Briefing Gesellschaft, Silvesterfeuerwerk, Böller, Böllerei, Pyrotechnik, Zivilisation, Politik, Kultur
Wenn sich bei uns ein Jahreswechselritual in den letzten Jahren fest etabliert hat, dann ist es der Artikel zum Feuerwerk oder nicht Feuerwerk an Silvester. Es ist leicht, weil wir nicht die einzigen sind, die dieses Ritual begehen, es gibt auch jedes Jahr eine Umfrage dazu. Dieses Jahr lautet sie so.
Begleittext von Civey
„Feuerwerk ist so beliebt wie noch nie“. Das sagte Deutschlands größte Feuerwerksfirma Weco jüngst gegenüber der dpa. Aus dem Grund sei das Angebot im Handel auch größer als im Vorjahr. Feuerwerk und Böller gehören für viele Deutsche genauso zum Silvesterabend dazu wie Bleigießen, das Anstoßen um Mitternacht oder gute Vorsätze zu schmieden. Ursprünglich sollte der Lärm von Knallern und Raketen dazu dienen, böse Geister zu vertreiben. Laut NDR hätten Menschen schon im Mittelalter aus diesem Grund mit Töpfen, Rasseln, Trommeln und Trompeten für Krawall gesorgt.
Zum Jahresende werden erneut Rufe nach einem Verbot von Silvesterfeuerwerken laut. Beispielsweise seitens der Polizei-Gewerkschaft (GdP), welche sich auf Angriffe durch Böller vorbereitet. Allein in der Hauptstadt werden laut Tagesspiegel ca. 3.000 Polizist:innen im Einsatz sein. Aus Sicht des Präsidenten der Bundesärztekammer, Klaus Reinhardt, braucht es „keine ungeregelte Knallerei“, um an Silvester ausgelassen zu feiern. „Feuerwerkskörper schaden der Umwelt und dem Klima“. Ferner riefen sie bei manchen Menschen Angst hervor und Kriegserinnerungen wach, so Reinhardt gegenüber der Rheinischen Post.
Brandenburgs Innenministerin Katrin Lange (SPD) sprach sich diese Woche gegen ein Böller-Verbot aus. Dennoch appellierte sie gegenüber der dpa an die Vernunft der Bevölkerung, da jedes Jahr viele schlimme und vermeidbare Unfälle passieren würden. Der Deutsche Städte- und Gemeindebund ist gegen ein generelles Böllerverbot zu Silvester. „Wir sollten nicht immer nur mit Verboten arbeiten, sondern mit Überzeugung“, sagte deren Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg im Morgenmagazin der ARD. Solche Verbote könnten im Zweifel nicht durchgesetzt werden, argumentierte Landberg.
Rezension
Private Knallerei ist also beliebt wie noch nie. Die AfD ist auch so beliebt wie noch nie. Menschen auf verschiedenste Weise angreifen, verletzen, töten war dieses Jahr auch so beliebt wie lange nicht mehr. Die Menschen werden immer aggressiver, unzivilisierter und dümmer. Deswegen unterscheidet sich unser heutiger Artikel auch von denen der letzten Jahre, sonst hätten wir sie ja nur wiederholen müssen, um etwas zur Lage zu schreiben.
Was wir heute nicht mehr tun werden:
- Mindestens hundert gute Argumente gegen den privaten Böller-Irrsinn aufzählen,
- auf unsere früheren Artikel verweisen, in denen alles dazu drinsteht. Wer uns liest, dürfte noch elaboriert genug sein, die Suchfunktion zu bedienen,
- noch Hoffnung in die Menschen und die Politik haben, damit sind wir ziemlich am Ende.
2024 war ein entscheidendes Jahr. Es war das Jahr, in dem wir prinzipiell die Hoffnung aufgegeben haben, dass sich noch irgendetwas wirklich zum Besseren wenden könnte. Man machte eben weiter, aber die Luft ist raus, politisch gesehen.
Natürlich werden die Schrottpolitiker dieser Schrottparteien von uns allen erwarten, dass wir sie am 23. Februar wählen, um Schlimmeres zu verhindern, nachdem sie jahrelang nur Mist gebaut und die Karre in den Dreck gefahren haben. Vermutlich wird bald die Feuerwerksindustrie die einzige sein, die noch in Deutschland verbleibt, weil ja das Feuerwerk immer beliebter wird. Was für eine traurige Veranstaltung.
Wir werden uns trotzdem wieder zur Wahlurne schleppen, obwohl die Weihnachtsmänner aus der Politik für uns in den letzten Jahren wirklich überhaupt nichts mehr hatten, womit sie uns hätten erfreuen können. Dagegen hilft eigentlich nur noch das Gendern des Weihnachtsmannes, nicht aber, mitzumachen, sich einzubringen, aktivistisch zu schreiben und was es noch alles an zivilgesellschaftlichen Aufgaben gibt. Wenn wir nicht wählen, dann dominieren die Idioten noch mehr das Geschehen. Das wissen die Politiker ganz genau, dass wir sie unterstützen, damit es nicht noch schlimmer kommt, obwohl wir sie nicht mehr sehen können.
