Filmfest 1254 Cinema – Werkschau Charles Chaplin (9)
Cruel, Cruel Love ist eine US-amerikanische Stummfilmkomödie aus dem Jahr 1914, die in den Keystone Studios gedreht wurde und in der Charlie Chaplin die Hauptrolle spielt. Cruel, Cruel Love galt mehr als 50 Jahre lang als verschollener Film, bis in Südamerika eine vollständige Nitrat-Filmkopie in vernünftigem Zustand entdeckt wurde. [1] Restaurierungskopien wurden von David Shepard von Film Preservation Associates und von Lobster Films aus Paris angefertigt, und das Originalformat mit zwei Rollen ist zum Verkauf erhältlich. [2]/ [1]
Eines müssen wir bei diesem neunten Film von Charles Chaplin vorausschicken: Der Film ist sowohl in der IMDb als auch in der Wikipedia mit einer Länge von 16 Minuten angegeben. Alles, was wir finden konnten, hat aber nicht mehr als zehn Minuten Spielzeit. Das heißt, was wir bewerten können, ist vermutlich eine arg verstümmelte Versio von „Cruel Cruel Love“. Das ist etwas seltsam, weil der Film als „verschollen galt“, wie es oben heißt, und wiederentdeckt wurde. Wenn die wiederentdeckte Variante 16 Minuten hat, wieso gibt es dann kürzere? Schade, aber immerhin das erste Mal, dass wir so ein Problem haben, es wird sich in geringerem Ausmaß allerdings gleich wiederholen, bei „The Star Boarder“. Schlimm? Nun ja, zumindest „Cruel, Cuel Love“ gilt gemäß IMDb-Bewertung nicht als ein Brüller und außerdem fehlt ihm etwas Essenzielles. Was es ist, steht in der – Rezension, Sie können es aber auch in der Wiki-Handlungsangabe nachlesen.
Handlung (1)
Chaplin spielt eine ganz andere Figur als den kleinen Landstreicher, für den er berühmt werden sollte. In diesem kurzen Keystone-Film ist Chaplin stattdessen ein reicher Gentleman aus der Oberschicht (Lord Helpus), dessen Romanze gefährdet ist, als seine Freundin (gespielt von Minta Durfee) sieht, wie er von ihrem Dienstmädchen umarmt wird, und voreilige Schlüsse zieht. Wütend schickt sie Lord Helpus fort und sagt, sie wolle ihn nie wieder sehen. Als Lord Helpus nach Hause kommt, ist er verzweifelt entschlossen, seinem Leben ein Ende zu setzen. Er schluckt etwas, das er für ein Glas Gift hält, und stellt sich vor, wie er in der Hölle gefoltert wird. Kurz darauf erklären der Gärtner und das Dienstmädchen der Freundin Minta, dass Lord Helpus überhaupt nicht geflirtet hat. Minta schickt schnell eine Entschuldigung an Lord Helpus. Als Lord Helpus es liest, gerät er in Panik und ruft einen Krankenwagen, der ihm hilft, bevor er an der tödlichen Dosis Gift stirbt. Es besteht keine Gefahr, dass Lord Helpus verfällt: Sein Butler hatte die Flüssigkeit im Glas heimlich auf harmloses Wasser umgestellt.
Rezension
Chaplins romantisches Interesse an diesem Film, Minta Durfee, war die Ehefrau des Keystone-Kollegen Roscoe „Fatty“ Arbuckle.
