Filmfest 1248 Cinema – Werkschau Charles Chaplin (8)
Sein Lieblingszeitvertreib ist eine US-amerikanische Filmkomödie aus dem Jahr 1914 mit Charlie Chaplin in der Hauptrolle.[1]
Einen deutschen Wikipedia-Eintrag hat der Film nicht, was mich etwas erstaunt hat, denn einige der frühen Chaplins sind in unserer Sprache sogar ausführlicher dargestellt als in der englischsprachigen Ausgabe der Online-Enzyklopädie. Liegt es daran, dass der Film nichts Besonderes bietet? Wir untersuchen das in der – Rezension. Und hier folgt sogleich eine Anmerkung anlässlich der Veröffentlichung des Textes. Es frißt sich bei den kommenden Filmen von Chaplin fest, viele von ihnen haben keinen deutschen Wikipedia-Eintrag. Was nichts an der grundsätzlichen Prüfung eines Films auf seine Qualität ändert.
Handlung (1)
Charlie betrinkt sich in der Bar. Er geht nach draußen, trifft eine hübsche Frau, versucht mit ihr zu flirten, zieht sich aber zurück, nachdem der Vater der Frau zurückgekehrt ist. Als Charlie in die Bar zurückkehrt, trinkt er noch mehr und lässt sich auf abtrünnige Verhaltensweisen mit anderen ein. Schließlich verlässt er die Bar, sieht die Frau gehen, folgt der Frau nach Hause und macht sich zum Ärgernis, bis er schließlich aus dem Haus geworfen wird.
Rezension
(…) Motion Picture News war voll des Lobes für His Favorite Pastime. Der Rezensent schrieb: „Wenn es irgendwo ein Publikum gibt, das nicht brüllt, wenn es diese Komödie sieht, kann es nicht im Vollbesitz seines Verstandes sein. Es ist absolut das Lustigste, was die Keystone Company je herausgebracht hat, und das ist nicht von einem Presseagenten geschrieben. Mr. Chaplin hat eine Reihe von lustigen Aktionen eingeführt, die auf der amerikanischen Bühne originell sind.“
Vermutlich bin ich nicht im Vollbesitz meines Verstandes. Jedenfalls fand ich diesen Film schlechter als alle sieben Werke, die Chaplin bis zu dem Zeitpunkt gedreht hatte, woraus sich schließen lässt, dass „His Favorite Pastime“ die Nummer acht darstellt. Ganz sicher sind die Anfangsszenen in der Bar ansatzweise komisch und schon ein wenig mehr ausgearbeitet als die schnell geschnittenen Gags in den vorausgehenden Filmen. Das gilt aber nicht für den zweiten Teil bei den wohlhabenden Leuten und vor allem verdient der Film eine Abwertung wegen seines latenten Rassismus. Oh ja, wir sind im Jahr 1914, nicht 2024. Aber gerade, weil es wieder schwieriger wird, eine humanitäre Haltung zu verteidigen, lohnt sich das genauere Hinschauen.
Mir war besonders die Szenenfolge peinlich, in welcher der Tramp denkt, er rennt hinter der Frau her, die er beim Aussteigen aus ihrem Auto entdeckt hat, in Wirklichkeit ist es das farbige Dienstmädchen. Als er seinen Irrtum erkennt, fällt er vor Schreck rücklings auf den Stuhl und kippt mit ihm um. Außerdem ist die Frau, wie auch ein weiterer Mitspieler, „blackfaced“, also in Wirklichkeit eine weiße Person. Ja, ohne die übliche weiß gelassene Zone rund um den Mund, die dicke Lippen suggerieren soll, wie eine Kritik spitzfindig angemerkt hat, aber für mich ändert das nichts daran, dass die im Film vorkommenden Afroamerikaner als dumm bzw. hässlich dargestellt werden oder einfach deshalb Entsetzen hervorrufen, weil sie nicht weiß sind. Da hätte ich Chaplin mehr Feingefühl zugetraut, aber wir wissen natürlich auch, dass a.) seine Trampfigur in den frühen Filmen ein rechter Tunichtgut sein konnte und b.) Chaplin bei Keystone noch nicht die künstlerische Hoheit über seine Filme hatte.
