Filmfest 1253 – Die große Rezension
Wenn und wie ein Mensch lebt
„Die Legende von Paul und Paula“ ist der dritte wichtige Film aus der DDR, den wir für den Wahlberliner rezensieren und wurde zeitlich recht genau mittig zwischen den beiden anderen gedreht (1).
Manchmal denkt wirkt es so: Je mehr wir über die DDR erfahren, desto mehr wird sie zum Mysterium. Zu einem Mysterium, das man durchaus lebendig und geradezu anrührend rüberbringen kann, transzendiert durch Individuen wie Paul und Paula, die sich in dieser DDR bewegen und doch nicht zu ihr zu gehören scheinen. Sie sind zu systemfremd, vor allem trifft dies auf Paula zu, das Single Girl mit zwei Kindern, das sich nach der großen Liebe sehnt, nicht etwa nach den großen sozialistischen Zielen. Die Liebe findet sie in Paul und ihre Art, alles sehr absolut zu sehen, bewirkt ihren Tod. Paul lebt mit ihren Kindern weiter in einem System, das fremd scheint und befremdlich. Das Fremde wird uns in dieser Alltagsgeschichte aber nur in angedeuteter Weise gezeigt, sodass der Film gerade noch und nach persönlichem Entscheid des damals neuen Staatsratsvorsitzenden Erich Honecker freigegeben wurde.
Die Schauspieler Angelica Domröse (Paula) und Winfried Glatzeder (Paul) sind aber Anfang der 1980er Jahre in den Westen gegangen und haben damit ihre eigene Antwort auf die unerfüllten Sehnsüchte gegeben, die der Realsozialismus in ihnen aufgestaut hat. Besonders, wenn man Angelica Domröse die Paula spielen sieht, hat man den Eindruck, da findet eine Verschmelzung aus Filmcharakter und wirklicher Person statt und man hat es mit einem sehr sensiblen Mensch zu tun, der gar nicht gewappnet ist gegen die Kompromisse, die uns nicht nur in der DDR das Leben abverlangt, sondern auch nicht willens ist, sich dieses für das Ertragen der Wirklichkeit notwendige, dicke Fell anzueignen.
Handlung
Paul ist unglücklich verheiratet. Gegenüber seiner Wohnung lebt die alleinstehende Paula mit ihren beiden Kindern. Ihre Begegnung in einer Kellerbar wird zu Leidenschaft. Während Paula sich fortan im siebten Himmel wähnt, bleibt Paul distanziert, will den Schein seiner Ehe wahren und so seine Karriere schützen. Er kann die schönen Momente zwar genießen, aber die Affäre und ihre möglichen Folgen beunruhigen ihn. Erst als Paula ihren Sohn durch einen Unfall verliert und sich daraufhin von ihm distanziert, spürt er die Tiefe seiner Liebe zu ihr und kämpft um sie. Die beiden werden zum Paar. Kurz darauf wird Paula erneut schwanger. Die Ärzte sind davon überzeugt, dass Paula aus gesundheitlichen Gründen die Geburt eines dritten Kindes nicht überleben wird. Paula entscheidet sich für das Kind und stirbt bei der Geburt.
Rezension
Zur Legende des Films über die Legende von Paul und Paula gehört unbedingt die Musik von den Puhdys, die speziell durch dieses Lied den Durchbruch als Band erreichten:
„Wenn ein Mensch kurze Zeit lebt
Sagt die Welt, dass er zu früh geht.
Wenn ein Mensch lange Zeit lebt
Sagt die Welt, es ist Zeit.
Meine Freundin ist schön.
Als ich aufstand, ist sie gegangen.
Weckt sie nicht, bis sie sich regt.
Ich hab‘ mich in ihren Schatten gelegt.
Jegliches hat seine Zeit,
Steine sammeln, Steine zerstreu’n,
Bäume pflanzen, Bäume abhau’n,
Leben und sterben und Streit.
Wenn ein Mensch kurze Zeit lebt
Sagt die Welt, dass er zu früh geht.
Wenn ein Mensch lange Zeit lebt
Sagt die Welt, es ist Zeit, daß er geht.“
Zwar ist die Melodie eine Coverversion eines Bee Gees-Songs, aber der gar nicht so kryptische Text ist sogar von Bibelstellen inspiriert.
