Geopolitik, Wirtschaftspolitik, Frankreich, Deutschland, Staatsschulden, Schuldenbremse, Sondervermögen, Schuldenberg, Sturz der Regierung Barnier, Wirtschaftspolitik, EU in der Schwächezone
Bereits vor einer Woche hatten wir uns mit der politischen Entwicklung in Frankreich befasst, heute können wir deshalb ein Update über den Ausgangsartikel setzen: Die Regierung Barnier, Präsident Emmanuel Marcrons vorerst letzte Hoffnung, ist an einem Misstrauensvotum gescheitert. Erstmals seit 1962 wurde eine Regierung dadurch vorzeitig beendet.
Das Misstrauensvotum an sich ist in Frankreich, anders als in Deutschland, ein Ritual, wie man an der folgenden Statista-Grafik sehen kann – es ist aber auch anders ausgestaltet und selten erfolgreich im Sinne der politischen Kräfte, die es auf den Weg bringen. Es ist in Deutschland aber auch nicht so einfach, Gesetze am Parlament vorbei zu beschließen, wovon in den letzten Jahren offenbar westlich des Rheins ausgiebig Gebrauch gemacht wurde. Gerade deswegen ist der erste Regierungssturz auf diesem Weg seit 62 Jahren durchaus etwas Besonders, eine politische Sensation. Vor allem, weil normalerweise eine Regierungsmehrheit im Parlament die Misstrauensvoten abblocken kann, und genau dies war nun nicht mehr der Fall.
Infografik: Misstrauensvotum beendet die Barnier-Regierung | Statista

Diese Statista-Grafik wurde unter einer Lizenz CC BY-ND 4.0 Deed | Namensnennung-Keine Bearbeitung 4.0 International | Creative Commons erstellt und wir geben sie unter gleichen Bedingungen wieder. Folgend der Statista-Begleittext dazu, dann weiter mit unserem Kommentar.
Das französische Parlament hat dem Premierminister Michel Barnier das Vertrauen entzogen. Dem Premierminister fehlte in der Nationalversammlung die Mehrheit, um Gesetze auf dem herkömmlichen Weg durchzusetzen und so griff Barnier zum Verfassungsartikel 49.3, der es erlaubt Gesetze ohne Zustimmung des Parlaments zu legitimieren, um seinen geplanten Sozialetat durchzubringen. Als Reaktion darauf reichte die Neue Volksfront einen Misstrauensantrag ein, der mit einer großen Mehrheit von 331 Stimmen bestätigt wurde.
Gemäß Artikel 50 der Verfassung ist der Premierminister nun gezwungen, dem Präsidenten der Republik den Rücktritt seiner Regierung zu übergeben. Michel Barnier ist damit der Premierminister mit der kürzesten Amtszeit in der Fünften Republik und der erste, der seit Georges Pompidou 1962 auf diese Weise vom Parlament entlassen wurde.
Wie unsere auf Daten der Nationalversammlung basierende Infografik zeigt, wurden vor dem Misstrauensantrag der NFP und seit Beginn der zweiten fünfjährigen Amtszeit von Emmanuel Macron im Jahr 2022 28 Misstrauensanträge gegen die Regierung als Reaktion auf 23 Verwendungen des 49.3 eingereicht – alle unter Elisabeth Borne.
Nur wenige davon wurden von Abgeordneten aus allen politischen Lagern vertreten: Im Oktober 2022 erhielt ein vom Linksbündnis NUPES eingebrachter Antrag die Stimmen von 89 Abgeordneten des Rassemblement National. Zwei weitere Anträge, die von der LFI im Oktober und November 2022 eingebracht wurden, erhielten ebenfalls die Stimmen einer großen Mehrheit der Abgeordneten der rechtsextremen Partei.
Der von der zentristischen Fraktion Libertés, Indépendants, Outre-mer et Territoires (LIOT) im März 2023 eingereichte Misstrauensantrag (Rentenreform) brachte das politische Spektrum am stärksten zusammen: Er wurde von allen Abgeordneten der Linken, 19 Abgeordneten der LR und fast der gesamten RN-Fraktion angenommen und verfehlte die absolute Mehrheit um nur neun Stimmen.
Weitere Informationen
Bitte fassen Sie alles Wichtige zum Sturz der Regierung Barnier in Frankreich zusammen, aus welchen Kräften bestand sie, wie lange war sie im Amt, wieso konnte sie durch ein Misstrauensvotum gestürzt werden, gab es also keine Regierungsmehrheit im französischen Parlament?