Unter den ersten acht, die wir mittlerweile besprochen haben, ist nicht eine einzige Regiearbeit von ihm. Ich schreibe diese Rezensionen im Discovery-Modus, was Fremdtext angeht, wenn nicht anders erwähnt, hier aber lohnt es sich, dieses Verfahren zu betonen:
Nichols wurde in Rockford, Illinois, geboren. Von 1908 bis zu seinem Tod 1927 hatte er 221 bekannte Filmauftritte. Zwischen 1911 und 1916 drehte er 103 Filme. Zusammen mit Henry „Pathe“ Lehrman wurde Nichols schon sehr früh in dessen Filmkarriere zu einem Erzfeind von Charlie Chaplin, da Chaplin mit Nichols‘ Art der Regie und seinen komischen Ideen unzufrieden war, während beide 1914 bei Keystone arbeiteten. In seiner Autobiografie erinnerte sich Chaplin an einen Streit zwischen ihm und Nichols während der Dreharbeiten zu einem Film, in dem Chaplin auftrat. [3]/[2]
Jetzt hätte ich natürlich noch gerne gewusst, bei welchem Film der Streit entstanden war, aber dazu müsste ich in die Quelle hineinschauen, was ein wenig außerhalb des Zeitbudgets liegt. Jedenfalls hat George Nichols mit Charles Chaplin vier Filme inszeniert: „A Film Johnnie“ (bereits besprochen) und nach „His Favorite Pastime“ noch „Cruel, Cruel Love“ und „The Star Border“, alle 1914. Ich vollende den eingebetteten Fremdtext:
Obwohl Chaplin erst seit weniger als zwei Monaten Komödien für Mack Sennetts Keystone Studio drehte, als dieser Film im März 1914 in die Kinos kam, erkannte ein Rezensent von Moving Picture World Chaplins Talent für Fröhlichkeit. Er schrieb: „Der Komiker, dessen Lieblingsbeschäftigung das Trinken von Cocktails ist, ist clever. Tatsächlich ist er der Beste, den Mack Sennett je in die Öffentlichkeit getragen hat. Er ist neu und verdient Erwähnung.“(Quelle 1)
Diese Kritik bezieht sich beispielsweise auf den ersten Teil des Films und bestätigt damit indirekt meine Bewertung, dass dieser gelungener ist als der zweite, mit der Trennlinie nach der Straßenbahnszene, die durchaus noch etwas Actionreiches hat. Derlei kommt in US-Slapstick-Komödien aber dermaßen häufig vor, dass ich unmöglich sagen kann, ob Chaplin damit eine Innovation vollbracht hat. Jedenfalls ist die Szene tatsächlich im Fahren gefilmt, was 1914 noch recht ungewöhnlich gewesen sein dürfte, amerikanische Filme verwendeten bis in die Kino-Neuzeit hinein die Rückprojektion. Die Anfangsszene hingegen zeigt, dass man noch abgerissener sein kann als der Tramp, der hier eine soziale Mittelstellung im Barmilieu innehat. Er bestellt etwas für sich und die, nun ja, arme Sau, der Dreckspatz, den Roscoe Arbuckle darstellt, damals der größere Star im Vergleich zu Chaplin, wird vom Tramp verarscht, indem er ihn die Schaumkrone vom Bier blasen lässt, aber ihm nichts davon zu trinken gibt. Später kommt ein größerer, besser angezogener Barbesucher und springt seinerseits mit dem Tramp um.
