Briefing PPP Politik, Personen, Parteien, Zustrombegrenzungsgesetz, CDU, FDP, AfD, Grüne, SPD, Die Linke, Regierungsmehrheit, Die Spinne das Netz die leichte Beute, Demokratie in Gefahr, Bundestag, Abstimmung, Fraktionszwang, Bundestagswahl 2025, #btw25
Update 2 | 01.02.2023, 15:00 Uhr
Falls das, was am Mittwoch und gestern im Bundestag gelaufen ist (siehe unsere Berichte untenstehend) ein politisches Erdbeben war, dann muss man in einer ersten Nachbetrachtung festhalten, dass die Umfragewerte ziemlich erdbebenfest sind. Anders ausgedrückt: Bisher hat sich nicht viel verändert … oder doch? Wir fassen ein wenig nach.
Insa hat eine Umfrage herausgegeben, die suggeriert, dass auch schon die Konsequenzen aus der gestrigen Bundestagsdebatte und der Ablehnung des „Zustrombegrenzungsgesetzes“ durch eine knappe Mehrheit eingeflossen sind. Wann genau die Umfrage am 31. geschlossen wurde, wissen wir nicht, aber die Mehrzahl der Befragungen dürfte vor dem Ergebnis dieses historischen Tages durchgeführt worden – jedoch nach dem Mittwoch, der ebenfalls von vielen als eine politische Zäsur angesehen wird, als sich für den „Fünf-Punkte-Plan“ der CDU zur Verschärfung der Migrationsbegrenzung eine knappe Mehrheit mithilfe der AfD fand.
Die Umfrage zeigt erwartungsgemäß einen Anstieg bei der AfD, aber nicht in einem Maße, dass man befürchten muss, sie überholt die Union noch vor der Wahl. Diese ist unverändert geblieben, die Zahlen können Sie hier nachlesen. Die Union bleibt unverändert, die SPD kann ebenfalls um einen Prozentpunkt zulegen. Das BSW verliert einen Prozentpunkt, ebenso die Grünen. Die AfD ist am derzeitigen oberen Rand ihrer Möglichkeiten angekommen. Ihr haben diese Vorgänge auf jeden Fall in die Hände gespielt. Am Mittwoch hat die Union sie ein Stück weit mehr hoffähig gemacht, am Freitag ging die Abstimmung schief und die AfD sagt nun, der Merz kann nicht Kanzler, er hat nicht einmal seine eigene Fraktion im Griff. Das Scheitern gestern hat offensichtlich mit Abweichlern oder Abwesenden in der FDP und der Union zu tun. Als Demokrat kann man froh sein, dass es in diesen Parteien noch ein paar Politiker:innen gibt, die sich dem Grundgesetz verpflichtet sehen und sagen, wir nutzen die Formulierung darin, dass wir nur unserem Gewissen verpflichtet sind, nicht dem Fraktrionszwang, und unser Gewissen sagt uns, dass wir nicht immer weiter nach rechts treiben dürfen.
Es gibt auch die Lesart, das Merz dieses Scheitern gar nicht so unwillkommen war, der Dammbruch am Mittwoch war vorerst genug, mehr würde die Union vielleicht auch nicht aushalten, denn es gibt nicht nur die Bundesebene, sondern auch die Länder, und dort ticken Unionspolitiker teilweise anders als in dieser doch erschreckend stromlinienförmig nach rechts driftenden Bundestagsfraktion. Es hätte viel mehr Abweichler:innen geben müssen, wenn der CDU das noch etwas wert wäre, wofür sie einmal gestanden hat. Und damit meinen wir nicht die Merkel-Ära, sondern ihre gesamte Geschichte, von Adenauer bis Kohl. Wir können uns nicht vorstellen, dass einer dieser Politiker Merz‘ Vorgehen richtig gefunden hätte.