„Die Legende von Paul und Paula“ ist einer der schönsten deutschen Liebesfilme und ein ergreifend-tragikomisches Märchen, das gar nicht so weit von uns weg ist, speziell in Berlin, wo die Leute, und hier speziell die etwas älteren aus dem Ostteil, manchmal noch ein wenig an diese Pauls und Paulas erinnern.
Da ist ein ganz eigenartiger Charme von Purheit, Unverfälschtheit und einer Neugier, die befähigt, auf andere zugehen zu können und sich zu öffnen. Wir haben uns bei Paula an einige reale Menschen erinnert gefühlt, die kennenzulernen wir seit unserer Übersiedlung nach Berlin die Freude und Ehre hatten. Dafür sind wir gerade noch rechtzeitig gekommen, denn unser Eindruck ist, dass die Angleichung zwischen West und Ost eher auf die Durchsetzung der westlichen Eigenschaften bei den jüngeren Generationen als auf eine reizvolle, neue Mischung hinausläuft.
Im Nachgang zum Film und angesichts heutiger Fragestellungen denken wir manchmal: Was stand mehr dafür? Sich aus dem Sozialismus zu träumen oder im Kapitalismus so erzogen worden zu sein, dass man die wirklichen, glückbringenden Träume nicht mehr ins sich spürt oder, wenn an zumindesst einen Mangel feststellt, sie mit enormer Mühe und im Laufe eines langen Lernprozesses wieder an die Oberfläche bringen muss?
Im Grunde gibt es keine richtige Sichtweise und keine exemplarische Erfahrungswelt. Es gibt Zeitstimmungen, wie die zur Aufnahme des Films bereite Stimmung in der DDR zum Zeitpunkt seines Entstehens. Es gibt in allen Systemen Menschen, die „anders“ sind und sich trauen, dieses anders sein zu artikulieren und zu leben. Dass sie damit letztlich scheitern, liegt in der Natur der Sache, aber Scheitern, wie wir es in „Paul und Paula“ sehen, kann etwas so Schönes und Intensives haben, dass man zuweilen denkt, es ist besser so, als immer angepasst und auf der Hut. Nicht die Dauer des Lebens zählt, ob jemand zu früh oder gar zu spät geht, sondern, was in dieser Spanne, die ohnehin kurz ist, mit einem Menschen geschieht und wie er handelt und lebt.
Dass „Die Legende von Paul und Paula“ in der DDR ein großer Erfolg war, lässt sich gut denken. Alle, die nicht komplett linientreu waren, müssen ihn geliebt haben. Zudem kam er in einer Zeit, als das System selbst noch einmal zu Hoffnungen Anlass gab. Wir kennen Erich Honecker heute nur als alten, verknöcherten Mann, aber zu Beginn seiner Zeit als Staatschef war er durchaus gewillt, Lockerungen und eine neu ökonomische Ausrichtung der DDR in die Wege zu leiten. Ein paar Jahre später, insbesondere nach der Biermann-Ausbürgerung, wäre „Paul und Paula“ vielleicht gar nicht mehr freigegeben worden. Man weiß es nicht, aber man stellt es sich so vor, dass die frühren 1970er in der DDR, etwas später eingeleitet als im Westen, eine Zeit des gesellschaftlichen Aufbruchs waren. Und natürlich hatte man auch in der DDR einen Blick in die Welt uns spürte, was überall vorging, auch wenn der Schwarze Kanal und andere Propagandastellen versuchten, es als Gift zu verunglimpfen.
Dass die Gesellschaft, im Gegensatz etwa zu der in der damaligen BRD, nicht die Chance hatte, sich durch ein Freiheit voraussetzendes inneres Momentum schrittweise und immer stärker zu verändern und so die Unzufriedenheit im Rahmen jenseits der Sprengung einerseits und der allgemeinen Depression andererseits zu halten; dass man nicht mal Republikflucht begehen konnte, ohne sich Gefahr für Leib und Leben einzuhandeln, das führte letztlich zu einer Demoralisierung, die wir uns im anderen Teil Deutschlands wohl nur annähernd vorstellen, die wir aber nie vollständig erfassen und in ihrer Wirkung auf die Seelen aller, auch der Staatstragenden, abschließend bewerten können.
