Filmfest 1219 Cinema – Die große Rezension
Der Wilde Westen im jugoslawischen Karst und im deutschen Abenteuerroman
Winnetou 2. Teil ist ein Western aus dem Jahr 1964. Die Produktion aus der Reihe der deutschen Karl-May-Filme entstand unter der Regie von Harald Reinl. In den Hauptrollen sind Lex Barker, Pierre Brice, Anthony Steel und Karin Dor zu sehen. Der noch relativ unbekannte Terence Hill hat hier, unter seinem eigentlichen Namen Mario Girotti, zum ersten Mal einen Auftritt in einem Karl-May-Film.
Anmerkung anlässlich der Veröffentlichung der Gesamtrezension im Jahr 2024: Wir fassen alle drei Teile zusammen, stellen sie aber mit dem Header zum jeweiligen Film (kursiv, oben) dreimal vor, damit die Rezensionen mit einer Textsuche sicher und getrennt gefunden werden können. Der Reszensionstext behandelt alle drei Filme, mit deutlicher Akzentuierung des ersten Teils. Bisher gab es beim Wahlberliner, die Figuren Winnetou und Old Shatterhand betreffend, nur eine 1988er-Rezension zu dem späten Werk „Winnetou und Old Shatterhand im Tal der Toten„.
Handlung
Winnetou I
Winnetou II
Winnetou III
Rezension
Wie war das Gefühl nach den drei Filmen. Etwas Enttäuschung, offen geschrieben. Es ist uns nicht gelungen, in dem Maß einzusteigen, wie man es hätte bei Erinnerungen an die vielen Karl May-Bücher, die wir in der Jugend gelesen hatten, einzusteigen. Die Tagesumstände waren beim Anschauen von Teil 1 sehr unterschiedlich zu den Teilen 2 und 3, die wir „am Stück“ gesehen haben, aber wenn eine Kritik professionell sein soll, muss sie das weitgehend abstrahieren können.
Nicht zu unterschätzen ist, dass wir viele klassische US-Western rezensiert haben und weitere im Archiv auf das Schreiben über warten. Vielleicht ist es so, dass wir schon den Büchern von Karl May den Realismus absprechen, mehr aber noch den Filmen, die nach ihnen entstanden sind. Es mag auch ein Abschied von der Kindheit sein, denn bei den Edgar Wallace-Filmen, von denen wir innerhalb weniger Tage sechs rezensiert haben – an der Reihe arbeiten wir weiter – und hintereinander beim Wahlberliner vorstellen werden, gab es diesen Effekt überhaupt nicht – und die Wallaces stammen im Wesentlichen von den Leuten, die auch die Karl May-Verfilmungen zu verantworten haben. Bei allen drei Winnetou-Filmen ist dies Harald Reinl als Regisseur und die dänisch-deutsche Rialto Preben Philipsen als Produzent. Wir wissen natürlich auch, dass beide Reihen ein Riesenerfolg waren und finden die Cinemascope-Fotografie toll und die Musik von Martin Böttcher bringt so ein Echo aus einer Zeit vor unserer Geburt. Etwas von kollektivem Bewusstsein, geerbt von den Ahnen, wenn man so will. Dann die Mischung aus Romantik und Action, die ist so übel nicht.
Warum gelang uns dennoch der emotionale Anschluss nicht? Kann sein, dass wir snobistisch sind und nur den Amerikanern, allenfalls den Italienern mit ihren speziellen Western, zugestehen, dieses Genre filmen zu können. Auf uns wirkt „Winnetou“ heute eher wie ein Heimatfilm mit Ureinwohnern und sie bedrängenden Neusiedlern oder Zugezogenen, der zufällig in den Westen geraten ist, aber im Osten gedreht wurde – in verschiedenen Landschaften Jugoslawiens. Und da fängt es leider schon an. Dieses weiße Gestein mit den grünen Wiesen dazwischen ist geologisch und dadurch optisch anders als jede Landschaft im amerikanischen Westen und wenn man gerade John Ford geguckt hat, wird dies besonders deutlich: Das Miniaturhafte der deutschen Western, trotz der vielen Statisten und mehr Bodycount und echten Action-Szenen, als es sie damals im US-Western gab. Man hat sich wirklich angestrengt, aber der jugoslawische bzw. kroatische Karst ist weder der John Ford Point im Monument Valley, noch die endlose, braungrüne Prärie von Texas oder die Wüste New Mexicos. 1963 bis 1965, als die drei Filme entstanden, mag das vielleicht nicht so wichtig gewesen sein, da die meisten Europäer noch davon entfernt waren, in die USA reisen und sich den echten Westen, vielleicht sogar echte Natives, live anschauen zu können. Heute trägt das seinerzeit vielgepriesene weiße Felsland zur Künstlichkeit der Filme bei.