Die Regierung Barnier in Frankreich wurde am 4. Dezember 2024 durch ein Misstrauensvotum gestürzt[1][2]. Hier sind die wichtigsten Punkte zusammengefasst:
## Zusammensetzung und Amtszeit
– Die Regierung Barnier war eine Mitte-Rechts-Regierung unter Premierminister Michel Barnier[4].
– Sie bestand aus Mitgliedern der Parteien LR und Ensemble (RE, MoDem, HOR)[4].
– Die Regierung wurde am 5. September 2024 ernannt und war nur 83 Tage im Amt[4][3].
## Gründe für den Sturz
– Auslöser war ein Streit über den Staatshaushalt[1].
– Die Regierung hatte keine eigene Mehrheit im Parlament[2].
– 331 von 577 Abgeordneten stimmten für das Misstrauensvotum[1].
## Politische Situation
– Es war das erste erfolgreiche Misstrauensvotum in Frankreich seit 1962[2][3].
– Die Opposition aus dem linken Lager und dem rechten Rassemblement National stimmte gemeinsam gegen die Regierung[2][3].- Barnier hatte versucht, auch moderate Kräfte aus dem linken Lager einzubinden, was nicht gelang[6].
## Folgen
– Barnier reichte seinen Rücktritt bei Präsident Macron ein[7].
– Er bleibt vorübergehend geschäftsführend im Amt[7].
– Präsident Macron muss nun einen neuen Premierminister ernennen[1].
– Neuwahlen sind frühestens im Juli 2025 möglich[3].
Der Sturz der Regierung Barnier verdeutlicht die komplexe politische Situation in Frankreich, mit einer fragmentierten Nationalversammlung und fehlenden stabilen Mehrheiten[9]./[1]
Welche Auswirkungen hat das Misstrauensvotum auf die wirtschaftliche Lage Frankreichs?
Das Misstrauensvotum gegen die Regierung Barnier hat mehrere negative Auswirkungen auf die wirtschaftliche Lage Frankreichs:
- Haushaltsprobleme: Der Sparhaushalt für 2025 ist nun vom Tisch, was die Sanierung der französischen Staatsfinanzen erschwert[3]. Frankreich hat bereits die dritthöchste Schuldenquote in der Eurozone.
- Drohende Steuererhöhungen: Ohne einen neuen Haushalt könnte der Haushalt des laufenden Jahres weiter gelten, was zu Steuererhöhungen für viele Bürger führen könnte[1].
- Ausbleibende Entlastungen: Geplante finanzielle Entlastungen für die Bevölkerung werden möglicherweise nicht umgesetzt[1][3].
- Vertrauensverlust an den Finanzmärkten: Die anhaltende politische Krise und die ungelöste Haushaltsfrage könnten das Vertrauen der Finanzmärkte in Frankreich schwächen[1][2].
- Höhere Zinslast: Eine mögliche Verschlechterung des Länderratings könnte zu höheren Zinsen für Staatsanleihen führen, was die finanzielle Belastung weiter erhöht[2].
- Investitionszurückhaltung: Heimische und ausländische Unternehmen könnten mit Investitionen zögern, was dem Wirtschaftsstandort Frankreich schaden könnte[2].
- Eingeschränkter politischer Handlungsspielraum: Die fehlende parlamentarische Mehrheit erschwert die Umsetzung bedeutender wirtschaftlicher Reformen und Entlastungsmaßnahmen[3].
Diese Faktoren könnten zusammengenommen die wirtschaftliche Stabilität Frankreichs gefährden und auch Auswirkungen auf die Eurozone haben, da Frankreich als zweitgrößte Volkswirtschaft der EU eine wichtige Rolle spielt[3]./[2]
Kommentar
Damit sind die beiden wichtigsten Länder der Eurozone politisch nur noch eingeschränkt handlungsfähig und wirtschaftlich angeschlagen. Angesichts der politischen Weltlage ein Desaster, aber eines mit Ansage. Emmanuel Macron regiert im Grunde schon lange an der Mehrheit der Bevölkerung vorbei, ebenso wie die deutsche Ampelregierung es getan hat. Der französische Schuldenberg ist nicht über Nacht entstanden und Deutschland steht gar nicht so viel besser da, nicht einmal in dieser Hinsicht, wie wir im Ausgangsartikel erklärt haben. Die Verschuldungsquote des Staates, wie sie wirklich ist, wird in Deutschland durch die sogenannten „Sondervermögen“ kaschiert, die nicht in diese Quote einbezogen wird.