Es kam zu einer speziellen Form des Arrangements, diese ging sogar so weit, dass viele am Ende und nach der Wende die Augen vor den erheblichen Mängeln des DDR-Systems verschlossen, um irgendetwas aus ihrer Biografie behalten und in Ostalgie transformieren zu können. Denn es ist ja ein Doppelschlag, erst zu spüren, dass etwas nicht in Ordnung ist, aber nur mit außergewöhnlichem Mut dagegen angehen zu können, den die meisten Menschen nun einmal nicht besitzen, und dies alles später von Leuten unter die Nase gehalten zu bekommen, die nie mutig sein mussten, wenn sie öffentlich ihre Meinung sagten, die ihre Meinungsfreiheit nicht erkämpft haben, sondern von den westlichen Siegermächten geschenkt bekamen.
Die erste Ostalgie-Welle hat bezeichnenderweise der Film „Paul und Paula“ ausgelöst, als er 1993, also 20 Jahre nach seiner Premiere, wieder in die gesamtdeutschen Kinos kam. Auch das gehört zu den Dingen, die sich nicht leicht erschließen, denn dies ist ja kein Film, der das damalige System schön darstellt und denen recht gibt, die es gerne zurückgehabt hätten. Es war vielleicht eine gewisse Form von Gemütlichkeit vorhanden, aber so menschlich befriedigend war’s nicht: Im Film gibt es, von Paul und Paula abgesehen, beinahe nur Figuren, die als Typen eher negativ, prollig, aggressiv, charakterschwach erscheinen. Das gilt für Pauls angeheiratete Familie inklusive Frau, für den Typ vom Rummel, den Paula sich zwischenzeitlich in der Hoffnung angelacht hat, vielleicht sei er der Mann für die große Liebe. Das gilt auch für die SED-Kumpane von Paul, die ihn nicht verstehen, sondern in seine Funktion zurückschleppen wollen. Diese werden – allerdings dezent – als Gauner dargestellt, nur anhand ihrer Kleidung und dieser witzigen Szene, als sie im Auto sitzen und zocken. Mehr durfte man nicht wagen, damals, sonst hätten die beiden Erichs wohl doch das Fallbeil der Zensur ausgepackt.
Dass es nicht gemütlich und nischenfreundlich zuging, in der DDR der 70er, zeigt sich im allseits bekannten Hauptsymbol des Films – den einstürzenden Altbauten. Reste aus der Vergangenheit machen Platz für weitere Platten. Ein sehr realer Vorgang, als in Ostberlin tatsächlich eine sehr rege Bautätigkeit herrschte, Ausdruck des Willens, es noch einmal anzupacken und nach Jahren des Auf-der-Stelle-Tretens unter dem späten Ulbricht doch noch den Sozialismus zu bauen – wenn auch auf sehr konfektionierte Weise. Heute sind diese Platten wiederum geschichtsträchtige Sanierungsobjekte. Die Zeit bleibt nicht stehen und wir wissen, was es heißt, wenn alles sich wandelt um des Wandels willen. Schließlich verändert sich Berlin weiterhin, jeden Tag ein klein wenig. In unserem recht sozialstabilen, weder desolaten noch der heuschreckenartigen Gentrifizierung asugelieferten Kiez zum Glück nur in Maßen. Hier und da wird ein Haus saniert und es gibt mehr Lärm als notwendig, aber das ist das geradezu individuelle Gegenmodell zur großflächigen Stadt-, Menschen- und Weltveränderung, die der Sozialismus sich vorgenommen hatte.
Wir haben uns aber auch gefragt, ob die Symbolik wirklich so eindeutig ist – und vor allem, ob sie der Sache gerecht wird. Vor allem in westdeutschen Filmkritiken ist die Sache klar: Niedliche, individuell ausschauende alte Häuser werden plattgemacht für die Platten. Wer in Ostberlin war, bevor und dann während Viertel wie der Prenzlauer Berg, danach Friedrichshain, jetzt Pankow etc. saniert wurden, der weiß, dass diese Symboldeutung nicht unproblematisch ist. Sicher hätte man den Altbestand nicht so vergammeln lassen sollen, wie das in der DDR geschehen ist, aber es war garantiert mit den vorhandenen Mitteln die richtige Wahl, neue, helle Wohnungen in großem Stil zu bauen, um der Not abzuhelfen, anstatt einige Einzelbauten (nicht etwa ganze, erhaltene Straßenzüge) aufwendig zu sanieren. Und fachgerechte Sanierung ist viel teurer als genormter Neubau.
