Wie viel Zeit bleibt im Ruhestand? (Statista + Kommentar)

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Sie werden bald wieder die Gelegenheit haben, eine neue Bundesregierung zu wählen. Jede Statistik, die wir posten und die Zeilen, die wir dazu schreiben, sind auch als Wahlhilfe gedacht, denn alle diese Daten sagen viel mehr über unsere Lebenssituation aus als das, was uns den ganzen Tag von der Politik verkauft wird. Es ist das, was am Ende des Tages herauskommt, in diesem Fall quasi wörtlich, nämlich am Ende des Lebens.

Zumindest gilt das für unsere Weiterreichung von Statista-Grafiken, häufig ergänzen wir die Informationen darin auch oder erläutern sie, heute gibt es wenig hinzuzufügen und es handelt sich um Fakten, die zumindest dem Ersteller dieses Artikels weitgehend bekannt waren:

Infografik: Wie viel Zeit bleibt im Ruhestand? | Statista

Diese Statista-Grafik wurde unter einer Lizenz CC BY-ND 4.0 Deed | Namensnennung-Keine Bearbeitung 4.0 International | Creative Commons erstellt und wir geben sie unter gleichen Bedingungen wieder. Folgend der Statista-Begleittext dazu, dann weiter mit unserem Kommentar.

Bei Erreichen des Rentenalters verbleiben Arbeitnehmer:innen in Deutschland durchschnittlich zwischen 18 und 23 Jahre Lebenszeit. Das zeigt eine Studie der OECD, die das durchschnittliche Renteneintrittsalter und die durchschnittliche Lebenserwartung in jedem der untersuchten Länder berücksichtigt. Demnach liegt die restliche Lebenserwartung für Männer in Deutschland bei im Schnitt 18,8 Jahren, Frauen leben nochmals 3,8 Jahre länger. Die Bundesrepublik entspricht somit etwa dem Durchschnitt aller OECD-Länder, wie die Statista-Grafik zeigt. Das mittlere Renteneintrittsalter in Deutschland liegt derzeit bei 64,4 Jahren – Arbeitnehmer:innen haben zu diesem Zeitpunkt also theoretisch noch ein Viertel ihres Lebens vor sich.

Frankreich ist nach wie vor eines der Länder mit der höchsten Lebenserwartung nach der Pensionierung, was unter anderem damit zusammenhängt, dass das Renteneintrittsalter (62 Jahre) in Frankreich etwas niedriger ist als in anderen OECD-Ländern. So würden die Französinnen im Durchschnitt 26,1 Jahre im Ruhestand leben, die Franzosen 23,3 Jahre. An der Spitze stehen Luxemburgerinnen mit im Durchschnitt 27,8 Jahren und Luxemburger mit 22,7 Jahren nach ihrem Ausscheiden aus dem Arbeitsmarkt.

Kommentar

Man soll nicht nicht einen Kommentar mit dem Finger zeigen beginnen, außerdem sind wir nie gegen Völker im Ganzen eingestellt. Aber die sehr hohen Luxemburger Werte kommen schlicht daher, dass das Land sich so eingerichtet hat, dass es aus anderen EU-Ländern Kapital absaugt ohne Ende und dadurch seinen Bürger:innen einen genialen Lebensstandard ermöglichen kann.

Wir haben uns zuletzt negativ zu vielen Tatbeständen in der EU geäußert, als es um die Frage ging, wie man zum Austritt steht, den die AfD fordert. Er würde aber in diesem Zusammenhang gar nichts nützen, denn es steht nirgends geschrieben, dass nur EU-Kapital nach Luxemburg fließen darf. Wir kommen „aus der Gegend“ und haben den endlosen Boom miterlebt, weil wir beruflich auch oft dort waren, und es ging tatsächlich um Bankangelegenheiten. Anders, als Sie vielleicht denken, aber das ist hier nicht so wichtig. So sieht eine solidarische EU jedenfalls nicht aus. Aber es gibt nicht nur viele schöne Rentenjahre, auch der ÖPNV ist beispielsweise for free. Mitten in der EU hat sich das reichste Land der Welt nach BIP pro Kopf entwickelt, während der Motor des Ganzen immer mehr stottert.

Dass Spanier, Italiener und Franzosen (:innen) älter werden als Deutsche, war uns bekannt, und zwar nicht nur um ein paar Tage. Auch das ist der Süden Europas: Die Lebensart ist lebensverlängernd. Nicht, wie die Menschen faul wären, wie Neoliberale uns gerne erzählen, weil sie mit Missgunst auf darauf blicken, dass die Bevölkerung sich dort nicht alles von ihrer Regierung gefallen lässt. Sie glaubt nicht jeden kruden politischen Spin, weil sie eine gesunde Distanz zur Politik hat und auch sozial und ernährungstechnisch besser aufgestellt ist. Ja, vielleicht auch, weil die Sonne scheint, wenn man das Klischee bemühen soll und davon abzieht, dass es da unten dank Klimawandel oft schon unerträglich heiß ist, aber das dürfte nicht der Hauptgrund sein. Es ist eine Frage der Mentalität, besonders bei den Iberern und Italienern. Dass die Amerikaner noch schlechter liegen als die Deutschen, hängt mit deren niedriger Lebenserwartung zusammen, die auch etwas über den tatsächlichen Zustand dieses superreichen Landes aussagt. Eine gute Kombination aus hoher Lebenserwartung und angemessenem Renteneintrittsalter gab es zweifellos in Frankreich, aber Emmanuel Macron arbeitet daran, sich deutschen Verhältnissen anzunähern. Mehrmals ging dieses Ansinnen in Proteststürmen unter, am Ende war das Kapital aber doch stärker, und es wird so weitergehen. Auch die widerständigste Bevölkerung ist irgendwann erschöpft, wenn sie ständig von der Macht traktiert wird. Das sieht man gerade.