Wenn sich die beiden wichtigsten EU-Länder jetzt einig wären, wie man aus der Krise herauskommt, wäre alles halb so schlimm, solche Zeiten gibt es eben, man korrigiert die Politik und es wird wieder besser.
So einfach ist es aber nicht. Frankreich und Deutschland haben unterschiedliche wirtschaftliche Prioritäten. Frankreichs Politik interveniert viel mehr, schottet ihre Unternehmen hab, setzt nicht so stark auf den Export wie Deutschland. Das macht zum Beispiel eine gemeinsame Politik gegenüber China schwierig, wo Deutschland um ein Mehrfaches stärker engagiert ist als Frankreich. Deutschland steht fast immer auf der Bremse, wenn es darum geht, Wirtschaftssanktionen politisch einzusetzen. Andererseits ist die Erinnerung an die Eurokrise noch wach, als Frankreich mit einigen anderen zusammen versucht hat, die Euro-Sanierung nach der Bankenkrise zu torpedieren. Deutschland und Frankreich sind einander jeweils anderen Ländern in der EU ähnlicher als einander, aber ohne eines von beiden wären die EU am Ende. Was jetzt nicht passieren darf, ist, dass Kräfte sich durchsetzen, die genau das wollen, nämlich einen Rückfall in die Nationalstaaterei. Wir sind sehr kritisch der EU in ihrer aktuellen Verfassung gegenüber.
Das Scheitern des wirtschaftsliberalen Modells, das wiederum in beiden Ländern ähnlich verfolgt wurde, zeigt sich immer deutlicher, zumal von außen immer mehr Druck kommt, den es vor einigen Jahren nicht gab. Der Freihandel ist in Gefahr, das schadet vor allem Deutschland, während Frankreich trotz aller Bemühungen nicht genug wirtschaftliche Substanz aufgebaut hat oder erhalten konnte, um ohne Schulden seine soziale Agenda aufrechterhalten zu können. Die Vergemeinschaftung der Schulden hingegen ist wiederum an Deutschlands Politik, namentlich an Angela Merkel, gescheitert. Dabei wäre sie, über die gesamte EU betrachtet und die tatsächliche Staatsschuldenquote Deutschlands als Maßstab genommen, vielleicht sogar in der jetzigen Lage ein Vorteil.
Vielleicht ließe sich so auch ein besseres Rating für die EU-Staaten erhalten, falls die Finanzmärkte wieder gegen sie spekulieren sollten, wie in der Folge der Banken- und Eurokrise. Wir haben während und nach dieser Krise die Idee für absurd gehalten, dass Deutschland, dessen Regierung das Land kaputtspart, um in Sachen Schulden gut dazustehen, für die großzügige Fiskalpolitik anderer EU-Länder haften soll, die eine solche Entwicklung unter Inkaufnahme hoher Schulden verhindert haben. Doch die Lage ändert sich ständig und wir müssen über dieses Thema noch einmal nachdenken. Der deutsche Weg jedenfalls ist gescheitert, das sieht man ganz deutlich. Wir meinen auch, die Situation ist in Wirklichkeit mehr festgefahren als in Frankreich, weil in Deutschland mit einem Mal das ganze Ausmaß der Strukturkrise sichtbar wird, das von Angela Merkel immer kunstvoll unter dem Deckel gehalten wurde, unter anderem durch ein Niedrigzins-Scheinwachstum des BIP. Das Wachstum war schon real, stellte aber nur scheinbar die wirtschaftliche Kraft Deutschlands dar, weil es mit falschen Ansätzen erzeugt wurde.
Die EU war bisher eher eine Schönwetterveranstaltung, denn es war relativ leicht, sich in der Aufschwungphase nach dem Zweiten Weltkrieg europäisch zu arrangieren und diese Lage zum gegenseitigen Vorteil zu nutzen, Bindungen zu vertiefen und neue Mitglieder aufzunehmen, zuletzt durch den Fall des Eisernen Vorhangs. Politisch gibt es ohnehin zunehmende Differenzen, politisch bedenkliche Tendenzen, und sie werden sich verstärken, wenn die wichtigen Länder keine Antwort auf die drängenden Probleme finden. Für alle möglichen Machthaber, mögen sie Putin, Trump oder Xi heißen, ist der schlechte Zustand der EU und die Schwäche der Politik in ihren größten Ländern wie gemalt, um ihre eigenen Machtinteressen besser durchsetzen zu können. Wir werden in den nächsten Wochen und Monaten sehen, wie sich das auswirkt.
