Filmfest 1228 Cinema – Werkschau Charles Chaplin (5)
Between Showers (Alternativtitel: Charlie and the Umbrella) ist ein Slapstick-Kurzfilm. Der am 28. Februar 1914 veröffentlichte Schwarzweiß–Stummfilm zeigt Charlie Chaplin in seiner späteren Paraderolle als Tramp, einem linkischen Anzugträger mit Melone und viel zu großer Hose.[1]
„Between Showers“ ist Charles Chaplins fünfter Kino-Auftritt und der dritte, in dem er das Tramp-Kostüm trägt.[2] Der Film ist das, was man eine typische Dreiecks-Slapstick-Komödie nennen kann. Zwei Typen balgen sich mehr oder weniger um ein Mädchen – wobei man hier nicht sicher sein kann, ob es eher um einen Schirm oder eher um das Mädchen geht. Zumindest liest sich die folgende Handlungsbeschreibung so. Nach dieser Beschreibung geht es weiter mit der – Rezension.
Handlung (1)
Der Dieb Mr. Snookie, der kurz zuvor aus dem Vorgarten eines Polizisten einen Schirm gestohlen hat, sieht eine junge Dame am Straßenrand stehen, die nicht über die Straße zu kommen weiß, weil ein Regenschauer die Gosse in einen breiten Bach verwandelt hat. Lüstern nähert er sich ihr und bietet ihr seine Hilfe an. Er will auf einer naheliegenden Baustelle eine Planke holen und drückt ihr so lange den Schirm in die Hand. Da kommt der Tramp vorbei und hat – wahrscheinlich mit Blick auf den Schirm – dieselbe Idee. Als die beiden Kavaliere mit dicken Balken zurückgekehrt sind, ist die Dame weg – ein Polizist hat sie bereits über die Gosse hinweg getragen. Snookie eilt ihr hinterher und will vehement ’seinen‘ Schirm zurück, was die Dame verweigert. Es kommt zu Auseinandersetzungen zwischen der Dame, Snookie und den die Dame verteidigenden Tramp. Schließlich hat die Dame den Schirm wieder, aber Snookie holt nun einen Polizisten herbei. Inzwischen hat der Tramp der Dame den Schirm abgeschwatzt und erfreut sich seines neuen Utensils. Snookie entreißt dem Tramp dem Schirm und zeigt ihn dem Polizisten, der seinen eigenen Schirm wiedererkennt und Snookie festnimmt.
Rezension
Das britische Filmmagazin The Cinema schrieb über Between Showers: „Es ist eine schreiend lustige Komödie mit Charles Chaplin und einem charmanten Mädchen. Der ganze Ärger wird durch einen Regenschirm und die Rivalität zweier Männer um die Gunst der Dame verursacht. Ihre Bemühungen, sich gegenseitig an Galanterie zu übertreffen, schaffen viele humorvolle Situationen.“[3]
Natürlich, wir haben heute schon alles gesehen. Auch die Weiterentwicklung der Filmkomödie. Daher ist es zumindest für mich schwierig gewesen, den Film als „schreiend komisch“ zu empfinden. Vielmehr sehe ich in diesen Uralt-Komödien die nicht nur physisch robuste, sondern auch psychisch rabiate Art, mit anderen Menschen umzugehen, auch mit Frauen. Ich war mir nicht ganz sicher, ob die Dame für die beiden Rivalen wirklich nur Mittel zum Zweck ist, aber nach der obigen Inhaltsangabe scheint das mehr auf Charles Chaplins Tramp zuzutreffen. Wir sehen wieder, dass diese Figur in ihrer frühen Erscheinungsform ziemlich ungut ist. Wir haben uns schon in den Artikeln zu den vorausgehenden Chaplin-Filmen dazu geäußert, warum Chaplin erst wirklich groß wurde, als er seine Figur vielschichtiger anlegte. Erfolg hatte er aber schon mit Filmen wie diesem. Zumindest die Rezensionen, die in der Wikipedia ausgestellt werden, dieses Mal ausschließlich in der englischsprachigen, wirken, als ob sich die Kritiker bereits ganz auf Chaplin fokussierten und dessen großes Potenzial erkannten, ohne ihn groß analysieren zu müssen, weil eben sein Tramp damals noch ein Störenfried oder Schabernack-Treiber war.
