A Thief Catcher / His Regular Job (USA 1914) #Filmfest 1222 #Chaplin #CharlesChaplin #CharlieChaplin

Filmfest 1222 Cinema - Werkschau Charles Chaplin (4)

A Thief Catcher (Alternativtitel: His Regular Job) ist ein Slapstick-Kurzfilm aus dem Jahr 1914. In dem lange verschollenen SchwarzweißStummfilm hat Charlie Chaplin eine Nebenrolle als Polizist, einer seiner Auftritte als einer der Keystone Kops.

Wer die Chaplin-Filmografie durcharbeiten möchte, muss sich auch den Filmen widmen, in denen Chaplin noch nicht der Hauptdarsteller war.

Wie bitte? Chaplin hat Filme gedreht, in denen er nicht als Tramp die Szene beherrscht hat? Er kam zwar zu seiner ersten Filmfirma Keystone als bereits vom Vaudeville her bekannter Bühnendarsteller, aber er hatte noch nicht die künstlerische Freiheit, sich selbst zu inszenieren. In seinem ersten Film trat er zwar als Hauptdarsteller auf, aber noch nicht als Tramp („Making a Living“, 1914), im zweiten kam der Tramp zum Vorschein („Seifenkistenrennen in Venice„, 1914) im dritten war er nur einier von mehreren wichtigen Darstellern um die Hauptperson Mabel Normand herum, aber schon als Tramp („Mabel’s Strange Predicament, 1914) und im vierten hat er sogar nur eine untergeordneten Rolle, zudem nicht in seinem ikonischen Kostüm, sondern als einer der Cops. Das ist „A Thief Catcher“, der in Chaplins Werk also die Nummer vier trägt.

Handlung

Der Hilfssheriff Suspicious John (dt. etwa: Argwöhnischer Johannes) beobachtet zwei Gauner dabei, wie sie einen dritten einen Hang hinunterstürzen. Die Gauner bemerken ihn und setzen zu seiner Verfolgung an. John versteckt sich in einer Hütte, die sich bald als die Behausung der Gauner herausstellt. Als die Gauner ihn darin entdecken, wollen sie ihn erschießen. Dabei werden sie von zwei Polizisten gestört, die die Gauner zur Rede stellen. Als ein Polizist das Hinterzimmer, in dem sich John befindet, betreten will, haut John ihm mit einer Schaufel auf den Kopf. Die Polizisten ziehen sich zurück. In der Zwischenzeit hat John seinen Hund mit einer Nachricht an die Polizei geschickt. Kurz bevor die Polizei in Truppstärke anrückt, kann John fliehen, kehrt aber mit einem Knüppel bewaffnet zurück, dessen erster Einsatz wieder die Polizei trifft. Nachdem ihm ein Polizist (Charlie Chaplin) ebenfalls einen mit dem Schlagstock überzieht, fallen in der Schlusssekunde des Films beide nebeneinander zu Boden.

Rezension

Die Erklärung dafür, dass Chaplin trotz seiner bereits recht hohen Bekanntheit auch mal Assistenzrollen spielen musste, war schlicht: Es gab, als er begann, größere Stars bei Keystone. Etwa die oben erwähnte Mabel Normand – oder Ford Sterling, der in „A Thief Catcher“ die Hauptrolle spielt. Für mich war nicht so klar erkennbar, dass er einen Hilfssheriff gibt, ich hätte ihn eher für ein „Private Eye“ gehalten, der zufällig vor Ort ist, als die Verbrecher sich über die Beute streiten und er ein Foto davon schießt. Also müssen wir uns heute mit Ford Sterling befassen:

 Um 1911 wurde Sterling vom Biograph-Regisseur Mack Sennett entdeckt, der den Schauspieler im selben Jahr für den Kurzfilm Dutch Gold Mine erstmals verpflichtete. Ende 1912 wurde Sterling neben Mabel NormandFred Mace und Sennett selbst einer der ersten Stars von dessen neugegründeter Keystone. Hier war Sterling häufig und am effektivsten in Schurkenrollen besetzt, exemplarisch in Barney Oldfield’s Race for a Life, mit typisch sardonischem Gezupfe am Knebelbart. Er reüssierte zudem als Chef der Keystone Kops, einer Gruppe wechselnder Komiker in den Rollen tollpatschiger und lustiger Polizisten. Unter all seinen Filmfiguren prägte sich Sterling vor allem als dutch character ein (was damals in den USA gleichbedeutend mit Deutsch war), inklusive Zylinder, Gehrock, Drahtgestellbrille und Spitzbart.