TH
[1] Informationsblock „Sturz“
[1] https://www.br.de/nachrichten/deutschland-welt/frankreich-regierung-durch-misstrauensvotum-gestuerzt,UVzls49
[2] https://www.tagesschau.de/ausland/europa/frankreich-sturz-barnier-misstrauensvotum-100.html
[3] https://www.dw.com/de/frankreich-barnier-reicht-r%C3%BCcktritt-ein/a-70966710
[4] https://de.wikipedia.org/wiki/Kabinett_Barnier
[5] https://www.tagesschau.de/ausland/europa/frankreich-regierung-114.html
[6] https://www.kas.de/de/laenderberichte/detail/-/content/frankreich-hat-eine-neue-regierung
[7] https://www.tagesschau.de/ausland/europa/frankreich-sturz-barnier-misstrauensvotum-102.html
[8] https://www.agenzianova.com/de/news/francia-annunciata-la-composizione-del-nuovo-governo-barnier/
[9] https://www.zdf.de/nachrichten/politik/ausland/frankreich-sturz-regierung-barnier-krise-nachfolger-100.html
[2] Infoblock wirtschaftliche Auswirkungen:
[1] https://www.deutschlandfunk.de/welche-folgen-hat-der-sturz-der-franzoesischen-regierung-102.html
[2] https://www.sueddeutsche.de/politik/regierungskrise-in-paris-misstrauensvotum-stuerzt-frankreich-ins-ungewisse-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-241204-930-307317
[3] https://www.srf.ch/news/wirtschaft/misstrauensvotum-in-frankreich-frankreich-ist-fuer-die-eurozone-too-big-to-fail
[4] https://www.tagesschau.de/ausland/europa/frankreich-sturz-barnier-misstrauensvotum-100.html
[5] https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/frankreichs-regierung-durch-misstrauensvotum-gestuerzt-110154214.html
[6] https://www.br.de/nachrichten/deutschland-welt/frankreich-regierung-durch-misstrauensvotum-gestuerzt,UVzls49
[7] https://www.zdf.de/nachrichten/politik/ausland/frankreich-krise-macron-barnier-misstrauensvotum-100.html
[8] https://www.tagesschau.de/eilmeldung/frankreich-regierung-gestuerzt-100.html
[9] https://www.perplexity.ai/elections/2024-11-05/us/president
29.11.2024
Im Westen nichts Gutes
Damit wir uns nicht immer nur im eigenen deutschen Saft bewegen, heute ein Blick nach Westen. Dort spielt sich ein Drama ab, das uns auf jeden Fall in einer Weise betreffen wird und möglicherweise die EU erneut in Schwierigkeiten bringen wird. Ausgangspunkt unseres Artikels war dieser Beitrag: Wirtschaft: Frankreich wankt – droht die nächste Eurokrise?.
Grundinformation: Staatsschulden in Frankreich und Deutschland. Die nachfolgende Grafik beinhaltet nicht die Prognose für 2024, die für beide Länder leicht sinkende Staatsschuldenquoten zeigt. Ob diese Prognose zutreffen wird? Es wäre jedenfalls eine Kehrtwende, nach vielen Jahren Anstieg der Staatsschuldenuote, in Frankreich sogar seit dem Jahr 2000.

Der Artikel beschreibt die aktuelle wirtschaftliche und politische Lage in Frankreich, die sich als äußerst prekär darstellt. Hier sind die wichtigsten Punkte zusammengefasst:
## Wirtschaftliche Situation
– Frankreich ist hochverschuldet, was die EU und die Finanzmärkte beunruhigt[1].
– Das Haushaltsdefizit (2024, Anm. TH) liegt bei über 6% des Bruttoinlandsprodukts, deutlich über der deutschen Schuldenbremse von 0,35%[1].
– Die Staatsanleihen werden zu Kursen gehandelt, die zuletzt während der Eurokrise 2012 gesehen wurden[1].
(Konkret: Frankreichs Staatsdefizit liegt aktuell bei 109,2 Prozent des BIP eines Jahres, das deutsche bei 62,8 Prozent, also nur knapp über den im Maastricht-Vertrag festgesetzten 60 Prozent, Anm. TH).