Watching Charlie Chaplin‘s work for Keystone Studios is a bit like watching the earliest Mickey Mouse cartoons, and it may take a bit of adjustment for modern viewers. Like Walt Disney’s rodent, Chaplin’s Tramp persona was slowly polished into a screen character that audiences loved and rooted for. Populist tastes had much to do with this, but, in the process of refining the character for the masses, some of the Tramps’ rough edges were burned away. Revisiting the earliest incarnations of either character leads to a disconcerting discovery: the earliest versions were roughly etched and somewhat underdeveloped, but less predictable; they possessed not altogether sympathetic personality traits that contemporary audiences may find uncomfortable, especially when compared to their later refinements.[4]
Direkt unkomfortabel habe ich mich nicht gefühlt, weil ich vor allem ein historisches Interesse an diesen frühen Chaplin-Filmen habe und außerdem die Zurückverfolgung über seine Meisterwerke, die Langspielfilme, über das Mutual-Projekt und das Essanay-Projekt (in dieser Reiihenfolge) verfolgen konnte und dabei schon feststellte, dass der Tramp durchaus ein kleines Arschloch sein konnte. Jetzt sind wir auf dem Anfangslevel, in dem er genau dies überwiegend war und wir von Romantik keine Spur sehen. Angesichts der obigen Meinung ist es nicht verwunderlich, dass der Rezensent über „Zwischen Schauern“ schreibt:
Between Showers ist der letzte Chaplin-Film unter der Regie von Lehrman. Er spielt wieder Sterling in der Hauptrolle und ist einer der flachsten der Chaplin-Schlüsselfilme. Sterling und Chaplin spielen zwei rivalisierende Masher [Weiberheld ist die deutsche Übersetzung, Anm. TH], die sich einen peinlich rudimentären Slapstick über die Jungfrau in Not Emma Clifton liefern. Clifton bittet einen Gentleman um Hilfe, um eine schlammige Pfütze zu überqueren. Chester Conklin unterbricht in seiner typischen und langweiligen Kop-Routine die Ménage à trois. Between Showers ist vor allem als der Film bemerkenswert, der das Schulterzucken des Tramps, das Schleudern, den „Tramp-Gang“, das Nase-Daumen-Rülpsen und das jugendliche Hand-über-Mund-Lachen einführte. (Quelle wie vor)
Es ist gut, dass jede Innovation der Trampfigur von kundigen Beobachtern festgehalten wird, auch wenn diese Neuerungen teilweise später im Wege der Verfeinerung wieder gekippt wurden. Denn man kann schon jetzt sagen, dass Chaplin immer etwas Neues ausprobiert, nicht stehenbleibt und so immer reichhaltiger im Ausdruck wird. Das war schon deshalb wichtig, weil seine Filme bald etwas länger werden sollten und unabdingbar für die späteren Langspielfilme, die gerade im komödiantisch-slapstickhaften Bereich viele Facetten erfordern, um das Publikum bei Laune zu halten.
Komödie ist schwierig, Slapstick-Komödie ist am schwierigsten, weil jeder Gag möglichst originell sein und sitzen muss.
Anmerkung anlässlich der Veröffentlichung: Ein wenig muss ich das nun relativieren, denn ich schaue auch gerade Filme, die Buster Keaton zusammen mit Roscoe Arbuckle gemacht hat, und es muss damals unzählige Slapstick-Kurzfilme gegeben haben, die nicht so wahnsinnig ausgedacht und außerdem sehr repetitiv waren. Vielleicht unterschätze ich das immer auf gleichem Niveau dahinplätschernde Serielle früher Stummfilmkomödien, das Kritiker gerne mit den Sitcoms heutiger Prägung vergleichen. Die Figuren in den Sitcoms ebenso wie jene in vielen alten Slapstick-Filmen rufen aber selten hervor, was Chaplin bald gelingen sollte: die Zuschauer emotional zu involvieren.