Das ist nun keine Sensation im Slapstick, dass auf diese Weise eine Steigerung erzielt wird, aber doch schon ein Hinweis auf Dinge, die kommen sollten und ein klitzekleiner sozialer Kommentar, wenn man einen solchen unbedingt aus diesen rohen Filmen herauslesen will. Leider wird dieser Kommentar später durch die oben genannten Umstände gekontert. Dazwischen gibt es noch die Waschraum-Szene, die bezüglich der Saloon-Schwingtür nicht so schlecht ausgeführt ist und, das weiß ich nun auch, in einem der frühen Filme von Jerry Lewis und Dean Martin zitiert wird („At War With the Army“, 1950). Aber in dem Waschraum tippt der Tramp auch dem schwarzen Waschraumdiener oder wie man so jemanden nennen kann (porträtiert in F. W. Murnaus „Der letzte Mann“, 1924) Zigarrenasche auf die verschämt nach Trinkgeld ausgestreckte Hand. Ich kann über so etwas nicht lachen, und ich lache immer noch ganz gerne, wie ich jüngst im Realleben festgestellt habe. Ich habe ja immer mal wieder den Verdacht, dass ich das Verhalten von Menschen im wahren Leben überwiegend gar nicht witzig finde, sondern brandgefährlich im Sinne einer sich rückwärts entwickelnden Zivilisation, was sich wiederum auf meinen Zugang zu Filmen auswirkt. Doch ich glaube, solche Momente, die damals offenbar Brüllen beim Publikum hervorgerufen haben, als der Film herauskam, hätte ich auch im Stande jugendlicher Naivität nicht mehr so recht in ihrer brachialen Witzwirkung nachvollziehen können. Humor kann für mich ruhig auch dumme Menschen zeigen, wenn die Gags gut ausgeführt sind, aber bei den Übergriffen gibt es Grenzen.
Hatte ich erwähnt, dass wir im Jahr 1914 sind und ein Jahr später D. W. Griffith sein rassistisches Epos „Birth of a Nation“ herausbringen sollte, das lange Zeit als nationaler Filmschatz angesehen wurde oder gar als „Film der Nation“? Nun ja. Gegen das, was man darin sieht, ist Chaplins in dem Fall etwas kruder, vermutlich auch vom Regisseur mitverantworteter Humor geradezu harmlos.
Nichols was back to directing Chaplin in His Favorite Pastime. Chaplin thankfully returns to the Tramp characterization, and although this is a better film than its predecessor, it is a sore spot in being one of the few Chaplin films which features blackface comedy. Of course, Chaplin did not direct or write this one, and the star’s well-known disapproval of racist portrayals in film is in sharp contrast to peers such as Buster Keaton, Harold Lloyd and Harry Langdon, all of whom had no qualms about resorting to blackface for yuks. Chaplin’s discomfort with stereotypes placed him well ahead of his time. Peggy Pearce was his love interest, and she is the first of Chaplin’s many co-stars with whom he had an off-screen relationship.[3]
Wie man oben sehen kann, habe ich mich nicht als einziger mit dem wunden Punkt des Films auseinandergesetzt und auch meine Ansicht, dass man Chaplin mildernde Umstände aufgrund nicht vorhandener künstlerischer Leitung zubilligen muss, wird hier erwähnt. Die Rückkehr des Tramps an sich macht den Film zwar wiedererkennbar im chaplinschen Sinne, aber nur der erste Teil verdient es, als eine sachte Weiterentwicklung der Komik angesehen zu werden, der Fight zwischen Ford Sterling und Charles Chaplin in „Tango Tangle“ ist besser inszeniert als die Action in „His Favorite Pastime“, und zwar von Mack Sennett selbst, zudem ist der Film am Ende mit einem Augenzwinkern versehen jenseits des Slapsticks versehen, indem sich die Rivalen erschöpft in der Niederlage einig sind, hat also auch ein richtiges Ende, während die vorherigen Werke oft sehr abrupt sind, den Schluss betreffend.