## Politische Lage
– Premierminister Michel Barnier, seit September im Amt, steht vor der Herausforderung, das Defizit zu reduzieren[1].
– Die Regierung verfügt über keine eigene Mehrheit im Parlament[1].
– Marine Le Pen, Führerin der Rechtspopulisten, steht in Umfragen an der Spitze, sieht sich aber mit juristischen Problemen konfrontiert[1].
## Juristische Probleme für Marine Le Pen
– Le Pen und ihre Partei stehen vor Gericht wegen des Verdachts auf Missbrauch von EU-Geldern[1].
– Bei einer Verurteilung droht Le Pen ein fünfjähriges Verbot, politische Ämter zu bekleiden[1].
## Politische Konsequenzen
– Le Pen will das Budget von Barnier nicht mehr unterstützen[1].
– Ein Scheitern des Haushalts könnte zu einem Misstrauensvotum und dem Sturz der Regierung führen[1].
Es ist wichtig zu beachten, dass die beschriebene Situation in Frankreich potenziell weitreichende Auswirkungen auf die Europäische Union und den Euro haben könnte. Die hohe Verschuldung und politische Instabilität in einem der größten EU-Länder könnte zu einer erneuten Eurokrise führen, ähnlich wie 2012. Die kommenden Monate werden entscheidend sein für die wirtschaftliche und politische Zukunft Frankreichs und möglicherweise für die Stabilität der gesamten Eurozone. /[1]
Der Vergleich der Schuldenentwicklung zwischen Deutschland und Frankreich zeigt signifikante Unterschiede in den letzten Jahrzehnten:
## Entwicklung der Staatsschulden
– **Deutschland**: Die Staatsschuldenquote Deutschlands stieg von 60% des BIP im Jahr 2000 auf einen Höchststand von etwa 83% im Jahr 2010. Danach sank sie kontinuierlich und lag 2023 bei etwa 70% des BIP.
– **Frankreich**: Im Vergleich dazu stieg die Staatsschuldenquote Frankreichs von 57% im Jahr 2000 auf über 110% im Jahr 2023. Der Anstieg war besonders stark nach der Finanzkrise 2008 und setzte sich bis in die Gegenwart fort.
## Gründe für die Unterschiede
– **Wirtschaftspolitik**: Deutschland hat in vielen Jahren Primärüberschüsse erzielt, was zur Reduzierung der Schuldenquote beitrug. In Frankreich hingegen wurden regelmäßig Primärdefizite verzeichnet, was die Schuldenquote weiter erhöhte[1].
– **Wirtschaftswachstum und Zinsen**: Deutschland profitierte von einem höheren nominalen Wirtschaftswachstum und niedrigeren Zinsen im Vergleich zu Frankreich, was die Schuldendynamik positiv beeinflusste[1].
Das Diagramm zeigt deutlich, dass Frankreichs Schuldenquote kontinuierlich gestiegen ist, während Deutschland nach einem Anstieg in den frühen 2000er Jahren seine Schuldenquote reduzieren konnte.
Diese Unterschiede in der Schuldenentwicklung könnten langfristig Auswirkungen auf die Stabilität der Eurozone haben, da divergierende Fiskalpolitiken zu Spannungen innerhalb der EU führen können. /[2]
Deutschland und Frankreich haben unterschiedliche Ansätze zur Schuldenreduzierung verfolgt:
## Deutschland
– Einführung der Schuldenbremse, die eine strikte Ausgabendisziplin vorschreibt[1][2]
– Erzielung von Primärüberschüssen in vielen Jahren, was zur Reduzierung der Schuldenquote beitrug
– Beharren auf einer strikten Einhaltung der EU-Schuldenregeln und Forderung nach numerischen Zielen für alle Länder[2]
## Frankreich
– Initiierung des „Grand emprunt“ Programms mit Investitionen von 35 Milliarden Euro in strategische Bereiche (2010-2012)[3]
– Einberufung einer „Defizit-Konferenz“ im Januar 2010, inspiriert vom deutschen Beispiel der Schuldenbremse[3]
– Akzeptanz härterer fiskalischer Regeln und des Fiskalpakts unter zunehmendem Krisendruck[3]
## Gemeinsame Maßnahmen
– Kompromiss von Deauville (Oktober 2010): Einigung auf einen permanenten Krisenlösungsmechanismus und härtere fiskalische Regeln[3]
– Unterstützung des Euro-Plus-Pakts zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit (Februar 2011)[3]
– Jüngste Einigung (2023): Bis 2027 werden weder krisenbedingte zusätzliche Schulden noch erhöhte Zinssätze in die Berechnung des Staatsdefizits einbezogen[1]
Trotz dieser Maßnahmen bleiben Unterschiede in den Ansätzen bestehen. Deutschland drängt weiterhin auf strikte Ausgabendisziplin, während Frankreich mehr Flexibilität für Investitionen in strategische Bereiche wie Klimaschutz und Verteidigung fordert[2]. /[3]
Dialektik
- Was ist besser?