Klar wissen wir auch, dass manch klassischer US-Western im Studio entstand und sich das Filmen vor Ort erst mit der Zeit durchgesetzt hat, während man, im Gegensatz zu den Wallace-Filmen, für die Karl-May-Adaptionen immerhin mit der ganzen Crew und allen Darstellern ins Hotel Zagreb gereist ist. Andererseits passt das Verweilen in Europa frappiernd dazu, dass Karl May seine Bücher geschrieben hat, ohne jemals im Wilden Westen gewesen zu sein (später reiste er dann in die USA). Alles Theorie, was wir hier sehen und was insofern auch ohne Distanzierung übernommen wurde, alles angelesen und außerdem mit einem fragwürdigen Spiritualismus überzogen, der in den Filmen glücklicherweise nur dadurch sichtbar wird, dass der noch sehr jung Winnetou Sätze sagt, die von einem 300 Jahre alten Weisen stammen könnten, der oben auf dem Berg der Erkenntnis sitzt und über die Welt Bescheid weiß.
Vor allem im ersten Film ist Winnetou ein echter Wisecracker mit Pathos, glücklicherweise geht ihm diese Eigenschaft mit zunehmendem Alter in Teil 2 und 3 weitgehend verloren – in Teil 3 wird sie dann ein wenig durch die Fähigkeit ersetzt, düstere Vorahnungen zu produzieren, das eigene Schicksal betreffend. Nicht nur deswegen liegt für uns die goldene Mitte am nächsten. Zum einen wirken die Darsteller bereits recht routiniert, ohne dadurch zu Schauspielgrößen zu werden, zum anderen ist der Teil wirklich aktionsreich und die Handlung auf eine Art gestrafft, die sehr stringent in der Dramaturgie wirkt – und es gibt die Lovestory von Ribanna und Winnetou, die uns, ganz wertneutral, ein wenig näher gekommen ist als die von Old Shatterhand und Ntscho-Tschi in Teil 1. Vielleicht, weil nicht so viele wichtige Menschen draufgehen, im mittleren Film (eigentlich gar keine), sondern weil hier alles in der Balance zwischen einfacher Jagd und einfacher Entsagung liegt. Dass Winnetou Ribanna opfert und sie selbst sich opfert um eines größeren Zieles willen, des Friedens zwischen den Natives aller Stämme des Südens und des Nordens und dem großen weißen Vater in Washington, ruft Sehnsüchte wach, obwohl es genauso künstlich ist wie alles andere bei Karl May und den ihm verknappend, aber ideologisch sehr treu auf den Spuren bleibenden Filmen.
Weder war es möglich, durch eine einzige Verbindung zwischen einem Weißen und einer Assiniboin die Indianerkriege zu beenden, noch war eine solche Ehe vermutlich überhaupt denkbar, in den Zeiten kurz nach dem Bürgerkrieg. In amerikanischen Filmen sieht man dergleichen deshalb nie, zumindest nicht als offiziell sanktioniertes Sinnbild der Völkerverständigung. Seit den 1950ern gab es zwar Gefühle zwischen indianischen Frauen und weißen Männern (nie umgekehrt), aber die Männer waren keine Repräsentanten, sondern Außenseiter und Individualisten, die frei in ihren Entscheidungen waren. Dass Lt. Robert Merrill auf Geheiß seines Vaters, des Kommandanten von Fort Niobara, aufgrund der Eheschließung mit Ribanna den Abschied nehmen muss, erscheint einerseits logisch, wenn man es realistisch betrachtet, aber so, wie der Film es darstellt, erschließt es sich nicht: Warum hätte nicht auf diese Weise auch ein stärkeres Band speziell zwischen den Ureinwohnern und der U. S. Army geschaffen werden sollen?
