Filmfest 1249 Cinema
Die Heilsjäger (Originaltitel: The Salvation Hunters) ist ein US-amerikanisches Stummfilmdrama aus dem Jahre 1925, mit dem Josef von Sternberg sein Regiedebüt gab.
Josef von Sternberg und Marlene Dietrich konnten die Leinwand zum Glühen bringen, in „Der blaue Engel“ oder, wie zuletzt rezensiert, in „Shanghai-Express“ (beide Rezensionen auf dem Filmfest des neuen Wahlberliners noch nicht vorgestellt). Sie waren in Hollywood eines der erfolgreichsten Regisseur-Schauspieler-Muse-Duos der frühen 1930er Jahre. Doch von Sternbergs Ruhm eilte ihm voraus, als er nach Deutschland ging, um den Heinrich-Mann-Roman mit der berüchtigten Lola-Lola und dem armen Professor Unrath zu verfilmen. Mit „Underworld“ hatte er zuvor einen prototypischen Gangsterfilm realisiert. Nicht den ersten des Genres, aber einen, der den Stil des Genres in dessen Heydays während der 1930er prägte. Zuvor filmte er aber noch den ebenfalls recht bekannten „Docks of New York“. Und von diesem führt wieder eine Spur zu seinem allerersten Spielfilm, der bisher kaum bekannt war: „The Salvation Hunters“.
Handlung (1)
Der Film beginnt an einem Hafen mit einem jungen Mann, der jede Hoffnung auf ein besseres Leben aufgegeben hat. Er ist ohne Arbeit und obdachlos. Laut dem jungen Mann ist die Welt in zwei Menschentypen aufgeteilt, die erfolglosen und verarmten „Kinder des Schlamms“ sowie die glücklichen und wohlhabenden „Kinder der Sonne“. Zusammen mit seiner zynischen Geliebten, der jungen Frau, lebt er in der Nähe des Hafens und sammelt mehr oder weniger erfolgreich Essensreste, um wenigstens nicht zu hungern. Als ein „brutaler Mann“ dem Mädchen ebenfalls den Hof machen will, geht das junge Paar in die Großstadt – der junge Mann scheut sich um die offene Konfrontation mit seinem Rivalen. Mit sich in die Stadt nimmt das Paar einen Waisenjungen, der seine Eltern bei einem Autounfall verloren hat und ebenfalls von dem „brutalen Mann“ gequält wurde.
In der Stadt sind die drei zunächst orientierungslos, als ein Mann sie entdeckt, der ihnen kostenlose Unterkunft bei sich im Hause anbietet. Insgeheim hofft der Vermieter jedoch darauf, dass der junge Mann keine Arbeitsstelle findet und das Mädchen – eine Schönheit – wegen der finanziellen Not dann gezwungen ist, sich an ihm zu prostituieren. Tatsächlich findet der junge Mann keinen Job, doch das Mädchen verweigert sich den Avancen des Vermieters. Letztlich nimmt der Vermieter das junge Paar hinaus aufs Land, wo er sich an das Mädchen heranmacht. Doch ausgerechnet da findet der junge Mann seinen Mut und kann den Vermieter verprügeln. Der junge Mann hat seine Hoffnung gefunden und glaubt nun, dass er zu den Kindern der Sonne gehört: „Es sind nicht die Bedingungen, es ist auch nicht die Umgebung – unser Vertrauen kontrolliert unsere Leben!“
Der junge Mann, die junge Frau und das Kind gehen gemeinsam dem Sonnenaufgang entgegen.
Rezension
Am 17. November 2015 haben wir die Erstausstrahlung der restaurierten Fassung auf ARTE angeschaut. Es ist immer ein Fest, wenn uralte Filmschätze wieder zugänglich werden und dann noch so hübsch aufbereitet sind wie „The Salvation Hunters“. Doch ist der Film wirklich so exzellent, wie jeder restaurierte Film von denjenigen, die ihn aufbereiten, dargestellt wird? Oder ist er einfach ein Frühwerk, dem es noch an einigen Momenten fehlt, die von Sternbergs Filme kurze Zeit später bereits auszeichneten?
Das Sozialdrama funktioniert prinzipiell gut, auch durch die prononcierte Schauspielleistung von Georgia Hale befördert, eines der erotischsten armen Mädchen gewesen sein drüfte, das bis dahin wohl auf die Leinwand gefunden hatte. Da die United Artists, an der Charles Chaplin beteiligt war, den Film vertreiben wollte, sah Chaplin auch dessen Hauptdarstellerin schon vor der Kinopremiere von „The Salvation Hunters“ in ihrer Rolle und engagierte sie sofort für „Goldrausch“, in dem sie die Rolle spielen sollte, die ihr zu kurzzeitigem Starruhm verhalf.