Sterlings grimassierender Mimik in den Komödien, die aus heutiger Sicht eher überzogen und aufdringlich wirkt, stand eine außergewöhnliche Körperbeherrschung gegenüber; es sind vor allem seine unverwechselbaren, grotesken Bewegungen und Gebärden, die noch heute erheitern. Sterling gilt als Begründer des kurzen Luftsprungs, von dem vor allem in den Komödien der 1910er Jahre ausgiebig Gebrauch gemacht wurde, wenn ein Akteur zur Verfolgung eines anderen ansetzte. Zu den originelleren Ideen des Komikers gehörte zudem die Eigenart, seinen Opponenten unvermittelt auf die Schulter zu springen und ins Ohr zu beißen, ein Gag, der mitunter ebenfalls von anderen Keystone-Komikern aufgegriffen wurde.

Ab 1913 übertrumpfte Sterling den Vitagraph-Komiker John Bunny in der Zuschauergunst und war so für etwa ein Jahr, bis zum Erscheinen Charlie Chaplins auf den Leinwänden, der populärste männliche Komiker der USA überhaupt. Anfang 1914 war er kurz nach Mabel Normand zudem der erste Keystone-Star, der bei seinen Filmen selbst Regie führen durfte, eine Aufgabe, der er sich allerdings eher selten stellte. Noch im selben Jahr verließ er mit Regisseur Henry Lehrman die Keystone, um sich mit seiner Sterling Film Company selbständig zu machen.

Sie werden sich erinnern, wenn Sie unsere Rezension zu „Making a Living“ gelesen haben: Lehrman war Chaplins erster Regisseur, spielte in dem genannten Film auch selbst mit und hatte irgendwie das Gefühl, er kommt zu kurz, wenn Chaplin ebenfalls im Bild ist. Daher war es logisch, dass er sich anders orientierte. Was Chaplin 1915 dann aber auch tat, als er zu Essanay ging.

Wir haben also einen Film zu rezensieren, der den damals populärsten Komiker der Filmindustrie zeigt, und das war eben noch nicht Charles Chaplin, sondern Ford Sterling. Seine Komik in „A Thief Catcher“ ist exakt so, wie sie in seiner Kurzbiografie beschrieben wird und seine Gestik und Mimik lassen an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. Ein bisschen schmunzeln reicht aber heute schon, einfach deshalb, weil es witzig ist, zu sehen, was damals Komödie war und enormen Erfolg hatte. Ich bin, was die frühen Filmkomiker angeht, wie wohl die meisten hierzulande, von „Väter der Klamotte“ und ähnlichen Potpourris geprägt, die aber Filme aus den 1920ern zeigen, als die Filmkomik schon weiter entwickelt war und Größen wie Laurel & Hardy auf den Plan traten. Auch die frühen Chaplin-Filme hatte man in Deutschland lange nicht sehen können. Das ist heute anders, dank dem Arte-Mutual-Projekt, das vor zehn Jahren gezeigt wurde oder dem dann folgenden Essanay-Projekt. Und mittlerweile durch Youtube, das auch die ganz frühen Chaplin-Filme problemlos zugänglich macht. Möglich ist das wiederum nur, weil alle seine Filmgesellschaften und er selbst für damalige Verhältnisse sehr penibel im Aufbewahren der Filme waren, was wiederum mit deren großem Erfolg zu tun haben dürfte. Bis jetzt ist es nicht passiert, dass wir einen Chaplin-Film, den wir gesucht haben, nicht anschauen konnten.

Anmerkung anlässlich der Veröffentlichung der Rezension im Dezember 2024: Auch da sind wir ein Stück weiter. In der Tat gab es große Unterschiede, gerade zwischen großen und kleineren Studios, was das Bewusstsein für Traditionspflege angeht, so sind insbesondere bei MGM heute noch viele Filme erhalten. Manche Filmemacher hatten Wutanfälle, die zur konsequenten Vernichtung des eigenen Werks geführt hatten, dafür war Chaplin viel zu narzisstisch, außerdem gehörten im die Filme der frühen Jahre nicht. Vor allem kam es aber zu mehreren Katastrophen, bei denen unzählige der hochgradig brennbaren Nitratfilme verloren gingen, der berühmteste oder berüchtigtste davon ist wohl das Fox-Archivfeuer von 1937, in dem fast alle Stumfilme der späteren 20th-Centery-Fox, also eines der größten Studios, verloren gingen. Es ist ein riesiges Glück, dass Chaplins Filme weitgehend erhalten sind und wer weiß, wie das frühe US-Kino heute bewertet würde, wären nicht manche Filmkarrieren fast vollständig durch solche Feuerkatastrophen aus dem Gedächtnis gelöscht worden. Von sehr vielen Filmen existieren nur noch „Stills“, falls überhaupt.