Die hiesigen Verhältnisse sollen bald so aussehen, dass Menschen arbeiten, bis sie sterben. Die Rente mit 70 war kein Scherz, und sie ist nicht das Ende. CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz versucht, die Diskussion, die in seiner Partei und natürlich durch die FDP aufgekommen ist, im Moment ein wenig zu dämpfen, weil viele Boomer, die bald in Rente gehen werden, potenzielle CDU-Wähler:innen sind. Aber warten Sie mal bis nach der Wahl. Und ganz schnell kommt ein weiterer Aspekt ins Spiel:

Nicht nur die Dauer des Ruhestands ist ja wichtig, sondern auch, wie er ausgestattet ist. Vielleicht sind die Deutschen da ja vorne, wo das Land doch angeblich so reich ist?  Weit gefehlt. Sie haben wieder die Arschkarte, dank ihrer Politik, die sie allerdings auch wählen, das vergessen wir ja nie zu erwähnen. Das deutsche Rentenniveau wird, wenn wir es richtig im Kopf haben, innerhalb der EU nur von Rumänien unterboten (relativ gesehen zum vorherigen Arbeitseinkommen). Allerdings gilt das nicht für die Beamt:innen.

Ein durchschnittlicher Beamter kostet als Pensionär dreimal so viel wie ein durchschnittlicher Normalrentner. Wussten Sie das? Haben wir erst kürzlich gelesen. Wir finden das nicht normal, aber die Deutschen sind ja auch Abspaltungsmeister, dank ihrer horriblen Geschichte. Niemand klagt noch wirklich über fundamentale Ungerechtigkeiten und schon gar nicht darüber, dass der Staat an der falschen Stelle überragend ist, nämlich bei der Selbstversorgung, nicht etwa beim Service für die Bürger:innen. Deutschland ist das Land der Missverhältnisse, in vieler Hinsicht, und die Art, wie hier mit Menschen im Ruhestand umgegangen wird, gehört dazu.

Da wir mit gutem Beispiel vorangehen und uns nicht so extrem abspalten wollen: Eine Anmerkung muss immer sein, wenn es um Darstellungen geht, die mit Demografie zu tun haben. Dass die Geburtenrate hierzulande so extrem niedrig ist, wirkt sich natürlich auch auf das Rentenniveau aus. Man zahlt eben nicht für seine eigene Rente ein, sondern für diejenigen der früheren Generationen, und das Verhältnis von Einzahlern und Empfängern wird immer ungünstiger. Aber warum ist das so, mit der Kinderfeindlichkeit? 

Eine Rettung wäre die gänzlich steuerfinanzierte Rente, die dann auch getrennt zu betrachten wäre und nicht mehr den Sozialetat aufblasen würde, der deswegen von den Marktradikalen als so gigantisch hoch dargestellt werden kann, weil er zur Hälfte aus Rentenzuschüssen besteht. Und vor allem müssten endlich mal alle einzahlen, wie das in anderen Ländern der Fall ist.

Keine seriöse Idee ist hingegen das Aktienvermögen. Zwar setzen wirklich reiche Länder wie Norwegen tatsächlich auf Staatsfonds, die in anderen Ländern zu den Kapitalisten gehören, aber wir glauben nicht, dass das gegenwärtige Finanzsystem noch lange durchhalten kann. Es ist absurd, wie die Aktienkurse immer weiter ansteigen, obwohl es der Realwirtschaft schlecht geht. Das wird durch eine künstliche Kapitalschwemme verursacht, die die Schwächen ebenjener Realwirtschaft übertünchen soll. Aber die nächste Finanzkrise könnte die letzte weit in den Schatten stellen und es könnte Jahrzehnte dauern, bis die Wertanlagen wieder das Niveau erreichen, zu dem sie eingekauft wurden. Wer das in diesem ETF- und Bitcoin-Wahn nicht glaubt, soll sich einmal die Entwicklung der Märkte in den 1990ern nach dem Platzen der Dotcom-Blase anschauen.

Wenn der deutsche Staat anfängt, am Kapitalmarkt mitzuspekulieren, wird außerdem hinzukommen, dass er dabei regelmäßig schlechter abschneidet als Private, die das Spiel wirklich verstehen, das da gespielt wird. Die FDP, die diese Lösung propagiert, wird sich bestimmt nicht schuldig bekennen, wenn es schiefgeht, sondern so tun, als ob es daran lag, dass Lindner leider nicht mehr Finanzminister war.

Die Rentenfrage zeigt übrigens noch etwas. Die Deutschen sind die wahren Vernichter Europas. Weil sie sich von ihren Regierungen wirklich alles gefallen lassen, weil sie glauben, davon gegenüber anderen einen Vorteil zu haben, und weil es nun einmal das größte Land in der EU ist. Deswegen haben es andere Menschen im Staatenverbund ebenfalls schwieriger, ihre berechtigten Ansprüche noch durchzusetzen. Im Grunde geht die mangelhafte Solidarität und Eigeninteressenverwaltung der Mehrheit in Deutschland auf diese Weise nicht vorwiegend viral, sondern in die Wirklichkeit anderer Länder hinein, die immer wieder feststellen müssen, dass der deutsche Einfluss kein guter ist. Jeder, der hierzulande alle diese Rechten wählt, die den Leuten einreden, es ginge uns allen viel zu gut, der schädigt Menschen überall in Europa und ist kein guter Europäer. Also nochmal nachdenken bitte, vor dem 23. Februar.

TH


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