Wir stellen also erst einmal fest, dass Sternberg von Beginn an wusste, wie man Frauen inszeniert. Die teilweise sehr modern und in jedem Sinn ungeschminkt wirkenden Einstellungen (besonders die Spiegelszene) und die coole Art, sich durchs Elend zu spielen, die Hale hier zeigt, sind nicht weit von der Art entfernt, wie Sternberg wenig später die Dietrich inszeniert hat – wenngleich bei ihr eine optische Stilisierung hinzutritt, die mehr auf Glamour als auf eine ziemlich bodenständige sexuelle Unterlegung abzielt.
Trotzdem, das Posing ist hier schon zu bemerken, das auch die Dietrich in den Sternberg-Filmen zu einer geradezu majestätischen Statur von Künstlichkeit emporwachsen lässt, und dies steigert sich von Film zu Film bis zu „The Scarlett Empress“ von 1934, der auch im Ganzen mit seinen ungeheuren Dekors die Vollendung der Sternbergschen Bilderwelten darstellt und sich als prunkvoller Historienschinken von „The Salvation Hunters“ entfernt hat. Beim reichen Studio Paramount konnte man eben auch um ein Vielfaches mehr Geld ins Interieur stecken als in einem Independent-Erstling, der gerne auch als der Urknall des amerikanischen Autorenfilms angesehen wird und nur 5000 Dollar gekostet haben soll. Mitproduziert wurde er vom männlichen Hauptdarsteller George K. Arthur.
Anmerkung anlässlich der Veröffentlichung 2025: Autorenfilmer waren u. a. diejenigen Künstler, die sich bei den United Artists schon 1919/20 zusammengeschlossen hatten und insbesondere die Filmkomiker, die es bereits nach kurzer Filmtätigkeit geschafft hatten, den gesamten Produktionsprozess ihrer Werke zu gestalten und zu kontrollieren.
Arthur selbst wirkt, wie Mordaunt Hall in einer zeitgenössischen Kritik in der New York Times schreibt, zu wohlgenährt für seine Rolle. Uns fiel eher auf, dass er für einen Typ, der von sich selbst nur negativ denkt und sich nichts zutraut, einen recht netten und sonnigen Gesichtsausdruck hat. Beides sind aber zeittypische Wahrnehmungen, sowohl die von Hall als auch unsere. Sicher hätte man Buster Keaton oder Charles Chaplin, Letzterem natürlich am meisten, den armen Schlucker eher abgenommen, aber wir haben heute ja auch das Problem, dass bei Filmen, in denen arme Menschen vergangener Epochen, wie etwa der 1920er Jahre, reanimiert werden sollen, ein Glaubwürdigkeitsproblem beseitigen müssen, am besten jetzt mit CGI: nämlich dass die heutigen Schauspieler zu groß, zu gesund, zu wohlgestaltet sind, um soziales Elend authentisch machen zu können.
Mit Glück findet man welche, die das heutige Prekariat verkörpern können, das sich nicht mehr durch Klapprigkeit, sondern eher durchs Gegenteil auszeichnet – leider ist deren Rollenrepertoire dann aber meist recht eingeschränkt. Es stimmt aber, er wirkt ein wenig wie ein Overachiever unter den Loosern, der Herr Arthur. Wo wir nicht mehr mit Mordaunt Hall mitgehen: Dass ein so kräftig und gesund wirkender Jüngling verdächtig geringe Jobanstrengungen unternimmt, denn die psychische Disposition eines Menschen ist, läuft, wir heute wissen, nicht unbedingt mit der psychischen synchron. Auf dieser Erkenntnis fußt auch eine Kritik unsererseits an der Gesamtaussage des Films: Er betont sehr auffällig, dass es nicht das soziale Umfeld ist, in das man hineingeboren wird, welches das Denken und damit das Sein bestimmt, sondern die Haltung, die man zu sich und der Welt einnimmt. Dass das eine durchaus auf dem anderen basieren kann, so weit war man 1925 offenbar noch nicht.
Auch das stimmt nicht generell: Es gab schon in den 1910ern erste Ansätze, soziales Elend durch amerikanischen Überoptimismus zu relativieren.