Außerdem kann man es nach der Wahl wieder versuchen, und dann wird es ja eine Regierungsmehrheit jenseits der AfD geben müssen und damit auch eine Partei, die gestern dagegen gestimmt hat und sich dann in der nächsten Runde verbiegen lassen muss. Oder doch nicht? Offensichtlich waren die Differenzen in der Sache gar nicht mehr so groß, wie sich aus der gestrigen Analyse der Auszeit-Debatten entnehmen lässt (Die Sitzung wurde unterbrochen, weil sich die „demokratischen Parteien“ noch einmal beraten hatten, ohne Ergebnis).
Das Problem, dass eine dann doppelt so große AfD-Fraktion einer Neuauflage dieses Migrationsbegrenzungsgesetzes zustimmt, besteht aber auch nach der Wahl und kann für eine neue Koalition schnell zur Belastung werden. Am Ende wird es darauf ankommen, ob es eine Mehrheit auch ohne die Zustimmung der AfD gegeben hätte. Man kann sie ja nicht am Zustimmen hindern, solange man nicht ernsthaft ein Verbotsverfahren einleitet, was längst hätte passieren müssen.
Bisher sind die Auswirkungen dieser außergewöhnlichen Sitzungswoche im Bundestag noch überschaubar. Wir haben hier noch einmal nachgeschaut. In den Übersichten der neuesten Prognosen zur Wahl ist dieses Insitut nie gelistet, was aber u. E. auch den Grund hat, dass das Ergebnis „fließt“. Es verändert sich aufgrund der Dauerhaftigkeit der Umfrage ständig, alte Stimmen werden extrahiert, neue kommen hinzul.Seit dem Start der Arbeit an diesem Artikel hat die SPD um 0,1 Prozent zugelegt, die Grünen haben 0,1 verloren, das BSW hat 0,1 hinzugewonnen. Das ist sowieso ein Sonderfall. Wenn die Ergebnisse der Umfragen nicht stimmen, dann sind die nach der Lesart von SW die Meinungsforscher schuld. Aber auch Insa, das für die dem BSW sehr freundlich gesonnnene Springerpresse arbeitet, hat jetzt einen Punkt weggenommen, um sich wohl vorsichtig den anderen anzugleichen, die diese neue Partei teilweise um oder unter 5 Prozent sehen (Civey derzeit 4,8; Die Linke 4,4).
Wenn auch diese besondere Parlamentswoche die Umfragen (noch) nicht sehr beeinflusst hat, ist es nicht so, dass man sie als eine Episode abtun kann. Der Einfluss auf den Zustand der Demokratie ist viel größer und zu jeder Partei und ihrem Verhalten und wie sie in der Debatte performt hat, ließe sich viel sagen, denn nach langer Zeit hatten wir wieder einmal die Gelegenheit, einen Teil (ab etwa 14 Uhr) live zu verfolgen, erste Erkenntnisse haben wir bereits im ersten Udpate (siehe unten) festgehalten. Dass sich die Umfragewerte vorerst nicht viel verändert haben, kann man auch so werten: Die Leute strafen die Union nicht für ihre Manöver ab, und das sagt auch einiges darüber, wie weit es mit uns und der Demokratie schon gekommen ist.
Wir werden diesen mittlerweile aus drei Teilen bestehenden Artikel nun als laufendes Update vor der Bundestagswahl verwenden und auf weitere Artikel verweisen, die wir nicht in diese Linie stellen, die aber dem Thema quo vadis, Demokratie? gewidmet sind.
TH
UPDATE 31.01.2023, 17:10 Uhr
Soeben wurde das „Zustrombegrenzungsgesetz“ der CDU/CSU vom Bundestag abgelehnt, mit „ja“ hatten 338 Abgeordnete gestimmt, mit „nein“ 350.
Wir wissen noch nicht, wer aus Union oder FDP nicht dem Fraktionszwang gefolgt ist, aber wir sind ungeheuer erleichtert. Wir wissen auch, dass dies nicht das Ende des Angriffs von rechts auf die Demokratie sein wird, wir haben die letzten Stunden aufmerksam verfolgt. Wir sehen die Demokratie in der Defensive, ganz eindeutig und lange nicht mehr so deutlich wie nach dieser Diskussion.