Bei „A Thief Catcher“ haben wir das sogar zwei Mal getan. Der Film ist in der Wikipedia und in der IMDb mit jeweils acht Minuten Länge angegeben. Also haben wir die Videos durchgeschaut, die es dazu gibt und eines mit acht Minuten Länge gefunden. Passt! Als wir mit diesem ziemlich ruckigen Exemplar durch waren und eine ziemlich schlechte Bewertung dazu im Kopf hatten, fiel uns auf, dass einige der erhältlichen Dateien eine Länge von 13 Minuten aufweisen. Und tatsächlich, der Stand der Dinge scheint sich verändert zu haben. Und die längere Version ist deutlich besser, die Szenenanschlüsse passen, nur wenige Schnitte wirken schlecht angeschlossen, die Handlung erklärt sich wesentlich besser. Vor allem aber kann man Ford Sterlings Komik ausführlicher bewundern und feststellen, dass der Film, vor allem, als er im hinteren Zimmer der Gangsterbude eingeschlossen ist, geradezu langsam wirkt, damit er seine Grimassen voll entwickeln kann. Aber auch die Action wirkt flüssiger und nachvollziehbarer. Dadurch wird „A Thief Catchter“ noch kein Meistewerk der frühen Filmklamotte und reicht bei Weitem nicht an Ernst Lubitschs deutsche Filme der Zeit heran, um einmal einen Kontinente-Sprung zu machen dorthin, wo die Filmkomödie schon viel weiter entwickelt war als bei Keystone. Aber das Ganze ist passabel und stellenweise – siehe oben – zum Schmunzeln.

Ich habe schon bei Chaplins Essanay-Filmen und, etwas weniger ausgeprägt, bei den Mutual-Filmen angemerkt: Ich sitze vor dem Bildschirm und schaue mir einen solchen Film vor allem aufmerksam an, weil er historisch wichtig ist, das Lachen passiert eher zufällig mal nebenbei. Ich finde diese Filme auch zu rudimentär, um aus vollem Hals loszulachen, das ist dann eben den späteren Klamotten vorbehalten. Der Film hat eine gigantische Entwicklung hinter sich, die in einigen Genres aber mittlerweile zum Stillstand gekommen ist. Gerade die Komödie kann  kaum noch weiterentwickelt werden, ist mein aktueller Eindruck. Sie ist auch nicht das Trendgenre dieser wenig witzigen Zeit.

Umso wichtiger ist es, zu betonen, dass der Film damit angefangen hat. Es gab auch Dramen und sogar Western und Abenteuerfilme, aber Geld wurde vor allem mit diesen One-Reelern, allenfalls Two-Reelern verdient, mit denen Komiker wie Ford Sterling oder Charles Chaplin dem Publikum eine kurze Entspannung mitten im harten Leben jener Jahre verschafften. Es war Volksvergnügen, Jahrmarkt oder Kleinbühnendarstellung auf Leinwand, primitiv und für Historiker natürlich auch soziologisch interessant. Wie tickte das Publikum damals? Ganz sicher nicht so, wie es später in nostalgischen Hollywoodfilmen dargestellt wurde, die vor allem als Musicals in den 1940er Jahren sehr populär waren, sozusagen als Bild der guten alten Zeit vor dem Ersten Weltkrieg. Nein, den Filmen, die wirklich aus jener Zeit stammen, sieht man an, dass die Menschen es nicht so leicht hatten und für jede kleine Dummheit auf der noch so jungen Leinwand äußerst empfänglich, denn sie selbst konnten sich nichts erlauben, ohne gleich ihre Existenz im Ausbeutersystem aufs Spiel zu setzen. Wer glaubt, das sei überspitzt formuliert, der muss sich vor Augen halten, dass die USA damals zwar schon das reichste Land der Welt waren, aber das Geld auch in jenen Jahren schon sehr stark an der Spitze konzentriert war und es keinerlei Sozialsysteme gab. Deswegen ist der Mittelstand, der in den Nostalgiefilmen ein paar Jahrzehnte später hervorgehoben wurde, eine enorme Verzerrung der Wirklichkeit, ein Teil des amerikanischen Mythos, mit dem typischen Duktus, wie gut doch die alten Zeiten waren.