Am Feuerwerksverbot lässt sich die Entwicklung bei uns gut festmachen, die im Grunde ein Desaster ist. Vor Corona, als wir grundsätzlich noch glaubten, der Einsatz für irgendetwas könnte auch etwas bringen, hatten wir schön sauber getrennt nach Gründen und Faktoren, alles bedacht, uns in der Welt umgeschaut, wie es anderswo gehandhabt wird und dergleichen. Und gedacht, wir sind viele, und es ist zum Guten, endlich diese Ballerei einzugrenzen, und es ist doch viel leichter, hier mal was zu machen, als sich zum Beispiel mal mit dem Kapital anzulegen, um die Mietpreise endlich in den Griff zu kriegen. Pustekuchen.
Alles Quatsch. Dort, wo die wirklichen Schlachten geschlagen werden, gibt es nur noch Verluste, und nicht mal ein Feuerwerksverbot gewähren uns die Politiker als Zeichen des guten Willens.
Der Witz ist, es gibt auch keine Mehrheit mehr dafür, zumindest nach dem aktuellen Stand der diesjährigen Civey-Umfrage. Für ein absolutes Verbot sprechen sich aktuell nur etwa 35 Prozent aus, 35 Prozent wollen Verbotszonen oder dergleichen – oder umgekehrt, Erlaubniszonen. Das ist leider nicht ausdifferenziert, dabei ist der Unterschied zwischen beiden Varianten erheblich. Die Frage ist also dieses Jahr so gestellt, dass man auf jeden Fall nicht bei der absoluten Mehrheit sein kann, egal, wie man abstimmt. Diejenigen, die für ein generelles Verbot sind, sind aber immer noch die größte der drei genannten Gruppen.
Wir machen es jetzt so, wie die meisten anderen es machen, mit denen wir uns ständig auseinanderzusetzen haben. Dass sie uns nerven, ist egal, wir können das auch. Es liest sich so, das Silvesterfeuerwerk betreffend. Vor zwei Jahren war es besonders eindrucksvoll, wie mitten auf den Radwegen (natürlich weit vor Mitternacht, wir sind ja nicht verrückt und fahren gegen 12 oder in den folgenden Stunden draußen herum) Feuerwerke angezündet worden, schon die zufälligen Tatbestände waren gefährlich, des Weiteren sind wir aber auf den Radwegen auch absichtlich beschossen worden. Letztes Jahr wollten wir es mal anders machen, sind selbst mit Freunden raus auf die Straße, wollten Teil davon sein, ohne selbst zu ballern. Gefährlich ist es immer, aber bedient waren wir, als Raketen von einem Restaurant aus flach über die Straße und unter den Autos hindurch direkt auf uns abgefeuert wurden. Bestimmt war das nicht persönlich gemeint, so auffällig sind wir ja nun nicht, aber es war halt episodisch das, was im Großen auch immer berichtet wird.
Wenn es schlimmer läuft, kommt es eben zu schweren Verletzungen und absichtlichem Beschuss von Einsatzkräften, die ohnehin überlasteten Medizinberufe, die Feuerwehr, die Polizei, werden wir alle Hände voll zu tun haben, um das friedliche Feiern nicht vollkommen aus dem Ruder geraten zu lassen oder die Folgen zu behandeln.
Es gab Jahre, da war es im Vorfeld schlimmer. Man hört zwar immer wieder Ballerei, seit Tagen schon, aber man kann noch eine Abendrunde gehen, ohne einen Böllerüberfall fürchten zu müssen.
Natürlich haben wir wieder für das Verbot gestimmt, wie immer. Natürlich werden wir auch zur Wahl gehen, wie immer. Die Erosion der Demokratie, das sind aber letztlich doch wir alle, wenn wir nichts mehr aus Überzeugung tun. Vielmehr hat sich in den letzten Jahren bei uns diese Überzeugung herausgebildet: so ist es gewollt. Die Menschen sollen mürbe gemacht, müde geschossen werden, damit sie sich gegen nichts mehr wehren und so dusselig werden, dass sie auch noch genau die Falschesten von allen wählen. Der Anfang der Autokratie ist immer die freiwillige Preisgabe von Demokratie und von Rechten, von Zivilisation und Solidarität. Man glaubt nicht mehr an das Gute und gibt dem Schlechten damit Raum.
Diese behämmerte Silvesterballerei ist nicht das Schlimmste von allem, aber mittlerweile für uns ein Symbol von allem, was man so leicht ändern könnte, aber was einfach nicht klappt. Im Gegenteil, da es kulturell immer mehr rückwärtsgeht, kommen wir auch immer weiter weg von sinnvollen Akzenten, die die Politik setzen könnte, um zu signalisieren, wir schaffen nicht alles, aber wir haben wenigstens verstanden.
Für einen Feuerwerksverbotsartikel ist dieser ziemlich kurz geworden. Aber was soll man auch noch sagen?
TH
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