Viele an den Bildschirmen werden jetzt einen falschen Eindruck haben, weil die Kohärenz und Wucht in den Argumenten der Demokratieverteidiger:innen teilweise zu wünschen übrig ließen. Rechte Positionen sind immer einfach, das gilt für die Wirtschaftsordnung wie für die Politik. Demokratische Positionen, die auf Zusammenhänge zielen und das Ganze im Blick haben, lassen sich nicht so leicht populistisch verkaufen. Das heißt, die Zivilgesellschaft wird weiterhin viel guten Willen aufbringen müssen, um die Rechtsverschiebung zu stoppen oder wenigstens zu begrenzen.
Lange hatten wir nicht mehr die Gelegenheit, eine Bundestagsdebatte live zu verfolgen, an diesem Freitagnachmittag war es möglich und hat uns viele Erkenntnisse gebracht. Beruhigt sind wir aufgrund dieser Erkenntnisse absolut nicht, im Gegenteil. Auch wenn die Opfer im Vordergrund stehen sollten, wir befürchten, jedes neue Gewaltereignis, das durch die Presse geht, wird den Blick für die Realität weiter vernebeln und Scheinlösungen werden immer mehr an Zuspruch gewinnen – zulasten der Freiheit von uns allen.
Wir gehen in diesem kurzen Update nicht darauf ein, wer als Redner wie rübergekommen ist, zumal nicht alle wichtigen Akteur:innen in der Zeit, in der wir die Debatte live verfolgen konnten, gesprochen haben. Was wir aber mitgenommen haben. Vorgebliche Sachlage wurde gegen echten demokratischen Anstand ins Spiel gebracht, der Anstand war in der Verteidigungshaltung. Es wird nicht einfacher werden. Da es nun en Vogue zu sein scheint, Trump’schen „gesunden Menschenverstand“ zum Maß der Dinge zu machen, nicht denjenigen, der auch in deutschen Gesetzen als Rechtsfigur existiert und der mehr auf Ausgewogenheit und Realitätssinn zielt, wird die Verteidigung schwieriger werden.
Es nützt auch gar nichts, mit Fakten dagegenzuhalten, denn es gibt immer beide Seiten, das haben wir aus dem Lesen von Statistiken gelernt. Man kann sie so oder so verwenden bzw. sich dieser oder jener Fakten und Analysen bedienen, und am Ende zählt die Einstellung zur Sache, nicht die Sache selbst. Und die Einstellung, die Demokratie verteidigen zu wollen, hat keine Konjunktur. Wir haben einen Absatz gestrichen, in dem wir jemanden herausgehoben haben, der uns in der Debatte vor der Abstimmung besonders negativ aufgefallen ist. Es war niemand von der CDU/CSU, der AfD, der FDP, alles dort wie erwartet, auch nicht von den Grünen, der Linken oder der SPD. Bleibt nur noch eine Partei übrig, die auch nur eine Wortmeldung hatte, seit wir und zugeschaltet hatten.
Passen Sie bitte auf, wen Sie am 23. Februar wählen, sonst werden Sie, wenn Sie zu den Enttäuschten gehören, weitere Enttäuschungen erleben. Auch wenn bei uns immer mehr Dinge falsch laufen, es könnte noch schlimmer kommen, und das wird es, wenn Sie Populist:innen und Rechtsextremen auf den Leim gehen.
Das „Zustromsbegrenzungsgesetz“, das die Union zur Abstimmung bringen wollte, wurde aber zuvor auch von vielen Experten kritisiert, hier gesht es nicht nur um Haltungsfragen. Wir brauchen hingen ein ehrliches, umsetzbares, den Rechtsgrundlagen entsprechendes Gesetz über die Steuerung der Migration, das von einer breiten demokratischen Mehrheit getragen und dann auch umgesetzt wird. Was wir nicht brauchen, ist Hokuspokus, von dem die AfD-Rechten nachher sagen können: hat wieder nicht funktioniert. Wir haben zugestimmt, aber die Politik, die unbedingt ohne uns regieren wollte, hat es wieder nicht hingekriegt. Genau so etwas brauchen wir nicht, sondern die tatsächliche menschliche Vernunft.