So schlecht hat es Ribanna auch nicht getroffen, mit Robert, der von Mario Girotti gespielt wird, den wir später als Terence Hill kennenlernten, und dessen Augen schon in „Winnetou II“ sehr blau waren. Überhaupt hat dieser Film den meisten Schauwert, durch die Anwesenheit von Karin Dor, der Ehefrau von Regisseur Reinl, als Ribanna, durch Klaus Kinski als Übelwicht üblicher Art, durch Hill. Im ersten Film akzentuiert vor allem Mario Adorf als Santer die Gegnerschaft zu den Indianern und den ehrlichen Weißen, Ralf Wolter als Jack Hawkins kommt im ersten und dritten Teil vor. Die Trapper und Westmänner sind bei Karl May sowieso ein skurriles Kapitel für sich, in der die Wildwest-Spätromantik ganz sehr der Wirklichkeit zuwider läuft. Aber ohne diese Spezies der Trapper und Scouts, die es zu jener Zeit kaum noch gab, wäre ja auch Old Shatterhand, wären Old Firehand und Old Suhrehand nicht denkbar gewesen, von Old Wabble ganz zu schweigen (alle drei kommen in den drei Winnetou-Filmen nicht vor).
Keiner der drei Winnetou-Filme hat die Frechheit und Unbekümmertheit, welche die ersten fünf, sechs Jahre der Edgar Wallace-Produktionen auszeichnen, das Raue und das Knackige, das mit einer wunderbaren Portion ironischem Humor verbunden wird. Allerdings muss man sich vergegenwärtigen, dass die Wallace-Filme von Harald Reinl ebenfalls konservativer und gefühliger sind als die von Alfred Vohrer, der den Wallaces zusammen mit dem Komponisten Peter Thomas den Stempel aufgedrückt hat. Da gibt es nicht das Getragene und Melancholische, das verständlicherweise vor allem den letzten Winnetou-Film durchzieht und in abgeschwächter Form bestimmte Passagen des ersten.
Gefühlskino für sich ist nicht schlecht, aber es fordert einiges von den Darstellern, und da stößt das Winnetou-Team an seine Grenzen. Einzig Karin Dor hat für uns einen Ansatz von romantischer Ausstrahlung und „The Look“, der sie wenig später zum Bond-Girl und zur Hitchcock-Heldin machen sollte. Sicher, retrospektiv lässt sich alles leichter bewerten, auch, dass Terence Hill schon ein wenig auffällt, aber wenn man zum Beispiel Lex Barkers Darstellung als Old Shatterhand mit der von Stewart Granger als Old Firehand im Alfred Vohrer-Karl-May-Film „Unter Geiern“ vergleicht, bemerkt man deutliche Unterschiede in der schauspielerischen Qualität – abgesehen davon, dass alle Figuren sich und die Welt in den Winnetou-Filmen schrecklich ernst nehmen. So ernst, dass immer ein Gegenpol in Person eines skurrilen Engländers her muss, damit die Filme nicht zu sehr zu teutonischen Melodramen werden. In Winnetou I ist dies der Reporter mit dem irren Namen Jefferson Tuff-Tuff (Chris Howland) und in Teil II Lord Castlepool (Eddi Arendt).
Bei der Ursprungsrezension zu Teil I schrieben wir, dass Eddi Arendt das, was der echte Brite Howland nicht schafft, nämlich uns zum Lachen zu bringen, vielleicht gerissen hätte – als wir dann Teil II gesehen hatten, mussten wir uns revidieren: Diese Engländer sind einfach nur albern in ihren Verkleidungen, wie sie im Wilden Westen herumlaufen. Schade insbesondere um Arendt, der in den Wallace-Filmen mit seiner kauzig-steifen und gleichermaßen pronociert humoristischen Ader brillieren konnte.
Es ist schon verständlich, dass man Winnetou als den romantischen Helden des deutschen Trivialromans und den kaum weniger romantischen Old Shatterhand als Karl Mays alter ego nicht satirisch abhandeln wollte, aber wie man es knackig hinbekommt und doch an der Vorlage bleibt, sieht man wieder bei dem erwähnten „Unter Geiern“, bei dem Stewart Granger in der „weißen“ Hauptrolle das Leben mehr von der praktischen und manchmal ironischen Seite nimmt.