- Die Infrastruktur verrotten zu lassen, wie in Deutschland, sich dafür aber mit einem niedrigeren Staatsdefizit rühmen zu können?
- Das Land auf der Höhe der Zeit zu halten und dafür einen höheren Schuldenberg anzuhäufen?
- Sind die Schuldenstände überhaupt vergleichbar?
- In Deutschland gibt es mittlerweile unzählige Sonderschuldenberge, absichtlich verfälschend als „Sondervermögen“ bezeichnet. In Frankreich gibt es diese Art von Trickserei nicht. Trotzdem sackt das Land infrastrukturell in fast allen Bereichen ab.
Man sagt immer, die französische Staatskunst sei so fintenreich und raffiniert. Im Fall der Verschuldung aber sind die deutschen Politiker die Trickser.
Die französische Staatsschuldenquote ist in der Tat transparenter als die deutsche, wenn man die Sondervermögen berücksichtigt:
- Deutschland nutzt zahlreiche Sondervermögen, die de facto Schulden darstellen, aber nicht in der offiziellen Staatsschuldenquote erfasst werden[1][3].
- Der finanzielle Umfang der größeren Sondervermögen in Deutschland beträgt insgesamt rund 869 Mrd. Euro, wovon etwa 780 Mrd. Euro kreditfinanziert sind[2].
- Das Verschuldungspotenzial der deutschen Sondervermögen lag Ende 2022 bei rund 522 Mrd. Euro, was etwa dem Fünffachen der im Finanzplanungszeitraum 2023 bis 2027 ausgewiesenen Kreditaufnahme entspricht[1].
- Diese Praxis führt zu einer Verschleierung der tatsächlichen Staatsverschuldung in Deutschland[3].
- Der Begriff „Sondervermögen“ ist oft irreführend, da es sich meist um neue Schulden, Kreditermächtigungen oder Ausgabenposten handelt[4].
Somit ist die französische Staatsschuldenquote realistischer, da sie ein vollständigeres Bild der tatsächlichen Verschuldung zeigt, während die deutsche Quote durch die Nutzung von Sondervermögen die wahre Schuldenlast unterschätzt. /[4]
Zwischenfazit
In Wirklichkeit beträgt also der Unterschied zwischen dem deutschen und dem französischen Schuldenberg, in Prozent des BIP gerechnet, nicht 50 Prozent, sondern nur 30 Prozent, gerundet. Ist es also gerecht, dass Frankreich am Pranger steht? In Deutschland lsäst man nicht weniger als 25 Prozent der wahren Staatsschulden einfach in „Sondervermögen“ verschwinden.
Es gibt eine andere Seite: Deutschland wird seit Jahren dafür gerügt, dass zu wenig investiert wird, aber oft von denselben Stellen zur Haushaltsdisziplin aufgefordert oder für diese gelobt.
Die Lindnersche Schuldenbremsen-Manie ist jedenfalls heiße Luft. Der Nicht-mehr-Finanzminister weiß genau, dass die Schuldenbremse sowieso nicht eingehalten werden kann, aber die Infrastruktur rottet trotzdem vor sich hin. Angeblich wegen zu hoher „konsumptiver Ausgaben“ = Sozialausgaben. Aber auch das ist ein Märchen: Der deutsche Sozialetat beinhaltet allein 110 Milliarden Euro Steuerzuschüsse zu den ohnehin niedrigen Renten (2024), was etwa der Hälfte des gesamten Sozialetats ausmacht.
Macht Frankreich es also besser?