Jetzt sprechen wir doch noch eine Person an. Friedrich Merz. Unser Eindruck war nicht, dass er vor Wut in den Tisch beißt, als die Abstimmung verloren war. Die Union kann sagen, wir haben alles versucht, sogar mit Hilfe der AfD. Und vielleicht sind wir froh, dass dieses Gesetz in der gegebenen Form keiner Realitätsprüfung standhalten mss und dass wir nicht erneut einen Dammbruch begangen haben, nach dem Mittwoch. Im Wahlkampf kann der Union dieses Scheitern sogar helfen. Es geht um Gewissensfragen, um Glaubwürdigkeitsfragen, um den Spin, ihr müsst uns wählen, dann gehen wir noch einmal ran und dann haben wir auch sichere Mehrheit.
Seien Sie bitte als Demokrat:in vorsichtig, wen Sie wählen. Heute war nicht das Ende der Geschichte der Rechtsverschiebung. Ganz im Gegenteil. Denn auch für die AfD ist diese Abstimmungsniederlage Wasser auf die Mühlen. Aberwitzig genug: Ein Sieg hätte den gleichen Effekt gehabt. Die AfD kann eigentlich alles ausschlachten, was gerade passiert, und eines stimmt leider: Die demokratischen Parteien haben es zugelassen, dass es so weit kommen konnte und alle Demokraten nur noch im Abwehrmodus sind, anstatt sich dem Fortschritt widmen zu können. Den Neuanfang, den Neuaufbau demokratischer Substanz in Deutschland, sehen wir erst nach den Bundestagswahlen 2025. Von da ab wird neu gerechnet, nachdem vermutlich die Union und die AfD eine Mehrheit im Bundestag haben werden, die es ermöglicht, ohne jede weitere Partei Gesetze auf den Weg zu bringen. Gerade hatten wir die Idee, Merz habe vielleicht einige Unionsabgeordnete sogar aufgefordert, mit „nein“ zu stimmen, um den Kopf aus der Schlinge zu bekommen. Wir werden sehen, wie mit den Abweichlern umgegangen wird. Vielleicht kommen sie auch (auch) aus der FDP. Vielleicht wäre das Gesetz auch im Bundesrat gescheitert. So aber ist es besser.
TH
Heute, nur zwei Tage nach dem Tabubruch im Bundestag, als CDU, AfD und FDP gemeinsam einem „Fünf-Punkte-Plan“ der CDU zur Änderung der Migrationsregelungen zugestimmt haben, ist schon wieder ein entscheidender Punkt. Der Antrag war nur ein Stimmungstest, aber in der gerade laufenden Debatte geht es darum, aus ihm ein Gesetz zu machen – gegen den Willen der noch amtierenden Minderheitsregierung aus SPD und Grünen.
Wir haben uns bereits eindeutig zu dem Vorgang am Mittwoch anhand einer Umfrage geäußert Union: Weiterhin keine Koalition mit der AfD? (Umfrage, Zusatzinfos, Leitkommentar: Demokratie schützen!) und vollziehen ihn hier noch einmal grafisch anhand einer Darstellung von Statista nach. Wir kommentieren auch die gerade laufende Folgeveranstaltung.
Bahamas-„Koalition“ ante Portas?
Infografik: Bahamas-„Koalition“ ante Portas? | Statista
Diese Statista-Grafik wurde unter einer Lizenz CC BY-ND 4.0 Deed | Namensnennung-Keine Bearbeitung 4.0 International | Creative Commons erstellt und wir geben sie unter gleichen Bedingungen wieder. Folgend der Statista-Begleittext dazu, dann weiter mit unserem Kommentar.