Außerdem war trotz einer offenbar vorhandenen Armut in den USA die Great Depression noch nicht abzusehen, in der Millionen Menschen, die bisher immer brav ihr Ding gemacht hatten, den Unbilden der Wirtschaftskrise anheim fielen, Heim und Hof, alle Wurzeln verloren und verarmt durchs Land zogen. Damals dämmerte in den USA auch den verantwortlichen Politikern, namentlich F. D. Roosevelt, dass es nicht nur das Individuum ist, das sein Schicksal selbst bestimmt, sondern dass es eine gemeinsame Verantwortung aller und eine des Staates für sein Volk gibt. Aber im vorhergehenden Jazz-Zeitalter, als die Börsen jährlich, monatlich, wöchentlich neue Höchststände erreichten, wirkte soziales Elend wie aus einem Mangel an Energie aufgrund schlechtem Selbstmanagement von Einzelpersonen geschaffen. Dazu kam der damals schon sehr profunde Mythos vom amerikanischen Traum, den jeder erreichen kann – schön symbolisiert mit dem Schild an dem neuen Baufeld, an dem, noch deutlicher symbolisiert, der Junge den Mann letztlich in einer beachtlichen Kraftanstrengung zum Endkampf stellt und ihn dann die Böschung hinunter in sein offenes Auto wirft. Damit hat der Junge seine eigenen Grenzen und deren Symbol, die Fremdherrschaft durch den Vermieter, abgeschüttelt. Ganz simpel, wie überhaupt die Symbolik des Films keine Zweifel offen lässt.
Von wenigen, sehr subtil gemachten Ausnahmen abgesehen, war die Symbolik in Filmen damals recht leicht zu durchschauen, um ein eher einfaches Publikum nicht zu überfordern.
Damit aber auch gar nichts missdeutet werden kann, bedient der Film sich dermaßen häufig des Kommunikationsmittels der Zwischentitel, dass die schöne Optik, die er in der Tat hat und die eine Art Drei-Akte-Einteilung sichtbar macht, mindestens stört. Vielleicht ist es unserer heutigen, fortgeschrittenen Fähigkeit zur Medienrezeption geschuldet, dass wir immer wieder denken, das muss man nicht mehr dazuschreiben und dazu die Bildfolgen nach quasi jeder Kamera-Einstellung unterbrechen. Aber ist das tatsächlich der Hauptgrund oder war Sternberg eben doch noch ein wenig unerfahren und hatte noch keine Möglichkeit, anhand vorheriger Projekte das Vertrauen seines Publikums in mächtige Bilder zu testen?
Auch dies spielt nach unserer Ansicht eine Rolle. Charles Chaplin, der von Sternbergs Film in den Verleih der United Artists aufnahm und dem Jungregisseur damit erheblich auf die Karrieresprünge half, war wohl begeistert, wobei wir nicht einschätzen können, wie viel von der Begeisterung der Hauptdarstellerin zufiel (siehe oben).
Chaplin selbst war ebenfalls kein Freund der meisterhaften Texttafelreduktion, aber die Zwischentitel oder Dialogkarten traten doch nicht so häufig auf wie in „The Salvation Hunters“ – und vor allem waren im Durchschnitt sie kürzer, akzentuierter, weniger lyrisch-pathetisch. Auch solche längeren Tafeln gab es, die sich im Stil der Zeit recht schwülstig lasen, aber der Rhythmus im Abgleich mit den Bildfolgen stimmte. Nun war Chaplin allerdings zu der Zeit, als „The Salvation Hunters“ entstand, einer der versiertesten Routiniers im amerikanischen Film, nicht nur ein Künstler, von Sternberg aber erst auf dem Sprung zu Letzterem. Andere Filmer, die zu jener Zeit ihrer Karrieren starteten, wie Alfred Hitchcock, setzten ihren Ehrgeiz sogar ein, um die Optik ihrer Filme so zu schärfen, dass sie beinahe ganz auf Zwischentitel verzichten konnten. Pures Kino, von dem Sternberg in „The Salvation Hunters“ eben noch ein Stück entfernt ist.