Und Anlass zur Ironie bieten die Handlungen der Karl-May-Bücher hinreichend, selbst die notwendigerweise verknappten Verfilmungen lassen dies gut erkennen. Allein diese ständigen Befreiungen von Gefangen sind offensichtlich ein urdeutsches Motiv aus unserer Neigung zu Fluchtträumen, in denen Menschen natürlich auch aller Erdenlast davonfliegen können. In heutigen Fernsehfilmen, besonders der Tatort-Reihe, spiegelt sich das darin, dass ganze Polizistenheere in vollkommener Verblödung unfähig sind, gestellte und gefangene Verdächtige festzuhalten oder Zeugen zu schützen – bei Karl May sieht das so aus, dass jeder, der gefangen wird, anstatt in eine sichere Unterkunft gebracht und schwer bewacht sind, irgendwo auf der Wiese an Pfähle gebunden steht, seien es Marterpfähle oder welche ohne Zusatzbezeichnungen. Irgendwo in der Umgebung gibt es dann eine schluffige Wache, die natürlich überhaupt nicht mitbekommt, wenn sich die Retter anschleichen und die immer so abgemurkst werden können, dass kein Laut hin zum nahen Lager der Geiselnehmer dringt. Vor allem im Teil II jagt die Handlung von einer solchen Aktion zum nächsten und es wird sogar Draht über die Prärie gespannt, um Winnetou zu Fall zu bringen. All der Aufwand, damit alles nach einem Unfall aussehen soll, nicht nach Mord. Oh my goodness. In „Das weiße Band“ hat man dieses Drahtmotiv ja sehr schön wieder aufgegriffen.
Wir können uns auch über die Emotionen annähern und das hat immerhin stellenweise geklappt. Als Nscho-Tschi in Old Shatterhands Armen starb, kam kaum das Bedürfnis auf, ein Taschentuch zu zücken. Was ist es, was uns fern hielt vom Geschehen? Wieso hat es bei Ribanna und Winnetou etwas besser funktioniert – hingegen wieder nicht bei Winnetous Tod selbst? Schwer zu sagen, jeder spricht auf andere Momente an – die filmisch-darstellerische Qualität kann den Unterschied nicht ausgemacht haben, die ist gleichmäßig erträglich, aber nicht gut genug, um das etwas fantasielos abgefilmte Pathos zu überdecken. Das war es wohl auch im Ganzen: In Winnetou I und III waren die jeweiligen Situationen zu banal und bekannt, während im zweiten Teil der Konflikt auf eine Weise entstanden und voller Edelmut gelöst wurde, die wir so nicht erwartet hatten.
Immerhin haben wir die betreffenden Bücher von Karl May gelesen. Gut, dass wir so jung waren, heute, mit dem Lektorenblick, der schon moderne Literatur oftmals alt aussehen lassen, wäre das Unterfangen kaum noch von so viel unbeschwerter Neugier geprägt. Was uns heute sicher quälen würde, wären die uferlosen, akribischen Beschreibungen von Landschaften, die Karl May noch nie gesehen hatte. Sicher hat beim Unvermögen, die Distanz zu überwinden, eine Rolle gespielt, dass wir Karl May schriftstellerisch und ideologisch eher kritisch betrachten. Es kommt aber etwas hinzu, was bei den Wallace-Filmen ebenfalls nicht so auffällig war: Die Schauspielerei ist eher von mittlerer Güte. Lex Barker als hünenhafter deutscher Ingenieur oder „Prospektor“ wirkt hölzern, Winnetou in Person von Pierre Brice schaut zwar sehr adrett aus, aber ist doch etwas zu sehr auf edel gemacht und zu statuarisch für sein Alter. Die übrigen Figuren gewinnen keine Konturen. Zum Beispiel ist Old Shatterhand ja mit drei anderen Leuten unterwegs, aber nur Sam Hawkins (Ralf Wolter) ist eine Sprechrolle (sagen wir, eine Rolle mit mehr als drei Sätzen). Mario Adorf als Santer wirkt körperlich gegenüber Barker zu klein und irgendwie verschenkt. Austauschbar. Kein ebenbürtiger Gegner für die Union aus edlen Deutschen und edlen Apachen. Allerdings, einen positiven Effekt der auf den ersten Blick so humanistisch wirkenden Konzeption der großen, Erdteile übergreifenden Freundschaft gibt es schon.