Gestern haben CDU und CSU einen Entschließungsantrag mit den Stimmen von AfD und FDP durch den Bundestag gebracht. Die Union fordert darin unter anderem dauerhafte Grenzkontrollen an allen deutschen Staatsgrenzen und die Zurückweisung aller illegalen Einreiseversuche. Außerdem sollen ausreisepflichtige Personen sofort in Abschiebehaft genommen und die Länder bei der Durchsetzung der Ausreisepflicht besser unterstützt werden. Lediglich die CDU-Abgeordnete Antje Tilmann stellte sich gegen die Parteilinie.
Gegen den Antrag stimmten alle anwesenden Parlamentarier:innen von SPD, Grünen und der Linken. Es ist das erste Mal, dass ein Antrag im Bundestag mithilfe der AfD eine Mehrheit bekommen hat. Entsprechend wurde dieser Vorgang von Rot-Rot-Grün als „Zäsur“, „Tabubruch“ oder „schwarzer Tag“ bezeichnet. Die Linken-Gruppenchefin Heidi Reichinnek sprach von einem „Dammbruch“ und dass sie es sich trotz aller Differenzen nicht hätte vorstellen können, dass die Union mit Rechtsextremen paktiert.
Dass Konservative und Rechtsextreme zusammen abstimmen, ist in der deutschen Geschichte übrigens schon einmal vorgekommen. Ohne Franz von Papen und andere Vertreter des rechten bürgerlichen Spektrums wäre die Ernennung Hitlers zum Reichskanzler nicht möglich gewesen. Das letzte Mal das diese konservativen Parteien die Gelegenheit hatten, im Reichstag abzustimmen, votierten sie am 23. März 1933 zusammen mit der NSDAP für das Ermächtigungsgesetz. Wenige Wochen später gab es in Deutschland kein Mehrparteienparlament mehr.
Aber wir müssen gar nicht so weit zurück gehen, um zu erfahren, dass es keine gute Idee ist, die Themen der Rechtsextremen zu übernehmen. Das zeigen zum Beispiel die aktuellen Sonntagsfragen, in denen die Union verliert, während die AfD zulegt. Ein möglicher Schluss daraus ist, dass die Migrationsdebatte der Partei nutzt. Und auch die Wähler:innenwanderung bei den letzten Landtagswahlen könnte der CDU/CSU als mahnendes Beispiel dienen.
Kommentar
Wenn die Abstimmung zu dem Fünf-Punkte-Plan in Form eines Gesetzes heute wieder durch die AfD eine Mehrheit bekommt, darf man getrost Abschied nehmen von der Vorstellung von Demokratie, mit der die meisten von uns aufgewachsen sind, die sie offenbar aber nicht mehr zu schätzen wissen. Dass eine solche Mehrheit trotz der Tatsache, dass die AfD noch mit dem Wahlergebnis von 10,2 Prozent des Jahres 2021 im Bundestag vertreten ist und nicht mit so vielen Abgeordneten, wie sie nach den kommenden Wahlen im Februar erhalten wird, mit etwas Pech werden es doppelt so viele sein, das ist erschreckend.
Wenn mit nur 10 Prozent AfD-Abgeordneten im Bundestag schon keine Mehrheiten mehr ohne sie zu finden sind, wie wird das erst bei 20 Prozent werden? Deswegen ist der Titel der Grafik „Bahamas-Koalition ante portas?“ absolut berechtigt, zumal er ein Fragezeichen beinhaltet. Was kommt, sieht man in den östlichen Bundesländern: Es ist nur mit großer Mühe möglich, manchmal auch gar nicht, Mehrheiten jenseits der AfD zu finden, es wird zu schwachen, krisenanfälligen Regierungen kommen.