Ein Rezensent von Motion Picture World schrieb: „Leicht in der Textur, aber es gibt ein angenehmes, lächerliches [im Sinne von „lustiges“, Anm. TH] Bild ab.“
Wenn schon die damals bei einem Chaplin-Film regelmäßig zur Euphorie neigenden Rezensenten nur eine angenehme, nicht aber grandiose Angelegenheit gesehen zu haben glauben, dann kann der Film höchstens mittelmäßig sein. Ich muss zugeben, das trifft auf die von mir gesehenen knapp 10 Minuten auch zu. Ich hatte sogar Mühe, die Handlung zu verstehen, was darauf hinweist, dass da in der Tat etwas fehlt. Die Handlungsbeschreibung lässt interessanterweise keinen Rückschluss darauf zu, wo es hakt und wo Auslassungen zu vermelden sind, denn alles, was dort steht, sieht man einigermaßen. Nur der Austausch des Giftes gegen Wasser war mir entgangen. Oder er war eben nicht zu sehen, was aber ganz wichtig gewesen wäre. Da ich mir bei manchen dieser Uralt-Chaplins mehrere Versionen angeschaut habe, kann ich nur schreiben: Wenn ein Drittel fehlt, kann man unmöglich eine vernünftige Bewertung abgeben, ich müsste sie also in Klammern setzen, denn sie wird nicht sehr hoch ausfallen.
Für mich ist dies trotz des einprägsamen Titels die bisher unspezifischste, am wenigsten prägnante der ersten zehn Chaplin-Komödien. Ich weiß auch nicht, was ich viel mehr schreiben soll als das, was in der Handlungsbeschreibung ohnehin steht. Ich mache es jetzt so: Ich werde mich an den Rezensionen anderer entlanghangeln, die in der IMDb vermerkt sind, vielleicht fällt mir anhand dieser Meinungen etwas Ergänzendes ein.
Cruel, Cruel Love is another Nichols-directed Keystone short. Chaplin and this director had a turbulent working relation, and it shows. The star was clearly out of Nichols’ league, and what little there to enjoy about Cruel, Cruel Love is most likely due to Chaplin’s contributions. Chaplin plays the aristocratic Lord Helpus (indeed) who decides to poison himself after he mistakenly believes he has been rejected by Minta Durfee. Thanks to his amused butler (Edgar Kennedy) Helpus mistakenly drinks water instead of poison and imagines himself (briefly) in a Georges Méliès-styled hell. Always one to rework an idea, Chaplin later expanded on the mistaken poison gag in his black comedy, Monsieur Verdoux (1947).[2]
Ein kühner Schwung, von diesem Film zu Monsieur Verdoux, aber auch den habe ich schon lange nicht mehr gesehen und muss das für die Chaplin-Chronologie noch einmal tun. Auch bei George Méliès gibt es bisher mehr Lücken als Füllungen, aber ich hoffe, ich kann noch einiges nachholen, wenn die „zweite französische Chronologie“ beginnt. Vor einiger Zeit hat Arte einige seiner Kurzfilme gezeigt, ich habe sie zwischengelagert. Die Höllenszene ist in der Zehn-Minuten-Kopie enthalten, die ich mir angeschaut habe, insofern weiß ich, was der Rezensent meint. Ich dachte aber im Anschluss, der Butler macht sich über Chaplins Schmerzen lustig, in Wirklichkeit waren es ja Phantomschmerzen, darüber darf man als Bediensteter auch mal lachen, zumal, wenn Chaplin den Herrn spielt.