Der Westen von Karl May ist hingegen auffällig von skurrilen Typen bevölkert, die in der echten wilden und brutalen Prärie wohl keine drei Tage überlebt hätten – und alle reden einander mit „Ihr“ an. Dass man dies aus den Karl-May-Büchern übernommen hat, mag zwar werkgetreu sein, trägt aber zur Künstlichkeit der Filme bei. Selbst Karl May müsste gewusst haben, dass es im Englischen nur die „You“-Form gibt.
Was unterscheidet „Winnetou“ positiv von anderen Western? In den 1960ern waren die US-Western schon wesentlich „indianerfreundlicher“ als noch einige Jahre zuvor, wo die Natives mehr als Masse von Halbtieren gezeigt wurden denn als Menschen und damit war auch schon der Landraub der Weißen gerechtfertigt, der auch in „Winnetou“ eine Rolle spielt. Der Karl May-Western, und das konzedieren wir gerne, ist das genaue Gegenteil. Er hebt die Natives in Form des Stammes der Mescalero-Apachen und einiger befreundeter Stämme (die Kiowas gehören nicht dazu, das sind Lumpen) auf eine fast mystische Ebene. Leider wird dabei eine wichtige Linie häufig übersehen.
Eine Verbindung zwischen den Apachen und wem? Und den Deutschen, natürlich. So, wie die Deutschen, wenn sie in Karl May-Büchern vorkommen, ausschließlich edle Leute sind, die WASPs, welche die USA beherrschen, hingegen tendenziell etwas Schurkisches haben, so sind die Mescaleros die Arier unter den Indianervölkern. Das allein ist schon Unsinn, die Mescaleros waren ein Stamm wie andere auch und zofften sich, schon bevor die Weißen anfingen mitzumischen, mit den Comanchen um das weite Land. Hingegen waren sie keine Pueblo-Indianer, wie in den Winnetou-Filmen gezeigt, sondern Nomaden. Leider können wir uns nicht erinnern, ob dieser Fehler im Buch auch drin ist, aber im Film hätte man ihn auch dann mal korrigieren und historische Korrektheit über Karl May-Treue stellen dürfen.
Keine Frage, dass, für sich genommen, der freundliche Umgang mit der amerikanischen Urbevölkerung wohltuend ist, aber es ist eben auch zu offensichtlich, dass hier eine Art natürliche Verbindung zwischen Old Shatterhand und Winnetou auch deshalb entsteht, weil beide die Edelsten weit und breit sind und den edelsten Völkern des europäischen und des nordamerikanischen Kontinents entstammen. Karl May war kein Rechtsausleger, in seiner Spätphase sogar eher Pazifist, aber ein Kind seiner Zeit im Wilhelminischen Reich, in der die Deutschen schon dabei waren, die Grundlage der Selbstüberschätzung zu legen, deren Ergebnisse wir hinlänglich kennen. Deswegen haben wir immer gewisse Probleme damit, solche überhöhten Figuren wie Old Shatterhand und Winnetou zu verfolgen, ohne sie zu reflektieren. Und die Reflektion stärkt die erwähnte Distanz.
Die Hollywood-Sichtweise auf den Westen der USA und die Pionierzeit ist auch nicht realistisch, da läuft es genau anders herum: Indianer und die vielen Nicht-WASPs, die in Wirklichkeit Hauptanteile zur Erschließung beigetragen haben, werden marginalisiert und hin und wieder folkloristische eingebaut, vor allem die italienischstämmigen Einwanderer. Die Wahrheit liegt, wie meist, in der Mitte: Es gab überall solche und solche und die Sicht der herrschenden Klasse oder Nationalität spielt eine wesentliche Rolle bei der Art, wie die Ereignisse jener in der Tat aufregenden und die Fantasie der Menschen beflügelnden Zeit dargestellt werden. Und da sind wir dann doch beim Film, in dem das genauso lapidar formuliert wird, und wir sind uns ziemlich sicher, das stand auch so in den Büchern.
Erstaunlich, gerade im Vergleich zu den hehren Prinzipien und Anforderungen an den guten Charakter an sich, ist in „Winnetou“ der lakonische Umgang mit Gewalt, auch wenn diese in jenen Zeiten sicher häufig war, wenn es darum ging, im Westen voranzukommen.