Und Friedrich Merz schwächt mit seinem Eintreten der Brandmauer die Demokratie erheblich, es gibt mittlerweile nicht nur ein Statement von Ex-Kanzlerin Merkel, die seinen Kurs ablehnt. Das ist nicht so verwunderlich, die beiden konnten noch nie miteinander. Es kommt aber auch zu Austritten Prominenter aus der CDU, wie Michel Friedmann, Holocaust-Opfer geben ihre Bundesverdienstkreuze zurück, weil man in Deutschland die Lehren aus der Vergangenheit beiseiteschiebt.
Derzeit verhandeln gerade die Fraktionsvorsitzenden der „demokratischen Parteien“ miteinander, ob man den CDU-Gesetzesvorschlag nicht doch ohne die AfD durchs Parlament bekommen könnte. Zum Scheitern lassen wäre ja dann noch das Verfehlen der erforderlichen Mehrheit im Bundesrat möglich.
Wir können nur dringend auch von dieser Scheinlösung abraten. Denn die AfD gewinnt auch bei dieser Methode. Sie wird sagen: Ob mit oder ohne unsere Zustimmung, wir haben das Thema angeschoben, wir sind bei dem Thema Migration vorne, wir haben unser Ziel erreicht, und natürlich: Alice und alles für Deutschland!
Die „demokratischen Parteien“ laufen in eine Falle hinein, die man vor wenigen Jahren nicht für möglich gehalten hätte. Die AfD sitzt wie eine Spinne da, die ihr Netz gestrickt hat, in dem sich alle anderen Parteien nun verfangen, um ein Bild aufzugreifen, das wir heute gesehen haben. Es handelt sich um die Illustration zur jüngsten Meldung „Verbotsantrag gegen die AfD“ und vieles an der Analyse, zu der dieses Bild gehört, trifft absolut zu. Eigentlich fast alles.
Man hat in den übrigen Parteien immer noch nicht verstanden, a.) dass man der AfD inhaltlich nicht hinterhereifern darf, wie die CDU, aber auch Teile der SPD es tun, dieweil die Grünen darunter leiden, dass sie es noch nicht oder nicht so stark tun, aber ihre Themen gegen diesen Furor von rechts nicht mehr durchbringen können, b.) dass eine Partei, wenn sie vom BVerfG als verfassungswidrig eingestuft wird, verboten werden muss, da gibt es keine zwei Meinungen. Eine so entscheidende Frage kann man nicht taktisch angehen, sondern man muss dem Recht Vorrang verschaffen, sonst wird das Unrecht durch die Taktik etabliert, es wird also toleriert, dass Verfassungsfeinde mehr und mehr als normale Gesprächs- und am Ende Koalitionspartner angesehen werden.
Wir haben immer mehr den Eindruck, dass viele andere nur darauf warten, mit der AfD koalieren zu dürfen, weil der Zeitgeist ja nach rechts arbeitet und man glaubt, die eigenen rechten Positionen damit besser durchsetzen zu können. So blind sind tatsächlich viele in diesem Politikbetrieb, dem man anmerkt, dass die aktuelle Politikergeneration keinen Kompass mehr hat und aus unglaublich mittelmäßigen Persönlichkeiten besteht, sofern sie nicht ohnehin absichtlich das Geschäft der AfD betreiben. Am Ende wechselt man dann auch die Partei nach rechts, solche Vorgänge gibt es ja in der CDU schon.
Aktuell müssen wir immer wieder einen Blick rüber in den Bundestag werfen, wie sich die Lage um das „Zustrombegrenzungsgesetz“, wie es von der Union offiziell genannt wird, entwickelt. Es ist dramatisch, Sie können es hier nachlesen: Live-Ticker: Abstimmung über das „Zustrombegrenzungsgesetz“ der Union | WEB.DE.
Allerdings werden wir mit der Veröffentlichung des Artikels nicht warten, bis die Debatte und die Abstimmung zu Ende sind, zumal sich alles durch interne Besprechungen der anderen Parteien und Verhandlungen mit der CDU verzögert. Ob einigen der Abgeordneten vielleicht doch noch bewusst wird, dass sie in eine Falle laufen, wenn sie diesem Gesetz zustimmen, nur, damit es die AfD nicht tut? Und wäre es für die Union nicht sogar besser, sie würde sich heute eine Niederlage einfahren, als wieder zum Wasserträger der AfD zu werden?