In Frankreich versucht man, eine strategische Wirtschaftspolitik umzusetzen, macht dabei allerdings in konkreten Fällen immer wieder teure Fehler, die auch mit dem Drang zur nationalen Größe zu tun haben, wie zum Beispiel die zwanghafte Akquisition ausländischer Unternehmen, wohingegen der umgekehrte Weg bei größeren Einheiten kaum möglich ist. Die Innovationskraft Frankreichs hingegen ist nicht wesentlich höher als die deutsche, sie ist in beiden Ländern viel zu niedrig. Frankreich braucht eine partielle Neuausrichtung seiner Strategie, in Deutschland muss erst einmal eine solche erstellt werden. Frankreich ist für mögliche Angriffe aus den USA in Form von Zöllen besser aufgestellt als Deutschland, weil seine Wirtschaft nicht so extrem exportabhängig ist, auch die finanzielle Resilienz der Bevölkerung ist wesentlich höher, weil das Medianvermögen in Frankreich mehr als doppelt so hoch ist wie in Deutschland.
Ist der französische Weg der richtige?
Nein, genauso wenig wie der deutsche. Beide Länder sind im Grunde neoliberal reagiert, was bedeutet, dass immer wieder in den Wettlauf um weniger Steuern eingestiegen wird. Solange, bis der Schuldenberg unvermeidbar ist, weil der Staat nicht genug Steuern einnehmen kann. Ins deutsche Rentensystem zahlen zu wenige Menschen ein, in Frankreich hat Emmanuel Macron die Reichen mit Steuersenkungen beschert, die sich natürlich auf der Einnahmenseite negativ auswirken. Die Neoliberalen nebst der dieser zerstörerischen Ideologie anhängenden „Wirtschafts“-Presse, die gerne ein Zerfallen des deutschen Staates sehen würden, drängen deshalb auf weitere Steuersenkungen auch in Deutschland für die Reichsten. Damit sind auch die Unternehmen gemeint, die höhere Dividenden ausschütten können, wenn sie kaum noch Steuern zahlen müssen. Dass hingegen wesentlich mehr investiert wird, ist meist ein Trugschluss, das viele Geld, das in guten Zeiten übrigbleibt, fließt nicht in Innovation, sondern in die Taschen der (Anteils-) Eigner. Siehe Volkswagen als besonders gravierendes schlechtes und sehr aktuelles Beispiel.
Laut dem deutschen Stabilitätsprogramm wird die Schuldenquote bis 2028 permanent über 60 Prozent des BIP bleiben. Ohne die oben erwähnten Sondervermögen. In Wirklichkeit wird sie also steigen, denn neue Sondervermögen sind schon in der Diskussion – oder die Erweiterung der bestehenden, wie des größten, des Sondervermögens Bundeswehr in Höhe von 100 Milliarden Euro. Die Stabilisierungsquote exklusive Sondervermögen stammt aus dem Bundesministerium der Finanzen. Nicht einmal dort geht man also davon aus, dass eine tatsächliche Senkung der Schuldenquote in den nächsten Jahren möglich ist, außerdem liegt das Staatsdefizit ohnehin über den 0,35 Prozent, die die Schuldenbremse vorsieht – trotz weiterer Unterfinanzierung des gesamten Staats-Investitionssektors.[5]
Wenn die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland sich nicht bald erheblich bessert und außerdem keine Steuergeschenke an Personen gemacht werden, die ohnehin wenig Steuern zahlen, nämlich die Hochvermögenden, dann wird auch die Schuldenbremse nicht einzuhalten sein. Es nützt also auf längerer Sicht gar nichts, sich sklavisch an diese zu klammern, anstatt endlich gezielte Investitionen anzuschieben, die die Innovation fördern. Im Gegenteil, es entsteht eine Abwärtsspirale. Sie ist schon im Gange, wie sich immer mehr häufende negative Unternehmensmeldungen belegen.
Anders als Frankreich und Deutschland schaffen viele Länder die Balance aus guter Infrastruktur, sozialer Sicherheit und auskömmlicher Wirtschaftsentwicklung. Zur Wahrheit gehört leider auch, dass es sich dabei überwiegend um kleinere Länder mit mehr überschaubaren Problemen handelt, während alle großen Staaten der Welt mehr oder weniger in einer Schuldenspirale gefangen sind – weil sie die Einnahmenseite missachten und nicht, wie einige der kleinere Länder, sich als Kapitalausweich- und Sammelstellen anbieten. Das größte Land, das in toto so verfährt, sind die Niederlande, die kleinsten sind Luxemburg und Liechtenstein, mit einer Doppelstrategie, dem Betrieb von Steueroasen, ist u. a. das Vereinigte Königreich unterwegs.