Was ist an der Gewaltdarstellung besonders? Nicht die brutale Ausführung, nein. Bis auf den von Winnetou schwer verletzten Old Shatterhand sieht man im ersten Teil niemanden bluten. Im zweiten gibt es noch einmal mehr Pyrotechnik, als das Ölfeld eines gewissen Forrester in die Luft gejagt wird.
Aber wie locker hier Dutzende von Indianern, Bahnarbeiten, Schurken draufgehen, das ist in gewisser Weise eine Vorwegnahme späterer Italo-Western. Innerhalb weniger Sekunden sterben Menschen wie die Fliegen, ganz anders als im US-Western jener Jahre, in dem die meisten Tode Einzelner etwas Dramatisches, auf seine Weise Überhöhtes und Symbolisches hatten und der Showdown, das langsam ausgeführte Duell, das zehn Minuten dauern konnte, der zentrale Punkt vieler Western ist.
Schön aber, wie eine echte Lok in den Saloon hineinfährt und das Ding explodiert, oder auch die Büffeljagd. Wo hatten sie bloß die Bisons her? Und hatte man die Szene aus Winnetou I im dritten Teil wiederverwendet? Vermutlich, denn sie dürfte logistisch zu den aufwendigsten der gesamten Trilogie gehören. Unser Verdacht: Es sind verkleidete Normalkühe, die man irgendwie wild gemacht hat, denn digitale Bildbearbeitung war vor 50 Jahren nicht. Und der Bär, mit dem Winnetou im zweiten Teil kämpft, ist ja auch nur in wenigen kurzen Einstellungen ein echter solcher, in den übrigen wird er, deutlich erkennbar, von einem Menschen dargestellt: Dem Zirkusbesitzer Althoff, der immerhin Bärenkenner war, denn auch der Bär für die wenigen Einstellungen wurde aus diesem Zirkus entliehen.
Zurück zur Handlungsführung. Die Karl May-Filme haben eine vom US-Western deutlich abweichende Dramaturgie, die in der Tat davon geprägt ist, dass es sich um Reiseromane handelt, nicht um ausgefeilte Melodramen mit vor Spannung berstenden Höhepunkten. Lediglich die Szene, als Nscho-Tschi stirbt, könnte auch aus einem amerikanischen Film stammen. Sie ist aber auch die Klimax und ein Schlusspunkt. Obwohl wir die Figur und ihre Darstellerin apart fanden, war es aber – siehe vorne – ein Ereignis, das wir vergleichsweise stoisch hingenommen haben.
Das Fazit? Unsere Bewertung liegt bei 6,5/10 für die beiden ersten Teile. Der dritte mit seinem etwas zu dicken Pathos muss sich mit 6/10 begnügen, außerdem ist er in Details weniger schön und akribisch gefilmt. Apropos Visuelles: Ganz gewiss ist das farbenfrohe Breitwandkino auf der Höhe der Zeit gewesen und da immerhin konnte man mit amerikanischen Produktionen mithalten.
Die IMDb-Nutzer, das haben wir jetzt erst nachgesehen, vergeben 7,0 für den ersten, 6,6 für den zweiten und 6,7 für den dritten Teil. 6,9/10 erhält übrigens „Der Schatz im Silbersee“, der erste und für die meisten Kritiker beste aller Karl-May-Filme der 1960er Jahre (Alle Wertungen Stand September 2014, im Dezember 2024: 6,8,6,5, 6,6).
65/100 (Gesamtwertung aller drei Filme)
© 2024 Der Wahlberliner, Thomas Hocke (Entwurf 2014)
Teil 1:
| Regie | Harald Reinl |
|---|---|
| Drehbuch | H. G. Petersson |
| Produktion | Preben Philipsen und Horst Wendlandt/Zvonko Kovačić |
| Musik | Martin Böttcher |
| Kamera | Ernst W. Kalinke |
| Schnitt | Hermann Haller |
| Besetzung | |
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|
Teil 2
| Regie | Harald Reinl |
|---|---|
| Drehbuch | H. G. Petersson |
| Produktion | Horst Wendlandt |
| Musik | Martin Böttcher |
| Kamera | Ernst W. Kalinke |
| Schnitt | Hermann Haller |
| Besetzung | |
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