Wichtig ist sicher auch, dass hier letztmals Henry Lehrman bei einem Chaplin-Film Regie führte. Die beiden verstanden sich von Beginn an nicht so recht, weil Lehrman der Ansicht war, Chaplin grabe ihm das Wasser ab. So versuchte er nach Chaplins eigener Aussage, bei der allerersten Zusammenarbeit schon, als Regisseur Chaplins Anteile an dem Film etwas zu dämpfen und zu zerschneiden, zugunsten seiner eigenen Figur. Man kann sagen, das gelang nicht besonders gut und bei den Filmen mit Ford Sterling und Charles Chaplin kam es schon bald zu anderen Regisseuren, auch Ford Sterling selbst inszenierte einige seiner Komödien und ist auch hier noch die nominale Nummer eins. Ist Chaplin schon deutlich besser? Nun ja, Chaplin wird ständig etwas besser, aber ich habe bei diesem nicht sehr sympathischen Film mit nicht sehr sympathischen Figuren, keine deutliche Rangfolge gesehen. Es hatte sicher einen Grund, dass Sterlings exzessive Mimik und Gestik damals beim Publikum großen Anklang fanden, während Chaplin schon hier etwas zurückhaltender agiert.
Da über die Filme dieser Phase, also nach dem Auftakt, aber vor den nächsten Qualitätssprüngen, nicht so viel in der Wikipedia steht, mangels der ganz großen filmhistorischen Bedeutung, können wir uns in Ruhe nach weiteren Rezensionen umschauen. Es gibt noch härtere Urteile über „Between Showers“.
Chaplin’s next film, Between Showers, is seriously unfunny, largely because of the large presence of Ford Sterling, my least favorite silent film comedian.16 In the opening scene, Sterling spends about five minutes trying, and failing, to squeeze a laugh out of the theft of perennial policeman Chester Conklin’s umbrella, killing about five billion of my brain cells in the process.
Im Folgenden stellt der Rezensent dar, was noch alles unlustig ist, auch, als Chaplin schon am Set ist. Ja, wenn man einen solchen Film mit den Augen von heute betrachtet, fragt man sich, ob die Menschen, die derlei lustig fanden, nicht doch ziemlich schlicht waren. Für viele waren aber diese kleinen Stummfilmkomödien die erste „kulturelle“ Erfahrung überhaupt, nicht alle konnten lesen und schreiben und selbstverständlich gab es damals schon eine Hochkultur für eine Minderheit. Ich verweise immer wieder gerne auf die gewaltige Spreizung der Qualität heutiger Fernsehformate. Einiges, was man dort sieht, kann man sich auch als Kulturbegeisterter gönnen, ohne die verlorene Zeit betrauern zu müssen. Aber viele Formate, bei denen Leute mit offenen Mündern zu allen möglichen Tageszeiten vor dem Bildschirm kleben, finde ich überhaupt nicht witzig, sondern fies, übergriffig und manipulativ. Gegenüber diesen Dreckklumpen haben die frühen Komödien noch den Vorteil, vergleichsweise unschuldig zu wirken, indem sie die Mentalität der Zeit nicht beeinflussen wollten, sondern sie nur abbildeten, aufnahmen, verdichteten und –den Menschen in den Sälen zurückspiegelten. Sie waren also Spiegel, wenn auch bewusst verzerrende, keine unter einer Oberfläche, die dumme Leute in dummen Situationen zeigt und dabei angeblich nicht verzerrend, sondern realistisch sein wollen versteckten politischen Module, mit denen versucht wird, die Menschheit rückwärts zu entwickeln, um sie besser unterwerfen zu können.