Ich glaube, dass Chaplin diese Abwechslung durchaus genossen hat. Erinnern wir uns, wie ärmlich seine Kindheit war, dann ist der Tramp bereits eine Wiederannäherung, eine Art künstlerische Transzendierung und auch ein Stück Liebe zu sich selbst, während die bessergestellten Figuren den Wunsch nach gesellschaftlicher Anerkennung ausdrücken, der Chaplin mit seinem ersten Film-Wochengehalt von 150 Dollar noch nicht so nah war, obwohl er etwa das achtfache Jahreseinkommen eines durchschnittlichen Amerikaners der Zeit damit erzielte. Da spielt schon gerne einmal einen „Lord“ oder „Aristokraten“, wobei diese Männer bei Chaplin immer auch ein wenig angeranzt wirken. Ganz und gar nobel ist er nie, auch wenn er nicht den Tramp gibt. Das gilt für seine frühe Zeit, wohlgemerkt. Als Monsieur Verdoux war er, glaube ich, ein durchaus respektabler älterer Bonvivant und Frauenmörder, der einen Film machte, der so weit weg von seinen anderen liegt, dass die meisten seiner Fans die Reise bis zu diesem äußeren Rand des Chaplin-Universums nicht ohne Sinnfragen zu stellen geschafft haben und sich fragten, ob Chaplin verrückt geworden ist. Dabei wollte er einfach nur schauen, ob er auch in zynischem Sarkasmus machen kann. Ich meine, mich erinnern zu können, dass das Ergebnis mir gar nicht so schlecht gefiel. Kehren wir aber wieder zu „Cruel, Cruel Love“ zurück:
(…) Charlie goes home to commit suicide by drinking poison — we have to figure this out for ourselves, because the film doesn’t explain it. Charlie’s servant, Edgar Kennedy,22 finds this hilarious, because he knows, as we don’t, that he’s substituted water for the poison! Charlie drinks the glass and goes into hysterics as his death approaches, mugging furiously, and unattractively, for the camera. (…)[3]
Auch der oben zitierte Rezensent hält nicht so viel von dem Film, sieht ihn beinahe in die Tiefe von „Tango Tangle“ stürzen. Ich meine, er stürzt tiefer, die Frage ist natürlich, von welcher Position aus. Es müsste „His Favorite Pastime“ sein, den wir aber aufgrund seiner rassistischen Anklänge bisher am schlechtesten bewertet haben, hingegen sehe ich „Tango Tangles“ als etwas besser an als „Cruel, Cruel Love“. Alles im niedrigen 50er-Bereich, versteht sich. Weshalb wir gerade den obigen Ausschnitt aus der Rezension gewählt haben? Es erklärt sich aus unseren bisherigen Amerkungen. Auch dieser Betrachter konnte nicht beobachten, wie der Flüssigkeitstausch passiert ist, was bedeutet, dass er entweder ebenfalls die verkürzte Version gesehen hat oder dass die längere ihn auch nicht enthält. Das wäre allerdings ein grober Filmfehler, der auf eine besonders schlampige Produktionweise schließen lässt. Viele dieser frühen Chaplins sind keine Musterbeispiele an Akribie und Production Values, auch wenn die gesichtete Länge etwa der Angabe in den einschlägigen Publikationen entspricht. Aber ich habe eben nicht verstanden, was plötzlich in Chaplin gefahren ist, als er sich so krümmt und grimassiert. Vielleicht soll man das als Zuschauer auch nicht wissen, aber deshalb einfach die Vertauschaktion des Dieners wegzulassen, ist ein Vertragsbruch der Produzenten gegenüber dem Zuschauer. Und immerhin waren an dem Film zwei Regisseure beteiligt, George Nichols und Studio Chef Mack Sennett persönlich. Flüssiger und sympathischer wirkt das Werk dadurch nicht, sehr zu meinem Bedauern.
Ich bin schon ein wenig verdorben durch Chaplins übernächsten Film „Mabel at the Wheel“, für mich der beste mit (nicht von) Chaplin bis dahin, länger und viel, viel aufwendiger und witziger und mit einer ziemlich gut durchdachten Handlung ausgestattet. Da wird man etwas ungeduldig, wenn man wieder auf das Niveau eines Films wie „Cruel, Cruel Love“ zurück muss. Man kann auch sagen, ich empfand es als grausam.