Wir sind mittlerweile richtig angefasst von diesem Kampf um die Demokratie, weil wir leider voraussehen, dass er so, wie er gerade geführt wird, auf Dauer nicht gewonnen werden kann. Wenn sich die Parteien der Mitte und der gemäßigten Linken nicht endlich darauf einigen, ein AfD-Verbot zu unterstützen, werden sie und wird die Demokratie diesen Kampf verlieren.
Das Primat der Bekämpfung im politischen Raum wird ja von einigen, die es damit ernst meinen könnten, aber auch von vielen Scheinheiligen als demokratietechnisch einem Verbotsversuch überlegen angesehen. Ungeachtet der Risiken dieses Versuchs: man kämpft die AfD nicht damit, ihr alles nachzumachen, bei ihr abzuschreiben, wie sie selbst es nennt, sondern mit klaren Konzepten für das Gegenteil, das aber bei keiner Partei vorliegt. Müßig, an dieser Stelle zu analysieren, warum das so ist, dafür gibt es in jeder Partei hausgemachte Gründe.
Gerade scheint sich die Lage so zu entwickeln, dass SPD und Grüne nicht dem CDU-Gesetzesvorschlag zustimmen wollen. Das wäre wirklich der GAU gewesen, wenn sie sich quasi als AfD-Ersatz hergegeben hätten. Gut möglich, dass sich heute auch entscheidet, ob eine CDU-geführte Regierung Erfolg haben kann. Es ist ein Irrsinn und ein totaler wahltaktischer Flop gewesen, dass Merz diesen Schnellschuss veranlasst hat und damit versucht, Anschläge und Tötungen von Menschen als Treibstoff für den Wahlkampf zu verwenden. Offenbar hat er selbst nicht mit den heftigen Reaktionen aus der tatsächlichen Mitte der Gesellschaft auf den Vorgang vom Mittwoch gerechnet.
Vorerst sitzt vor allem die Union in der Falle, aber mittelfristig wird es allen „Demokraten“ so gehen; wenn wir den Begriff in Anführungszeichen setzen, dann sind damit die Politiker:innen der Parteien außerhalb der AfD gemeint.
Schauen Sie also auf die Grafik, was bald dem ganzen Land blühen kann. In der Umfrage, die wir gestern besprochen haben, ist noch keine Mehrheit für eine „Bahamas-Koalition“ zu erkennen, aber der Zeitgeist hat sich schon dermaßen nach rechts bewegt, dass diese noch vorhandene Grundanständigkeit der Mehrheit sich erübrigt. Mit ihr erübrigt sich nicht der Kampf um die Demokratie, aber mangels guter Politik die Möglichkeit, die AfD politisch kleinzuhalten.
Es gibt ja immer zwei Akteure. Eine Spinne namens AfD, die ein Netz webt, in dem sich die „Demokraten“ verfangen sollen und die Schwäche und Blindheit dieser „Demokraten“. Sie erkennen zunächst das Netz nicht, und wenn sie drin sind, haben sie nicht die Kraft, sich zu befreien, sie sind buchstäblich leichte Beute.
Wir haben ein wenig gewartet, aber die Unerbrechung der Debatte hat nun etwa zwei Stunden gedauert. Auch spannend: Nicht alle Unionsabgeordneten wollen dem Gesetzentwurf zustimmen, hieß es zwischenzeitlich. Wenn das mal keinen Karriereknick bedeutet, falls namentlich abgestimmt wird.
Wir melden uns mit einem Update, sonst kriegen wir diesen Artikel nicht raus, und Sie werden nicht rechtzeitig vor der Bahamas-Koalition gewarnt. Kleiner Scherz, muss auch mal sein, solange wir noch öffentlich scherzen dürfen.
TH
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