Finale
Between Showers is pretty crude stuff, but it’s important that the context in which it was made is taken into account when viewing. Keystone were churning out these short movies at a rate of four a week just to keep up with demand, which meant that the storylines had to be more or less made up on the spot. Much of the comedy is improvised, and improvised comedy is a notoriously difficult skill to master, so the fact that movies like this contain any laughs at all is something of a miracle. Having said that, Chaplin’s superiority over his co-star Sterling – whose entire repertoire seems to consist of pulling faces at the camera – is impossible to miss.[5]
Diese Kritik ist insofern freundlicher, als sie uns einen weiteren wichtigen Aspekt zeigt und dadurch das Urteil relativiert, das wir heute fällen, wenn wir unbefangen an solche Filme herangehen und sie nicht in den historischen Kontext stellen: Noch recht lange nach diesen frühen Chaplins war es so, dass Slapstick-Komödien ohne Drehbücher abgefilmt wurden, das galt auch für Chaplins eigene Filme. Ob man seinem fünften Film nun aus heutiger Sicht Lacher zumisst oder nicht, die Produktionsmodalitäten sind wichtig. Sie wiederum haben nur funktioniert, weil die Mentalität der frühen Kinogänger:innen so war, wie sie uns durch den Erfolg dieser Filme gespiegelt wird. Manchmal glaube ich allerdings, würden solche Filme heute gedreht, hätten sie ebenfalls noch ihr Publikum. Ich denke da an die Konsumenten bestimmter Fernsehformate, die ich oben nicht namentlich erwähnt habe und das hier auch nicht ändern werde.
Ein großer Dank gilt den Kritikern, die akribisch jede kleine Änderung zwischen den Filmen vermerken, sodass wir uns auf die historische Einordnung und übergeordnete Überlegungen als Ergänzung dazu konzentrieren können. Sie wissen längst, dass wir Filme selten mit weniger als ½ bewerten, wenn es nicht besondere, zum Beispiel politische Gründe wie offenen Rassismus gibt, die zur Abwertung führen. Die meisten der frühen Komiker waren diesbezüglich erstaunlich sensibel, bis auf Blackfacing habe ich bisher in alten Stummfilmen nicht viel diesbezüglich zu bemängeln gehabt, anders als in weltberühmten Melodramen, die ethisch doch ein ganz anderes Niveau abbilden sollten. Das Frauenbild ist allerdings auch bei diesen Komödien durchwachsen. Wenn sie nicht gerade die Stars waren, wie Mabel Normand im kürzlich beschriebenen „Mabel’s Strange Predicament“, wurden sie eher als Objekt denn Subjekt gezeigt. Das war auch bei Chaplin in der Regel so, auch wenn er ihnen eine im weiteren Verlauf seiner Karriere anwachsende romantische Verehrung entgegenbrachte. Eine wirklich aktive Rolle spielt eine Frau aber erst in „Moderne Zeiten“ (1936), also einem Spätwerk von Chaplin. Immerhin zankt die Frau, die es in „Between Showers“ zu sehen gibt, mit und ist nicht nur ein Objekt der Begierde. Ein Fortschritt? Nun ja.
Diese frühen Chaplin-Filme sind aber trotz all ihrer Mängel eine schöne Reise durch das Kientopp noch vor den Tagen der „Väter der Klamotte“ (den 1920ern). Was wir bisher nicht erwähnt haben: Die Keystone-Filme von Chaplin wurden erst in den letzten Jahren zu einer Sammlung vereint, die es möglich macht, sie alle wieder anzuschauen, einige galten sogar bis vor Kurzem als verschollen. Jetzt ist Chaplin fast komplett dokumentiert. Es ist ein Privileg, das erleben und über diese frühen Filme von ihm schreiben zu dürfen.
52/100
© 2024 Der Wahlberliner, Thomas Hocke
| Regie | Henry Lehrman |
|---|---|
| Produktion | Mack Sennett |
| Besetzung | |
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[1], kursiv und tabellarisch: Between Showers – Wikipedia
[2] Die beiden ersten sind „Kid Auto Race in Venice“ und „Mabel’s Strange Predicament“. (Rezensionen verlinken)
[3] Zwischen den Duschen – Wikipedia
[4] CHAPLIN IN KEYSTONE, TEIL EINS | 366 seltsame Filme (366weirdmovies.com)
[5] Between Showers (1914) Movie Review – 2020 Movie Reviews (2020-movie-reviews.com)
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