Dabei sind die Hafenbilder des ersten Aktes wirklich sehr gelungen, die Kamera-Einstellungen flexibel und suggestiv, der Wechsel von Totalen und Nahaufnahmen spannend und alles ist mehr oder weniger selbsterklärend, was sich abspielt. Das ist nämlich nicht so viel, wie überhaupt der Film eine sehr einfache Handlung aufweist. Im zweiten Akt wird er dann richtig langsam, alles spielt sich in einer etwas expressionistisch angehauchten Wohnung ab und vor allem wird gesessen, nachgedacht, geträumt , gehungert, Kaugummi gekaut, und es gibt einen Versuch, das Mädchen zur Prostitution zu bringen. Interessanterweise fallen dort, wo die Handlung gar nicht mehr so eindeutig scheint, die Zwischentitel ganz weg und auch die neu eingespielte Musik schweigt. Gut möglich, dass man mit dem rein Optischen und nach damaliger Medienaufnahme wohl Mehrdeutigen um die Zensur herumkurven wollte, aber künstlerisch einheitlich wirkt es nicht, wenn man bedenkt, wie überdeutlich vorher jeder Moment, jede Veränderung schriftlich dokumentiert wurde. Wir haben aber auch den am meisten Interpretation zulassenden zweiten Teil verstanden, was nur beweist, wie gut der Film insgesamt ohne seine redundanten Textbeigaben ausgekommen wäre. Damit aber genug Meckern über die Zwischentitel, die wir einem Neuling zubilligen, besonders einem so ambitionierten, dem es sehr darauf ankam, nicht missverstanden zu werden – und die Erzähltextklappe zu halten, wo es vielleicht besser war, missverstanden zu werden. Der erste Akt mit seinen bereits an den poetischen Realismus gemahnenden Bildern, der zweite mit seiner Aufnahme des deutschen Expressionismus und der dritte mit seiner beinahe skandinavischen Fahrt aufs Land sind jeweils für sich sehr dezidiert gefilmt.
Die Entscheidung à la Campagne also, die lichtdurchflutete Welt für die nunmehr als Kinder der Sonne erkennbaren drei Glücksucher, die tollen Personen-Arrangements mit Paaren und einem Kind dazwischen in erhöhter Baumposition sind, falls der Film chronologisch gefilmt wurde, schon Ergebnisse eines Lernprozesses. Die Texttafeln werden weniger, die Bildsymbolik lässt Nachdenken über zu und es macht Spaß, dieses Nachdenken in einer Interpretation einfließen zu lassen. Wie zwischenzeitlich die falschen Paare auf der Wiese oder an einem Baum, auf dem sie gemeinsam nicht recht sitzen können zusammen sind, wie der Junge aber auf einen weiteren Baum klettert und sozusagen die Übersicht behält und sich dann klar dafür entscheidet, für eine neue Familie zu kämpfen, das ist sehr hübsch und wirkt auch emotional noch heute stimmiger als zum Beispiel die Geschehnisse im zweiten Akt, die doch ein wenig unter der sehr gedehnt, statisch und auf Posen angewiesenen wirkenden Passivität aller Figuren, auch des Vermieters mit Absichten, leidet.
Finale
Ganz rund ist „The Salvation Hunters“ als Gefühls- oder / und Sozialkino mit Herz für kleine Leute, die sich durchschlagen, noch nicht, aber er zeigt hervorragende Ansätze. Wenn man bedenkt, wie die anderen Regisseure der Zeit sich über Dutzende von Kurzfilmen bis zum Six-Reeler hochgehangelt haben. Das gilt auch für Größen wie Chaplin, die nach ihren Anfängen in der Stummfilmzeit in den 1930ern oder noch später ihre Vollendung erreichten. Die meisten Regisseure fingen damals im Vaudeville an, sofern sie nicht als Schauspieler zur Regie kamen, bis sie etabliert waren und wussten, worauf es im Kino ankommt und virtuos damit umgehen konnten, ist von Sternbergs Erstling aller Ehren wert und verdient es, heute wieder beachtet zu werden. Und wer weiß, ob Chaplin das Ende von „Moderne Zeiten“ wie auch das gesamte Personaltableau (ohne Kind, denn das gab es schon in „The Kid“) nicht doch ein wenig on „The Salvation Hunters“ abgeschaut hat. Die erwähnte Grundaussage hat ebenfalls ihre Bedeutung, auch wenn man sie unter dem Eindruck von 90 Jahren, die seitdem vergangen sind, relativieren muss.
70/100
© 2025 Der Wahlberliner, Thomas Hocke (Entwurf 2015)
(1), kursiv, tabellarisch: Wikipedia
| Regie | Josef von Sternberg |
|---|---|
| Drehbuch | Josef von Sternberg |
| Produktion |
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| Kamera | Edward Gheller |
| Schnitt | Josef von Sternberg |
| Besetzung | |
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