Wie „Solo Sunny“ oder „Das Glück im Hinterhaus“, Filme, in denen man wirklich etwas vom Alltag der DDR sieht und die individualistischen Protagonisten in alten Gemäuern wohnen, sieht man, wie verwahrlost dies alles war und wer alte Häuser in Ostberlin vor ihrer Sanierung oder ihrem Abriss wirklich besichtigen konnte, der erahnt, wie glücklich wohl die meisten Menschen waren, wenn sie von dort in eine neue Wohnung mit Zentralheizung und anderen funktionsfähigen Medien, mit dichten Fenstern und vernünftigem Finish einziehen durften. Der Verbleib von Menschen in Altbauten war mehr ein Zwangsindividualismus, weil man zu den Unterprivilegierten gehörte, die auf der Warteliste für die Plattenwohnungen ganz hinten standen.
Insofern mag zwar dieses Symbol der gesprengten Häuser, die für andere Platz machen müssen, ein Hinweis auf den zu großen Konformismus in der DDR mit ihren in der Tat sehr einheitlichen und gesichtslos wirkenden Wohnsiedlungen der 70er sein, aber wenn, dann ist es sehr plakativ und nicht zu Ende gedacht. Das Glück liegt aber, das ist uns bekannt, nicht nur im besseren Wohnen, sondern im besseren Gefühl für Glück durch Liebe. Damit beenden wir die Befassung mit dem berühmten Abriss- und Aufbau-Symbolismus aus neutraler Sicht und kommen zum poetischen Teil des Films.
Paula ist ein wahres Blumenkind, wie sich in einer Schlafzimmerszene zeigt, von der noch heute der eine oder andere Film profitiert, der wahre Liebe und Romantik hochhält. Und sie träumt von einem Kahn, von der Vereinigung mit Paul auf einem vom Land losgelösten, von den Konventionen. Sie träumt sich weg von dem drohenden, großen Haus, in dem er wohnt und der Familie, die von dort aus den Fenstern auf Paul schauen kann, wenn er zur Arbeit geht. So einen Flusskahn fürs befreite Leben, so etwas soll Paul kaufen, sagt sie.
Da kommen sofort wieder Assoziationen zur Hausboot-Romantik unserer Tage auf, die wirklich exklusiv ist, weil es wenige Exemplare davon und wenige Anlegeplätze dafür gibt. Nur in der Nähe eines solchen Wasserhabitats gesessen zu haben und zuzuschauen, wie die Leute dort sich bewegen und ihr Ding machen, als ob sie wirklich eine eigene Welt hätten (was so nicht stimmt, Steuern und Abgaben müssen auch sie zahlen und natürlich kosten die Liegeplätze Geld), der versteht aber, worauf es hinausgeht.
Nicht umsonst vereint sich Paula im Traum mit ihren Schiffer-Vorfahren, die es alle ganz reizend finden, dass sie sich den Paul geangelt hat, um dieses traitionelle und vergleichsweise unabhängige Leben fortführen zu können. Es ist nicht unwichtig, dass Paula nicht aus der traditionellen Arbeiterklasse stammt, sondern mit diesem Freiheitsliebe-Gen geboren wurde, das die vollständige Anpassung verhindert und leider auch den Realismus, ein drittes Kind doch lieber nicht zu bekommen, wenn der Klinikarzt so vehement davon abrät.
Ein solcher Mensch, der innig und einfach zugleich wirkt, hat aber durch den Tod ihres Jungen, einem einschneidenden Ereignis im Verlauf des Films, das sie ihrer nicht sanktionierten Verbindung mit Paul zurechnet und sich daran schuldig fühlt, eine Bürde zu tragen. Sie will noch einmal mit Paul ein Zeichen für die Zukunft setzen und ein wirkliches Kind der Liebe zur Welt bringen (keines wie Pauls bereits vorhanden Sohn, der „Wörter“ gebraucht und aus der zwistigen und an materiellen Dingen orientierten Verbindung mit seiner Ehefrau stammt und dessen Verhalten die mangelnde Harmonie dieser Ehe ausdrückt).