Wenn Länder wie Frankreich und Deutschland sich nicht endlich einigen, zusammen mit den USA, und die westliche Welt wieder auf ein solides Fundament stellen, ist die nächste Krise in der Tat absehbar, gleich, ob sie von Frankreich oder den USA wegen zu hoher offizieller Verschuldung ausgeht oder ob Deutschland die EU mit seiner schlechten Wirtschaftsentwicklung weiter schädigt und damit ein politisches Erdbeben auslöst.
Es gibt aber auch gute Beispiele für vernünftiges und zukunftsorientiertes Wirtschaften, ohne andere Länder damit anzuzapfen, man findet sie insbesondere in Nordeuropa. Da man in Frankreich und Deutschland aufgrund der hier wie dort dominierenden, verschiedenen Formen unüberwindlicher Arroganz heraus gar nicht daran denkt, „Best Practice“ zu betreiben, indem man sich in diesen Ländern umschaut, wie man es besser machen könnte, werden wir weiterhin mit einer gefährlichen Lage konfrontiert sein, die auch das unmittelbare tägliche Leben negativ verändern kann. Auflösungserscheinungen sind in der EU bereits zu betrachten. Es gibt keine gemeinsame Außenpolitik, die Rechtsstaatlichkeit ist in unterschiedlich guter Verfassung, die Ökonomien driften eher auseinander, als dass sie sich annähern und die wirtschaftspolitischen Ansätze divergieren und erschweren Kompromisse. In einem der obigen Infoblocks ist zum Beispiel von verschiedenen Maßnahmen zur Stabilisierung und Verbesserung seit der Finanzkrise die Rede. Man kann sich natürlich fragen, wie es ohne diese Maßnahmen ausgesehen hätte.
Mit ihnen ist aber festzuhalten: Die EU fällt immer weiter hinter andere entwickelte Volkswirtschaften wie die USA zurück und Deutschland spielt dabei mittlerweile eine besonders negative Rolle. Diejenige Frankreichs ist aber kaum besser, das Wirtschaftswachstum liegt nur unwesentlich höher und Frankreich kann mit seiner schlechteren Bonität den Euro weniger stützen als Deutschland. Die politische Instabilität in beiden Ländern könnte die Refinanzierungsmöglichkeiten beider Länder (weiter) verschlechtern, hierzulande dringend erforderliche Investitionen erschweren und damit ein schnelleres Drehen der Abwärtsspirale auslösen.
TH
[1] Infoblock 1
1] https://www.t-online.de/nachrichten/tagesanbruch/id_100541170/wirtschaft-frankreich-wankt-droht-die-naechste-eurokrise-.html
[3] https://think.ing.com/snaps/france-economic-outlook-darkens-24/
[4] https://www.sachverstaendigenrat-wirtschaft.de/en/springreport-2024-pressrelease.html
[7] https://www.imf.org/external/datamapper/CG_DEBT_GDP@GDD/CHN/FRA/DEU/ITA/JPN/GBR/USA
[8] https://www.banque-france.fr/system/files/2024-06/Macroeconomic-projections_June-2024.pdf
[9] https://www.dw.com/en/germany-reckons-with-another-recession-in-2024-report/a-70416091
[10] https://tradingeconomics.com/france/government-debt-to-gdp
[11] https://www.ceicdata.com/en/indicator/germany/national-government-debt
[12] https://tradingeconomics.com/germany/government-debt-to-gdp
[2] Infoblock 2:
[2] https://www.statista.com/statistics/1500345/government-debt-securities-outstanding-france/
[4] https://www.ceicdata.com/en/indicator/germany/national-government-debt
[5] https://de.statista.com/statistik/daten/studie/167261/umfrage/staatsverschuldung-von-frankreich/
[6] https://tradingeconomics.com/france/government-debt-to-gdp
[3] [1] https://vorwaerts.de/international/schuldenkrise-worauf-sich-deutschland-und-frankreich-geeinigt-haben
[5] https://de.statista.com/statistik/daten/studie/167261/umfrage/staatsverschuldung-von-frankreich/
[4] Infoblock 4
1] https://www.bundesrechnungshof.de/SharedDocs/Kurzmeldungen/DE/2023/sondervermoegen.html
[4] https://insm.de/aktuelles/oekonomenblog/sondervermoegen-abbauen-und-haushaltsklarheit-schaffen
[5] https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2022/kw16-sondervermoegen-890232
[5] Bundesfinanzministerium – Deutsches Stabilitätsprogramm 2024 zeigt erste Erfolge der Konsolidierung – weitere Maßnahmen bleiben erforderlich
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