Chaplins Filme, die in den folgenden Jahren immer mehr sozialkritische Elemente beinhalteten, beweisen das Gegenteil. Allerdings sind auch sie natürlich nicht „die Wirklichkeit“. Viele Figuren in diesen Komödien sind trashiger als der damalige Bevölkerungsdurchschnitt. Der Grund dürfte klar sein: Nach oben zu schielen, zu den Reichen, das war deprimierend, aber auf die noch Ärmeren ein bisschen herabsehen und sie witzig finden zu können, das ist alles wiedergekommen, in diesen furchtbaren Fernsehformaten wie „Hartz aber herzlich“. Was uns auch sagt, dass die Menschen wieder primitiver werden.

Nun ist „A Thief Catcher” nur eines von unzähligen Filmkomödchen, es gibt welche, die sich für unsere obigen Betrachtungen ebenso oder besser eignen würden, außerdem ist er eine Gaunerkomödie. Die Typen, die wir sehen, sind Karikaturen, wobei die Keystone Cops noch am meisten real oder durchschnittlich wirken und hier eine ganz positive Rolle einnehmen. Die beiden ersten schaffen es noch  nicht, die Gauner dingfest zu machen und den Hilfssheriff zu retten (oh doch, es muss stimmen, „Suspicious John“ trägt einen Sheriffstern, das fällt mir gerade ein, kann aber trotzdem in dieser Funktion auch hauptberuflich ein Privatdetektiv sein). Interessant ist die Einstellung aus der Ferne, aus Johns Perspektive, in der die drei Gauner oben am Bildrand miteinander kämpfen und einer dann den Abhang hinunterpurzelt. Es wäre etwas verhoben, darin schon einen Prototyp von John Fords und anderer Ikonen typischer Einstellungen sehen zu wollen, aber der Film hat sich eben nicht über Nacht entwickelt und dieses Filmen von quasi Schattenrissen aus der Ferne ist recht impressiv. Ein Detail, während das Geschehen in der Hütte der Gauner konventionell, aber in der längeren Version nicht schlecht gefilmt ist.

Finale

Genießen wir einfach einen Film mit Charles Chaplin, in dem wir nicht so viel über ihn zu schreiben brauchen, weil er kaum signifikante Szenen hat. Dass er mal eins überkriegt oder nach hinten kippt, ist nicht das, wofür er weltberühmt wurde. Er hat in diesem Fall eben eine dienende Rolle, und da er bei Keystone nicht pro Film, sondern pro Woche bezahlt wurde, gab es da kein Vertun. Ob er aufgrund dieses Hilfsarbeiter-Jobs schon begann unzufrieden zu werden? Es wäre wohl doch etwas vermessen gewesen, nach gerade mal zwei Filmen, in denen er die Hauptrolle spielen konnte. Andererseits litt Chaplin, wie viele der ganz großen Stars, nicht an mangelndem Selbstbewusstsein und zu gering ausgeprägtem Ego. Wer weiß. Es war uns wieder ein kleines Vergnügen. Die 4,9/10 in der IMDb für „A Thief Catcher“ sind die niedrigste Bewertung eines Films mit Chaplin, die ich bisher in einer Rezension zu reportieren hatte und vielleicht beruht sie darauf, dass die meisten der Wertenden nur die 8-Minuten-Kurzversion kennen. Wir geben etwas mehr.

Anmerkung anlässlich der Veröffentlichung im Dezember 2024: Im Wege der gleichzeitig laufenden 3. US-Filmchronologie „Von Beginn an, pro Jahr ein Film“ hat sich gezeigt, dass wir 1913, 1914 gerade an der Schwelle des Zeitalters stehen, in denen Langfilme aufgrund einiger erfolgreicher Arbeiten der letzten Jahre mehr in den Vordergrund rückten, zum Beispiel hatten wie für 1913 „Trafic in Souls“ besprochen, der schon 80 Minuten Spielzeit hat und Inhalte bietet, die in eine Kurzkomödie nicht hineinpassen. Keystone machte solche Filme aber nicht, vollzog diesen Wandel noch nicht und war eine Schmiede für Komiker, die später sehr wohl ins lange Format wechselten, wie natürlich auch Charles Chaplin. Etwa ab 1914, für die Zeit, für die „Box-Office-Daten“ erhältlich sind, sind alle Filme, die Spitzenumsätze erzielten, Langfilme. Allerdings waren die ersten erfolgreichen Langspielfilme (1914 war es bei uns dann der mehr als einstündige „The Squaw Man“ ) in der Regel keine Komödien. Die „seriösen“ Dramen hatten sozusagen einen Längenvorsprung, weil in sie eher große Summen investiert wurden, weil sie oft auf Weltliteratur besierten – oder Monumentalfilme waren, wie sie damals aufkamen.

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© 2024 Der Wahlberliner, Thomas Hocke

Regie Ford Sterling
Produktion Mack Sennett
Besetzung


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