-es-friedrich-merz-damals-tat-dass-vergewaltigung-in-der-ehe-keine-straftat-ist
Entdecke mehr von DER WAHLBERLINER
Melde dich für ein Abonnement an, um die neuesten Beiträge per E-Mail zu erhalten.