magiadoreal: Filme do Dia: O Marquês (1914), George Nichols & Mack Sennett: In dieser portugiesischsprachigen Rezension wiederum erfahren wir: Offenbar haben doch einige Rezensenten die 10- oder 9-Minuten-Variante gesehen, jedenfalls ist es hier am Ende so angegeben. Es wäre auch logisch, dass es von einem wiederentdeckten Film nicht Versionen gibt, aus denen man mutwillig Teile davon herausgeschnitten hat. Bei anderen dieser frühen Chaplins ist es ja so, dass im Laufe der Zeit immer mal wieder ein Schnipselchen ergänzt wurde und die Komplettheit sich sozusagen schrittweise eingestellt hat. Ansonsten befasst sich die Kritik eingehend mit der Bewegungstechnik von Chaplin und erkennt darin das, was er pantomimisch und mit seinen exaltierten Stürzen aus dem Vaudeville-Thater mitgebracht hat, während der lachende Diener ebenso ein Doppelgänger des Zuschauers zu sein scheint wie anfangs das Dienstmädchen, das sich einen Schaubernack mit Charlies Figur ausdenkt.
Chaplin responds by drinking poison, hence the mugging as he convulses. Except he didn’t really take poison, his butler (Edgar Kennedy) tricked him. Maybe he wanted to see Chaplin mug for the camera too. The viewer knows Chaplin’s fine almost immediately, which kills Love‘s suspense. I kept waiting for Nichols and writer Craig Hutchinson to do something smart with the plot. I’m still waiting.[4]
Geht mir ebenso. Andererseits wirkt es, als ob in dem Fall der Kritiker hätte nachvollziehen können, dass der Butler das Getränk vertauscht hat. So richtig kenne ich mich im Moment nicht aus, vielleicht habe ich es auch wirklich übersehen, weil die möglicherweise ultrakurz ist, verkürzt, zu früh abgeschnitten, whatever.
Finale
Mich hat der Film geradezu genervt, ich kann es beim Schreiben darüber noch einmal spüren. Er ist einfach minderwertig geschnitten und hat keinen sehr witzigen Plot, wenn ich von der 10-Minuten-Version ausgehe. Manches, wie die beiden Ärzte (die habe ich gesehen) wirkt arg herbeizitiert. Auch dieses Mal nicht gelacht, aber auch weniger geschmunzelt als bei den vorherigen frühen Kurzfilmen von Charles Chaplin. Allerdings schon einiges nachgeholt – mit dem Film, den ich eben erwähnte und bei dem ich erstmals nach 11 frühen Chaplin-Komödien wirklich laut gelacht habe. Halleluja! Nun ja, ich schaue Chaplins Filme generell anders an als in jungen Jahren, versuche, auf Details zu achten, immer wieder Neues zu entdecken. Manche seiner Arbeiten liebe ich so sehr, dass ich nicht einmal über die Gags lachen kann, obwohl sie gut sind. Dazu zählen alle seine Tonfilme. Auch von ihnen muss ich mir die ganz späten, ab dem erwähnten „Monsieur Verdoux“, noch einmal anschauen, um sie rezensieren zu können. Die IMDb-Nutzer:innen geben für „Cruel, Cruel Love“ 5,3/10, ich bleibe, anders als bei den meisten der Ur-Chaplins darunter. Die zweitschlechteste Bewertung bisher.
48/100
2025 Der Wahlberliner, Thomas Hocke (Entwurf 2024)
| Regie: | George Nichols Mack Sennett |
|---|---|
| Geschrieben von | Craig Hutchinson |
| Produziert von | Mack Sennett |
| Die Hauptrolle spielend | Charlie Chaplin , Edgar Kennedy , Minta Durfee , Alice Davenport , Glen Cavender , Billy Gilbert , Chester Conklin (im Abspann nicht aufgeführt) |
[1] Grausame, grausame Liebe – Wikipedia
[2] CHAPLIN AT KEYSTONE, PART ONE | 366 Weird Movies
[3] Looking at Charlie – The Year at Keystone, Part 1: An Occasional Series on the Life and Work of Charlie Chaplin – Bright Lights Film Journal
[4] Cruel, Cruel Love (1914, George Nichols) – The Stop Button
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