His Favorite Pastime, directed by Nichols again, is a step up from Tango Tangles, not the least because Charlie’s back in his tramp costume, hanging out in a bar and chasing skirts. There’s a curious amount of blackface in this film — Billy Gilbert plays a bootblack (in blackface, of course), and Helen Carruthers is a blackface maid. Fortunately, their makeup omits the white lips that were the most offensive part of stage blackface, and there’s nothing “black” about their performances. Charlie, pursuing Carruthers’ mistress (Peggy Pearce again), assaults Helen by mistake. She grabs him by the hair and slings him across the room.[4]
Auch die vorstehende Kritik sieht „His Favorite Pastime“ als Steigerung an, weil Charles Chaplin wieder als Tramp unterwegs ist und tappt in eine Falle: Dass die „Blackfaces“ nicht „black“ agieren, wird hervorgehoben, als ob das grundsätzlich etwas ändern würde, ebenso wie die oben erwähnten fehlenden weißen „Lippen“. Das Fehlen eines Klischees bei klischeehaft ausstaffierten Figuren ist zumindest bei einem so kurzen Film, der mehr oder weniger auf Stereotypen basiert, nicht wirklich relevant, und die kulturelle Aneignung ist unübersehbar. Einzig die Tatsache, dass das „schwarze“ Dienstmädchen mit Charlie ganz hübsch in den Fight geht, könnte man als eine Art Kontra-Klischee und als witzig ansehen. Ich lasse es offen.
Finale
Die zusätzlich recherchierten Kritiken sind wertvoll, weil die Rezensenten sehr genau hinschauen und Details entdecken und Linien der Entwicklung von Chaplins Komik exakt verfolgen und daher meine Beobachtungen mindestens ergänzen, manchmal kommt es zu Abweichungen bei der Wahrnehmung und natürlich zu anderen Ansichten. Eine Erwähnung zum Verfahren: Ich habe mir auch dieses Mal wieder zwei auf Youtube zu findende Varianten angeschaut, eine von 13 und eine von 14 Minuten Länge. Der erste Teil war bei beiden gleich, aber im Haus der Frau, die Charlie verfolgt und dort auf das Dienstmädchen trifft, kommt es bei der „Langversion“ wieder einmal zu ein paar zusätzlichen Einstellungen, die alles flüssiger und weniger erratisch wirken lassen. Was aber nicht verschwindet, ist das Problem, dass Charlies Melone mal die Kerbe hat, die er mit dem Spazierstock hineinschlägt, damit sein Hut „mondäner“ wirkt, für sich genommen einer der schönsten Gags des Films, dann ist diese individuelle Hutverbesserung wieder nicht zu sehen, in der nächsten Einstellung doch wieder.
Wegen der Anfangsszene und trotz des derbe ausgestatteten Roscoe Arbuckle hätte ich dem Film etwa 55/100 gegeben, also nicht mehr als „Tango Tangle“, aber für das Blackfacing kommt es zu einer Abwertung von 10 Punkten und damit zur schlechtesten Bewertung aller bisher rezensierten Chaplin-Filme. Auch die IMDb-Nutzer:innen sind kaum positiver und geben 5/10 und damit ebenfalls die (mit) schlechteste Note innerhalb der Reihe der ersten acht Chaplin-Filme.
45/100
© 2025 Der Wahlberliner, Thomas Hocke (Entwurf 2024)
| Directed by | George Nichols |
|---|---|
| Written by | Craig Hutchinson |
| Produced by | Mack Sennett |
| Starring | Charlie Chaplin Roscoe ‚Fatty‘ Arbuckle Peggy Pearce |
[1] Seine Lieblingsbeschäftigung – Wikipedia
[2] George Nichols (Schauspieler und Regisseur) – Wikipedia
[3] CHAPLIN AT KEYSTONE, PART ONE | 366 Weird Movies
[4] Looking at Charlie – The Year at Keystone, Part 1: An Occasional Series on the Life and Work of Charlie Chaplin – Bright Lights Film Journal
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