In besseren DDR-Filmen ist oft viel Idylle sichtbar, die Bedrohung des Idylls hingegen spürt man verständlicherweise mehr, als dass sie offen gezeigt würde. Die Filme sind für unsere Sichtweise nicht direkt verstörend, eher faszinierend in ihrer Andersartigkeit. Trotz des Tods von Paula ist da am Ende etwas wie Optimismus, als Paul mit den drei Kindern auf dem Bett liegt, ein trotzdem Weitermachen, ein Rest Naivität, der dem westdeutschen Autorenfilm jener Zeit eher fremd ist.
Es ist nicht alles trist, solange es Gefühle gibt und Szenen wie die, in der Paula mit Paul in einem Konzert mit klassischer Musik sitzt und sich ihn mit offenem Hemd und einem Medaillon mit ihrem Bild darauf erträumt, das an einer Kette um seinen Hals hängt. Da schmiegt sie sich an ihn, und er ist es der sie schroff zurückweist, weil – die Konventionen. Obwohl es ein Freiluftkonzert mit etwas Waldbühnenatmosphäre ist und dort hat sicher niemand etwas dagegen, wenn Liebende sich aneinander kuscheln, Philharmoniker hin oder her (ess gibt also auch Staatübergreifendes).
Pauls Verhalten wird aber durch diese Szene gut erläutert. Er glaubt nicht an die kompromisslose Liebe und fordert solange Einsicht von Paula, bis nach dem Sohn ihres Todes die Dinge sich wenden. Sie will Paul nicht mehr um sich haben, weil sie sich schuldig fühlt und nun ist er geforert. Er belagert ihre Tür, malt Herzen darauf, schlägt sie mit der Axt ein, kurz, er tut alles, was ein echt verliebter Mann tun kann, um seiner Angebeteten näher zu kommen. Er fährt sogar einfach mit in die Datsche eines anderen zum Baden, als Paula nun Sicherheit will und sich dafür einen älteren Kleinunternehmer sucht, der schon lange ein Auge auf sie geworfen hat.
Auch dieses Nacktbaden und Leben in einer für die Verhältnisse der Zeit kommod eingerichteten Laube ist natürlich ein Teil dessen, was wohl die nostalgischen Gefühle der DDR-Zuschauer ausgelöst haben dürfte. Aber gemach, diese Welt gibt es noch in Berlin und es gibt immer mehr Leute, die unbedingt einen Kleingarten mit Häuschen drauf haben wollen. Es kommt alles wieder, egal in welchem System, wenn die Zeit dafür reif ist. Immer mehr Menschen sind ja auf einem – hoffentlich anhaltenden – Weg der Rückbesinnung auf die einfachen Dinge. Dem Trend müsste gemäß dem Naturalismus, den man in „Paul und Paula“ durchaus bewundern darf, eine Harmonisierung mit dem eigenen Ich und der Umwelt erfolgen, kurz, ein Leben, das nicht von Klassen- oder Besitzideologie vergiftet ist.
Finale
„Die Legende von Paul und Paula“ ist eine Perle aus dem DEFA-Fundus und wird zu Recht von vielen Menschen so geliebt, dass man von einem Kultfilm sprechen kann, ohne das Wort zu sehr zu strapazieren. Eine grandiose Hauptdarstellerin, ein ganz dicht an den Menschen inszenierter, einfacher und überzeitlicher Plot, der uns auch heute etwas sagen kann, machen dieses Stück Zelluloid unsterblich. Wir haben ein wenig gegrübelt, ob wir diesen doch bescheidenen, unscheinbaren Film mit Konrad Wolfs stilistisch und bezüglich der Botschaft doch recht abweichenden Kino-Machtwerk „Der geteilte Himmel“ gleichsetzen sollen.
Hätten wir nicht die sehr differenzierte Hundertstel-Bewertung aufgegeben, hätten wir vermutlich ganz leicht niedriger gegriffen, aber da es nur noch 8,0 oder 8,5 von 10 gibt, kommt es zum Gleichstand und damit zu einem zweiten Spitzenreiter unter allen bisher rezensierten deutschen Filmen: also 8,5/10 für das legendärste Liebespaar des deutschen Ostens.
Am 13. Mai 2013 hat sich Bundeskanzlerin Angela Merkel den Film zusammen mit ihrem Mann und den Hauptdarstellern in der Deutschen Filmakademie angesehen, obwohl sie vermutlich keine Ostalgikerin ist. Aber natürlich ist ihr Handeln auch durch ihre Biografie geprägt (als der Film 1973 in die Kinos kam, war Merkel 18 Jahre alt).
Anmerkung anlässlich der Wiederveröffentlichung der Rezension im „neuen Wahlberliner“.
Wir haben am Text nur sehr geringfügige stilitische Korrekturen vorgenommen, keine inhaltlichen, also bleiben auch die Textteile bestehen, die nicht mehr der heutigen Situation entsprechen – unter anderem die Angabe, wir hätten erst zwei wichtige DEFA-Filme rezensiert. Es liegen aber noch weit mehr Rezensionen im Archiv, als wir bisher gezeigt haben, sodass die DEFA im Filmschaffen Deutschlands, besonders der 1960er und 1970er Jahre, einen sehr wichtigen Platz einnehmen wird.
Wir haben die Bewertung nicht geändert, vor allem aber haben wir der Versuchung widerstanden, unsere mittlerweile wesentlich besseren Kenntnisse über das Filmschaffen in der DDR und über Menschen, die sich mit der DDR in Verbindung bringen, in den Text einfließen zu lassen. Vor allem die Rezension aller erhältlichen Polizeirufe aus der DDR-Zeit ab 2019 hätte uns viel Einblich zum Abgleich mit dem erlaubt, was wir in „Paul und Paula“ sehen, wenn sie uns 2013 schon zur Verfügung gestanden hätte. Die Namen einiger Mitwirkender in „Paul und Paula“ sind uns jetzt auch durch diese Arbeit geläufig. Auch unser Bild von der DDR hat diese Filmreihe mit ihren vielen Untertönen, die etwas niedrigschwelliger Kritik einfließen ließ, erweitert.
Die Art von manipulativ-proagandistischer DDR-Beschönigung, die wir mittlerweile kennengelernt haben, hat dazu geführt, dass wir uns schärfer und weniger verständnisvoll über diese Rückwärts-Mentalität insgesamt äußern, weil hier nicht eine Vergoldung im Sinne eines subjektiver Wahrnehmung und Erinnerung (Ostalgie), sondern bewusst Geschichtsklitterung betrieben wird, um die Demokratie zu diskreditieren, die von innen und außen auf eine Weise unter Druck steht, wie es 2013 nicht absehbar war. Auch hierbei spielen die DDR-Schönredner eine ungute Rolle.
Dass es das noch immer gibt, neben der erstaunlichen Langlebigkeit des Wirkens einiger Stasi-naher Menschen, liegt auch daran, dass Personen, die gar nichts mit der DDR zu tun hatten, diese Narrative aus sehr durchsichtigen Gründen übernehmen. Gerade unsere politische Standortbestimmung im linken Spektrum, die 2013 noch nicht abgeschlossen war, lässt uns Erzählungen ablehnen, die eine moderne, demokratische linke Politik nachhaltig verhindern. Das heißt, wir hätten vor allem die subtile Systemkritik in „Paul und Paula“ wohl anders gewichtet – und den Film vielleicht noch mehr herausgehoben.
Diese Zusatzanmerkung ist der veränderten Lage gegenüber 2013 geschuldet, und wir nehmen jede sinnvolle Gelegenheit wahr, uns auch im Rahmen des Filmfests für Demokratie und Freiheit auszusprechen. Nicht bei jeder Rezension also, aber bei einem DEFA-Film, der immer noch wichtig ist und nicht nur hostalgisch betrachtet werden sollte. Insfoern verhehlen wir auch nicht, dass der politische Teil des Wahlberliners das Filmfest und Crimetime beeinflusst und wir verfolgen einen stärker soziopolitisch ausgerichteten Ansatz als viele andere Filmrezensenten.
2025, 2013 Der Wahlberliner, Thomas Hocke
85/100
| Regie | Heiner Carow |
|---|---|
| Drehbuch | Ulrich Plenzdorf Heiner Carow |
| Produktion | Erich Albrecht |
| Musik | Peter Gotthardt |
| Kamera | Jürgen Brauer |
| Schnitt | Evelyn Carow |
| Besetzung | |
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(1) Nach „Solo Sunny“ und „Der geteilte Himmel“.
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